SR kultur "Bist du behindert?" – Leben als Autist:in (mit Mark & Ines)

Quelle: tabularasa – weg mit Tabus · SR2 KulturRadio · 12. November 2024 · ARD Mediathek & SR2 Radio · https://www.ardaudiothek.de/episode/tabularasa-weg-mit-tabus/bist-du-behindert-leben-als-autist-in/sr-kultur/13881917/ · titel thesen temperamente (ttt)

Auszüge aus dem Podcast

[0:00:03]: Mark Benecke:

"Sowohl dieser Begriff der Folter, der jetzt auch garantiert empörte Zuschriften an den Sender hier hervorrufen wird als auch der Begriff dieser Umwandlungs-Behandlungen, der ist, der ist leider messbar, zutreffend, sachlich."

Host Laura:

"Das Besondere an Autismus und ein Grund, warum Diagnosen oft spät erfolgen, ist, dass es ein Spektrum ist – die Symptome treten in ganz unterschiedlicher Ausprägung und Stärke auf. Daher spricht man in der Psychologie heute von einer Autismusspektrumstörung. Warum Autismus schwer zu diagnostizieren ist und welche Überlappungen es zu anderen Formen der Neurodivergenz gibt, hat mir Mark Benecke genauer erklärt."

[0:15:41]: Mark Benecke:

Es gibt viele Überschneidungen. Es gibt nicht 'den Autisten' oder 'die Autistin'. Zum Beispiel kann jederzeit eine posttraumatische Belastungsstörung dazukommen, weil Autist*innen in ihrer Kindheit häufig von Umweltreizen genervt werden.

[0:16:29]: "Ich habe bewusst nach den Problemen von Autistinnen gefragt und nicht danach, was Autistinnen sind. Das habe ich auch die Partnerin von Mark Benecke gefragt, und sie hat ähnliche Schwierigkeiten wie ich, das zu erklären."

[0:16:44]: Ines Benecke:

"Ich finde es schwierig zu erklären, weil man Autismus immer im Vergleich zu Neurotypischen erklären muss. Und dafür muss ich mich als Autistin in eine neurotypische Sicht hineinversetzen, um den Unterschied zu erkennen. Für mich ist mein Verhalten ja normal – neurotypische Menschen finden mich komisch, nicht umgekehrt." 

[0:17:40]: Mark Benecke:

"Grundsätzlich ist Autismus eine andere Verdrahtung im Gehirn, als ob die „Drähte“ die Nerven wären. Zum Beispiel nehmen Autist:innen Reize oft viel stärker wahr. Es ist jedoch bisher nicht genau geklärt, ob die Reize wirklich intensiver ankommen oder ob bestimmte Filter nicht so funktionieren, dass die Sortierung, also das Gewicht, das einem Reiz gegeben wird, eingeschränkt ist. Es ist also nicht sicher, ob ein Geräusch tatsächlich lauter wahrgenommen wird oder ob einfach die Möglichkeit fehlt, sich davon abzulenken. Bei mir wäre das zum Beispiel das Ticken einer Uhr."

[0:42:56]: Mark Benecke:

"Es gibt allerdings auch Therapien, die ganz andere Ansätze verfolgen. Deswegen muss man da stark unterscheiden. Ines meint hier die gängigsten Angebote – dabei handelt es sich um spezielle Verhaltenssysteme, die auf Englisch bezeichnet werden, mit Lernmethoden und Verhaltenstherapien, die aber nichts mit herkömmlichen psychologischen Verhaltenstherapien zu tun haben, sondern speziell auf Autismus bezogen sind. Für Autisten und Autistinnen werden diese Methoden jedoch oft als eine Art Folter empfunden, bei der sie sich stundenlang an Reize gewöhnen sollen, an die sie sich nicht gewöhnen können."

[0:44:27]: Mark Benecke

"Aber das ist bei Autistinnen messbar. Es sind keine „Flausen“ , sondern neurologisch belegte Reaktionen, die man im Gehirnscans sehen kann: Bei bestimmten Reizen leuchten die Bereiche für Angst, Ekel oder Vermeidung auf."

