U-Comix Gazette: Interview mit Dr. Mark Benecke

Quelle: U-Comix Gazette

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Von Anja Perkuhn

Mark, erzähl mal: Was ist der letzte Traum, an den du dich erinnerst?

Ich hab vor ein paar Jahren schon gelernt, dass ich eine komplette Traumwelt aufgebaut habe, also lauter verschiedene Wohnungen in verschiedenen Städten, in die ich im Traum immer wieder zurückkehre. Oft ist das New York, weil ich da früher mal gelebt habe. Und da muss ich immer irgendwelche Sachen erledigen. Das war vorges-tern auch wieder so.

Wir hatten uns deine Träume ein bisschen verrückter vorgestellt als „Sachen erledigen".

Diese Wohnungsträume sind für meine Verhältnisse extrem verrückt. Während Corona habe ich in meinen Träumen mit meinen Freundinnen und Freunden komplette Urlaube gemacht, richtig episch, mit Anreise, Erlebnissen, allem. Die Handlung ging über Tage und Wochen, teilweise Jahre. Immer musste was organisiert oder eine Wohnung neu eingerichtet werden.

Was sind für dich reale Albträume?

Ich hatte neulich eine Abendveranstaltung in Baltimore, bei der größten forensischen Tagung der Welt. Und die war supergruselig: Es ging um Gegenstände aus dem Konzentrationslager Buchenwald, die aus Menschenhaut gefertigt wurden und die ich untersucht habe.

An sich schon ein gruseliges Thema.

Das stimmt, aber es war ganz anders als gedacht. Die Jüngeren wussten gar nicht, worum es geht. Klar, wenn ich in den USA lebe und 30 bin, was habe ich mit deutschen und polnischen Konzentrationslagern zu tun?

Und die Älteren hatten Tränen in den Augen. Aber weniger wegen der Spuren, von denen ich erzählt habe, sondern weil die meisten nach dem Krieg als Soldaten in Deutschland stationiert waren und dort ne gute Zeit hatten. Und jetzt wussten, dass sie nie wieder nach Germany kommen.

Und plötzlich war das Thema nicht mehr Nazi-Verbrechen.

Es ist im Grunde alles schiefgelaufen: Du willst da einen spurenkundlichen Vortrag halten über Taschenmesser-Etuis und Lampenschirme aus Menschenhaut. Und dann kommen die alten Leute an und sind zutiefst bewegt, dass sie mal wieder was aus Deutschland hören. Ich wusste gar nicht, was ich damit anfangen soll. Also es hat sich tatsächlich erfüllt, dass die Veranstaltung ein Albtraum war, aber auf eine komplett andere Art.

Es gibt viele Fotos von dir, auf denen du mit deinen Haustier-Kakerlaken kuschelst. Das finden viele Menschen ja wahrscheinlich eklig.

Die sind ja nicht eklig – weder verformt noch stinkend oder schleimig. Sie beißen nicht, sie stechen nicht. Die sind wie so kleine, fantastisch polierte Holzstückchen, die ihr Ding machen und keinen stören. Die sind einfach lieb.

Was machen die den ganzen Tag?

Sie schlafen oder chillen viel. Nachts kämpfen sie, wer oben sitzen darf auf der zerbrochenen Plastik-Urne mit dem Totenkopf. Ansonsten unterhalten sie sich halt, betasten sich mit ihren Antennen und blieben sitzen oder auch nicht. Wie Menschen, wenn sie sich zum Kaffeetrinken treffen. Und manchmal kriegen sie Kinder.

Klingt entspannt.

Oh! Aber was ganz seltsam ist: Manchmal sitzen sie alle vorne an der Glasscheibe und man sieht ihre Unterseite. Weil sie ihre Augen unten haben, ist das so, als wenn ein Menschen dich direkt anguckt. da starren dich also auf einmal 100 Schaben an.

Öhm. Vielleicht nehmen sie irgendeine unhörbare Frequenz wahr?

Vielleicht! Auf jeden Fall lernen meine Schaben. Sie haben sich zum Beispiel daran gewöhnt, dass ich mal in den Raum komme oder ihnen Wasser reinstelle, und verstecken sich dann nicht mehr. Normalerweise reagieren Schaben ja schnell auf Erschütterungen, weil sie im Urwald eine Leckerei sind für viele Tiere.

Aber jetzt wissen sie: „Ah, da kommt wieder der Große mit dem Futter!"

Ich denke schon, aber es gibt kein gutes Feedback-System mit ihnen, um da sicher zu sein. Ich mache ja keine Tierversuche mit meinen Schaben. Ich könnte so harmlose Trainingssachen mit ihnen machen, aber das habe ich ja schon mit Blutegeln gemacht, darum muss das nicht sein.

Watt?

Ja, früher hatte ich Blutegel und habe getestet, ob sie erkennen, über welche Linie sie drüberkriechen dürfen und über welche nicht.

Und mit den Schaben wär's jetzt nix? Warum?

Es gibt so eine Comicgeschichte, in der Superman so eine ganze Stadt rettet, die bei ihm in einer Flasche existiert. Und das sind die Schaben für mich. Die sollen ihr Ding machen und ich will nicht eingreifen.

Hat deine Schabenstadt auch einen Namen?

Nee, da bin ich ganz offen für Vorschläge der Leser und Leserinnen von U-Comix.

Fantastisch, wir sind gespannt! Du weißt wahrscheinlich, dass einer der großen Helden von U-Comix der Kakerlak ist?

Klar! Aber euer Kakerlak ist ja eher an Küchenschaben angelehnt. Meine sind ja Fauchschaben. Die können sich noch besser unterhalten, weil sie fauchen.

Macht, was ihr wollt – aber hinterher nicht rumheulen!

Quelle: Spontis, 10. Juli 2025

Von Gruftlord

Bei einem kleinen Pläuschchen mit Dr. Mark Benecke beim WGT ergab sich die Idee, doch gleich mal ein ganzes Interview mit dem Menschen zu führen, der in Funk und Fernsehen gern als „Herr der Maden“ bezeichnet wird. Da Mark auch aus der Schwarzen Szene schon lange nicht mehr wegzudenken ist, hat der Gruftlord die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, um für Euch ein paar persönliche Fragen an den Kriminalbiologen, Forensiker, Autoren, Kolumnisten, Politiker (Die PARTEI) und Schauspieler zu stellen.

Hallo Mark, vielen Dank, dass Du Dich zu einem Interview mit spontis.de bereit erklärt hast. Wenn man nur ein bisschen nach Deiner Person im Internet schaut, findet man unglaublich viele Beiträge zu den unterschiedlichsten Themen. Welche Themen liegen Dir besonders am Herzen?

Wie bei der Fall-Arbeit: Immer das, was gerade anliegt. Ich lebe und arbeite im jeweiligen Moment.

Du tauchst schon seit Jahren in der Schwarzen Szene auf und hast gleich mehrere, extrem gut besuchte Veranstaltungen auf dem WGT 2025 gegeben. Wie bist Du eigentlich selbst zur Gothic-Szene gekommen, oder ist die Szene auf Dich zugekommen?

Es sind schon mehrere Jahrzehnte, argh! Auf dem WGT bin ich der Mensch, der die meisten Auftritte insgesamt hatte. Zur Szene gekommen bin ich durch einen winzigen Club mit Gothic-Geschäft daneben im Kölner Studierenden-Viertel. Da konnte ich an der Theke lesen, das fand niemand komisch — oder zumindest hat nie jemand was gesagt. Auf der Tanzfläche tanzten damals noch fast alle drei Schritte vor und drei zurück (kein Scherz).

Im Werk 2 in Leipzig, das damals noch zum WGT gehörte, bin ich erstmal vor ganz ungefähr zwanzig Jahren aufgetreten (grobe Schätzung, ich bitte um Berichtigung, wenn die Leserinnen und Leser noch Fotos oder Programm-Hefte haben sollten). Das war die Idee von Steff vom Astan-Magazin und der großartigen Satanka, die fanden, dass kriminalistische Vorträge dorthin gehören. Meine Schwester hat auch schon früh gruftige Dinge getan und mich dazu — ohne es zu wollen — angeregt.

Manche Bands fanden es auch gut, mit mir was gemeinsam zu machen. Mit Agonoize habe ich vor sehr langer Zeit in München mal während deren Auftritt auf der Bühne eine „Leiche“ seziert, mit der Patenbrigade habe ich eine ganze Platte gemacht (Baustellen-Unfälle) und war vor kurzem beim WGT ihr Keyboarder (normalerweise bin ich nur der Brigade-Arzt, mit echtem Ausweis), mit Sara Noxx habe ich abgefahrene Lieder und Videos gemacht und die neue Platte mit Bianca Stücker, mit der ich regelmäßig sehr schnaft musiziere (unser Auftritt auf dem Amphi Festival in Köln bleibt zumindest uns unvergessen), kommt auch bald raus. Mit Blutengel durfte ich mal als Fackel-Träger auf dem M’era Luna auf der Bühne stehen. Auch Noisuf-X, Massiv in Mensch und viele andere haben mit mir schon für mich sehr aufregende und coole Dinger gedreht.

Für den oder die Orkus! und Sonic Seducer habe ich auch Jahre lang die reich bebilderten WGT-Tagebücher gemacht. Ist alles gratis und werbefrei im Netz zu finden.

Ich mach‘ also vorwiegend mit, wenn jemand Lust und Spaß hat.

Würdest Du Dich selbst als Grufti oder Gothic bezeichnen? 

Heutzutage ‚Gothic‘. Der Grufti-Begriff ist aus der Mode, wie ich finde, weil auch manche alten Menschen das für sich als humorvolle Beschreibung für „ich bin alt“ anwenden. Daher ‚Goth‘ oder ‚Gothic‘.

Was fasziniert Dich persönlich an der Schwarzen Szene?

Es gibt keine Gespräche darüber, ob irgendwer komisch oder seltsam ist.

Gibt es Erlebnisse, die Dir besonders wertvoll ist?

Die gesamte Stimmung: Politik im eigentlichen Sinn — also Parteien, Führer:innen, das große Ganze, „die da draußen“ — spielen keine Rolle, sondern das gemeinsame Erleben von was auch immer gerade stattfindet. Es ist auch die einzige Umgebung, die ich kenne, an dem Menschen sehr verschiedene Meinungen haben und trotzdem zusammen Kirsch-Met trinken.

Ich finde es erstaunlich, wie vielfältig die Schwarze-Szene ist. Welche Bereiche interessieren Dich besonders?

Was auch immer gerade angeboten wird. Schau ich mir erstmal an und dann passt’s oder nicht. Mir ist es erstmal egal, ob’s Aggrotech oder Witchhouse ist, ob Flöten oder Korsetts angeboten werden — erst mal stöbern und ausprobieren.

Hast Du das Gefühl, dass sich die Szene im Laufe der Jahre verändert hat? Was ist Deiner Meinung nach besser und was ist schlechter geworden? Gibt es Dinge, die Du vermisst?

Es ist ein langsam fließendes Gewässer. Es gibt viel mehr neue Bands, als die älteren Besucher:innen von Festivals manchmal glauben. Vieles bleibt gleich, aber wenn dann einer von And One hingeht und in einer Kirche auf der Orgel Polka spielt und die versammelten Gothics dazu Ringelreihen tanzen (ich war dabei…Video ist bei mir online), dann zeigt sich schon daran, dass eigentlich immer was Verrücktes passiert. Schaut mal in meine WGT-Tagebücher.

Du bist viel auf Reisen. Wie erlebst Du die Schwarze Szene in anderen Ländern?

Ist eher mau. Es soll in Mexiko ja Einiges los sein, das weiß ich aber nicht aus eigener Anschauung. In den Vereinigten Staaten habe ich hin und wieder Gothic-Läden gesehen, teils sehr opulent, teils auch winzige Themen-Bars wie in Alphabet City in New York oder New Orleans. Aber eine Szene wie in Deutschland gibt es sonst nirgendwo. Kein Wunder, dass sie die internationalen Gäste schon seit langem in Leipzig zum WGT treffen, das ist eine recht unbekannte, aber große Community (googelt mal „Sadgoth Benecke WGT 2025)“.

Du hast erzählt, dass Du gerne Comics liest und auch eine beachtliche Sammlung Dein Eigen nennst. Wie viele Comics besitzt Du? Und welche Genres bevorzugst Du?

Derzeit vorwiegend Mangas. Ich habe fast alles verschenkt, an die Nationalbibliothek in Berlin, an die Stadtbibliothek in Köln und soeben an die Gäste beim Comic-Festival in München am U-Comix-Stand, wo ich signiert habe. Vieles mache ich „dauerhafter“, so hat mir beispielsweise der Zeichner von Watchmen, Dave Gibbons, soeben die Hand signiert (wird tätowiert) und Denis Kitchen eine tolle Zeichnung in eine Neu-Auflage seiner Biografie angefertigt. Soeben habe ich einen Stapel Comics der echt tollen Olivia Vieweg gekauft. Marie Sann hat meine Frau Ines und mich gezeichnet, Timo Wuerz liefert eine fantastische Arbeit nach der andren ab. Kurz gesagt: Es soll alles in Bewegung bleiben.

Was ist Dein Lieblingscomic, oder Comicreihe?

Durch die Verfilmungen ist ja V wie Vendetta und Watchman auf eine neue Stufe gehoben worden. Carl Barks ist eh der Härteste. Daher will ich lieber mal auf einige sehr gute Mehrbänder verweisen: BLAST, ein jenseits allem, was ich kenne, stehender Bericht über einen erfundenen, ganz seltsamen, sehr interessant dargestellten Täter und „seine“ Ermittler. Dann Blood on the Tracks, ganz klebrig und finster, es wird einfach nicht besser. Die Neu-Auflage von Dragon Head, den ich vorher gar nicht kannte, auch absolut finster und ohne Aussicht auf etwas Gutes. Sowie die großartige Vampir-Liebesgeschichte Vampeerz. Derzeit lese ich gerade Magilumiere: Die Magic Girls (einstmals Sailor Moon) sind mittlerweile ein Gewerbe geworben und es entstehen daraus spannende, harmlose (okay, nicht für die Geister und Monster) Ereignisse. Bis dieses Interview erscheint, kann es aber auch schon wieder was ganz anderes sein.

