Facharbeit: Ein Vergleich von Körperflüssigkeiten und -geweben mit entomologischen Untersuchungsmaterialien in der chemisch-toxikologischen Analyse

Facharbeit von Margarethe Ellke (klick für das .pdf)

Gymnasium Luisenstift Radebeul
Klasse: 10/1 
Betreuender Lehrer: Herr Reichel 
Fach: Biologie 
Abgabetermin: 03.03.2025 

Interview mit Dr. Mark Benecke

M. Ellke: Ich habe ein paar allgemeine Fragen und auch ein paar, die spezifisch zu meiner Facharbeit sind. Ein Entomologe wird ja jetzt nicht zu jedem Tatort gerufen, denn es gibt ja auch nur ganz wenige in Deutschland. Wann ist denn so ein spezifischer Fall, wo ein Ento-mologe gerufen wird? 

Dr. Benecke: Ein Entomologe wird gerufen, wenn die Polizei oder die Staatsanwaltschaft das gerade für gut hält. Das kann sein, weil die dich kennen und halt wissen, dass das eine Technik ist, die verfügbar ist. Oder weil sie es grade cool finden und mal sehen wollen, ob es was nützt. Also mehr so als Test. Oder weil gerade z. B. im Landeskriminalamt eine solche Abteilung eingerichtet werden soll und da wollen die sich das mal angucken. Einfach, um zu schauen, wie das funktioniert. Oder weil es in den USA gemacht wird z. B, wenn die eine Seite jemanden hat, der das macht und dann will die andere Seite das selber auch machen, um ein Gegengutachten zu haben. Das gibt es in Deutschland ja nicht. Also, das kann viele Gründe haben. Oder weil die Zusammenarbeit sowieso schon vorher besteht, bspw. weil in der Rechtsmedizin einer dabei war, der die ganze Zeit die Insekten eingesammelt hat, dann kennen die sich schon und dann sagen die, ach, wenn du jetzt eh da bist, dann sammele die schnell ein und vielleicht, wenn wir das Gutachten brauchen, kannst du dann später ein Gut-achten machen. Da gibt es ganz viele Möglichkeiten. 

Man tötet dann manche dieser Insekten ab und manche zieht man weiter auf, um die Art zu erkennen. Kann man die Abgetöteten dann zusammenmixen, wenn man sie auf eine toxische Substanz untersuchen will oder untersucht man jede einzelne Art? 

Das Auszüchten brauchst du eigentlich heute nicht mehr machen. Wenn du ein Naturkundemuseum in der Nähe oder selber die Primer dafür hast, um die PCR zu machen, dann kann man das heutzutagee auch genetisch bestimmen. Also ich mach das noch gerne, mir die erwachsenen Tiere anzugucken, weil ich das noch gut kann. Meine Mitarbeiterin auch. Aber ehrlich gesagt, wenn du das jetzt machen wölltest, könntest du das auch genetisch machen. Die Datenbanken sind mittlerweile auch gut. Früher waren in den Datenbanken auch falsch bestimmte Tiere eingespeist. Heute sind die aber richtig bestimmt, da geht das alles. Ich würde auch nie was zusammenschmeißen, nie. Ich würde grundsätzlich, wenn du was getrennt gesammelt hast, es auch getrennt lassen. Sobald du was zusammenschmeißt, verlierst du Informationen. Wo das gesammelt wurde, oben, unten, an den Füßen, hinten, innen, klebend oder krabbelnd, unten am Baum, wo die Leiche hing, in der Hose, in welcher Schicht von den Klamotten, in der Tasche, z. B. bei Schnecken wichtig, nicht bei Insekten. Also, ich würde immer alles getrennt lassen. 

Ich habe die Frage, ob man vorher vielleicht auch schon an dem Verhalten der Insekten sehen könnte, ob die tote Person sich vielleicht vergiftet hat? 

Gute Frage! Aber nein, so hohe Konzentrationen erreichst du normalerweise nicht. Bei Kokain ist es ja z. B. so, da wachsen die Insekten dann verschieden schnell. Da ändert sich die Wachstumsge-schwindigkeit, was man aber natürlich nicht sieht, wenn man da einfach so draufguckt am Fundort. Also, ich denke nein. Höchstens, wenn jetzt jemand irgendwas drübergekippt hat über die Leiche oder sie in irgendwas reingelegt hat, z. B. in eine Tonne mit irgendwelchen Chemikalien, dann schon. Nehmen wir jetzt z. B. mal Insek-tengift. Das ist jetzt zwar total abwegig.