[0:44:45]: Host Laura:

"Ines und Mark haben als Beispiel für solche Abneigungen Knoblauchgurken genommen. Wenn ein Autist oder eine Autistin Knoblauchgurken eklig findet, ist das absolut nachvollziehbar."

[0:44:56]: Mark Benecke:

"Das ist eigentlich gar nicht abwegig, aber ein autistisches Kind soll sich dann doch bitte an diese „blöden“ Knoblauchgurken gewöhnen."

[0:45:06]: Mark Benecke:

"Wer würde denn beim Abendessen sagen: „Damit du dich daran gewöhnst, gibt es heute nur Knoblauchgurken?“ Das würde doch niemand machen."

Mark Benecke:

"Das Verrückte an dieser Art von Therapie ist, dass nicht das echte soziale Verhalten gefördert wird, sondern nur eine angepasste, oft „verlogene“ soziale Anpassung."

[0:48:59]:

"Autisten erleben oft Traumatisierungen wie Mobbing und Ausgrenzung. Vielleicht wäre es besser, eine Therapie zu entwickeln, die darauf Rücksicht nimmt, statt auf Anpassung zu setzen." 

[0:49:21]:

"Gefühlt müsste man eher die Gesellschaft therapieren, damit sie lernt, mit Autist:innen umzugehen."

"Auch gegenseitiges Verständnis wäre hilfreich. Es geht darum, das Selbstwertgefühl von Autistinnen zu stärken und ihre Stärken zu erkennen."

[0:51:15]:

"Autismus ist offiziell eine Behinderung. Innerhalb der Betroffenen gibt es jedoch auch Stimmen, die Autismus als eine Art Superkraft sehen."

[0:51:45]: Mark Benecke: 

"Es ist auch eine Superkraft. Das meine ich wirklich. Auch wenn ich das jetzt ein bisschen lustig sage."

[0:52:07]:

"Man sagt, „kennst du einen Autisten, kennst du einen Autisten“ , und das zeigt auch die Vielfalt der Community."

[0:52:21]: Beccs

"Ich sehe Autismus nicht als Superkraft, sondern eher als Behinderung, wenn auch in einer idealen Gesellschaft."

[0:52:33]: Host Laura:

"Ich sehe sowohl Vorteile als auch Nachteile durch den Autismus. Letztlich wiegt es sich für mich aus."

[0:53:11]: Co-Host Katharina:

"Das Wort „Behinderung“ bedeutet ja, dass man an etwas gehindert wird, und das trifft in einigen Bereichen zu."

 [0:53:56]:

"In manchen Bereichen können Autist*innen jedoch glänzen."

[0:54:02]: Mark Benecke:

"Viele erfolgreiche Code-Knacker sind natürlich Autist:innen."

[0:54:14]: Host Laura:

"Wenn man keine wissenschaftliche Karriere anstrebt, kann eine Diagnose aber hilfreich sein, z. B. für Nachteilsausgleiche oder einen besonderen Kündigungsschutz."

[0:54:41]:

"Es kann auch ein Vorteil sein, Autist:in zu sein. Es gibt Fähigkeiten, die andere nicht haben. Es hängt von deinem Lebensumfeld ab, ob Autismus ein Vorteil oder Nachteil ist."

Informationsblatt „Hochsensibilität“

SAG7 – Themabezogene Selbsthilfe- u. Patientenorganisation, www.sag7.com

Hochsensibilität – Informationsblatt für HSP 22.02.2022

Sehr geehrte Damen und Herren!