Wissenschaftliche Vorträge gelten ja normalerweise nicht als besonders hip. Dir gelingt es aber mit eben solchen Veranstaltungen ganze Hallen zu füllen. Wie erklärst Du Dir dieses riesige Interesse?

Ich nehme die Zuhörer:innen ernst, nicht mich. Außerdem verwende ich keine Fremdworte.

Gibt es neue Projekte an denen Du gerade arbeitest?

Klar, schaut gerne mal auf meine Websites. Ist recht breit gefächert, ich will nichts hervorheben, jede:r mag was anderes.

Wie war es für Dich das erste Mal in Kontakt mit einer menschlichen Leiche zu kommen? Ich stelle mir vor, dass das eine ganz schön große Überwindung kostet? 

Sie lag einfach da. Da es keinem seltsam vorkam — das war 1992 im Institut für Rechtsmedizin der Universität zu Köln —, gab’s auch keine Aufregung. Hat sich bis heute nicht geändert.

Gab es Situationen in Deinem Beruf, die Dich emotional an Grenzen gebracht haben?

Es ist schade, dass die Angehörigen keine Anlaufstellen haben, wo ihnen in Ruhe erklärt wird, was wann warum untersucht wurde und was wann warum nicht.

Ein weiteres Thema, über das Du in Vorträgen sprichst, ist der menschgemachte Klimawandel. Ein Thema, was viele Menschen gerne verdrängen. Was meinst Du, kann Dein Engagement verändern?

Die Handlungen der Zuhörenden.

Hast Du Ideen, was jeder Einzelne machen kann um einerseits nicht in der Erstarrung zu landen und andererseits zum Umweltschutz beizutragen?

Pflanzliche Ernährung, Kleidung seeeeehr lange verwenden, Parteien wählen, die sich für Umweltschutz messbar einsetzen. ÖPNV und Fahrrad nutzen, handeln statt rumlabern.

In einem Film über den Fleischkonsum oder Konsum von anderen tierischen Produkten wurde die Behauptung aufgestellt, dass der Klimawandel alleine dadurch aufzuhalten wäre, wenn die Menschen weniger oder besser noch gar kein Fleisch essen würden. Wie stehst Du zu dieser Aussage?

Den Film und die Aussage kenne ich nicht. Der Land- und Wasserverbrauch durch die „Herstellung von Tier-Produkten“ ist abenteuerlich hoch. Ich habe keine Ahnung, warum irgendwer tot gefolterte Tiere und deren „Produkte“ verwendet, mit oder ohne Klima-Wirkung.

Gibt es noch etwas, dass Dir wichtig ist und Du unseren Lesern mitteilen möchtest?

Macht, was ihr wollt. Aber hinterher nicht rumheulen.

Vielen Dank für das Interview! Ich wünsche Dir und Deinen Lieben viel Glück und Erfolg auf Euren Wegen.

Danke für Deine Fragen.

Demonstration gegen die Erschießung der Affen im Tierpark Nürnberg 🐒

Veranstalter:innen-Text (Animal Rebellion Deutschland & Vegan Vernetzt): 

Großdemo: Stoppt die Tötung der Nürnberger Paviane! Sa, 26. Juli 2025 | 13–17 Uhr,  Sebalder Platz, Nürnberg

Im Tiergarten Nürnberg sollen mehrere gesunde Paviane getötet werden, weil es „zu viele“ geworden sind. Wir sagen: Es gibt keine Rechtfertigung für die Tötung gesunder, fühlender Tiere.

Wir fordern die Verantwortlichen der Stadt Nürnberg und des Tiergartens Nürnberg auf, diese Pläne zu stoppen! Schluss mit systematischer Gewalt in Zoos!

Am 26. Juli gehen wir gemeinsam auf die Straße – für die Paviane, für alle Tiere hinter Gittern und für eine Zukunft, in der Mitgefühl über Verwaltung steht.

Mit prominenter Unterstützung unter anderem von: 🎤 Dr. Mark Benecke (Kriminalbiologe und Autor)  🎤 Dr. Colin Goldner (Great Ape Project)

Das erwartet euch: 📢 Eine laute Laufdemo durch die Nürnberger Innenstadt 🎤 Mehrere Redebeiträge 🎶 Livemusik mit Erbsenschreck

Marks Text:

Selten habe ich etwas verrückteres gehört als dass ein deutscher Zoo seine Affen erschießen will. Das soll (und wird garantiert, falls ihr nicht richtig Druck macht) in Nürnberg geschehen. 

Die Sinnlosigkeit von "Tiergärten" — einem heute überflüssigen Rest aus der Zeit der "Eroberung" fremder Länder — war wohl noch die so deutlich wie hier, beim Affen abknallen im Tiergarten Nürnberg 🤦🏻‍♀️ 

Herzlich euer: Marky Mark, Biologe & Botschafter des Great Ape Project 🐵

Kriminalist Mark Benecke über Attentäter : „In der Tiefe ihres Herzens halten sie sich für winzig und unbedeutend“

Quelle: Tagesspiegel, 21. Juli 2025

Von Marion Koch

Sie nutzen Messer oder Autos als Waffen, um Fremde auf Stadtfesten oder in Bahnhöfen zu töten.

er Experte erklärt, was oft dahinter steckt – und wie sich solche Taten stoppen lassen.

Herr Benecke, Sie sind Kriminalist und befassen sich mit der Aufklärung und Verhinderung von Straftaten. Eine Frau, wie am Hamburger Bahnhof Ende Mai geschehen, sticht mit einem Messer mutmaßlich wahllos auf Passagiere ein. Ein Mann rast im Dezember mit einem Auto über den Magdeburger Weihnachtsmarkt. Auf einem Stadtfest in Solingen geht ein Mann im vergangenen Jahr mit einem Messer auf die Besucher los. Wer macht so was, wer verletzt oder tötet wahllos so viele Menschen wie er erwischt, die er nicht einmal kennt?

Dass Rache suchende Amokläufer oder politisch motivierte Terroristen Orte aufsuchen, an denen sie möglichst viele Menschen töten können, kennen wir leider inzwischen. Bei Fällen wie in Hamburg, Magdeburg oder Solingen geht es aber um Täter, bei denen die Motive nicht so leicht nachzuvollziehen sind, die Wahl der Opfer ist scheinbar zufällig.

Was kann man über die Täter sagen?

In der Regel lassen sie sich drei Gruppen zuordnen. Die eine Gruppe, das sind häufig Leute, die ein komplett kaputtes Leben haben, als Kinder keine gute Bindung erlebt haben, vielleicht sexuell oder geistig missbraucht wurden. Als Erwachsene sind das oft die, die sich über viele Dinge stark aufregen und leicht reizbar sind. Manche werden auch depressiv. Oder beides. In vergleichsweise harmloser Form kennt man das von Alkoholikern oder Leuten, die andere Substanzen nehmen, Heroin oder synthetische Drogen, die an Bahnhöfen abhängen, sich selbst hassen oder ihre Eltern oder die Welt. Die rumbrüllen, sich streiten, aggressiv sind – aber meistens ungefährlich. Rasten sie dann aber doch mal ausnahmsweise aus, greifen sie offenbar wahllos Menschen an oder bringen jemanden um, der gerade in der Nähe ist, Zufallsopfer.

Und die zweite Gruppe?

Das sind Leute mit Psychosen, also Menschen mit psychischen Erkrankungen, die nicht unterscheiden können, was wirklich ist und was eigene, verzerrte oder eingebildete Empfindung. Der Klassiker ist, dass sie Stimmen hören oder Farben sehen, die gar nicht da sind, manche fühlen sich von Geheimdiensten oder fremden Wesen verfolgt oder meinen Botschaften aus einer anderen Welt zu empfangen, die anderen nicht zugänglich ist. Auch bei ihnen kann das zufällig wirken, wenn sie andere angreifen, Leute töten.

Die dritte Tätergruppe sind Menschen mit „überstarken Überzeugungen“, wie Sie sagen.

Ja, das sind die, die mit dem Auto in eine Menschenmenge fahren oder in einer Ansammlung von Menschen herumschießen. Wie der norwegische Massenmörder Anders Breivik, der im Sommer 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen getötet hat. Bei ihm waren sich die Gutachter und Gutachterinnen allerdings nicht einig, ob er psychisch krank ist oder eine übermäßig starke politische und soziale Überzeugung hat.

Und sie alle attackieren ihre Opfer wirklich zufällig?

Nehmen wir Psychotikerinnen und Psychotiker. Es wirkt vielleicht zufällig, an welchem Ort sie auf Menschen losgehen, aber da ist oft „method behind the madness“, da steckt aus ihrer Sicht ein guter Grund dahinter. Psychotische Täter sind immer verrückt, halluzinieren, haben Wahnvorstellungen. Sie töten aber nicht ganz so wahllos, wie es von außen wirkt.

Sehr häufig gehen sie auf Menschen los, vor denen sie sich erschrecken, vor denen sie Angst haben, die für sie vielleicht komisch gekleidet sind, eine seltsame Bewegung gemacht haben, aus ihren Augen zu irgendeiner Verschwörung gehören, zu Reptilienmenschen, Aliens oder sonst irgendetwas.

Ist der Tatort zufällig?

Jemand, der mit und wegen der Krankheit die soziale Leiter runtergefallen ist, wird nicht in einer Luxusvilla auftauchen und dort auf Menschen losgehen. Und andersherum wird jemand, der in einer Luxusvilla lebt und eine Psychose bekommt, eher sehr gut ärztlich versorgt – und meist nicht am Bahnhof landen und dort Täter werden.

Die überstark Überzeugten werden genau wissen, wen sie umbringen wollen.

Das haben wir gerade wieder bei den Attentaten auf Politiker der US-Demokraten in Minnesota gesehen.

Sind sich die meisten bewusst, warum sie Täter geworden sind?

Stark persönlichkeitsgestörte Menschen handeln technisch gesehen bewusst, die wahren, inneren Gründe ihres Handelns sind ihnen aber wohl trotzdem nicht so richtig bekannt.

Warum töten manche Menschen, die ein kaputtes Leben haben, eine Psychose oder eine extrem starke Überzeugung – und andere, die auch ein kaputtes Leben haben, eine Psychose oder eine extrem starke Überzeugung, töten nicht?

Das ist die ganz große Frage. Sieht man sich die Lebensgeschichte solcher Menschen an, findet man aber oft Hinweise darauf.

Nämlich?

Am Ende des Tages fehlt es Täterinnen und Tätern oft an einer Art Schutz. Denn selbst wenn sie verrückt sind oder persönlichkeitsgestört, wenn sie abdriften, weil sie einsam alleine zu Hause sitzen und glauben, die Welt retten zu müssen, selbst wenn sie Präsident der Vereinigten Staaten sind: In den allermeisten Fällen haben Leute Schutzfaktoren, die sie davor bewahren, die Grenze zum Töten zu überschreiten. Diese Faktoren machen standhaft dagegen, auszurasten.

Was sind solche Schutzfaktoren?

Schutz gibt es Menschen beispielsweise, wenn sie in ihrem Leben jemanden haben, auf den sie sich verlassen können.

So einfach ist das?

Klingt einfach, ist aber gar nicht so selbstverständlich, wie man glauben könnte.

Ein Beispiel, bitte.

Nehmen wir an, du hast eine Psychose. Der Klassiker wäre, weil das einen starken erblichen Anteil hat, dass schon deine Eltern erkennbar verrückt sind. Verlässlichkeit in der Familie gab es also eher nicht. Aber vielleicht nimmst du an einem Programm teil, das es in vielen Städten gibt, und erlebst Verlässlichkeit, in dem du zum Beispiel immer mittwochs um 15 Uhr und samstags um 18 Uhr eine Familie, so etwas wie eine Patenfamilie, besuchst. Egal, was passiert, du gehst da immer hin. Und wenn sich dann die Psychose anbahnt, hast du so etwas wie einen Anker in der „echten“ Welt, der dich festhält, sodass du nicht durch Stress schnell weiter abdriftest.

Und bei Persönlichkeitsgestörten?

Auch Persönlichkeitsgestörte, zum Beispiel Narzissten, kann eine starke Bindung teils schützen. Bei dem heute weltweit bekanntesten Narzissten, Donald Trump, zum Beispiel konnte man während seiner ersten Präsidentschaft noch denken, dass seine Tochter Ivanka so etwas für ihn ist – sie war damals seine „Beraterin“. Man konnte denken, dass er eine gute Bindung zu ihr aufrechterhalten will, sie stolz auf ihn sein soll. Und in ganz kleinem Maß hat sie ihm vielleicht noch ihre Meinung sagen können, vielleicht hat er ihr damals auch manchmal zugehört. Es sind sehr kleine Handlungsspielräume, um die es hier geht.

Hat jemand mit Persönlichkeitsstörung einmal erlebt, dass eine Bindung stabil, zuverlässig und vertrauensvoll sein kann, fühlt sich das für sie oder ihn angenehm und beruhigend an, wie für andere Blätterrauschen oder Vogelgesang. Es gibt Geborgenheit. Und auch ein bisschen Vertrauen in die Menschen und das Leben im Allgemeinen. Solche Bindungen halten Leute zwar nicht davon ab, ein Narzisst zu sein oder überstarke Überzeugungen zu entwickeln. Aber vielleicht hält es sie davon ab, mit dem Auto in eine Menschenmenge zu fahren.

Schuld ist zu einem großen Teil die schlechte Kindheit?

Erfahren Kinder, dass sie wertvolle Menschen sind, dass man ihnen zuhört, ihnen auf Fragen, die sie stellen, ernsthaft antwortet, schützt sie das zumindest mehr, als wenn sie nicht ernst genommen werden und alleine dastehen. Warum sind da weiße Linien auf der Straße? Warum hängt da ein gelber Kasten an der Häuserwand? Hört ein Kind dann auf solche Fragen, „Mein Gott, wo kommst du denn her? Bist du dumm! Das weiß ja jeder, das sind Zebrastreifen und ein Briefkasten“. Dann ist klar, was dabei rauskommt: ein an sich selbst zweifelnder Mensch, der kein Vertrauen in die Welt hat – und eher keine schützende Einflüsse erlebt.

