Das Todesdatum hätte ich mit Speckkäferlarven bestimmt

Von Stefan Maus

Der Tod von Gene Hackman und seiner Ehefrau Betsy Arakawa war rätselhaft. Kriminalbiologe Mark Benecke erklärt, wie er in solchen Fällen arbeitet und was das mit ihm macht.

Welche Rolle spielt das Klima bei der Veränderung von Körpern?

Je trockener es ist, desto leichter vertrocknen die Leichen. Und je feuchter und wärmer es ist, desto mehr hat man bakterielle Fäulnis und Gasblähungen. Man kann auch gemischte Formen haben. Wenn jemand im Bett liegt und seine Hände hängen raus, dann vertrocknen die, weil die warme Luft das Wasser abtransportiert. Wir bestehen ja fast nur aus Wasser. Unter einer Bettdecke kann das Wasser aber nicht abtransportiert werden. Dann wird das dort eben faul.

In unserem Fall ist Betsy Arakawa sieben Tage vor ihrem Mann Gene Hackman gestorben.

Das kommt leider vor. Es gibt Menschen, die den Tod ihres Partners verdrängen. Sie schlafen wochenlang, teilweise sogar monatelang neben der toten Person. Und wenn man sie dann lebend antrifft und fragt, warum sie denn niemandem Bescheid gesagt haben, dann haben sie die verrücktesten Gründe für ihr Verhalten. Manche sagen: "Ich habe gedacht, uns wird dann die Wohnung weggenommen." Solche Gedanken können zu den merkwürdigsten Befunden führen.

Wie meinen Sie das?

Sagen wir mal, die Leiche liegt im Bett und fängt an zu stinken. Dann räumt der Partner sie in einen Schrank. Dann verändern sich dadurch natürlich auch die Fäulnis oder die Spuren an der Leiche. Auch der Fundort verändert sich: Plötzlich gibt es im Raum Schleifspuren, oder die Totenflecken der Leiche sind an der falschen Stelle. Manchmal gibt es auch Menschen, die wischen die Eierpakete weg, die die Schmeißfliegen in den Augen und geeigneten Stellen ablegen. Manchmal aber auch nicht. Dann hat man eben dicke Madenteppiche im Gesicht, an den Ohren, unter den Armen oder im Genitalbereich. Es gibt aber auch Partner, die die Leiche waschen. Oder es gibt Mischformen von all dem. Aus Thailand habe ich zum Beispiel einmal den Fall einer Familie erhalten, die ihre Oma einfach aufs Sofa gelegt haben. Auch die Brille haben sie ihr einfach gelassen. Der ganze Körper war mit dem Sofa verklebt. Aber die Oma gehörte eben zur Familie.

Laut Auskunft der Polizei war Betsy Arakawa zum Teil mumifiziert. Was bedeutet das?

Das Wort sollte man eigentlich nicht benutzen. Weil die Leute dann sofort an Ägypten denken. "Mumifiziert" heißt einfach nur vertrocknet. Das Klima in Santa Fe ist ja sehr trocken. Also wurde das Gewebewasser abtransportiert. So wie halt alles Leichengewebe unter bestimmten Umständen vertrocknet. Schinken, Salami: Das ist ja alles nur vertrocknetes Leichengewebe.

Was könnten Sie als Kriminalbiologe alles aus Körpern herauslesen, die schon seit 15 Tagen irgendwo liegen?

Anhand von Insekten kann ich die Leichenliegezeit bestimmen. Ich schaue, welche Insekten es gibt. Und an welchen Körperstellen sie auftreten. Gibt es ungewöhnliche Besiedlungsstellen? Zum Beispiel kann ich Leichname auf bestimmte Vernachlässigungszeichen hin untersuchen. Dann schaue ich, ob im Genitalbereich oder an irgendeiner ungewöhnlichen Stelle eine besonders starke Besiedelung durch Insekten schon vor dem Tod stattgefunden haben muss. Weil die Insekten an diesen Stellen dann viel älter sind als am Rest des Körpers. Oder weil es Tiere sind, die an Kot und Urin gehen.

