Quelle: Spontis, 10. Juli 2025
Von Gruftlord
Bei einem kleinen Pläuschchen mit Dr. Mark Benecke beim WGT ergab sich die Idee, doch gleich mal ein ganzes Interview mit dem Menschen zu führen, der in Funk und Fernsehen gern als „Herr der Maden“ bezeichnet wird. Da Mark auch aus der Schwarzen Szene schon lange nicht mehr wegzudenken ist, hat der Gruftlord die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, um für Euch ein paar persönliche Fragen an den Kriminalbiologen, Forensiker, Autoren, Kolumnisten, Politiker (Die PARTEI) und Schauspieler zu stellen.
Hallo Mark, vielen Dank, dass Du Dich zu einem Interview mit spontis.de bereit erklärt hast. Wenn man nur ein bisschen nach Deiner Person im Internet schaut, findet man unglaublich viele Beiträge zu den unterschiedlichsten Themen. Welche Themen liegen Dir besonders am Herzen?
Wie bei der Fall-Arbeit: Immer das, was gerade anliegt. Ich lebe und arbeite im jeweiligen Moment.
Du tauchst schon seit Jahren in der Schwarzen Szene auf und hast gleich mehrere, extrem gut besuchte Veranstaltungen auf dem WGT 2025 gegeben. Wie bist Du eigentlich selbst zur Gothic-Szene gekommen, oder ist die Szene auf Dich zugekommen?
Es sind schon mehrere Jahrzehnte, argh! Auf dem WGT bin ich der Mensch, der die meisten Auftritte insgesamt hatte. Zur Szene gekommen bin ich durch einen winzigen Club mit Gothic-Geschäft daneben im Kölner Studierenden-Viertel. Da konnte ich an der Theke lesen, das fand niemand komisch — oder zumindest hat nie jemand was gesagt. Auf der Tanzfläche tanzten damals noch fast alle drei Schritte vor und drei zurück (kein Scherz).
Im Werk 2 in Leipzig, das damals noch zum WGT gehörte, bin ich erstmal vor ganz ungefähr zwanzig Jahren aufgetreten (grobe Schätzung, ich bitte um Berichtigung, wenn die Leserinnen und Leser noch Fotos oder Programm-Hefte haben sollten). Das war die Idee von Steff vom Astan-Magazin und der großartigen Satanka, die fanden, dass kriminalistische Vorträge dorthin gehören. Meine Schwester hat auch schon früh gruftige Dinge getan und mich dazu — ohne es zu wollen — angeregt.
Manche Bands fanden es auch gut, mit mir was gemeinsam zu machen. Mit Agonoize habe ich vor sehr langer Zeit in München mal während deren Auftritt auf der Bühne eine „Leiche“ seziert, mit der Patenbrigade habe ich eine ganze Platte gemacht (Baustellen-Unfälle) und war vor kurzem beim WGT ihr Keyboarder (normalerweise bin ich nur der Brigade-Arzt, mit echtem Ausweis), mit Sara Noxx habe ich abgefahrene Lieder und Videos gemacht und die neue Platte mit Bianca Stücker, mit der ich regelmäßig sehr schnaft musiziere (unser Auftritt auf dem Amphi Festival in Köln bleibt zumindest uns unvergessen), kommt auch bald raus. Mit Blutengel durfte ich mal als Fackel-Träger auf dem M’era Luna auf der Bühne stehen. Auch Noisuf-X, Massiv in Mensch und viele andere haben mit mir schon für mich sehr aufregende und coole Dinger gedreht.
Für den oder die Orkus! und Sonic Seducer habe ich auch Jahre lang die reich bebilderten WGT-Tagebücher gemacht. Ist alles gratis und werbefrei im Netz zu finden.
Ich mach‘ also vorwiegend mit, wenn jemand Lust und Spaß hat.
Würdest Du Dich selbst als Grufti oder Gothic bezeichnen?