Da ich eine hochsensible Person bin, möchte ich Ihnen folgende Information als Grundlage für eine gelungene Kommunikation überreichen:

Die grundlegende Forschungstätigkeit zu diesem Konstrukt stammt von Aron und Aron (1997), die die Begriffe „Highly Sensitive Person“ (kurz HSP) und das dem zugrundeliegende Temperaments-merkmal „Sensory-Processing-Sensitivity“ (kurz SPS) prägten. Etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung sind demnach sensibler als der Durchschnitt. Hochsensibilität zeigt sich bei Personen durch gehemmtes Verhalten insbesondere in neuartigen Situationen, eine offenere und subtilere Wahrnehmung, die in reizintensiven Situationen leicht zu Übererregung führen kann, eine intensivere zentralnervöse Verarbeitung von inneren und äußeren Reizen sowie damit einhergehende stärkere emotionale Reaktionen. Das bedeutet, dass hochsensible Menschen leicht überwältigt sind von starken Sinneseindrücken, wie z.B. hellem Licht, starken Gerüchen und Lärm. In neuartigen Situationen sind sie nervöser als andere Menschen. Stress führt schnell zu erhöhter Reizbarkeit und Unruhe.

Hochsensibilität hat hingegen auch positive Aspekte: Hochsensible Personen verfügen über ein vielfältiges Innenleben, eine subtile Wahrnehmung für unterschwellige Reize und können auch angenehme Gefühle intensiver erleben. Außerdem sind sie häufig sehr gewissenhaft, ordentlich und stets bemüht, keine Fehler sowie die an sie gestellten Aufgaben richtig zu machen.

Hochsensible Personen berichten oft von Überempfindlichkeit gegenüber Schmerzen und stärkeren oder paradoxen Reaktionen auf Medikation. Darüber hinaus leiden sie oft stärker unter Allergien, chronischen Erkrankungen und psychosomatischen Symptomen.

Des Weiteren äußern sie starke Reaktionen auf Koffein oder bei Hungergefühlen (Konzentrationsschwäche, Verschlechterung der Stimmung, Gereiztheit). Erste Studien liefern Hinweise, dass es eine genetische Disposition für Hochsensibilität gibt. Es konnte auch nachgewiesen werden, dass hochsensible Personen, die eine ungünstige elterliche Umwelt in ihrer Kindheit angegeben haben, im Vergleich zu nicht Hochsensiblen anfälliger sind für Angststörungen, Depressionen, Suchterkrankungen sowie psychische, seelische und somatoforme Störungen, die gegebenenfalls gesondert zu behandeln sind.

Zusammenfassend bitte ich Sie, in Bezug auf meine Hochsensibilität achtsam zu sein, und diese bei der medizinischen Diagnostik und Behandlung wertschätzend zu berücksichtigen.

Mit freundlichen Grüßen

Anonyme Hochsensible

in Zusammenarbeit mit ihrem wissenschaftlichen Beirat

Mag.a Dr.in Christina Blach * Prim. Assoc. Prof. PD. Dr. Martin Aigner * Dr. Michael Jack * Dr. Mark Benecke

WEITERFÜHRENDE INFOS: HSPERSON.COM, HOCHSENSIBEL.ORG, SAG7.COM

Quellen:

Aron, E. N. & Aron, A. (1997). Sensory-processing sensitivity and its relation to introversion and motionality. Journal of Personality and Social Psychology, 73, 345-368.

Aron, E. N. Aron, A. & Davies, K. M. (2005). Adult Shyness: The Interaction of Temperamental Sensitivity and an Adverse Childhood Environment. Personality and Social Psychology Bulletin, 31, 181-197.

Aron, E., Aron. A. & Jagiellowicz, J. (2012). Sensory processing sensitivity: a review in the light of the evolution of biological responsivity. Personality and Social Psychology Review, 16, 262-282.


Exklusion macht keinen Sinn

Bundesministerium für Bildung und Forschung


Autismuswoche

Chemnitz | 2023


Diagnose von Barrieren für autistische Schüler:innen in inklusiven Schulen

Forschungsprojekt


Welt-Autismus-Tag

Humboldt-Gymnasium Berlin


Autistisch verdrahtet

Interview | Draussenseiter