Wann könnte solch eine Untersuchung von Vernachlässigungszeichen von Interesse sein?

Eine Versicherung könnte zum Beispiel sagen: "Wir haben hier Geld an eine pflegende Person ausgezahlt. Aber diese Person scheint gar keine Pflege durchgeführt zu haben. Also hätten wir jetzt gerne unser Geld zurück." Da kann eine solche Untersuchung interessant werden.

Die Todesdaten von Gene Hackman und seiner Frau wurden mit Hilfe von Daten von Videokameras und Herzschrittmachern bestimmt. Wie genau hätten Sie den Todeseintritt mit rein biologischen Mitteln bestimmen können?

Den hätte ich mit Hilfe von Schmeißfliegenlarven bestimmen können. Oder wenn die Körper tatsächlich schon länger da lagen, dann auch über andere Tiere. Zum Beispiel mit Hilfe von Speckkäferlarven.

Hätten Sie den Tod damit genau datieren können?

Das hängt davon ab, wie viele Vergleichsdaten für Insekten aus Santa Fe vorhanden sind. Es gibt in den USA eigentlich relativ gute Wachstumsdaten von den einzelnen Insekten an den jeweiligen Orten.

Wie nah wären Sie dann an das genaue Todesdatum herangekommen?

Falls es stimmt, dass die beiden Körper ungefähr ein bis zwei Wochen dort lagen, dann kann man das Todesdatum gut eingrenzen. Ungefähr auf den Vormittag oder den Nachmittag eines bestimmten Tages. Aber das hängt alles von den örtlichen Vergleichstabellen mit den Wachstumsdaten der Insekten ab.

Erstaunlich, dass Sie mit rein biologischen Mitteln eigentlich ähnlich präzise sein können wie die Ermittler mit ihren technischen Spuren.

Ja. Aber natürlich wählt man immer das einfachste Mittel. Vor Ort kämen ja immer drei Parteien für Ermittlungen infrage: Polizei, Rechtsmedizin und Kriminalbiologie - also Spurenkunde. Und wenn ich jetzt bei der Polizei bin und sowieso schon vor Ort bin, dann nehme ich natürlich die sogenannten technischen Spuren. Wozu soll ich da eine biologische Zusatzinfo einholen?

Die amerikanischen Ermittler haben etwa eine Woche lang gebraucht, um das Rätsel zu lösen: Betsy Arakawa starb an Hantavirus, Gene Hackman an Herzversagen. Haben diese Ermittler einen guten Job gemacht?

Es geht keinen etwas an, das zu beurteilen. Einfach Fresse halten. Wir waren nicht dabei.

Der Sheriff sagte einen Tag nach dem Fund, die Leichen hätten schon mindestens einen Tag vor dem Fund auf dem Boden gelegen. Nun hat Betsy Arakawa dort aber schon über zwei Wochen gelegen. Ein Tag war also eine ziemliche Fehleinschätzung. Ist es verwunderlich, dass ein Sheriff so etwas sagt?

Er hat ja gesagt: Mindestens einen Tag. Insofern stimmt es. Aber grundsätzlich gilt: Laien können Leichenliegezeit nicht einschätzen. Wenn jemand nur vom Augenschein versucht, die Liegezeit zu schätzen, geht das immer schief. Da nützt alle Berufserfahrung nichts.

Wie kommt das?

Weil es sehr stark von den Umwelt-Bedingungen vor Ort abhängt.

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen wir an, ich bin Coroner, Sheriff oder Priester und habe schon viele Leichen in meinem Leben gesehen. Nun komme ich aber an einen Ort mit einer seltenen Besonderheit. Nehmen wir an, der Ort ist mit einer Tür verschlossen. Aber unter der Tür ist ein Schlitz. Und auf der anderen Seite des Raumes ist durch einen baulichen Zufall auch ein Schlitz. Den aber keiner sieht, weil er hinter einem Schrank ist. Dann hat man einen Luftkanal zwischen den beiden Schlitzen wie in einem dieser Händetrockner. Und plötzlich hat man völlig andere Feuchtigkeits- und Lufttransportbedingungen. Ganz unabhängig von der allgemeinen Temperatur in dem Raum. Wenn nun die Leiche vor diesem Türschlitz liegt, dann wird das Körperwasser sehr viel schneller abtransportiert, als wenn sie auch nur einen Meter weiter links oder rechts in derselben Wohnung liegen würde. Hier nützt es mir also nichts, wenn ich schon Dutzende Tote gesehen habe. Deswegen muss man das vernünftig vor Ort untersuchen. Mit technischen oder eben biologischen Mitteln.