Oder wenn ein Kind traurig ist und zu seinen Eltern geht, die zwar vielleicht weiter Netflix gucken, es aber trotzdem in den Arm nehmen. Dann lernt es, dass es kein Drama machen muss, um Aufmerksamkeit zu kriegen. Das schützt es.

Sind die Täter oft einsame Nerds?

Zumindest halten sie sich in der Tiefe ihres Herzens für winzig und unbedeutend. Jeder Mensch hat sein Plätzchen auf der Welt, das ist vergleichbar mit einem mehr oder weniger großen Sandkorn in der Wüste. Manche Leute kommen nicht damit klar, dass sie glauben, keine Handlungsspielräume und Entscheidungsmöglichkeiten zu haben, um jemand Größeres und Wichtigeres zu werden. Kommt dann noch eine Persönlichkeitsstörung dazu, wie eine antisoziale Störung oder Narzissmus, kann das leicht schiefgehen, weil Menschen dann eher keinen Schutz davor haben, auszurasten.

Und mit einer überstarken Überzeugung meinen solche Menschen, rauszukommen aus dem Leben als Sandkorn?

Es ist ganz klar, was solche Leute denken: Keiner kümmert sich um mich, niemand redet mit mir, ich bin total einsam – aber jetzt auf einmal hören sie mir zu! Die einen regen sich zwar auf über meine Überzeugung, die anderen finden mich aber toll. Meine Kommentarspalten in den sozialen Medien sind bis zum Platzen voll, super. Solche Abläufe sind selbstverstärkend.

Was läuft falsch, wenn jemand denkt, dass seine Art, die Welt zu sehen, für alle acht Milliarden Menschen auf der Erde die einzig richtige ist?

Na ja, schauen wir uns mal die Helden- und Heldinnen-Filme an, in denen genau das passiert. Wir alle sind damit aufgewachsen, dass die Tollen und Heldenhaften in 99 Prozent der Fälle ihrem Super-Ich folgen und anderen ihre Sicht der Welt aufzwingen. Das scheint also wirklich erstrebenswert zu sein. Der Kühnste, die Kühnste, rettet die Welt.

Hat es Massentötungen schon immer gegeben? Oder ist unsere Gesellschaft heute so schräg, dass es mehr Leute gibt, die keine Schutzfaktoren haben?

Soweit man das in der kriminalistischen Literatur überschauen kann, gibt es das, seit mutwillige Verletzungen, Mord und Totschlag in der menschlichen Gesellschaft dokumentiert werden.

Richtig untersucht wurde das bisher allerdings nur im Bereich von Amokläufen, die es ja auch schon immer gab. Aber Täterinnen und Täter, die in ihre eigenen oder fremde Schulen gehen, um sich angeblich zu rächen, oder sonstigen Antrieben folgen, oder, wie gerade in Bayern geschehen, Menschen in der Firma verletzen oder töten, handeln in einer anderen kulturellen Umgebung als Amok-Täterinnen oder -Täter vor langer Zeit an einem anderen Ort der Welt. Das ist aus heutiger Sicht nicht immer gut zu vergleichen, auch wenn es ähnlich aussieht und es vielleicht Ähnlichkeiten geben mag.

Was heute solche Schuss- und Messerattentate sind, waren früher Tötungen mit Schwertern oder Äxten. Damals ist so etwas vielleicht auch weniger aufgefallen, weil die Menschen, je nach Kultur, sowieso recht kriegerisch sein konnten. Und es war ja auch, je nach Lage vor Ort, nichts wirklich Besonderes, im Kampf zu sterben oder anderweitig getötet zu werden.

Da sind wir wieder bei Anders Breivik, der auch das persönliche, massenhafte Erschießen und „Jagen“ interessant fand. Solche Fälle jedenfalls sind auch aus vorangegangenen Jahrhunderten belegt.

Dass psychisch kranke Menschen andere attackieren, wie die Frau am Hamburger Hauptbahnhof, ist das ein zunehmendes Phänomen?

Das kommt immer wieder vor. 2019 hat ein psychisch kranker Mann am Frankfurter Hauptbahnhof einen Achtjährigen und seine Mutter ins Gleisbett gestoßen, im vergangenen Februar hat dort eine offenbar psychisch kranke Frau einen Mann auf die Gleise geschubst. Meistens sind es psychotische Menschen, die solche Taten begehen.

Heute erleben ein bis zwei Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung mindestens einmal im Leben eine Psychose. Nimmt die Zahl zu?

Psychosen treten gehäuft bei Menschen auf, die sehr, sehr starke Traumatisierungen haben, zum Beispiel bei Geflüchteten, die durch ganz Afrika gewandert sind, dabei noch entführt und sexuell missbraucht wurden. Dann in irgendeinem Land gestrandet sind, von dort wieder über die Grenzen geschoben wurden, in einem Lager landeten, oft ohne jegliche Privatsphäre. Mit so einer Lebensgeschichte haben sie ein deutlich höheres Risiko, eine Psychose zu bekommen. Die Trauma-Belastung führt zum Durchbruch.

Sind Menschen, die brutale Videospiele spielen, gewaltbereiter?

Ich kenne keine kriminalistische Studie, auch keine psychologische oder psychiatrische, die zeigt, dass Computer irgendetwas mit der Gewaltbereitschaft in der „echten Welt“ zu tun haben.

Einsame oder verbitterte Menschen oder solche, die keine Bindungen im echten Leben aufbauen können, mögen vielleicht manchmal mehr über dem Rechner hängen. Aber das eine ist die Frage nach der Ursache, das andere die nach der Ausprägung von Gewaltbereitschaft.

Sind wir also gar nicht gewalttätiger als frühere Gesellschaften?

Was sich verändert hat, ist, dass Leute, die sich radikalisiert haben, auf Websites gehen, wo sie viele Tipps finden für Attentate. Das hat es früher so nicht gegeben. Heute können sie sich in aller Seelenruhe einlesen und kriegen noch eine persönliche Beratung, wie sie andere am besten umbringen können.

Emotionale Stabilität, Bildung, menschenwürdige Lebensverhältnisse, was kann die Gesellschaft noch tun, um zu verhindern, dass Leute ausrasten?

Das hört sich jetzt vielleicht ein bisschen wollsockenmäßig an, aber es ist kein Gelaber: für mehr sozialen Ausgleich sorgen, dafür, dass jeder Mensch die Möglichkeiten hat, aus sich herauszuholen, was er oder sie will, dass das Geld und Steuern gerechter verteilt sind, der öffentliche Personennahverkehr günstig und für jeden nutzbar ist, dass es eine echte, nicht nur erfundene Mietpreisbremse gibt, einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung und Gesundheit und soziale Hilfsprogramme für Menschen, die alleine nicht klarkommen. All das hilft, dass es weniger Zornige und Gestresste gibt.

Mark Benecke über das WGT in Leipzig: „Es gibt keine andere Stadt, die das leisten kann“

Quelle: Leipziger Volkszeitung (online), Zeitungs-Artikel vom 6. Juni 2025, Seite 18

Der Kriminologe und Szene-Star Mark Benecke spricht im Interview über die Philosophie der Gothic-Kultur und außergewöhnliche Erlebnisse beim WGT.

Von Christian Neffe

Leipzig. Er ist Kriminologe, Autor, Schauspieler, Tierrechtler – und Dauergast beim Wave-Gotik-Treffen (WGT). Dr. Mark Benecke sprach vor dem WGT mit der LVZ über die Philosophie und Anziehungskraft der Gothic-Szene und die Besonderheiten des Leipziger Festivals.

Wie sind Sie eigentlich zur schwarzen Szene gekommen?

Das passiert einfach. So wie man zum Bartträger wird, einfach weil er gewachsen ist.

Kam das über Ihren Beruf?

Nein, und ich kenne in diesem Bereich weltweit auch nur noch eine einzige andere Person, die Gothic ist. Das ist also durch eine sehr große Stichprobe widerlegt und hat damit überhaupt nichts zu tun. Es ist nicht wie im Kino, dass Gothics besonders gern mit Leichen arbeiten. Ich bin da ein Ausnahmefall.

Foto: Mark Benecke

Beruflich haben Sie mit dem Tod im ernsten Sinne zu tun, aber beim WGT wird der Tod ästhetisch zelebriert, quasi zu Entertainment gemacht. Wie passt das zusammen?

Mit Entertainment hat das nicht zu tun. Die Gothics sagen einfach: Ich kenne mich in der Dunkelheit, den Abstufungen von Grau aus und fühle mich da wohler als in der Welt der Farben, des Geschwätzes und der Lügen. Das wird sehr ernst genommen, und das ist wie in jeder Szene, jeder Gemeinschaft natürlich auch mit einem gewissen Maß an Unterhaltung verbunden. Aber der Tod selbst dient nicht als Entertainment-Gegenstand. Er ist eine Klammer, innerhalb derer sich alle Mitglieder wohlfühlen: das Düstere, das Langsame, das Finstere, die Moll-Akkorde. So wie jeder Mensch seine eigenen Vorlieben bei Musik oder Essen hat. Aber natürlich kann es da auch mal sehr lustig werden.

In einem Beitrag über die Anfänge des WGT schrieben Sie mal: „Alles war schwarz, alles war erlaubt, alle waren völlig gestört, und das Chaos war völlig unübersehbar.“ Ist diese Anarchie ein wenig verloren gegangen?

Überhaupt nicht. Bei Konzerten der Toten Hosen oder auch Udo Jürgens – wirklich wahr – ging es früher noch wirklich anarchisch zu, und da verliert sich das tatsächlich, je größer es wird und je älter die Leute werden. Aber nicht beim WGT. Wenn man nur von außen draufblickt, kann man diesen Eindruck bekommen. Wenn man aber tiefer drinsteckt, bekommt man diese Wildheit noch mit. Zumal sich die Szene mit neuen Stilen und Genres immer wieder selbst erneuert. Klar, ihr als Berichterstatter interessiert euch jedes Jahr für das Viktorianische Picknick, aber das ist nur ein Tausendstel von dem, was hier stattfindet. Ich habe beim WGT jedes einzelne Jahr so viel wilden Scheiß gesehen wie sonst nirgendwo auf dem Planeten. Es ist das einzige Festival – und ich gehe wirklich auf viele –, wo so viel irrer Wahnsinn und Unerwartetes passiert.

Welche Bedeutung hat Leipzig innerhalb der Szene?

Foto: Mayla Lüst

Das hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Es gibt zunehmend mehr kleine Festivals, die noch örtlicher und hochgradig spezialisiert sind. Die gehen gern mal nur einen Tag, und da spielen dann auch fünf oder sechs Bands. Aber Leipzig ist weltweit die einzige Anlaufstelle, auf die man sich immer verlassen kann. Andere Festivals kommen und gehen oder fallen wegen des Wetters ins Wasser. Aber das WGT ist so demokratisiert und findet an so vielen Orten statt, dass es einfach nicht schiefgehen kann. Wir waren zum Beispiel auch während Corona da und haben Party an der Agra gemacht, auch wenn keiner da war. Es gibt keine andere Stadt, die das leisten kann, allein weil überall sonst die Clubs zumachen. Und wo die Veranstalter auch halboffizielle Veranstaltungen zulassen. Dass ich bei einer Lesung zur Hälfte Menschen mit Bändchen und zur anderen Hälfte ohne reinlasse – sowas gibtʼs anderswo nicht.

Sie sind dieses Jahr bei der Eröffnung dabei und halten Vorträge über Kannibalismus. Aber wie sieht Ihr privates WGT-Programm aus?

Wir machen immer das, was gerade passiert. Wir haben einen – nicht ganz so – geheimen Vampirtreff Ines [Benecke, Ehefrau, Anm.d.Red] schaut schon seit Wochen ganz akribisch, auf welche Konzerte wir gehen können. Und zwischendurch trinken wir auch mal einfach einen Tee. Es läuft wohl auch „Phantom der Oper“, das schauen wir uns vielleicht an. Aber so wirklich „privat“ gibtʼs hier nicht – ich mache immer mal wieder Bandansagen oder unterstütze spontan auf der Bühne. In der Vergangenheit zum Beispiel, indem ich die Leute per Rohr mit Bier abfülle oder mich kurzfristig ans Keyboard setze. Oder eine Band verklickert mir kurz vorm Auftritt, dass sie sich gleich auf der Bühne prügeln werden. Natürlich nur gespielt.

Da erübrigt sich die Frage, ob Sie hier noch Dinge erleben, die Sie überraschen, wenn das quasi ständig passiert …

Das ist tatsächlich so, kann man auch in meinen WGT-Tagebüchern nachlesen. Man stolpert von einem Wahnsinn in den nächsten. Man muss aber offen dafür sein und nicht den alten Zeiten nachweinen. Sich nicht immer nur mit den gleichen Leuten treffen, sondern auch die neuen Sachen suchen und erleben.

Und diese Offenheit haben Sie sich bewahrt? Oder gibtʼs einige Entwicklungen, bei denen auch Sie sagen: „Versteh ich nicht“?

Ich verstehe überhaupt nichts, hab ich noch nie getan (lacht). Ich fühle mich hier einfach wohl, Ines plant ganz akribisch unser Programm, und der Rest schwappt einfach über uns rüber. Da lernt man dann auch neue Bands ganz automatisch kennen, etwa Lord of the Lost oder Rabengott, bei denen ich seit der ersten Sekunde dabei war. Letztlich bin ich einfach nur Fan.

Abschließend noch die Frage: Gibt es eigentlich irgendwas, das Sie eklig finden?

Da kann ich für mein ganzes Team sprechen: Wir verstehen einfach nicht, warum Menschen nicht die Wahrheit sagen. Immer dieses Rumlabern, Rumschleimen, Rumlügen … Das führt zu allem, was auf dieser Welt unangenehm ist, und ist super befremdlich. Aber so wirklich eklig … (denkt nach) Ich findʼs hochgradig unverständlich und unsozial, Tierprodukte zu verwenden. Denn das ist letztendlich eine Lüge: „Ich mag Tiere, weil ich meine Katze streichle.“ Ja, aber gleichzeitig Schnitzel und Joghurt essen – offensichtlich hasst du Tiere doch.

Nichts ekelt Sie im klassischen Sinne? Irgendwelche irrationalen Trigger, die eine körperliche Reaktion auslösen?