Aber mal angenommen, du hättest jetzt ein super-krasses Insektengift und die Leiche würde in einem Sack gelagert, der durchlässig ist, Kar-toffelsack oder Baumwolle. Und da wären jetzt Bettwanzen drin, die jetzt zufällig da dran sind und dir nur sagen, der Sack lag jetzt in der Nähe von Insektengift, denn dann gehen die Wanzen so ganz komisch, wie auf Stelzen. Die machen dann ihre Beine so ganz grade und dann gehe die auf so langen Beinen, wie sie halt normalerweise überhaupt nicht gehen. So-was würdest du dann sofort sehen. Und das wäre dann ein Insektengift, also auch ein Wanzengift.

Ich erfinde jetzt mal: in einem Hochhaus würdest du den Sack unten im Müllschluckerbereich finden und da würdest du die Wanzen rumstelzen sehen. Jetzt benutzen die da unten aber kein Insektengift, weil die höchstens ein Rattenproblem haben. Aber aus der Wohnung, aus der der Sack kam, hat jemand so was benutzt. Also in solchen Fällen, könnte man das schon mal sehen. Aber Schwermetalle oder normale Medikamente, die wirken jetzt nicht so stark auf die Insekten, dass du denen das sofort ansiehst. Und wenn sie tot sind, die Insekten, weißt du ja nicht, woran sie gestorben sind. Sie könnten ja auch einfach daran gestorben sein, weil jemand den Plastiksack zugezogen hat und alle erstickt sind.

Ja, verständlich. Wenn man die Insekten auf Drogen untersucht, gibt es ja verschiedene Analysemethoden, denen man die Insekten unterziehen kann. Welche wäre die beste Methode? 

Das kannst du frei entscheiden. Wenn du ein Naturmassenabsorptionsspektro-meter hast, würde ich das nehmen. Was es halt nicht immer gibt, ist HPLC und GC-MS. Also Gaschromatographie mit Massenspektrometrie. Das ist so was ähnliches wie ein Naturmassenabsorptionsspektrometer, aber das ist dann da zusammengefasst. Es hängt eigentlich von der Substanz ab. In der kriminalistischen Chemie benutzt man sehr gerne HPLC. Aber es gibt auch andere Verfahren. Also, wir waren mal in einem Labor, das geheime Labor vom Zoll, die haben da die abgefahrensten Geräte stehen gehabt. Wirklich. Das hängt auch ein bisschen davon ab, in welche Richtung du gehen willst. Gifte in Insekten… da werden die Gifte ja wahrscheinlich auch in ziemlich großer Menge vorliegen. Z. B. Haare fressen ja Insekten nicht, da würden sich jetzt Schwermetalle ablagern. Da würdest du kleine Mengen finden. Aber das, was jetzt tatsächlich in die Insekten übergeht, also was du bei einer ver-faulten Leiche in Insekten findest, müsste schon ziemlich hoch konzentriert sein. Da brauchst du jetzt nicht so was ultrafeines. Die Geräte sind heute alle super, ultrafein, aber da brauchst du nicht so was ganz Spezielles. Ich denke, mit solchen Sachen, wie gerade genannt, kommst du auf jeden Fall klar. 

Also kann man z. B. eine Gaschromatographie mit Massenspektrometrie machen? 

Ja, genau. GC-MS. Das steht in jedem Institut für Rechtsmedizin, wenn die eine giftkundliche Abteilung haben. Aber, wie gesagt, HPLC kann auch ganz gut sein. Es hängt wirklich davon ab, welche Menge das ist und welche Stoffgruppe. 

Hängt dann auch die Probenvorbereitung von dem Material ab? Oder von der Methode, die man dann anwendet? 