Gene Hackman hat gut eine Woche länger als seine Frau gelebt. Er litt an Alzheimer in einem fortgeschrittenen Stadium. Als die Rechtsmedizinerin seinen Magen untersuchte, fand sie dort kein Essen. Sie haben ein sehr nüchternes Verhältnis zur menschlichen Vergänglichkeit. Aber ist der Tod nicht einfach ein verdammtes Arschloch?

Wie meinen Sie das?

Macht Sie solch ein Fall melancholisch oder traurig?

Ja, klar. Es ist schade, dass die beiden keine Sozialkontakte mehr hatten. Aber wie ich schon am Anfang sagte: Das ist total normal. Deswegen nenne ich diese Menschen auch "Invisible People". Nach einer Geschichte des New Yorker Comiczeichners Will Eisner. Diese Invisible People sind überall. Sie sind nicht der rosa Elefant, der mitten im Raum steht. Sondern sie sind das Hintergrundrauschen auf unserer Welt. Das sind die vergessenen Leute. Sie sind das Allerhäufigste, das wir bei Wohnungsleichen sehen. So ist das halt. Das hat mit dem Tod an sich nichts zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass diese Menschen keine Sozialkontakte mehr haben.

Sie verabscheuen Gefühlsduselei mehr als jeden Leichengestank. Gab es trotzdem einen Fall, der Sie gerührt hat?

Es sind die Angehörigen, die mich bewegen. Vor allem, wenn sie nicht genug Informationen haben. Oft machen sich diese Menschen in ihrer Trauer etwas vor. Viele suchen dann nach einem Mörder, wo es keinen gibt. Irgendwann lädt die dann keiner mehr ein. Dann heißt es: "Du, Renate, dein Mann ist vor zehn Jahren gestorben. Wir wollen jetzt einfach Silvester feiern. Wir haben das schon vor fünf Jahren gesagt. Du sollst nicht wieder anfangen mit dem Mord an deinem Mann. Vielleicht ist er ermordet worden. Vielleicht nicht. Auf jeden Fall laden wir dich jetzt nicht mehr ein." Die Menschen kriegen Posttrauma-Störungen. Die gucken dann nur noch gegen die Wand. Oder wenn Kinder versterben. Bei erweiterten Selbsttötungen im Partnerschaftsbereich zum Beispiel. Dann suchen die Großeltern für den Rest ihres Lebens nach Antworten und geben ihr gesamtes Geld an irgendwelche windigen Pfeifen aus, die sich ihr Leben dadurch finanzieren, dass sie alte Leute ausnehmen. Das Hauptproblem ist, dass die Angehörigen keine Ansprechpartner haben.

Inwiefern?

Die Polizei ist für diese Menschen nicht zuständig. Wenn ein Mensch ums Leben kam, es aber kein Kriminalfall war, dann sagt die Polizei: "Gucken Sie mal, es ist kein Kriminalfall. Bitte. Wir haben hier solche Stapel an echten Kriminalfällen liegen. Wir sind nicht zuständig. Die Staatsanwaltschaft hat ja auch gar kein Verfahren eröffnet. Das hat Ihnen die Polizei auch alles schon erklärt. Bitte, entschuldigen Sie, aber wir möchten uns gerne um die Drogenhändler, Mörder, Vergewaltiger und die häusliche Gewalt kümmern. Verstehen Sie?" - "Nein", sagt die trauernde Person dann, "verstehe ich nicht. Ich möchte wissen, warum mein Mann getötet wurde."

Also nimmt Sie so etwas schon mit.