Heutzutage ‚Gothic‘. Der Grufti-Begriff ist aus der Mode, wie ich finde, weil auch manche alten Menschen das für sich als humorvolle Beschreibung für „ich bin alt“ anwenden. Daher ‚Goth‘ oder ‚Gothic‘.
Was fasziniert Dich persönlich an der Schwarzen Szene?
Es gibt keine Gespräche darüber, ob irgendwer komisch oder seltsam ist.
Gibt es Erlebnisse, die Dir besonders wertvoll ist?
Die gesamte Stimmung: Politik im eigentlichen Sinn — also Parteien, Führer:innen, das große Ganze, „die da draußen“ — spielen keine Rolle, sondern das gemeinsame Erleben von was auch immer gerade stattfindet. Es ist auch die einzige Umgebung, die ich kenne, an dem Menschen sehr verschiedene Meinungen haben und trotzdem zusammen Kirsch-Met trinken.
Ich finde es erstaunlich, wie vielfältig die Schwarze-Szene ist. Welche Bereiche interessieren Dich besonders?
Was auch immer gerade angeboten wird. Schau ich mir erstmal an und dann passt’s oder nicht. Mir ist es erstmal egal, ob’s Aggrotech oder Witchhouse ist, ob Flöten oder Korsetts angeboten werden — erst mal stöbern und ausprobieren.
Hast Du das Gefühl, dass sich die Szene im Laufe der Jahre verändert hat? Was ist Deiner Meinung nach besser und was ist schlechter geworden? Gibt es Dinge, die Du vermisst?
Es ist ein langsam fließendes Gewässer. Es gibt viel mehr neue Bands, als die älteren Besucher:innen von Festivals manchmal glauben. Vieles bleibt gleich, aber wenn dann einer von And One hingeht und in einer Kirche auf der Orgel Polka spielt und die versammelten Gothics dazu Ringelreihen tanzen (ich war dabei…Video ist bei mir online), dann zeigt sich schon daran, dass eigentlich immer was Verrücktes passiert. Schaut mal in meine WGT-Tagebücher.
Du bist viel auf Reisen. Wie erlebst Du die Schwarze Szene in anderen Ländern?
Ist eher mau. Es soll in Mexiko ja Einiges los sein, das weiß ich aber nicht aus eigener Anschauung. In den Vereinigten Staaten habe ich hin und wieder Gothic-Läden gesehen, teils sehr opulent, teils auch winzige Themen-Bars wie in Alphabet City in New York oder New Orleans. Aber eine Szene wie in Deutschland gibt es sonst nirgendwo. Kein Wunder, dass sie die internationalen Gäste schon seit langem in Leipzig zum WGT treffen, das ist eine recht unbekannte, aber große Community (googelt mal „Sadgoth Benecke WGT 2025)“.
Du hast erzählt, dass Du gerne Comics liest und auch eine beachtliche Sammlung Dein Eigen nennst. Wie viele Comics besitzt Du? Und welche Genres bevorzugst Du?
Derzeit vorwiegend Mangas. Ich habe fast alles verschenkt, an die Nationalbibliothek in Berlin, an die Stadtbibliothek in Köln und soeben an die Gäste beim Comic-Festival in München am U-Comix-Stand, wo ich signiert habe. Vieles mache ich „dauerhafter“, so hat mir beispielsweise der Zeichner von Watchmen, Dave Gibbons, soeben die Hand signiert (wird tätowiert) und Denis Kitchen eine tolle Zeichnung in eine Neu-Auflage seiner Biografie angefertigt. Soeben habe ich einen Stapel Comics der echt tollen Olivia Vieweg gekauft. Marie Sann hat meine Frau Ines und mich gezeichnet, Timo Wuerz liefert eine fantastische Arbeit nach der andren ab. Kurz gesagt: Es soll alles in Bewegung bleiben.
Was ist Dein Lieblingscomic, oder Comicreihe?