Ich findʼ das meiste eigentlich eher interessant. Aber die Spinne im Zimmer muss schon Ines raustragen.

Deutsches Zentrum für barrierefreies Lesen (ehemalige Blinden-Bibliothek) 📚

German Central Library for the Blind :: Deutsches Zentrum für Barrierefreies Lesen

Mit Mark & Ines Benecke

Star-Gästinnen: Amy Zayed & Jennifer Sonntag ✨ nebst dem knorken Team des Zentrums (danke schön!) in der Druckerei, der Direktorin, dem Hörbuchstudio, den handgemachten Büchern mit Knister-Schnee, der Lese-Leiste und echt superviel mehr interessanten Dingen und Menschen 🤝

Uni Köln: Dr. Mark Benecke spricht zu „Time is up: Hitze, Fluten, Artenschwund“

25. Juni 2025,  17:30 Uhr 

Im Rahmen der Auftaktveranstaltung zu den „Tagen der Nachhaltigkeit 2025“ konnte die AG Nachhaltigkeit einen ganz besonderen Speaker gewinnen: Dr. Mark Benecke, der als  Kriminalbiologe, Spezialist für forensische Entomologie, Autor, Schauspieler und Speaker bekannt ist. Save the Date am 25. Juni 2025 um 17:30 Uhr.

Dr. Mark Benecke ist nicht nur als Experte für forensische Entomologie sowie als Kriminalbiologe, Autor und Schauspieler bekannt, sondern engagiert sich seit vielen Jahren intensiv für Themen wie Tier-, Arten- und Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit. In seinem Vortrag wird es genau um diesen Themenkreis gehen.

Dr. Mark Benecke hält seit zehn Jahren Vorträge zum Artensterben und Umweltveränderungen und begeistert mit seinem anschaulichen und lebendigen Vortragsstil.

Einladung zum Vortrag von Dr. Mark Benecke

Time is up (Juni 2025): Hitze und Fluten“ Im Rahmen der Auftaktveranstaltung zu den „Tagen der Nachhaltigkeit 2025“ der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln

Wann: 25. Juni 2025

Uhrzeit: 17:30 Uhr

Wo: im Hauptgebäude der Universität zu Köln

Raum: 100 Aula 1/2 (1034 Sitzpl.) I Albertus-Magnus-Platz 1 I 50931 Köln

Was können die Maddie-Ermittler nach 18 Jahren eigentlich noch finden?

Quelle: rtl.de. 9. Juni 2025

Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke erklärt‘s

18 Jahre nach dem Verschwinden von Madeleine McCann laufen in Portugal erneut großangelegte Suchaktionen. Es ist womöglich der letzte Versuch, doch noch Beweise zu finden. Denn der einzige Tatverdächtige, Christian B., könnte schon bald aus dem Gefängnis freikommen – mangels belastbarer Spuren. Doch was lässt sich nach so langer Zeit überhaupt noch finden? RTL hat den renommierten Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke gefragt und zusätzlich mit einem Journalisten gesprochen, der den Fall seit Tag eins begleitet.

Drei Orte im Fokus – deutsche Ermittler in Portugal

Die Suche konzentriert sich auf drei Gebiete im Süden Portugals, rund um Praia da Luz, Lagos und Atalaia. In diesem Umfeld wohnte und arbeitete Christian B. zur Tatzeit. Auch ein Haus, in dem der Maddie-Verdächtige lebte, soll nun erneut durchsucht werden. Genauso wie das Gelände, auf dem damals größere Erdarbeiten stattfanden.

Spuren am Schlafanzug?

Benecke ist kein Romantiker. Er arbeitet faktenbasiert, schnörkellos. Oft an Fällen, die andere längst abgehakt haben. Und genau deshalb lohnt sich seine Sicht auf den Fall Maddie. Aber was genau könnte heute, 18 Jahre später, überhaupt noch da sein?

„Das hängt davon ab, wie viele Menschen den Schlafanzug zwischendurch angefasst haben. Grundsätzlich würde ich auf dem Schlafanzug an Hautzellen auch von einem möglichen Täter oder einer Täterin oder Speichelspuren oder Spermaspuren oder Haare denken. Diese Spuren halten sich sehr lange, wenn allerdings viele Menschen ein Kleidungsstück bereits angefasst haben, können natürlich auch Spuren dieser Personen auf der Bekleidung anzutreffen sein.”

Es sei eine Frage der Sorgfalt, nicht der Zeit. Kleidung kann auch Fasern anderer Personen enthalten, die sich chemisch und strukturell klar zuordnen lassen. – manchmal sogar über Jahrzehnte.

Lohnt sich die Grabung nach 18 Jahren überhaupt noch?

„Ja”, sagt Benecke. „Sofern die Möglichkeit besteht, dass Spuren mit einer neuen Technik und oder aus anderen Gründen besser untersucht werden können dann lohnt es sich immer eine Nachuntersuchung zu machen.”

Benecke begleitete selbst Fälle über Jahrzehnte hinweg. Oft werden Proben gezielt konserviert, um sie später mit besseren Methoden und Technik erneut zu analysieren. Manchmal mit bahnbrechenden Erkenntnissen.

„Bei den von mir untersuchten Lampenschirmen und dem Taschenmesser-Etui aus dem Konzentrationslager Buchenwald hat sich auch erst 80 Jahre später herausgestellt, dass es sich wirklich um Menschenhaut handelt.” Dadurch wurde erst klar: Die Nazis haben Alltagsgegenstände aus Hautstücken ermordeter Häftlinge hergestellt.

Forensik 2025: Hightech oder Handarbeit?

Was vielleicht überrascht: Die spektakulärsten Funde entstehen oft nicht durch Hightech-Geräte, sondern durch schlichte Gründlichkeit. „Ich bevorzuge das klassische Abschichten, das heißt jede Schicht wird einzeln in Tüten gepackt, gesiebt und untersucht. (...) Auch die Suche nach Hautschuppen auf Kleidung ist im Grunde handwerkliche Arbeit, weil sie unter dem Vergrößerungsgerät von einzelnen Menschen durchgeführt werden muss.”

Hightech kommt erst später dazu, etwa wenn DNA vervielfältigt oder automatisiert abgeglichen wird. Der Anfang bleibt jedoch oft vermeintlich unspektakulär, dafür präzise. Und wenn man doch noch etwas findet? „Auch ein Haar oder eine Hautschuppe kann heute noch problemlos auf ihr Erbgut und weitere Eigenschaften untersucht werden. Ob das gelingt, hängt natürlich von der Lagerung der Spuren ab und davon, ob sie überhaupt gesehen werden.”

Pinkfarbener Pyjama und ein Haar aus Maddies Bürste

Auch der britische Investigativjournalist Jon Clarke, der den Fall seit 2007 intensiv begleitet und schon oft zum mutmaßlichen Tatort nach Portugal reiste, glaubt an die Bedeutung kleinster Funde. Im Gespräch mit RTL berichtet er von früheren Suchen, bei denen Materialreste gefunden, aber nicht eindeutig zugeordnet werden konnten – möglicherweise sogar aus Maddies pinkfarbenem Pyjama.

Clarke sagt, die Ermittler glauben inzwischen, dass Christian B. so ortskundig war, dass er sogar in der Nähe seines eigenen Hauses eine Leiche abgelegt haben könnte. „Direkt vor der Nase von Polizei und Familie”. Jetzt werde genau dort erneut gesucht.

Doch am Ende sind es eben nicht die großen Maschinen, sondern die kleinen Beweise, die vielleicht endlich den Durchbruch bringen. Für Benecke ist klar: „Hoffnung spielt meiner Auffassung nach keine Rolle, sondern gute Spurenarbeit.” Und dass man die Möglichkeit nutzt, wenn sie sich bietet.

Morden im Verborgenen: Der stille Serienkiller im Krankenhaus — "Todes-Engel"

Quelle: web.de

Pflege und Palliativmedizin

Von Maria Berentzen

Ein Berliner Palliativarzt steht im Verdacht, mindestens 15 Menschen getötet zu haben. Das ist kein Einzelfall. Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke erklärt, was sogenannte Todesengel antreibt – und warum sie oft lange unentdeckt bleiben.

In Berlin ist ein Palliativarzt angeklagt, der mindestens 15 Menschen getötet haben soll. In weiteren 75 Fällen wird gegen ihn ermittelt. Der 40-Jährige soll seine Patienten getötet haben, während er für das Palliativ-Team eines Pflegedienstes arbeitete. Um die Taten zu vertuschen, legte er mehrere Brände, die schließlich zu den Ermittlungen gegen ihn führten.

Das ist kein Einzelfall: Immer wieder geraten Pflegekräfte oder Ärzte unter Verdacht, sogenannte Todesengel zu sein, die ihre Patienten absichtlich töten. Häufig geschieht das an Orten, an denen das Sterben gewissermaßen zum Alltag gehört, etwa in Kliniken, Pflegeheimen und Hospizen.

Einer der bekanntesten Fälle in Deutschland ist der des ehemaligen Krankenpflegers Niels Högel. Er tötete nachweislich mindestens 80 Menschen. Er beging diese Taten in verschiedenen Kliniken und über Jahre hinweg – bis gegen ihn ermittelt und er verurteilt wurde.

Was treibt solche Täter an? Und warum bleiben sie so lange unentdeckt? Der Kriminalbiologe und Forensiker Dr. Mark Benecke kennt die Motive hinter solchen Taten: Er hat mit mehreren Serienmördern und Todesengeln gesprochen und dabei bestimmte Muster erkannt.

"Viele von ihnen haben ein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Aufregung – und wollen ein Teil davon sein", sagt Benecke. "Genau wie bei Brandstifterinnen und Brandstiftern, die das Feuer betrachten. Einige Täter bringen ihre Patienten absichtlich in Gefahr – nur um sie dann selbst wiederzubeleben, so etwa Niels Högel."

Dabei handelt es sich um ein makabres Spiel mit dem Tod, bei dem der Ausgang oft zweitrangig ist. Wichtig ist die Aufregung: Maschinen piepsen, das Personal rennt, es gibt hektische Wiederbelebungsversuche. "In diesen Momenten spüren die Täter die Aufregung", sagt der Forensiker.

Doch nicht immer geht es um Aufmerksamkeit: Hinter vielen Taten steckt auch ein Bedürfnis nach Macht und Kontrolle. "Die Täter oder Täterinnen entscheiden, wer stirbt – und wann", sagt Benecke. "Sie ziehen ihre Energie daraus oder füllen ihre innere Leere damit, dass sie anderen Menschen das Leben rauben."

Manche Täter sind zudem überzeugt davon, dass das Leben ihrer Opfer nichts mehr wert sei – und nutzen die Situation aus. "Ich habe Fälle erlebt, in denen sehr alte, schwerkranke Menschen geheiratet und dann getötet wurden, um ans Erbe zu kommen", sagt Benecke. Andere bestehlen ihre Opfer, bevor sie sie töten.

Wie Todesengel töten, unterscheidet sich von Fall zu Fall – und es sagt viel über ihre Persönlichkeit aus. "Die Vorgehensweise hängt stark von den Fantasien des Täters oder der Täterin ab", sagt Benecke. Manche suchen die große Bühne, wenn etwa im Krankenhaus der Alarm schrillt und Wiederbelebungsversuche starten. Andere dagegen töten Patienten still in ihrem Zuhause.

Auch die Mittel sind vielfältig, etwa Gifte, Medikamente und Betäubungsmittel. "Es gibt unzählige Möglichkeiten, Menschen in medizinischen Einrichtungen zu schwächen oder zu töten", sagt der Forensiker. Oft spiele der Zufall eine Rolle – oder das, was Täter zuvor gesehen, erlebt oder sich ausgemalt haben. "Eine Frau erzählte mir zum Beispiel, dass sie ihre Opfer mit Medikamenten vergiftet hat, die unter anderem Erbrechen auslösen. Die Spuren störten sie nicht." Ihre Opfer waren sehr alt, deshalb waren nach deren Ableben keine polizeilichen Ermittlungen zu befürchten.

Beängstigend ist: Viele Täter werden wohl niemals enttarnt. "Wenn jemand nur gelegentlich tötet, fällt das kaum auf", sagt Benecke. Das betrifft vor allem Bereiche und Abteilungen, in denen viele Menschen sterben, etwa in der Palliativmedizin. "Dort ist der Tod alltäglich, was die Aufdeckung erschwert."

Mathematische Analysen könnten helfen, den Tätern auf die Schliche zu kommen. So könnte man prüfen, wann welche Menschen wo und in welcher Zahl sterben – um dann Auffälligkeiten zu untersuchen. Doch solche Methoden scheitern häufig, wegen Bedenken beim Datenschutz, aus mangelnder Vorstellungskraft – oder auch aus der Angst vor dem, was man finden könnte. "Viele Einrichtungen halten es schlicht nicht für möglich, dass das eigene Personal zu so etwas fähig ist", sagt Benecke. "Überwachung wird als übergriffig empfunden."

Gelegentlich gibt es jedoch Hinweise, makabre Spitznamen zum Beispiel, wenn Pfleger in ihrer Einrichtung als "Todespfleger" bezeichnet werden, weil in ihren Schichten auffällig viele Personen sterben. Doch oft geschieht dem Forensiker zufolge auch dann nichts, sondern die Betroffenen bekommen gute Zeugnisse und werden regelrecht weggelobt – und können ihre Taten dann woanders fortsetzen. "Krankenhäuser und Pflegeheime haben kein Interesse daran, dass Untersuchungen zu Todesfällen sie in ein schlechtes Licht rücken."

So erhielt auch der Pfleger Niels Högel ein sehr gutes Arbeitszeugnis und konnte seine Mordserie zunächst unbehelligt in einer anderen Klinik fortsetzen. "Die Arbeitszeugnisse in Deutschland sind oft kaum aussagekräftig", sagt Benecke. "Niemand will einen Rechtsstreit riskieren. Also wird gelobt und nicht gewarnt."

Und selbst wenn Verdachtsmomente bestehen, schweigen die Einrichtungen meist, wenn sie zum Beispiel von einem potentiell neuen Arbeitgeber zu einer weggelobten Pflegekraft oder einem Arzt kontaktiert werden. "Kaum ein Krankenhaus würde zugeben, dass ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin im Verdacht stand oder einen entsprechenden Spitznamen hatte", sagt Benecke. "Das würde sofort rechtliche Folgen nach sich ziehen – mindestens wegen Beleidigung, oft auch wegen anderer Straftatbestände."