Klar ist das alles scheiße. Auch diese ganzen Genozide, die wir sehen, und die keinen Menschen interessieren. Aber ich kann es ja nicht ändern. Was ich aber ändern kann: dass den Menschen ihnen wichtig erscheinende Informationen nicht vorenthalten bleiben. Das kann ich als freiberuflicher Forensiker mit meinem Team vor Ort oder im Labor ändern. Hier geht es um Lösungen, nicht um weinerliches Gejammer.

Gibt es einen konkreten Fall, der nicht nur ein interessantes Rätsel war, sondern Sie auch gerührt hat?

Wir hatten einen Fall, da kam eine Familie und sagte, sie habe ein Gemälde, das weint. Aber keine Bluttränen, sondern Wasser. In der Familie war jemand ertrunken, und der Glaube war nun, dass das Gemälde nicht Tränen weint, sondern das Wasser aus dem Gewässer, wo die Person ertrunken ist. Also habe ich gesagt: "Okay, untersuchen wir, kein Problem. Vielleicht können Sie dann ja besser in die Trauerarbeit gehen. Oder können durch die Informationen innerhalb der Familie dann mal besprechen, was da los ist. Das können Sie ja dann für sich selbst einordnen. Ich kann Ihnen nur sagen, ob das Süßwasser ist, Salzwasser, Öl oder Farbe." Sobald Angehörige beteiligt sind, sind echte Gefühle im Spiel. Die sind messbar. Natürlich bemerke ich die. Und die springen dann auch über. Sie beeinflussen mich aber nicht.

Wie schützen Sie sich vor dem Grauen und dem Entsetzen des Todes?

Es ist, wie es ist. Ich kann es doch auch nicht ändern. Ich meine, ich bringe die Leute ja nicht um oder stopfe sie ins Massengrab. Ich bin nicht derjenige, der Lampenschirme aus Menschenhaut näht. Ich verwende keine Tierprodukte. Ich tue, was ich kann. Aber der Tod scheint ja keinen Menschen zu schrecken. Folter und Ausbeutung interessiert ja auch kaum jemanden. Die Leute trinken Milch und essen Butter, zerhackte Tintenfische und Schweine-Schnitzel. Es scheint fast allen Menschen scheißegal zu sein. Keine Ahnung, warum den Menschen das einfach alles so völlig egal ist. Ich verstehe das nicht. Aber ich bin ja nicht derjenige, der es tut. Ich arbeite lieber an der Lösung, anstatt herumzujammern, dass irgendwas scheiße ist und mir dann die nächste Scheibe Schinken aufs Brot zu legen. Keine Ahnung. Ist mir auch ein Rätsel, was mit den Leuten los ist.

Verursacht Ihr Beruf Ihnen Albträume?

Nö, eigentlich nicht. Das Problem ist eher der Tag. Wenn die ganzen angeblich guten und braven Menschen herumlaufen und sich unsozial verhalten. Nachts ist es eigentlich angenehmer als tags.

Für mich sind alle Fälle gleich

Quelle: Westfalenpost, Kreis Olpe, 8. März 2025

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„Für mich sind alle Fälle gleich" Dr. Mark Benecke erlangte über Kriminalfälle weltweites Aufsehen. Kurz vor einem Auftritt in Attendorn gibt er uns private Einblicke in sein Leben

Von Daniel Engeland

Attendorn. Dr. Mark Benecke klärt bei seiner Arbeit als Kriminalbiologe knifflige Kriminalfälle auf. Über viele seiner Fälle erlangte der Kölner weltweite Aufmerksamkeit. Am 13. März kommt er nun für einen Vortrag nach Attendorn. Im Gespräch mit unserer Zeitung gibt er Einblicke in sein Privatleben und seinen spannenden Lebensalltag.

Herr Benecke, am 13. März halten Sie einen Vortrag in der Attendorner Stadthalle. Gibt es Verbindungspunkte zum Kreis Olpe und der Stadt Attendorn?

Ich bin als Kölner natürlich schon als Kind öfter in Attendorn gewesen — das war damals ein zwingendes Ausflugsziel für alle Familien mit Kindern.

Worauf können sich die Besucher und Besucherinnen in der kommenden Woche bei Ihrem Vortrag freuen?