Durch die Verfilmungen ist ja V wie Vendetta und Watchman auf eine neue Stufe gehoben worden. Carl Barks ist eh der Härteste. Daher will ich lieber mal auf einige sehr gute Mehrbänder verweisen: BLAST, ein jenseits allem, was ich kenne, stehender Bericht über einen erfundenen, ganz seltsamen, sehr interessant dargestellten Täter und „seine“ Ermittler. Dann Blood on the Tracks, ganz klebrig und finster, es wird einfach nicht besser. Die Neu-Auflage von Dragon Head, den ich vorher gar nicht kannte, auch absolut finster und ohne Aussicht auf etwas Gutes. Sowie die großartige Vampir-Liebesgeschichte Vampeerz. Derzeit lese ich gerade Magilumiere: Die Magic Girls (einstmals Sailor Moon) sind mittlerweile ein Gewerbe geworben und es entstehen daraus spannende, harmlose (okay, nicht für die Geister und Monster) Ereignisse. Bis dieses Interview erscheint, kann es aber auch schon wieder was ganz anderes sein.
Wissenschaftliche Vorträge gelten ja normalerweise nicht als besonders hip. Dir gelingt es aber mit eben solchen Veranstaltungen ganze Hallen zu füllen. Wie erklärst Du Dir dieses riesige Interesse?
Ich nehme die Zuhörer:innen ernst, nicht mich. Außerdem verwende ich keine Fremdworte.
Gibt es neue Projekte an denen Du gerade arbeitest?
Klar, schaut gerne mal auf meine Websites. Ist recht breit gefächert, ich will nichts hervorheben, jede:r mag was anderes.
Wie war es für Dich das erste Mal in Kontakt mit einer menschlichen Leiche zu kommen? Ich stelle mir vor, dass das eine ganz schön große Überwindung kostet?
Sie lag einfach da. Da es keinem seltsam vorkam — das war 1992 im Institut für Rechtsmedizin der Universität zu Köln —, gab’s auch keine Aufregung. Hat sich bis heute nicht geändert.
Gab es Situationen in Deinem Beruf, die Dich emotional an Grenzen gebracht haben?
Es ist schade, dass die Angehörigen keine Anlaufstellen haben, wo ihnen in Ruhe erklärt wird, was wann warum untersucht wurde und was wann warum nicht.
Ein weiteres Thema, über das Du in Vorträgen sprichst, ist der menschgemachte Klimawandel. Ein Thema, was viele Menschen gerne verdrängen. Was meinst Du, kann Dein Engagement verändern?
Die Handlungen der Zuhörenden.
Hast Du Ideen, was jeder Einzelne machen kann um einerseits nicht in der Erstarrung zu landen und andererseits zum Umweltschutz beizutragen?
Pflanzliche Ernährung, Kleidung seeeeehr lange verwenden, Parteien wählen, die sich für Umweltschutz messbar einsetzen. ÖPNV und Fahrrad nutzen, handeln statt rumlabern.
In einem Film über den Fleischkonsum oder Konsum von anderen tierischen Produkten wurde die Behauptung aufgestellt, dass der Klimawandel alleine dadurch aufzuhalten wäre, wenn die Menschen weniger oder besser noch gar kein Fleisch essen würden. Wie stehst Du zu dieser Aussage?
Den Film und die Aussage kenne ich nicht. Der Land- und Wasserverbrauch durch die „Herstellung von Tier-Produkten“ ist abenteuerlich hoch. Ich habe keine Ahnung, warum irgendwer tot gefolterte Tiere und deren „Produkte“ verwendet, mit oder ohne Klima-Wirkung.
Gibt es noch etwas, dass Dir wichtig ist und Du unseren Lesern mitteilen möchtest?
Macht, was ihr wollt. Aber hinterher nicht rumheulen.
Vielen Dank für das Interview! Ich wünsche Dir und Deinen Lieben viel Glück und Erfolg auf Euren Wegen.
Danke für Deine Fragen.