Nun, ich bin Biologe. Eine Chemikerin oder ein Chemiker wird das jetzt vielleicht anders beantworten. Aber ich würde sagen, ob das jetzt menschliches Material ist oder Insektenmaterial, das spielt nicht so eine große Rolle, denk ich mal. Du könntest jetzt aber einen Spezialfall haben, z. B. ausgetrocknete Puppen in einem archäologischen Umfeld. Wir hatten ja schon 1600 Jahre alte Käferflügel oder so. Da würdest du sicher ganz genau überlegen, welche Vorbereitungsreaktion du machst. Denn da kann es natürlich sein, dass ganz bestimmte Stoffe dann gar nicht mehr nachgewiesen werden können, andere können aber nachgewiesen werden. Da würde man sich dann zusammensetzen. Nehmen wir an, das wäre jetzt ein Kriminalfall, dann würde sich am besten eine Rechtsmedizinerin/ein Rechtsmedi-ziner, eine Chemikerin/ein Chemiker und eine Biologin/ein Biologe zusammensetzen und man würde anfangen zu überlegen. Ich als Biologe würde überlegen, was frisst das Tier überhaupt. Dann wird der Chemiker/die Chemikerin sagen, naja, wenn sich das im Fettgewebe des Insekts ablagert oder im Insektenflügel, wo überhaupt kein Fettgewebe ist, hat das dann bestimmte chemische Eigenschaften. Und der Rechtsmediziner/die Rechtsmedizinerin wird sagen, vor Gericht werden wir aber nach dem oder dem gefragt. … Das wird man zu dritt besprechen. 

Ich versuche ja in meiner Facharbeit, die Aussagekraft der körpereigenen Stoffe und der Insekten in der toxikologischen Analyse zu vergleichen. Ich habe schon herausgefunden, dass sich natürlich körpereigene Stoffe besser eignen, als die Insekten. Auch weil die ja nicht zum Körper gehören. Aber könnte man da durch Forschung noch mehr erreichen oder eher nicht? 

Nehmen wir mal an, du hättest jetzt ein Labor, wo du genau das vergleichen würdest. Dann wäre natürlich die Frage, reichert sich das in Insekten an oder ist das Gegenteil der Fall? Das haben wir auch schon mal gemacht. Da könntest du verschiedene Organe nehmen, z. B. Lebern, wo du dann bei manchen Stoffen viel drin hast oder Abbauprodukte von der Droge und dann ist die Frage a) verstoffwechselt das Insekt das, b) reichert es sich im Insekt überhaupt an oder nicht, c) rutscht das durch das Insekt durch, sodass a) und b) überhaupt gar keine Rolle mehr spielen. Und das könntest du dann für verschiedene Stoffgruppen erforschen und für verschiedene Insekten. Auf jeden Fall! Das ist schon sinnvoll

Wird eigentlich immer – egal bei welchem Material – wenn man auf eine oder mehrere toxische Substanzen untersucht, eine „general unknown Analysis“ durchgeführt oder kann man schon, wenn man einen spezifischen Verdacht hat, gleich zur GC-MS übergehen? 

Beides stimmt. Weder ja noch nein, sondern das ist so ein Zwischending. Du kannst natürlich, z. B. wenn du jetzt Schnelltests machst, den Schnelltest nur auf Opiat, nur Cannabioide, nur Sperma oder was auch immer machen. Das ist klar, das ist die Natur des Schnelltests. Das sind so Equalizer meistens, die funktionieren so ähnlich wie Coronatests oder Schwangerschaftstests. Dann hast du halt eine Farbanzeige oder eben nicht auf diesem Strich, mit Kontrolle und mit Positivbalken, wenn’s geht. Also negativ, positiv usw. Aber wenn du eine bestimmte Stoffgruppe im Auge hast, kann sich das schon über die von dir bereits angesprochene Probenvorbereitung auswirken. Das macht einen großen Unterschied. Da kann es passieren, dass du gar nicht die anderen Stoffe siehst. Aber wenn du jetzt so eine durchschnittliche HPLC mal machst oder GC-MS, mit der Gewinnungstechnik, die du angewendet hast, um den Stoff da herauszulösen, siehst du mehr. Natürlich kannst du bestimmte Voreinstellungen machen, um z. B. was anzureichern. Wenn du jetzt einen bestimmten Verdacht hast, kannst du natürlich sagen, es ist nicht schlimm, wenn ich ganz viel verliere, ich will ja nur nach der einen Sache gucken. Als Biologe würde ich natürlich gern breit gucken.