Ich werde über einige meiner Kriminal-Fälle berichten.

Sie haben selbst mehrere Bücher geschrieben, was lesen Sie eigentlich privat?

Am liebsten lese ich alte Tier-Bücher. Ich habe aber auch eine sehr große Sammlung alter rechtsmedizinischer und kriminalistischer Bücher, dort geht es beispielsweise um Gifte, Mumien sowie „Fälle", die wir heute als harmlosen Alltag ansehen und nur den Kopf schütteln. Dazu gehören Homosexuelle und Sexarbeiterinnen, die von der Polizei mit großem Ernst verfolgt wurden. Dasselbe gilt für „Migration" und „fremde Menschen", die auch früher schon hin und wieder als gefährlich angesehen wurden, obwohl die kriminalistisch erhobenen Zahlen das Gegenteil zeigten. Und ich habe auch eine ziemlich große Ecke in meiner Bibliothek, die sich nur mit Vampir-Leichen und allem drumherum befasst. Außerdem bin ich Buchpate in der Linnean Society of London, der Staatsbibliothek in Berlin und der Nationalbibliothek in Wien, sodass ich auch dort einige Schätzchen lesen darf.

Sie sind ein großer Tattoo-Fan. Wie viele Tattoos haben Sie mittlerweile? Welche Bedeutung haben sie in Ihrem Leben?

Eine Freundin hat neuerdings so um die 150 Tätowierungen auf mir gezählt. Deren Bedeutung kann sich ändern. Es sind jedenfalls immer Erinnerungen an Orte, Menschen und Erlebnisse. Es gibt sogar ein 3D-Foto von mir im Netz. Es stammt aus dem Grassi-Museum für Völkerkunde in Leipzig. Dort kann mich jeder drehen und meine Tattoos und deren Bedeutungen Klick für Klick erkunden.

Viele Menschen sind von „True Crime" fasziniert. Verspüren Sie eine ähnliche Faszination, wenn Sie als Kriminalbiologe einen Fall erleben, der sich zunächst kaum erklären lässt?

Für mich sind alle Fälle gleich. Das geht uns aber allen im Team so. Wir ärgern uns über Lügen und Geschnatter, egal von wem es ausgeht. Wir suchen die messbaren Tatsachen dazu zusammen und dann tritt meist die messbare Wahrheit zutage.

Wie gehen Sie damit um, im Alltag immer wieder mit dem Tod und schaurigen Verbrechen in Kontakt zu kommen?

Et is wie et is. Die Welt besteht nicht nur aus Zuckerguss.

Wie sieht Ihr Alltag in der Kriminalbiologie aus, gibt es überhaupt einen Alltag?

Wir schauen uns jeden Fall mit kindlichen – nicht kindischen – Augen, also unbefangen an. Daher passiert jeden Tag etwas anderes. Mal messen wir Blut-Spuren, mal Insekten, mal wälzen wir Akten, mal hängt eine oder einer von uns in einem Baum, um eine Erhängung nachzustellen, mal sind wir auf Kongressen wie gerade eben bei der größten Tagung der Forensikerinnen und Forensiker in Baltimore.

Vor der Jahrtausendwende gelang Ihnen ein echter Coup: Es gelang Ihnen nach der Untersuchung von Maden die Liegezeit einer ermordeten Frau festzustellen und so den Täter zu finden. Wie kam es dazu?

Das mache ich schon seit den 1990-er Jahren. Die Länge von Larven verrät deren Alter. So lässt sich die Zeit seit der Leichen-Besiedlung ermitteln. Es gibt auch Fälle, wo vernachlässigte Lebende besiedelt werden. Da können wir dann ausrechnen, wie lange die Pflege schon nicht mehr stattgefunden hat.

Welche Rolle spielen Tiere für Ihre Arbeit?

Wir schauen uns gerne Käfer, Fliegen, Schnecken und Wespen an, um zu verstehen, wie lange eine Leiche besiedelt wurde. Und ob eine scheinbare Messer-Wunde oder Kratzer im Gesicht einer Leiche nicht doch von Tieren stammen. Ich habe auch einen Sondervortrag über Haustiere, die ihre menschli-chen, verstorbenen „Herrchen" oder „Frauchen" gefressen haben.