Die Flatterhaftigkeit des Seins

Quelle: museen.köln – Das Magazin, Ausgabe 1/2025, Seiten 60 bis 63

Text: Mark Benecke | Illustrationen: Kat Menschik

Hier gibt es das gesamte Heft mit dem Artikel

Manche stören sich am krähenden Gesang der kölschen Sittiche. Ich hingegen liebe sie, wie sie sind. Abends fahre ich sie mit meinem Klapprad am Rheinufer besuchen, wenn sie lustig schaukelnd in den Bäumen zwischen Heumarkt und Dom ihr Nachtlager beziehen. Bei Tageslicht sind sie: unfütterbar, pfeilschnell, an Menschen nicht die Bohne interessiert. Sie machen ihr Ding. Auch eine Haltung.

Die Rede ist von Alexandersittichen, die meist in Schwärmen durch Köln rasen. Laut und lebenslustig wie diese bekloppte Stadt. Schon im 14. Jahrhundert zitiert der Weltgeistliche Konrad von Megenberg seinerseits Aristoteles in seinem »Buch der Natur« mit der Feststellung, »dass der Alexandersittich gerne Wein trinke und ein sehr unkeuscher Vogel« sei. »Der Wein«, so erklärt der Priester dazu, »ist die Ursache der Unkeuschheit, Aristoteles sagt, dass der Vogel, wenn er vom Wein trunken ist, gerne Jungfrauen ansehe und sich an ihrem Anblick erfreue.« Ein echt kölscher Charakter, dieser Sittich. Und da sich niemand einen Vogel zu Hause halten sollte, halten wir sie uns alle schön gemeinsam – in unserem Veedel, in den öffentlichen Parks.

Ursprünglich lebten die grünen Edelpapageien in Afrika, Indien und Asien. Halsbandsittiche und Alexandersittiche, die ich hier wegen ihrer nahen Verwandtschaft zusammenwerfe, waren dort schon lange in Käfigen gehalten worden. »Es gibt zahlreiche literarische und Bildbelege aus der Antike und aus dem byzantinischen Einflussgebiet«, berichtet mein tierkundlicher Kollege Ragnar Kinzelbach von der Uni Rostock. »Seit dem Feldzug Alexanders des Großen vom Frühjahr 334 bis März 324 vor unserer Zeitrechnung kamen Halsbandsittiche aus dem nördlichen Indien und dem Sudan vor allem nach Alexandria und Rom. Im Mittelalter tauchte der Halsbandsittich regelmäßig als ›der Papagei‹ in Büchern über alle möglichen interessanten Wesen auf.«

Verarbeitete Halsbandsittichhäute wurden als Kopfschmuck getragen, und es galt als schick, sich wie der Vogel zu nennen: Man hieß dann offiziell »Sittich« und verwendete sein Bild in Wappenbildern. Auch ich nutze ein solches Wappenbild mit Alexandersittich als jahreszeitlich wechselnden Anhang unter E-Mails: Mal sitzt mein Sittich auf einem beschneiten, mal auf einem erblühten Birnbaum mit Früchten. Die Liebe zum als Haustier gehaltenen Halsbandsittich währte bis ins 16. Jahrhundert. »Danach«, so Kollege Kinzelbach, »traten nach der Einfuhr amerikanischer Papageien durch Kolumbus auch alle anderen jeweils verfügbaren Papageienarten auf Altarbildern, besonders zusammen mit dem Jesuskind, auf.« Zur zeitlichen Einordnung: Die heute bekannten Wellensittiche kamen erst 300 Jahre später, Mitte des 19. Jahrhunderts, nach Deutschland. Alexandersittiche, die heute zu Tausenden frei im Rheinland leben, sind also die ursprünglichen und eigentlichen »bunten Vögel«. Die knallbunten Ara-Papageien, wie wir sie noch in meiner Kindheit auf der Schulter von Piraten und Seebären im Comic kannten, erschienen erst später.

In Köln wurden freilebende Alexandersittiche erstmals Ende der 1960er Jahre gesichtet. Sie tauchten nahe und auf dem Gelände des Zoologischen Gartens auf. »Ein neuseeländischer Pfleger«, fand meine Kollegin Ulrike Ernst in den 1990er Jahren heraus, »hatte 1967 sechs Alexandersittiche gezähmt und im Kölner Zoo frei fliegen lassen. Sie kehrten nur zur Fütterung in den offenen Käfig zurück.« Bis dahin hatte die Besiedlung Kölns durch den Alexandersittich ziemliche Umwege genommen. Die ersten Tiere waren zwischen 1901 und 1908 aus dem Zoo von Gizeh in Ägypten geflohen. Sie kamen dann aber nicht vom heißen Süden her ins warme Rheinland, sondern wanderten aus dem Norden hier ein. Vermutlich hatten Seeleute die grasgrünen Gesellen als Souvenir aus der tropischen Ferne in englische Hafenstädte mitgebracht. Das passt mit der Verbreitung der Alexandersittiche in Europa zusammen – die nämlich zunächst an britischen Küstenstreifen siedelten. Weitere Gruppen hatten derweil schon nach Belgien und in die Niederlande rübergemacht. 1975 sah und hörte man sie dann lautstark erstmals im rheinischen Brühl im Schlosspark. Wie schon erwähnt, sind die Tiere ohrenbetäubend laut.. Aber ich liebe ihr fröhliches Schreien schon allein deshalb, weil es der Sound meiner Heimat Köln ist. Heute gelten Alexandersittiche in Europa als typische Stadtbewohner. In Düsseldorf heißen sie nach der schnieken und baumbestandenen Königsallee, wo sie tagsüber oft anzutreffen sind, »Kö-Papageien«. In Köln lebten sie in den 2010er Jahren in der Südstadt im Trude-Herr-Park, benannt nach der in Köln geborenen Volksschauspielerin, die um die Ecke des Parkes ihr eigenes Theater betrieb. Ich war bei Trude Herrs Trauerfeier in ihrem ehemaligen Theater, das heute ein Kino ist: Die Anwesenheit der wilden Vögel dort hätte ihr, die selber einer war, sicher gefallen.

Wie die meisten Kölner*innen verschwenden Alexandersittiche alles Mögliche, besonders ihr Futter. Das passt schon wieder, denn im katholisch gefärbten, rheinischen Karneval werfen die an den Umzügen (»Zööch«) teilnehmenden Jecken tonnenweise Süßigkeiten in die Menge. Schokolade, Bonbons, früher sogar das Duftwasser 4711. Mehr Verschwendung geht nicht.

Die Freude am Verschenken teilen Kölner*innen wirklich mit den Sittichen. Besonders, wenn die grünen Vögel verliebt sind, schenken sie sich gegenseitig Futter. Während das Füttern von Partner*innen auch bei menschlichen Tieren verbreitet ist – man denke nur an die aussterbende, bei Älteren aber noch weit verbreitete Sitte, dass Männer im Restaurant möglichst die Rechnung zahlen wollen und sollen –, geht die Nahrungsmittelverteilung bei den Sittichen deutlich weiter. Sie verstreuen die Nahrung nämlich auch in der Gegend. Weshalb die Fachliteratur Alexandersittiche als »Schlemmer und Schlamper« beschreibt.

Das finde ich lustig. Denn Alexandersittiche haben sich ausgerechnet entlang des römischen Straßennetzes verteilt, wo schmausende Lebenslust ihre Blüte erlebte. Krüge mit Fischsauce, der damaligen Entsprechung unseres heutigen Ketchups (»passt zu allem«), gelangten deswegen hunderttausendfach an den Rhein. »Schiffsladungsweise wurden die Delikatessen in Amphoren angelandet«, so das Römisch-Germanische Museum. »Die Tonbehälter, die man als antike Einwegverpackungen bezeichnen kann, wurden später zerschlagen und entsorgt. Wein kam aus Kleinasien, Griechenland und Südfrankreich, Olivenöl bezog man aus Südspanien, Portugal und Tunesien, und Garum, die beliebte salzige Fischsauce, wurde aus Spanien, Portugal und Süditalien beschafft.« Die sogenannte appische Straße der Römer*innen führte in ihren Verlängerungen aus Italien über Rom und Innsbruck (Veldidena) auch nach Wiesbaden (Aquae Mattiacorum), Köln (Colonia Agrippina) und London (Lundinium). Allsamt Orte, an denen heute Sittiche vergnügt leben.

Ob die identischen Verbreitungslinien der verschwenderischen Vögel, Römer*innen Zufall sind oder nicht – das können Sie gerne selbst entscheiden. Mir gefällt die Idee. Schließlich bin ich von Herzen Kölner und halte es mit der Lebenslust der Sittiche.

Autisten können meist eins: sich unsichtbar machen

Quelle: t-online, 1. April 2025

Sechsjähriger seit einer Woche vermisst

Wie sucht man ein autistisch veranlagtes Kind, das sich vermutlich versteckt hält? Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke erklärt, warum die Suche schwierig ist, und spricht über mögliche Gefahren.

Seit Dienstag, 14 Uhr, sucht ein Eurofighter der Bundeswehr nach dem seit einer Woche vermissten Sechsjährigen aus Weilburg. Pawlos war am Dienstag, dem 25. März, aus seiner Förderschule davongelaufen. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke sagt, die Wahrscheinlichkeit, den Jungen noch lebendig zu finden, lasse sich nicht einschätzen.

Wenn Kinder weglaufen, sind sie den unterschiedlichsten Gefahren ausgesetzt, die für sie tödlich enden können. Tödlich seien vor allem Verdursten, Erkrankungen, seltener auch Erfrieren, Ertrinken oder Autounfälle, erklärte Benecke t-online. Ob autistisch veranlagte Kinder im Fall von Hunger oder Durst um Hilfe bitten würden, sei schwer einzuschätzen. Manche Autisten sprächen sehr ungern. In ungewohnten Umgebungen sprächen sie womöglich gar nicht.

"Irgendwann wird es ihnen zu viel"

Die Behörden gehen aktuell davon aus, dass der Kleine sich bewusst versteckt. "Austistinnen und Autisten können meist eins: sich unsichtbar machen. Das lernen sie ihr Leben lang, weil ihre Umgebung sie oft nicht versteht und dadurch laufend in schwierige Lagen bringt." Doch wie sucht man ein autistisches Kind, das nicht gefunden werden will? "Autistinnen und Autisten nehmen sehr viel wahr, viel mehr, als es manchmal scheinen mag. Daher können sie sich oft gut verstecken", sagt Benecke. Es wurde bereits versucht, Pawlos mit in der Stadt aufgehängten bunten Luftballons aus seinem Versteck zu locken. Bislang ohne Erfolg. Da helfe nur, wie bei einer Spurensuche alles haarklein zu durchkämmen, sagt Benecke, auch Wärmebildkameras können manchmal helfen.

Laut dem Kriminalbiologen besteht die Möglichkeit, dass der Junge nicht in seine frühere Umgebung zurückkehren möchte, weil sie ihm vielleicht unangenehm ist.

"Wir haben in einer großen Studie zusammen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Goethe-Universität in Frankfurt/Main, der Humboldt-Universität in Berlin und dem Verein White Unicorn gezeigt, dass Autistinnen und Autisten in der Schule zwar oft sagen, was sie stört (Licht, Gerüche, Ordnung), aber es sehr oft nicht ernst genommen wird. Irgendwann wird es ihnen dann zu viel."

Interview mit der PARTEI MENSCH UMWELT TIERSCHUTZ

Dr. Mark Benecke im Interview mit der PARTEI MENSCH UMWELT TIERSCHUTZ - Tierschutzpartei (3.FeBruar 2025)

Hallo Mark, wir von der Tierschutzpartei bewundern ja deinen unermüdlichen und fundierten Einsatz für Tierrechte, Artenschutz, Klimaschutz und Soziales. Vor allem finden wir es auch inspirierend, dass du deine große Reichweite nutzt, um auf Tierschutzthemen aufmerksam zu machen, die sonst wenig Gehör finden.

„danke fuer EUREN einsatz“

Wir würden uns daher sehr freuen, wenn du die untenstehenden Fragen beantworten und uns deine Antworten in schriftlicher Form oder als Reel/Short zusenden könntest.

Unsere Fragen:

1. Was hat dich dazu gebracht, dich für Tiere einzusetzen?

„Fand ich selbstverständlich. Ich habe schon als Kind in einem Schul-Aufsatz geschrieben, dass ich es unangenehm und rätselhaft finde, dass Schweine in Lastwagen neben unserem Familien-Auto herfahren. Für die öffentliche Wirkung hat ein im Internet immer noch weit verbreiteter Auftritt bei der Fernseh-Sendung 'Hart aber fair' des WDR gespielt. Dort war die esoterisch angehauchte Barbara Rütting die einzige, die menschlich gesprochen hat. Die anderen Teilnehmer (alles Männer) aus der Unterhaltungs-, Tier- und Fleisch-Industrie waren wie gezeichnete Karikaturen restlos veralteter, der Wirklichkeit entrückter Herren. Später hat PeTA mich als Botschafter für Meeres-Tiere angesprochen und mir in Ruhe und Freundlichkeit immer gute Hinweise gegeben.“

2. Wie kann die Politik deiner Meinung nach aktiv dazu beitragen, Tierleid zu verringern?

„"Die Politik" sind in Deutschland die Wähler:innen. Ernähren diese sich pflanzlich, ist der allergrößte Schritt schon getan. Das andere dürfte sich dann von selbst ergeben.“

3. Was wünschst du dir für die Zukunft des Tierschutzes?

„Dass die Menschen aufhören, Katzen und Hunde lieb zu haben und die anderen Tiere aufessen, foltern lassen und so tun, als wäre nichts.“

Podcast: »DNA 🧬 War Kolumbus Spanier?«

Die ARD Madrid berichtet (oder hat zumindest im März 2025 einen Beitrag bereit gestellt): War Christoph Kolumbus Spanier oder nicht? Das Labor des Kollegen Lorente hat dazu im TV eine neue Untersuchung vorgestellt .