Als Biologe würde ich sagen, wenn du genug Probenmaterial hast, lass uns erst einmal ein Zehntel von dem gewonnenen, also von dem, was wir aus der Probe genommen haben, nehmen und in dem Zehntel gucken wir erst einmal, was drin ist. Wenn jetzt aber der Chemiker oder die Chemikerin sagt, nein, dann handelst du dir ein mörderisches Hintergrundrauschen ein, da sehen wir nicht vernünftig was… und dann könnten auch die Kollegen aus der Rechtsmedizin sagen, uns interessiert rechtlich oder gerichtlich oder medizinisch eh nur die oder die Stoffgruppe. Da sind wir halt alle völlig verschieden. Ich würde jedenfalls alles dafür tun, dass man möglichst die Breite sieht, die aber dann verrauschen kann, wenn du Pech hast. Der Chemiker/die Chemikerin wird dagegen sehr viel Wert auf die Probenvor-bereitung legen, weil die sagen, das ist hier so wenig Material, das ist uns zu gefährlich, da verlieren wir vielleicht viel, wenn wir einen Fehler machen. Oder wenn das jetzt von der Staatsanwaltschaft käme, da könnte es sein, dass die sagen, passen Sie auf, für diesen spezi-ellen Einzelfall interessieren uns jetzt meinetwegen nur Opiate. Der Rest ist uns absolut egal. Und selbst wenn Sie was anderes finden würden, wäre es uns immer noch egal. Ein Beispiel wäre Fentanyl. Wenn die den Verdacht haben, dass jemand mit Fentanyl getötet wurde, dann sagt die Staatsanwaltschaft, wenn Sie ganz sicher Betäubungsmittel, ohne dass wir von un-serer eigentlichen Frage nach Fentanyl abweichen, mit nachweisen können, alles klar. Oder wenn die chemisch ähnlich genug sind. Aber wenn auch nur der Hauch einer Chance besteht, dass wir jetzt hier Material verlieren und die ganze Frage nicht mehr prüfen können, die rechtlich für uns für die Anklage wichtig ist, dann lassen Sie es, dann gucken Sie nur nach Fentanyl und der Rest ist uns egal. 

Wird vom Gericht ein Kostenaufwand festgelegt bei der Untersuchung oder ist der frei? 

Das ist nicht so. Wenn Du öffentlich bestellt und vereidigt bist, so wie ich, also ein freier Sachverständiger, da wird auf jeden Fall ein Kostenrahmen festgelegt. Der ergibt sich entweder aus dem Gesetz, weil ich nach gesetzlichen Honorarvorgaben arbeite. Es ist aber so, dass die Kripoleute schon ein bisschen Erfahrung haben, gerade bei Brandbeschleunigern zum Beispiel, da wissen die schon, was das kosten darf und was nicht. Das Gericht kann Aufträge erteilen, aber auch Privatleute. Die werden natürlich irgendeine Kostendeckelung haben. Privatleute haben sowieso nie Geld.

Ich mach das ja jetzt seit 32 Jahren, da hat noch nie Einer Geld gehabt. Dann sagst du halt, wieviel haben Sie denn oder wieviel ist Ihnen das wert, innerhalb der Familie, wie wichtig ist die Information für Sie, ob das jetzt ein Suizid oder ein Unfall oder ein Tötungsdelikt war, ohne dass das rechtlich jetzt verhandelt wird. Und da kann alles passieren. Da kommen Leute, die sagen 10 €. Sowas gibt’s. Und dann sagt man, ja okay, das wird schwierig. Dann können wir nicht nach Gesetz abrechnen, weil dann dürfte ich nur 4 Minuten mit ihm reden. Das ist sinnentleert. Die Staatsanwaltschaft kann sehr nasty werden. Eine Staatsanwaltschaft hat mal gesagt, dieses Jahr haben wir Haushaltsperre. Für Sachen, die wir intern brauchen (also nicht für die Fälle), für Anschaffungen von Literatur usw., haben wir kein Geld und deshalb geben wir auch kein Geld für Sachverständige mehr aus. Einfach aus Trotz. Habe ich selbst persönlich erlebt. Oder es ist limitless. Also wenn jetzt irgendwelche reichen und schönen Leute sterben, dann gibt es natürlich kein Limit, dann ist das egal. Sowohl auf staatsanwaltlich, gerichtlicher Seite. Es kann aber auch passieren, dass die dann sagen, wissen Sie was, dann machen wir noch einen Privatauftrag, falls das erlaubt ist. Das ist immer alles Verhandlungssache, das merkst du schon. Aber sagen wir mal so… in der Praxis gibt es immer strengste Kostenrahmen, besonders bei den ganzen Wohnungsleichen. Also die ganzen Verfaulten aus Wohnungen, die einsam, traurig, psychisch krank oder so waren, da brauchst du jetzt nicht glauben, dass da ernsthaft Geld dafür ausgegeben wird. Das erzählen zwar alle, aber das stimmt überhaupt nicht. Da wird keine Giftkunde gemacht, obwohl das sehr interessant wäre. Aber es gibt praktisch Kostenrahmen und die können sehr, sehr tight sein. 