Sie haben während Ihrer Arbeit einiges gesehen, gibt es einen Fall, bei dem sich auch bei Ihnen noch heute die Nackenhaare aufstellen?

Ich finde es schade, dass Menschen nicht lernen. Die Zusammenarbeit war geschichtlich, auch kriminalgeschichtlich, immer messbar besser für alle Beteiligten als das Töten oder Ausgrenzen.

Welcher Fall hat Sie bislang am meisten fasziniert?

Vielleicht der Nächste?

Sie engagieren sich neben Ihrer Arbeit auch in der Politik. Wie ist es dazu gekommen?

Das ist für mich alles eins. Ich möchte das bewirken, was in meinem Handlungs-Spielraum steht. Manche Dinge lassen sich eher politisch umsetzen als auf der Couch.

Was macht Dr. Mark Benecke eigentlich in seiner Freizeit, wenn er mal nicht Verbrechern auf den Leim geht?

Ich unterscheide nicht zwischen Arbeit und Freizeit. Das, was ich erledige, mache ich gerne. Wenn ich es nicht möchte, lasse ich es. So halten wir es im Labor alle. Von außen sieht es vermutlich so aus, als ob ich immer arbeite. Messen kann ich aber überall.

Doktor Made ermittelt

Quelle: KURIER.at, 8. November 2024

Von Birgit Seiser

Nachgefragt. Immer noch ist offen, wann der Doppelmörder Roland Drexler gestorben ist. Experte Mark Benecke erklärt, welche Faktoren für die Bestimmung des Todeszeitpunkts essenziell sind.

Fünf Tage lang suchte eine Hundertschaft an Polizisten Wälder im oberösterreichischen Bezirk Rohrbach (OÖ) nach dem mutmaßlichen Doppelmörder Roland Drexler ab. Am Samstag stand fest, dass er tot ist, seine Leiche wurde in seinem Jagdgebiet entdeckt. Mit Spannung erwartete das ganze Land das Ergebnis der Obduktion, das aber weiter Fragen offen ließ. Der genaue Todeszeitpunkt konnte nicht bestimmt werden. Nun sollen forensische Entomologen das Rätsel lösen.

Einer der bekanntesten Vertreter dieses Fachs ist Dr. Mark Benecke. Der Kriminalbiologe, der auch als "Dr. Made" bekannt ist, erklärt im KURIER, wie man den Todeszeitpunkt bestimmen kann und wie Insekten dabei helfen. Die folgenden Zeilen sind nichts für Menschen mit schwachen Mägen.

Leiche als Brutstätte

"Bei einer frischen Leiche erkennt man den Todeszeitpunkt beispielsweise über die Reizbarkeit der Muskeln mit Strom, die Auskühlung des Körpers und die Beweglichkeit der Pupillen, wenn etwas hineingetropft wird. Auch, wie sich die Gelenke biegen lassen, gibt Aufschluss über den Todeszeitpunkt", sagt Benecke. 

Ist der Tod schon vor längerer Zeit eingetreten, gibt es andere Merkmale, die zur Aufklärung beitragen können. Insekten nutzen Leichen als Brutstätte und Nahrungsquelle: "Je länger eine Leiche liegt, umso mehr zersetzt sich der Körper. Dann kann man das Alters der Larven von Schmeißfliegen verwenden, die wie eine Uhr ticken, also wachsen", erklärt der Kriminalbiologe. Käsefliegen oder Aaskäfer, die Leichen erst später besiedeln, können ebenfalls zur Bestimmung des Todeszeitpunkts beitragen. In manchen Fällen können sogar Pflanzen und deren Wurzeln untersucht werden, die über oder durch die Leiche hindurch wachsen.

Genau solche Merkmale sollen nun helfen, den Todeszeitpunkt von Roland D. festzustellen. Dass er schon länger tot gewesen sein muss - sich möglicherweise direkt nach dem Doppelmord am Montag das Leben genommen hat - kann durch das Auftreten von Insekten aber nicht zwingend abgelesen werden.