Hier geht es zum Podcast ↓

Meldung des MDR (ARD):

»Christoph Kolumbus stammte einer neuen Theorie zufolge nicht aus dem norditalienischen Genua, sondern aus dem spanischen Mittelmeerraum. Das wollen Forscher der Universität Granada anhand von DNA-Proben herausgefunden haben.

Über die Herkunft des Entdeckers Christoph Kolumbus gibt es eine neue Theorie. Spanische Wissenschaftler der Universität Granada wollen anhand von DNA-Proben des Seefahrers und seines Sohnes herausgefunden haben, dass der Entdecker Amerikas aus dem spanischen Mittelmeerraum stammte. Sie erklärten zudem, das Erbgut seines Sohnes Hernando enthalte auch Merkmale, die mit einer jüdischen Herkunft vereinbar seien. Lange Zeit war angenommen und gelehrt worden, dass Kolumbus aus der italienischen Hafenstadt Genua stammte.

Die spanischen Forscher um José Antonio Lorente erläuterten ihre Theorie von der spanisch-jüdischen Herkunft von Kolumbus in der Dokumentation Colón ADN, su verdadero origen (Kolumbus DNA, seine wahre Herkunft) des spanischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders RTVE. Das Team hatte zahlreiche Theorien zu Kolumbus' Herkunft überprüft. Unter anderem nahmen die Forscher DNA-Proben von Männern mit dem Nachnamen Colombo in Norditalien, bei denen es jedoch keinerlei genetische Ähnlichkeiten zu Kolumbus gab.

Letztlich kamen Lorente und sein Team zu dem Schluss, dass eine spanische Herkunft des Amerika-Entdeckers am wahrscheinlichsten sei.«

Rätselhafter Leichenfund bei Gröditz

Quelle: sächsische.de, 23. April 2025, 13:28 Uhr

Kriminalbiologe Benecke zum Leichenfund im Güllebecken: „Es gibt kaum Vergleichsfälle dazu“

Der Fall der beiden Gülle-Toten von Spansberg wirft Fragen auf. Einige könnten ungelöst bleiben. Nachgefragt bei Deutschlands bekanntestem Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke.

Von Jörg Richter

Seit über 20 Jahren ist Dr. Mark Benecke, Jahrgang 1970, international auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forensik aktiv und hat sich insbesondere der Entomologie verschrieben. Der Kriminalbiologe absolvierte nach seiner Promotion an der Uni Köln diverse fachspezifische Ausbildungen auf der ganzen Welt, so zum Beispiel beim FBI. Als Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für biologische Spuren untersuchte er unter anderem Adolf Hitlers Schädel. Bekannt wurde er durch Fernsehsendungen, in denen er wissenschaftliche Hinweise zu realen Kriminalfällen gab. Nebenbei veröffentlichte er zahlreiche wissenschaftliche Artikel, diverse Sachbücher sowie Kinderbücher und Experimentierkästen.

Gröditz. Zwei Wochen nach dem Fund zweier Leichen in einem Güllebecken bei Gröditz tappen die Ermittler weiter im Dunkeln. Bisher ist nicht geklärt, um wen es sich bei den beiden Toten handelt. Das bestätigt ein Sprecher der Polizeidirektion Dresden.

Es ist lediglich bekannt, dass es sich bei den Leichen um einen Mann und eine Frau handelt. Wie Feuerwehrleute berichteten, seien die Körper noch relativ gut erhalten gewesen, kurz nachdem sie aus dem Güllebecken mithilfe eines Radladers geborgen wurden.

Sächsische.de fragte bei Deutschlands bekanntesten Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke nach, wie genau sich feststellen lässt, wie lange die beiden Toten in dem Güllebecken lagen.

Herr Dr. Benecke, wann und wie zersetzt sich ein menschlicher Körper, wenn er dauerhaft mit Gülle in Berührung kommt?

Das hängt von der Durchlüftung der Gülle beziehungsweise der Schicht-Dicke und der Temperatur ab. Je wärmer es ist und umso mehr Luft an sie kommt, umso schneller zersetzen sich Leichen. In kalter Gülle versunken würde sich ein Körper besser erhalten als in einem flachen See aus Kot, an den Luft und Wärme gelangt.

Auf wie viele Monate oder Wochen genau kann man ermitteln, wie lange die beiden Leichen in der Gülle lagen bzw. schwammen?

Möglicherweise gar nicht. Es gibt kaum Vergleichsfälle dazu.

Bei dem Fall aus Spansberg wird vermutet, dass es sich um ein älteres Paar aus dem Nachbarort handelt. Sie wurden zuletzt zwischen Weihnachten und Neujahr gesehen. Wie weit kann der Zerfall fortgeschritten sein?

Wenn es eine tiefe, kalte, dicke Kot-Schicht war, dann könnten die Leichen noch vergleichsweise gut erhalten sein. Wenn sie durch Aufblähung — Bakterien bilden Gase im Körper — nach oben getrieben sind, können auch Fliegen Eier abgelegt haben. Daraus schlüpfen Maden und diese können bakteriell erweichte Leichen rasch skelettieren. Ich habe auch schon Leichen in Flüssigkeiten gesehen, die oben skelettiert waren und unten, in der Flüssigkeit, noch reich an Gewebe.

Hatten Sie schon mal einen ähnlichen Fall?

Wir hatten beim „ersten“ Tsunami (2004, Anm. d. Red.) einige Nachfragen zu Leichen, die oben, im Teil, der aus dem Wasser ragte, dunkel verfärbt waren. Unten, im Wasser, waren sie aber faulig-feucht. Einen echten Gülle-Fall kenne ich nur vom Kollegen Prokop, dem Leiter der Rechtsmedizin der Charité in Ost-Berlin (Otto Prokop 1921 - 2009, Anm. d. Red.). Der Fall ist in seiner Biografie von mir ausführlicher dargestellt. Prokop beschrieb 1951 den Tod einer Bäuerin, die bäuchlings in einer Jauche-Grube lag.

YPS: Der Herr der Maden

Quelle: Yps, Heft 1263 (1/2014), Seiten 34 bis 36

Er gilt als „Herr der Maden“, untersuchte Hitlers Schädel und half mit, entsetzliche Gewaltverbrechen aufzuklären: Deutschlands bekanntester Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke (43) ist Spezialist für forensische Entomologie, wie das Fachgebiet des 43-­Jährigen eigentlich heißt, Experte für das Abwegige und erklärter Yps-­Fan.

Interview: Andreas Hock

Yps: Was sind Ihre Erinnerungen an Yps?

Dr. Mark Benecke: Ich bin immer zum Kiosk getigert und habe mir alle Hefte gekauft! Nur eine Zeitlang hatte ich einen Groschen zu wenig Taschengeld und konnte nur jedes zweite Yps kaufen. Ein Drama!

Irgendein Lieblings-­Gimmick?

Eigentlich mochte ich alles. Nur manchmal habe ich mich geärgert, wenn etwas nicht funktionierte. Etwa der Windmesser fürs Fahrrad. Das war Plastik-­Schrott.

Hat Yps Ihren weiteren Berufsweg denn irgendwie beeinflusst?

Ich denke schon. Denn alles, was ich heute gerne mache, kam da schon vor: messen, tüfteln, forschen. Yay!

Sie beschäftigen sich praktisch ausschließlich mit den extremen Auswüchsen der menschlichen Psyche und ihren Folgen. Woher die Begeisterung fürs Abgründige?

Ich arbeite einfach gerne am Rand des Randes, dort, wohin keiner mehr gucken mag. Das finde ich besonders spannend.

Was genau macht eigentlich ein „Kriminalbiologe“?

Zweierlei Sachen. Einerseits bin ich als Spurenkundler tätig und schaue mir vor allem die Insekten an. Danach kann ich beispielsweise sagen, wie lange das Insekt auf der Leiche gelebt hat, was den Todeszeitpunkt bestimmen helfen kann. Oder ich stelle fest, dass die Leiche zunächst nicht an der Stelle gelegen hat, wo sie gefunden wurde. Der Rest des Falles ist mir dabei vollkommen egal. Wenn es aber um den Bereich der Tatortrekonstruktion geht, hole ich mir wie ein Ermittler alle möglichen Infos heran. Dann rede ich mit jedem, der irgendetwas Relevantes wissen könnte. Ich notiere, fotografiere und katalogisiere. Dabei glaube ich aber erstmal gar nichts – nicht einmal mir selbst.

Und wie kann man bei all den furchtbaren Dingen noch ein halbwegs normales Leben führen

Ich betrachte ich das Ganze nicht von einem emotionalen Standpunkt aus, sondern eher rein wissenschaftlich. Wenn ich einen Tatort oder eine Leiche untersuche, dann habe ich dabei keine Gefühle. Schon eher, wenn ich bemerke, dass bei der Aufklärung eines Falles Fehler gemacht wurden und etwa die falsche Person verurteilt worden ist!

Kriegen Sie denn nach Feierabend die Bilder aus dem Kopf?

Ich hasse Feierabend, Urlaub und dergleichen. Außerdem habe ich zum Glück als Bilder nur die Räume oder Wege der Tatorte im Kopf, weiter nix. Sonst wäre es in der Tat ein bisschen anstrengend.

Wenn der kleine Yps-­Leser Mark gewusst hätte, was der große Dr. Benecke später macht – was hätte der gedacht?

Et is, wie et is...

Wie erklären Sie sich die wachsende Faszination, die von Gewaltverbrechen ausgeht? TV-­Serien wie „Medical Detectives“ oder „Autopsie“, wo Sie ja auch mitgewirkt haben, sind Quotenrenner, und Ihre Vorträge sind voll....

Ich schaue selbst nie fern. Insofern kann ich nicht beurteilen, was den Erfolg oder den Reiz solcher Sendungen betrifft. Aber durch sie ist natürlich schon die soziale Akzeptanz für Berufe wie meinen gestiegen. Und was die so genannte Faszination dafür angeht: Für die meisten Menschen fungiere ich wohl als Puffer, indem ich an einem „neutralen“ Ort von meinen Erlebnissen berichte. Mein Publikum freut sich wahrscheinlich, dass irgendjemand den Drecksjob macht. Oder manche Zuschauer haben selbst einen seltsamen Todesfall erlebt und wollen wissen, wie dann vorgegangen wird.

Was erwartet denn Ihre Zuschauer an einem solchen Abend?

Ein Blick auf das Ungeheuerliche. Es lohnt sich, das Tor zur Hölle mal kurz aufzureißen, um hineinzusehen. Ich mag es nicht, wenn die Leute zuhause auf dem Sofa sitzen, Chips in sich hineinstopfen und dabei eine bessere Welt fordern. Man muss auch mal dorthin schauen, wo es stinkt – und sich fragen, wo die eigene Verantwortung anfängt.

Nämlich?

In meinem Fall dort, wo Gewalttäter etwas tun, das nur sie selbst erklären können. Bevor dieses Wissen einfach untergeht, muss ich doch die Möglichkeit ergreifen, das zu erhalten und Schlüsse daraus ziehen.

Empfinden Sie selbst noch so etwas wie Ekel?

Nein, sonst könnte ich das Ganze ja auch nicht machen! Ich arbeite mit menschlichen Ausscheidungen aller Art – Kot, Sperma, Blut. Ich weiß nicht, was daran ekelhaft sein soll. Den Geruch von frischem Fleisch – etwa beim Metzger – empfinde ich als genauso fies!

Und Angst?

Höchstens vorm Autofahren oder vor einem Hubschrauberflug. Ich bin nicht besonders mutig, aber das hat mit meiner Arbeit nichts zu tun.

Sie haben sich zum Beispiel auch mit dem kolumbianischen Serienkiller Luis Garavito Cubillos befasst, der 300 Jungen zwischen 8 und 13 Jahren getötet haben soll. Haben Sie eine Erklärung dafür, wie jemand so böse werden konnte?

Zunächst gibt es genetische Faktoren. Dann kommt noch die Umwelt hinzu. Bei manchen Mördern findet man wirklich das ganze Programm – Gewalt in der Familie, Alkoholismus, sexueller Missbrauch, geringe Bildung. Andere sind lupenreine Schizophrene. Eigentlich ist also die Tat an sich das Böse und nicht der Mensch, der sie begangen hat. Wobei ich klarstellen möchte, dass ich kein Mitleid mit diesen Tätern habe, im Gegenteil. Ich habe viel mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen zu tun, die allesamt schlimme Dinge erlebt haben. Jeder einzelne von ihnen hat mehr Mumm in den Knochen als diese Typen, die immer alles auf ihre schwere Kindheit schieben! Man hat immer die Wahl.

Ist die Welt böser geworden?

Eigentlich ist die Welt durch die ständige Vernetzung und den internationalen Informationsaustausch sogar besser geworden: Je mehr kulturellen Kontakt die Menschen haben, desto toleranter sind sie im Grunde. Einzig durch sozioökonomische Umstände wird das Aufkommen von Straftaten gesteigert.

Sie ernähren sich vegetarisch. Aus beruflichen Gründen?

Nicht unbedingt. Aber ich habe ja tatsächlich viel mit den detaillierten Überbleibseln von Gewalt zu tun, etwa mit Blutresten und verwestem Fleisch. Im Klartext: Bei einem Stück Schinken sehe ich das gleiche Leichengewebe vor mir wie an einem Tatort. Das kann ich offensichtlich nicht mehr ausblenden. Was kurios ist: Ursprünglich wollte ich eigentlich Koch werden!

Sie wollten also niemals mit Maden zu tun haben?

Nein. Aber ich war schon immer der kauzige Junge mit dem Chemie-­, Physik-­ und Detektivkasten. Und mit Yps natürlich.

Mit herzlichem Dank an Andreas Hock und die Yps-Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.

Was Mark Benecke zum Thema Blut zu sagen hat

Quelle: Gießener Allgemeine, Gießen, 7. März 2025

Von Barbara Czernek

Gießen (bac). Wer es wenig blutig mag, der ist bei Dr. Mark Benecke, Kriminalbiologe, Spezialist für forensische Entomologie, Autor, Politiker und Schauspieler an der richtigen Adresse. Er gehört zu den bekannten Gesichtern, wenn es um Fragen der Forensik geht. Mit seinen Wissenschafts-Programmen »Insekten auf Leichen« oder »Blutspuren« füllt er große Säle, so auch am Donnerstagabend die beiden Säle der Kongresshalle.