Wird dann auch auf die Zeitspanne geachtet, in der diese Analyse stattfindet? Wird auch ein zeitlicher Rahmen gesetzt? 

Kann sein, kann nicht sein. Also in New York haben die das so gemacht, weil einfach viel zu viele Fälle reinkamen. Das hätte einen backlog gegeben, also so einen Rückstau. Und der Rückstau wird ja logischerweise immer größer, das ist ja wie so eine Kurve in der Mathematik, die dann immer steiler wird.

Für genetische Fingerabdrücke in dem Fall hatten wir 2 Wochen. Die haben gesagt, nach 2 Wochen gebt ihr die Akte raus. Sonst bricht hier alles zusammen. Die Tox-Leute können jetzt sagen, 2 Wochen geht nicht, weil wir die Probenaufbereitung nicht schaffen. Oder wenn man Roboter hat, da möchte man erstmal viele Proben zusammenfassen, die ähnlich sind. Blutproben, Urinproben, Gewebeproben, wir haben aber nur 1 oder 2 Geräte. Dann dauert es halt 4 Wochen oder 8 Wochen oder ein halbes Jahr oder so. Das ist dann begrenzt. Bei freien Sachverständigen spielt das eine größere Rolle. Von uns gibt es ja so wenige. Ich bin bspw. der Einzige in ganz Deutschland, der überhaupt bestellt und öffentlich vereidigt für mein Fach ist. Es gibt aber auch andere Sachen, z. B. bei Immobiliensachen, was jetzt mit Giften nichts zu tun hat. Da kann es sein, dass der Sachverständige keine Zeit hat. Der sagt dann, ich habe in 1 Jahr wieder Zeit. Und dann sagt das Gericht, nee, dann nicht. Wir können uns das aus rechtlichen, verfahrensrechtlichen Gründen nicht gönnen, können nicht so lange warten. Also, das ist so ähnlich, wie mit den Kosten. Das wird in der Wirklichkeit verhandelt. Du kannst aber auch die Situation haben, dass das Innenministerium sagt oder das Justizministerium, das wird jetzt alles nur noch vom Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt (erfinde ich jetzt mal) gemacht. Die sagen dann, wir haben aber überhaupt kein Personal mehr, wir kriegen gar keinen Nachwuchs mehr, wir haben kein Geld, wir haben gar nichts. Sorry. Wir sind jetzt politisch verpflichtet, den Fall anzunehmen, das dauert dann halt so lange, wie es dauert. Das können auch 2 Jahre sein oder so.