"Insekten können superschnell auf einem Leichnam zu finden sein. Ich habe es schon erlebt, dass die schwangeren Fliegen-Weibchen sofort nachdem die Leichen ins Freie gelegt wurden, beispielsweise im Studierenden-Kurs oder auf der Body Farm, angesaust kamen. Fliegen können Butanol und Methylsulfid, das aus Leichen strömen kann, sehr gut riechen."

Störfaktoren

In der forensischen Entomologie gibt es aber selbstverständlich auch Störfaktoren, die Untersuchungen erschweren können. "Wenn  eine Leiche verlagert, also von einem Ort an den anderen gebracht wurde, kennt man die jeweiligen Temperaturen der Orte vielleicht nicht. Die brauchen wir aber, um die Wachstums-Geschwindigkeit der Larven zu errechnen. Manchmal werden Leichen auch versenkt oder irgendwo eingeschlossen, wo die Tiere nicht sofort dran gehen. Oder es ist zu kalt oder regnet", sagt Benecke. 

Die Witterungsbedingungen dürften in der vergangenen Woche so gewesen sein, dass sie keine negativen Auswirkungen auf die kommenden Untersuchungen haben sollten. Die Temperaturen lagen deutlich im ein- bis niedrigen zweistelligen Bereich; an drei Tagen regnete es, aber nur sehr mäßig. Die Leiche wurde laut Polizei außerdem nicht eingeschlossen oder in Wasser versenkt, entdeckt, sondern soll offen in dem Waldstück gelegen haben. 

Dr. Made lässt jetzt Schweine verwesen

Quelle: BILD, 6. Februar 2024

Von Nicole Biewald

Hier gibt es den Artikel als .pdf

Der bekannteste Kriminalbiologe der Welt macht jetzt versaute Experimente!

Dr. Mark Benecke (53) aus Köln ist Spezialist für Entomologie (Insektenkunde), bekannt als Dr. Made – und hat jetzt mit einer zehnköpfigen Studentengruppe fünf Baby-Schweine verwesen lassen.

Was soll der Schweine-Kram?

Foto: Mark Benecke

„Wir haben beobachtet, in welchem Stadium welche Leichen-Bewohner kommen, wie sie sich vermehren und was mit dem Schweine-Körper dadurch passiert“, sagt Dr. Benecke zu BILD. Das Ergebnis ist ein 18-minütiger Lehrfilm, der bald online geht.

Die Mini-Schweine bekamen die Wissenschaftler geliefert. „Die sind eines natürlichen Todes gestorben, wir haben sie eingefroren erhalten“, sagt der 53-Jährige. Unter sommerlichen Bedingungen – 27 Grad, 50 Prozent Luftfeuchtigkeit und indirekter Sonneneinstrahlung – hat die Gruppe abgewartet, was passiert.

Und das ging ganz schön schnell...

„Die Haut der Tiere hat sich schon nach wenigen Stunden durch die Bakterien grün verfärbt“, sagt Dr. Benecke. Er erklärt: „Wärme und Feuchtigkeit lassen die Haut schnell verwesen. Die Knochen sind schon nach wenigen Tagen zu sehen.“

Schwangere Fliegen legen ihre Ei-Pakete auf der Leiche ab, die Maden schlüpfen aus den Eiern, Fliegen machen sich breit Der Kriminalbiologe: „Verwesungszustände sind für die Ermittlungsarbeit der Polizei interessant. Daraus ist ersichtlich, wie lange die Leiche beispielsweise im Freien gelegen hat.“ Sie geben auch Aufschluss darüber, wie lang ein Kind oder eine ältere Person vernachlässigt wurde.

Für diese Experimente werden Schweine verwendet, weil die dem Menschen am Ähnlichsten sind. „Schweine sind fast gleich gebaut wie der Mensch. Nur Hände und Füße unterscheiden sich“, so der Experte.