In der Reihe »Blutspuren« geht es darum, welche Aussagen man anhand von Blutspuren treffen kann: Passt die vorgefundene Spurenlage zu den weiteren Informationen und Aussagen der Beteiligten Personen oder nicht? Seine Maxime lautet: »Nicht meinen, sondern messen« Benecke geht rein wissenschaftlich vor, die entsprechenden Beurteilungen und Auslegungen überlässt er seinen Auftraggebern. Daher bekam das Publikum von den vorgestellten Fällen auch nur die Informationen mitgeteilt, die für die Erläuterung und Spurenlage notwendig waren. Das mag enttäuschend für einige gewesen sein, die sich vielleicht mehr Crime-Stories erhofft hatten. Jedenfalls verließen immer wieder Personen den Saal.

Die Bilder, die er zeigte, waren jedenfalls nichts für schwache Nerven. Ob ein großer Blutfleck an einem Bretterzaun, ein blutverschmiertes Bad oder Blutspuren im Flur: Anhand dessen deckte er auf, ob die Behauptungen der Täter oder Opfer zutreffen oder nicht.

Zwei spektakuläre Fälle hatte er im Gepäck: 2004 wurde der 26-jährige Amerikaner Nick Berg vor laufenden Kameras von Mitgliedern von Al-Kaida enthauptete. Benecke sollte prüfen, ob dieses Video echt oder fake sei. Er suchte nach entsprechenden Quellen von Enthauptungen, um zu prüfen, ob die gefilmten Bewegungen der Person realistisch seien. »Da muss man einfach mal Leute fragen, die sich mit so etwas auskennen«, meinte er trocken. Da es diese Hinrichtungsmethode in Deutschland nicht mehr gibt, hat er sich umgeschaut, wie in anderen Ländern und Religionen Tiere geschlachtet werden und wurde fündig. Ergebnis war, dass die gefilmten Vorgänge der Hinrichtung realistisch waren. Der zweite bekannte Fall war die Ermordung von Nicole Brown, der Ex-Frau von O.J. Simpson. Er zeigte auf, wie Simpson zwar anhand der Spurenlage überführt wurde, jedoch von der Jury freigesprochen wurde.

»Wir kämpfen nicht für eine Seite, sondern nur für die messbare Wahrheit«. Damit räumte er zugleich auch mit gewissen Mythen auf, die sich um seinen Beruf als Forensiker ranken. »Zum Feststellen, wie der Blutverlauf war, nehmen wir keinen Laser, sondern Wollfäden und Tesa-Film«, sagte er. Für andere Ausrüstungsdinge fehlten die Geldmittel. Da dieser Beruf längst nicht so spannend sei, wie in Krimi-Serien wie »CSI« dargestellt, fehle auch der Nachwuchs.

Dr. Benecke ist ein besonderer Mensch. Er ist bekannt durch seine zahlreichen Fernsehauftritte wie »Autopsie - Mysteriöse Todesfälle«, »Akte Mord« (RTL II) und »Medical Detective«s (VOX), dennoch macht er kein besonders Aufheben um seine Person. Er saß neben der großen Bühne vor seinem Laptop und warf die Bilder auf die beiden Leinwände. Wer ihn nicht kannte, der konnte diesen dunkel gekleideten Menschen leicht mit einem Technikmitarbeiter verwechseln. Seine Präsentation gestaltete er wie einen Vortrag vor Studenten ohne Schnickschnack, aber mit strikten Vorgaben. Er mochte keinerlei Störungen und forderte die volle Aufmerksamkeit seines Publikums. Wenn jemand den Saal verlassen wollte, dann stoppte er (»Wir machen jetzt eine kurze Pause, kein Problem«) und er begann erst wieder, wenn die Personen den Saal verlassen hatten. Darauf hatte er zu Beginn aufmerksam gemacht. Strenge Regeln, die er durchzog.

Vermisster Pawlos (6) lief plötzlich weg: Autismus-Experte äußert Verdacht

Quelle: merkur.de, 28. März 2025

Pawlos stand auf und ging. Seitdem wird der Grundschüler in Weilburg vermisst. Sein Autismus dürfte mit dem Weglaufen in Zusammenhang stehen.

Von Moritz Bletzinger

Weilburg – Seit Dienstag (25. März) fehlt vom sechsjährigen Pawlos jede Spur. In Weilburg läuft eine gigantische Suche nach dem vermissten Kind, an der sich am Mittwoch laut Polizeiangaben über 600 Rettungskräfte und Freiwillige beteiligt haben. Leider bislang erfolglos.

Nach dem Mittagessen hatte Pawlos die Förderschule in Weilburg am Dienstag alleine verlassen, berichtet das Staatliche Schulamt dem Hessischen Rundfunk. Bürgermeister Johannes Hanisch erklärt der Bild: „Gegen 12.45 Uhr ist er von allein aus dem Unterricht aufgesprungen und hat die Schule verlassen.“ Warum Pawlos plötzlich weglief, aktuell völlig unklar.

Der Grundschüler ist Autist, höchstwahrscheinlich besteht ein Zusammenhang zu seinem Weglaufen. Denn: Autistische Kinder laufen häufig weg. Das zeigt unter anderem eine Studie des Cohen Children Medical Center von New York. Mehr als ein Viertel der Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen oder anderen Entwicklungsstörungen hatten in der Studie bereits einmal Reißaus genommen.

Aber warum laufen autistische Kinder wie Pawlos einfach weg? „Viele Autisten und Autistinnen sind in der Schule von Gerüchen, Geräuschen und Licht überfordert. Sie brauchen eine ruhige, möglichst gleiche Umgebung“, erklärt Dr. Mark Benecke bei IPPEN.MEDIA. Autistinnen und Autisten sehen von außen zwar wie alle anderen aus, ihre Nerven sind innen aber anders verdrahtet. „Sie sind für äußerliche Reize viel empfänglicher.“

Der als Kriminalbiologe bekannte Forensiker ist Forschungsleiter im Autismusverband White Unicorn und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Bedürfnissen von Autistinnen und Autisten. In Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Goethe-Universität Frankfurt und der Humboldt-Universität in Berlin unterstützt er unter anderem das Projekt „schAUT - Schule und Autismus“.

Was kann eine Autistin oder ein Autist tun, wenn ihre Bedürfnisse zum Beispiel in der Schule nicht erfüllt werden? „Die einzige Möglichkeit für sie ist, innerlich oder äußerlich durchzubrennen“, sagt Benecke. „Ihr Leben in der Schule ist oft so, wie wenn ein Mensch Durst hat, aber alle sagen: ‚Stell dich nicht so an, ich habe keinen Durst.‘ Da würdest du auch entscheiden, diese Umgebung zu verlassen.“

Ob Pawlos das im Moment vor seinem Verschwinden so verspürt hat, wissen wir nicht. Bekannt ist, dass in der Weilburger Förderschule sofort auf sein Weglaufen reagiert wurde. Das Schulamt erklärt dem hr: „Sein Fehlen wurde von den aufsichtsführenden Lehrkräften binnen einer Minute bemerkt.“ Unmittelbar sei eine Suchaktion auf dem Gelände und im Gebäude gestartet worden und eine Viertelstunde später folgte die Information an Polizei sowie Eltern. (moe)

Das Todesdatum hätte ich mit Speckkäferlarven bestimmt

Von Stefan Maus

Der Tod von Gene Hackman und seiner Ehefrau Betsy Arakawa war rätselhaft. Kriminalbiologe Mark Benecke erklärt, wie er in solchen Fällen arbeitet und was das mit ihm macht.

Welche Rolle spielt das Klima bei der Veränderung von Körpern?

Je trockener es ist, desto leichter vertrocknen die Leichen. Und je feuchter und wärmer es ist, desto mehr hat man bakterielle Fäulnis und Gasblähungen. Man kann auch gemischte Formen haben. Wenn jemand im Bett liegt und seine Hände hängen raus, dann vertrocknen die, weil die warme Luft das Wasser abtransportiert. Wir bestehen ja fast nur aus Wasser. Unter einer Bettdecke kann das Wasser aber nicht abtransportiert werden. Dann wird das dort eben faul.

In unserem Fall ist Betsy Arakawa sieben Tage vor ihrem Mann Gene Hackman gestorben.

Das kommt leider vor. Es gibt Menschen, die den Tod ihres Partners verdrängen. Sie schlafen wochenlang, teilweise sogar monatelang neben der toten Person. Und wenn man sie dann lebend antrifft und fragt, warum sie denn niemandem Bescheid gesagt haben, dann haben sie die verrücktesten Gründe für ihr Verhalten. Manche sagen: "Ich habe gedacht, uns wird dann die Wohnung weggenommen." Solche Gedanken können zu den merkwürdigsten Befunden führen.

Wie meinen Sie das?

Sagen wir mal, die Leiche liegt im Bett und fängt an zu stinken. Dann räumt der Partner sie in einen Schrank. Dann verändern sich dadurch natürlich auch die Fäulnis oder die Spuren an der Leiche. Auch der Fundort verändert sich: Plötzlich gibt es im Raum Schleifspuren, oder die Totenflecken der Leiche sind an der falschen Stelle. Manchmal gibt es auch Menschen, die wischen die Eierpakete weg, die die Schmeißfliegen in den Augen und geeigneten Stellen ablegen. Manchmal aber auch nicht. Dann hat man eben dicke Madenteppiche im Gesicht, an den Ohren, unter den Armen oder im Genitalbereich. Es gibt aber auch Partner, die die Leiche waschen. Oder es gibt Mischformen von all dem. Aus Thailand habe ich zum Beispiel einmal den Fall einer Familie erhalten, die ihre Oma einfach aufs Sofa gelegt haben. Auch die Brille haben sie ihr einfach gelassen. Der ganze Körper war mit dem Sofa verklebt. Aber die Oma gehörte eben zur Familie.

Laut Auskunft der Polizei war Betsy Arakawa zum Teil mumifiziert. Was bedeutet das?

Das Wort sollte man eigentlich nicht benutzen. Weil die Leute dann sofort an Ägypten denken. "Mumifiziert" heißt einfach nur vertrocknet. Das Klima in Santa Fe ist ja sehr trocken. Also wurde das Gewebewasser abtransportiert. So wie halt alles Leichengewebe unter bestimmten Umständen vertrocknet. Schinken, Salami: Das ist ja alles nur vertrocknetes Leichengewebe.

Was könnten Sie als Kriminalbiologe alles aus Körpern herauslesen, die schon seit 15 Tagen irgendwo liegen?

Anhand von Insekten kann ich die Leichenliegezeit bestimmen. Ich schaue, welche Insekten es gibt. Und an welchen Körperstellen sie auftreten. Gibt es ungewöhnliche Besiedlungsstellen? Zum Beispiel kann ich Leichname auf bestimmte Vernachlässigungszeichen hin untersuchen. Dann schaue ich, ob im Genitalbereich oder an irgendeiner ungewöhnlichen Stelle eine besonders starke Besiedelung durch Insekten schon vor dem Tod stattgefunden haben muss. Weil die Insekten an diesen Stellen dann viel älter sind als am Rest des Körpers. Oder weil es Tiere sind, die an Kot und Urin gehen.

Wann könnte solch eine Untersuchung von Vernachlässigungszeichen von Interesse sein?

Eine Versicherung könnte zum Beispiel sagen: "Wir haben hier Geld an eine pflegende Person ausgezahlt. Aber diese Person scheint gar keine Pflege durchgeführt zu haben. Also hätten wir jetzt gerne unser Geld zurück." Da kann eine solche Untersuchung interessant werden.

Die Todesdaten von Gene Hackman und seiner Frau wurden mit Hilfe von Daten von Videokameras und Herzschrittmachern bestimmt. Wie genau hätten Sie den Todeseintritt mit rein biologischen Mitteln bestimmen können?

Den hätte ich mit Hilfe von Schmeißfliegenlarven bestimmen können. Oder wenn die Körper tatsächlich schon länger da lagen, dann auch über andere Tiere. Zum Beispiel mit Hilfe von Speckkäferlarven.

Hätten Sie den Tod damit genau datieren können?

Das hängt davon ab, wie viele Vergleichsdaten für Insekten aus Santa Fe vorhanden sind. Es gibt in den USA eigentlich relativ gute Wachstumsdaten von den einzelnen Insekten an den jeweiligen Orten.

Wie nah wären Sie dann an das genaue Todesdatum herangekommen?

Falls es stimmt, dass die beiden Körper ungefähr ein bis zwei Wochen dort lagen, dann kann man das Todesdatum gut eingrenzen. Ungefähr auf den Vormittag oder den Nachmittag eines bestimmten Tages. Aber das hängt alles von den örtlichen Vergleichstabellen mit den Wachstumsdaten der Insekten ab.

Erstaunlich, dass Sie mit rein biologischen Mitteln eigentlich ähnlich präzise sein können wie die Ermittler mit ihren technischen Spuren.

Ja. Aber natürlich wählt man immer das einfachste Mittel. Vor Ort kämen ja immer drei Parteien für Ermittlungen infrage: Polizei, Rechtsmedizin und Kriminalbiologie - also Spurenkunde. Und wenn ich jetzt bei der Polizei bin und sowieso schon vor Ort bin, dann nehme ich natürlich die sogenannten technischen Spuren. Wozu soll ich da eine biologische Zusatzinfo einholen?

Die amerikanischen Ermittler haben etwa eine Woche lang gebraucht, um das Rätsel zu lösen: Betsy Arakawa starb an Hantavirus, Gene Hackman an Herzversagen. Haben diese Ermittler einen guten Job gemacht?

Es geht keinen etwas an, das zu beurteilen. Einfach Fresse halten. Wir waren nicht dabei.

Der Sheriff sagte einen Tag nach dem Fund, die Leichen hätten schon mindestens einen Tag vor dem Fund auf dem Boden gelegen. Nun hat Betsy Arakawa dort aber schon über zwei Wochen gelegen. Ein Tag war also eine ziemliche Fehleinschätzung. Ist es verwunderlich, dass ein Sheriff so etwas sagt?

Er hat ja gesagt: Mindestens einen Tag. Insofern stimmt es. Aber grundsätzlich gilt: Laien können Leichenliegezeit nicht einschätzen. Wenn jemand nur vom Augenschein versucht, die Liegezeit zu schätzen, geht das immer schief. Da nützt alle Berufserfahrung nichts.

Wie kommt das?

Weil es sehr stark von den Umwelt-Bedingungen vor Ort abhängt.

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen wir an, ich bin Coroner, Sheriff oder Priester und habe schon viele Leichen in meinem Leben gesehen. Nun komme ich aber an einen Ort mit einer seltenen Besonderheit. Nehmen wir an, der Ort ist mit einer Tür verschlossen. Aber unter der Tür ist ein Schlitz. Und auf der anderen Seite des Raumes ist durch einen baulichen Zufall auch ein Schlitz. Den aber keiner sieht, weil er hinter einem Schrank ist. Dann hat man einen Luftkanal zwischen den beiden Schlitzen wie in einem dieser Händetrockner. Und plötzlich hat man völlig andere Feuchtigkeits- und Lufttransportbedingungen. Ganz unabhängig von der allgemeinen Temperatur in dem Raum. Wenn nun die Leiche vor diesem Türschlitz liegt, dann wird das Körperwasser sehr viel schneller abtransportiert, als wenn sie auch nur einen Meter weiter links oder rechts in derselben Wohnung liegen würde. Hier nützt es mir also nichts, wenn ich schon Dutzende Tote gesehen habe. Deswegen muss man das vernünftig vor Ort untersuchen. Mit technischen oder eben biologischen Mitteln.

Gene Hackman hat gut eine Woche länger als seine Frau gelebt. Er litt an Alzheimer in einem fortgeschrittenen Stadium. Als die Rechtsmedizinerin seinen Magen untersuchte, fand sie dort kein Essen. Sie haben ein sehr nüchternes Verhältnis zur menschlichen Vergänglichkeit. Aber ist der Tod nicht einfach ein verdammtes Arschloch?

Wie meinen Sie das?

Macht Sie solch ein Fall melancholisch oder traurig?

Ja, klar. Es ist schade, dass die beiden keine Sozialkontakte mehr hatten. Aber wie ich schon am Anfang sagte: Das ist total normal. Deswegen nenne ich diese Menschen auch "Invisible People". Nach einer Geschichte des New Yorker Comiczeichners Will Eisner. Diese Invisible People sind überall. Sie sind nicht der rosa Elefant, der mitten im Raum steht. Sondern sie sind das Hintergrundrauschen auf unserer Welt. Das sind die vergessenen Leute. Sie sind das Allerhäufigste, das wir bei Wohnungsleichen sehen. So ist das halt. Das hat mit dem Tod an sich nichts zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass diese Menschen keine Sozialkontakte mehr haben.

Sie verabscheuen Gefühlsduselei mehr als jeden Leichengestank. Gab es trotzdem einen Fall, der Sie gerührt hat?

Es sind die Angehörigen, die mich bewegen. Vor allem, wenn sie nicht genug Informationen haben. Oft machen sich diese Menschen in ihrer Trauer etwas vor. Viele suchen dann nach einem Mörder, wo es keinen gibt. Irgendwann lädt die dann keiner mehr ein. Dann heißt es: "Du, Renate, dein Mann ist vor zehn Jahren gestorben. Wir wollen jetzt einfach Silvester feiern. Wir haben das schon vor fünf Jahren gesagt. Du sollst nicht wieder anfangen mit dem Mord an deinem Mann. Vielleicht ist er ermordet worden. Vielleicht nicht. Auf jeden Fall laden wir dich jetzt nicht mehr ein." Die Menschen kriegen Posttrauma-Störungen. Die gucken dann nur noch gegen die Wand. Oder wenn Kinder versterben. Bei erweiterten Selbsttötungen im Partnerschaftsbereich zum Beispiel. Dann suchen die Großeltern für den Rest ihres Lebens nach Antworten und geben ihr gesamtes Geld an irgendwelche windigen Pfeifen aus, die sich ihr Leben dadurch finanzieren, dass sie alte Leute ausnehmen. Das Hauptproblem ist, dass die Angehörigen keine Ansprechpartner haben.

Inwiefern?

Die Polizei ist für diese Menschen nicht zuständig. Wenn ein Mensch ums Leben kam, es aber kein Kriminalfall war, dann sagt die Polizei: "Gucken Sie mal, es ist kein Kriminalfall. Bitte. Wir haben hier solche Stapel an echten Kriminalfällen liegen. Wir sind nicht zuständig. Die Staatsanwaltschaft hat ja auch gar kein Verfahren eröffnet. Das hat Ihnen die Polizei auch alles schon erklärt. Bitte, entschuldigen Sie, aber wir möchten uns gerne um die Drogenhändler, Mörder, Vergewaltiger und die häusliche Gewalt kümmern. Verstehen Sie?" - "Nein", sagt die trauernde Person dann, "verstehe ich nicht. Ich möchte wissen, warum mein Mann getötet wurde."

Also nimmt Sie so etwas schon mit.

Klar ist das alles scheiße. Auch diese ganzen Genozide, die wir sehen, und die keinen Menschen interessieren. Aber ich kann es ja nicht ändern. Was ich aber ändern kann: dass den Menschen ihnen wichtig erscheinende Informationen nicht vorenthalten bleiben. Das kann ich als freiberuflicher Forensiker mit meinem Team vor Ort oder im Labor ändern. Hier geht es um Lösungen, nicht um weinerliches Gejammer.

Gibt es einen konkreten Fall, der nicht nur ein interessantes Rätsel war, sondern Sie auch gerührt hat?

Wir hatten einen Fall, da kam eine Familie und sagte, sie habe ein Gemälde, das weint. Aber keine Bluttränen, sondern Wasser. In der Familie war jemand ertrunken, und der Glaube war nun, dass das Gemälde nicht Tränen weint, sondern das Wasser aus dem Gewässer, wo die Person ertrunken ist. Also habe ich gesagt: "Okay, untersuchen wir, kein Problem. Vielleicht können Sie dann ja besser in die Trauerarbeit gehen. Oder können durch die Informationen innerhalb der Familie dann mal besprechen, was da los ist. Das können Sie ja dann für sich selbst einordnen. Ich kann Ihnen nur sagen, ob das Süßwasser ist, Salzwasser, Öl oder Farbe." Sobald Angehörige beteiligt sind, sind echte Gefühle im Spiel. Die sind messbar. Natürlich bemerke ich die. Und die springen dann auch über. Sie beeinflussen mich aber nicht.

Wie schützen Sie sich vor dem Grauen und dem Entsetzen des Todes?

Es ist, wie es ist. Ich kann es doch auch nicht ändern. Ich meine, ich bringe die Leute ja nicht um oder stopfe sie ins Massengrab. Ich bin nicht derjenige, der Lampenschirme aus Menschenhaut näht. Ich verwende keine Tierprodukte. Ich tue, was ich kann. Aber der Tod scheint ja keinen Menschen zu schrecken. Folter und Ausbeutung interessiert ja auch kaum jemanden. Die Leute trinken Milch und essen Butter, zerhackte Tintenfische und Schweine-Schnitzel. Es scheint fast allen Menschen scheißegal zu sein. Keine Ahnung, warum den Menschen das einfach alles so völlig egal ist. Ich verstehe das nicht. Aber ich bin ja nicht derjenige, der es tut. Ich arbeite lieber an der Lösung, anstatt herumzujammern, dass irgendwas scheiße ist und mir dann die nächste Scheibe Schinken aufs Brot zu legen. Keine Ahnung. Ist mir auch ein Rätsel, was mit den Leuten los ist.

Verursacht Ihr Beruf Ihnen Albträume?

Nö, eigentlich nicht. Das Problem ist eher der Tag. Wenn die ganzen angeblich guten und braven Menschen herumlaufen und sich unsozial verhalten. Nachts ist es eigentlich angenehmer als tags.

Für mich sind alle Fälle gleich

Quelle: Westfalenpost, Kreis Olpe, 8. März 2025

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„Für mich sind alle Fälle gleich" Dr. Mark Benecke erlangte über Kriminalfälle weltweites Aufsehen. Kurz vor einem Auftritt in Attendorn gibt er uns private Einblicke in sein Leben

Von Daniel Engeland

Attendorn. Dr. Mark Benecke klärt bei seiner Arbeit als Kriminalbiologe knifflige Kriminalfälle auf. Über viele seiner Fälle erlangte der Kölner weltweite Aufmerksamkeit. Am 13. März kommt er nun für einen Vortrag nach Attendorn. Im Gespräch mit unserer Zeitung gibt er Einblicke in sein Privatleben und seinen spannenden Lebensalltag.

Herr Benecke, am 13. März halten Sie einen Vortrag in der Attendorner Stadthalle. Gibt es Verbindungspunkte zum Kreis Olpe und der Stadt Attendorn?

Ich bin als Kölner natürlich schon als Kind öfter in Attendorn gewesen — das war damals ein zwingendes Ausflugsziel für alle Familien mit Kindern.

Worauf können sich die Besucher und Besucherinnen in der kommenden Woche bei Ihrem Vortrag freuen?

Ich werde über einige meiner Kriminal-Fälle berichten.

Sie haben selbst mehrere Bücher geschrieben, was lesen Sie eigentlich privat?

Am liebsten lese ich alte Tier-Bücher. Ich habe aber auch eine sehr große Sammlung alter rechtsmedizinischer und kriminalistischer Bücher, dort geht es beispielsweise um Gifte, Mumien sowie „Fälle", die wir heute als harmlosen Alltag ansehen und nur den Kopf schütteln. Dazu gehören Homosexuelle und Sexarbeiterinnen, die von der Polizei mit großem Ernst verfolgt wurden. Dasselbe gilt für „Migration" und „fremde Menschen", die auch früher schon hin und wieder als gefährlich angesehen wurden, obwohl die kriminalistisch erhobenen Zahlen das Gegenteil zeigten. Und ich habe auch eine ziemlich große Ecke in meiner Bibliothek, die sich nur mit Vampir-Leichen und allem drumherum befasst. Außerdem bin ich Buchpate in der Linnean Society of London, der Staatsbibliothek in Berlin und der Nationalbibliothek in Wien, sodass ich auch dort einige Schätzchen lesen darf.

Sie sind ein großer Tattoo-Fan. Wie viele Tattoos haben Sie mittlerweile? Welche Bedeutung haben sie in Ihrem Leben?

Eine Freundin hat neuerdings so um die 150 Tätowierungen auf mir gezählt. Deren Bedeutung kann sich ändern. Es sind jedenfalls immer Erinnerungen an Orte, Menschen und Erlebnisse. Es gibt sogar ein 3D-Foto von mir im Netz. Es stammt aus dem Grassi-Museum für Völkerkunde in Leipzig. Dort kann mich jeder drehen und meine Tattoos und deren Bedeutungen Klick für Klick erkunden.

Viele Menschen sind von „True Crime" fasziniert. Verspüren Sie eine ähnliche Faszination, wenn Sie als Kriminalbiologe einen Fall erleben, der sich zunächst kaum erklären lässt?

Für mich sind alle Fälle gleich. Das geht uns aber allen im Team so. Wir ärgern uns über Lügen und Geschnatter, egal von wem es ausgeht. Wir suchen die messbaren Tatsachen dazu zusammen und dann tritt meist die messbare Wahrheit zutage.

Wie gehen Sie damit um, im Alltag immer wieder mit dem Tod und schaurigen Verbrechen in Kontakt zu kommen?

Et is wie et is. Die Welt besteht nicht nur aus Zuckerguss.

Wie sieht Ihr Alltag in der Kriminalbiologie aus, gibt es überhaupt einen Alltag?

Wir schauen uns jeden Fall mit kindlichen – nicht kindischen – Augen, also unbefangen an. Daher passiert jeden Tag etwas anderes. Mal messen wir Blut-Spuren, mal Insekten, mal wälzen wir Akten, mal hängt eine oder einer von uns in einem Baum, um eine Erhängung nachzustellen, mal sind wir auf Kongressen wie gerade eben bei der größten Tagung der Forensikerinnen und Forensiker in Baltimore.

Vor der Jahrtausendwende gelang Ihnen ein echter Coup: Es gelang Ihnen nach der Untersuchung von Maden die Liegezeit einer ermordeten Frau festzustellen und so den Täter zu finden. Wie kam es dazu?

Das mache ich schon seit den 1990-er Jahren. Die Länge von Larven verrät deren Alter. So lässt sich die Zeit seit der Leichen-Besiedlung ermitteln. Es gibt auch Fälle, wo vernachlässigte Lebende besiedelt werden. Da können wir dann ausrechnen, wie lange die Pflege schon nicht mehr stattgefunden hat.

Welche Rolle spielen Tiere für Ihre Arbeit?

Wir schauen uns gerne Käfer, Fliegen, Schnecken und Wespen an, um zu verstehen, wie lange eine Leiche besiedelt wurde. Und ob eine scheinbare Messer-Wunde oder Kratzer im Gesicht einer Leiche nicht doch von Tieren stammen. Ich habe auch einen Sondervortrag über Haustiere, die ihre menschli-chen, verstorbenen „Herrchen" oder „Frauchen" gefressen haben.

Sie haben während Ihrer Arbeit einiges gesehen, gibt es einen Fall, bei dem sich auch bei Ihnen noch heute die Nackenhaare aufstellen?

Ich finde es schade, dass Menschen nicht lernen. Die Zusammenarbeit war geschichtlich, auch kriminalgeschichtlich, immer messbar besser für alle Beteiligten als das Töten oder Ausgrenzen.

Welcher Fall hat Sie bislang am meisten fasziniert?

Vielleicht der Nächste?

Sie engagieren sich neben Ihrer Arbeit auch in der Politik. Wie ist es dazu gekommen?

Das ist für mich alles eins. Ich möchte das bewirken, was in meinem Handlungs-Spielraum steht. Manche Dinge lassen sich eher politisch umsetzen als auf der Couch.

Was macht Dr. Mark Benecke eigentlich in seiner Freizeit, wenn er mal nicht Verbrechern auf den Leim geht?

Ich unterscheide nicht zwischen Arbeit und Freizeit. Das, was ich erledige, mache ich gerne. Wenn ich es nicht möchte, lasse ich es. So halten wir es im Labor alle. Von außen sieht es vermutlich so aus, als ob ich immer arbeite. Messen kann ich aber überall.