Auch die Polizei nutzt Schweine oder nur deren Köpfe (je nach Gewicht), um beispielsweise herauszufinden, wo und wann eine Leiche ins Wasser geworfen wurde. Dr. Benecke: „Anhand der Strömung kann das nachvollzogen werden.“

Das Fazit des Verwesungs-Experiments? Dr. Benecke: „Die ersten Eier und Maden lassen sich bevorzugt in Augenwinkeln, Nasenlöchern und Ohren nieder. Die Vermehrung geht schnell. Später kommen so genannte sekundäre Leichenbewohner dazu. Das sind Käfer, die sich nicht von der Leiche, sondern von den auf ihr lebenden Maden ernähren.“

Nach etwa einer Woche war die Schweinehaut übrigens samt Muskeln und Fett weg. Es waren größtenteils nur noch die Knochen der Tiere zu sehen. Der Kriminalbiologe: „Die werden von den „Maden-Teppichen“ hin und her geschoben, aber nicht wirklich zersetzt.“

GEOlino Spezial: Spürhunde, -Ratten, -Delfine und -Fliegen 🪰

Quelle: GEOlino Spezial – Der Wissenspodcast für junge Entdeckerinnen und Entdecker, 21. August 2024

In dieser GEOlino -Folge geht es um Spürhunde. Die sind ihren zweibeinigen Kolleginnen und Kollegen in vielem eine Nasenlänge voraus. Wir haben den Diensthunden der Bremer Bereitschaftspolizei Bremen beim Training zugeschaut. 

Ratten erschnüffeln vergrabene Minen Delfine spionieren feindliche Schiffe aus und Bienen erschnüffeln Sprengstoff Ihren Super-Sinnen entgeht einfach nichts… 

Aber auch krabbelnde, surrende, sich windende Insekten helfen bei der Aufklärung von Verbrechen – und zwar dem Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke  

Was genau seine Arbeit ausmacht und inwiefern ihn die Krabbler unterstützen, das erzählt er Ivy in dieser Folge.

Tierische Ermittler

2. Symposium für Odorologie

Hamburg | 2015


Thierbuch

Kat Menschik & Mark Benecke


Der Fall Mirco

Interdisziplinäres Fachforum Bremen | 2012

Gutachten: Überführen Maden

Quelle: Bild am Sonntag, 22. Februar 1998, Seite 6

Von RENA PANKOW

Diplombiologe Dr Mark Benecke forscht in New York am staatlichen Institut für Rechtsmedizin (Office of Chief Medical Examiner, Forensic Biology Dept.), zuvor arbeitete er an der Universität Köln. Sein Forschungsgebiet, auf dem er weltweit zu den zwanzig führenden Experten zählt: Forensische Entomologie – rechtsmedizinische Insektenkunde.

Im seit Anfang Februar laufenden Indizienprozeß gegen Pastor Klaus Geyer (57) kommt dem von der Staatsanwaltschaft beauftragten und vorn Gericht geladenen Wissenschaftler eine entscheidende Rolle zu: Sein Gutachten, das nach BamS-Informationen unmittelbar vor den Schlußplädoyers verlesen wird, soll belegen, daß Veronika Geyer-Iwand (53) am Freitag, dem 25. Juli 1997, erschlagen wurde – und zwar in einem Zeitraum, für den der Angeklagte kein Alibi besitzt.

Bislang kann Oberstaatsanwalt Ulrich Hennecke über den genauen Todeszeitpunkt der Pastorenfrau nur spekulieren: Dem zuständigen Göttinger Gerichtsmediziner gelang es lediglich, den Tattag (Freitag) zu bestimmen. Ohne die Festlegung der Todesstunde fehlt jedoch im Prozeß gegen den Angeklagten Klaus Geyer das wichtigste Indiz. Dafür soll jetzt Mark Benecke sorgen – durch Untersuchungen von Maden, die auf der Leiche von Veronika Geyer-Iwand sichergestellt und, in Formalin konserviert, an Beneckes New Yorker Labor geschickt wurden.

Der Diplombiologe erklärt in BamS, wie diese äußerst selten angewandte Methode funktioniert: „Leichen, die im Freien liegen, ziehen bereits nach kurzer Zeit unterschiedliche Arten von Fliegen und Insekten an, die ihre Eier ablegen Aus diesen Eiern schlüpfen Maden, die sich von der Leiche ernähren.


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