Also es ist alles möglich. Es wurde auch mal überlegt, z. B. in Köln, dass man verstärkt externe Labore einbindet. Die hätten das dann teilweise mit einer Garantie gemacht, auch wenn sie Tag und Nacht arbeiten müssten, wie im Krankenhauslabor. Das ist dann halt so, es ist deren Problem, dass es dann innerhalb von – ich erfinde jetzt mal – 48 Stunden fertig ist mit dem Schnellgutachten, was aber schon verbindlich ist. Und dann das Endgutachten in einem Monat. Aber die Staatsanwaltschaft oder die Privatleute wissen aufgrund der Verbindlichkeit dann schon, dass das Vorab- oder Kurzgutachten gilt. Das wäre z. B. kein Problem. Da kann man auf das Hauptgutachten ruhig einen Monat warten. Oder zwei. Das wurde dann aber nie gemacht. In England haben sie es mal versucht mit einem „Forensic Science Service“. Da haben sie es komplett ausgelagert. Der ist aber auch eingegangen, weil diese Reibung zwischen dem, was politisch gefordert und erwünscht ist – für die Privatleute interessiert sich ja meistens keiner - und dem, was machbar ist, zu groß war. Dann hat man gesagt, dann machen das wieder unsere staatlichen Organisationen und dann dauert es halt so lange, wie es dauert. Obwohl der Forensic Science Service eigentlich - so ich nenn es mal - halbstaatlich war. Die hätten dann mit normalen DIN/ISO-Vorgaben arbeiten können. Die hätten sagen können, gucken Sie mal, wir wollen mit den ISO 9002 arbeiten, wir wollen alles dokumentieren, wir wollen alles ordentlich machen, jeder soll zu jedem Zeitpunkt wis-sen, wo, wer, wann was gesagt hat, wo die Probe ist, wer sie angefasst hat usw. Das System müssen wir dann aber auch bedienen und das kostet Zeit. Das hätten die schon problemlos sagen können. Aber dann sagt man, das wird uns alles zu viel und zu teuer, lassen Sie uns das lieber so machen, ohne chain of custody. Dann weiß man zwar nicht genau, wo, wann, was das ist. Wir glauben das dann einfach. Ja, wenn das im Tresor von der Polizei liegt oder im Tresor vom Institut für kriminalbiologische Untersuchungen auf der 7. Etage, dann glau-ben wir das einfach. Also das ist total von Raum und Zeit, Politik und Geld abhängig. 

Ist in den letzten Jahren die Fallquote gestiegen, bei denen Entomologen gerufen wurden? 

Nein. Das ist wirklich etwas ganz Spezielles. Manche gehen hin, manche Unis, um das sexy für die Bachelors zu machen. Und kleinere Unis, die gehen hin und sagen, wir haben aber auch Forensik mit Insekten auf Leichen. Und dann sagen die Studierenden, ja okay, da gehen wir hin. Z. B. in Huddersfield, das ist mitten in England, da habe ich das lange gemacht. Stell dir so eine ländliche… nein, das ist der falsche Begriff … abgelegene industrielle Region vor, wo aber jetzt keiner freiwillig hingehen würde zum Studieren. Da hatten die aber eine ganz gute chemische Abteilung wegen der industriellen Anbindung, um möglichst viele Chemiker und Chemikerinnen auszubilden. Und da bin ich dann immer mit meiner Mitarbeiterin hingefahren, einmal im Jahr oder so, und habe da so einen Kurs ge-macht. Das war hauptsächlich, um die Uni sexy zu machen für die Bachelorstudiengänge, nicht mal für Master. Da gehen viele mit Bachelor ab, die machen gar keinen Master. Das wäre so das eine Ende und das andere Ende wäre, dass die Uni hingeht und sagt, das wollen wir wegen der Forschung nach vorne bringen, weil wir hier die Verbundprojekte brauchen, wo viele mitmachen, also Biologie, Chemie, Medizin. Dann ist das natürlich ein Traum, das beste Projekt, was du machen kannst. Das muss die Uni aber wollen, denn du kriegst halt kein Geld dafür. Wenn du das bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder Forschungs-trägern, die dir Geld geben – sogenannte Drittmittel – beantragst, kriegen die einen Lachkrampf. Soll das jetzt ein Witz sein, wen interessiert das? Wir wollen was über schwarze Löcher hören oder über Krebsmedikamente, was wollen Sie denn mit Ihren Giften in Insekten von Leichen? Können Sie doch nebenher machen, das kostet doch nichts. Das habe ich schon erlebt, ist jetzt nicht erfunden. Und deswegen hängt es von der Einrichtung ab. Wenn du Glück hast, geht auch mal ein Innenministerium oder Justizministerium hin und sagt, ja, das finanzieren wir schon, beim Landeskriminalamt oder Bundeskriminalamt. Und dann ist aber das Endergebnis meistens, dass gesagt wird, ist das nicht ein Biologe oder eine Biologin? Da sollen die doch Erbgut machen, wenn wir jetzt schon eine Stelle haben. Oder wenn es eine Chemikerin oder ein Chemiker ist, heißt es, ist das nicht eine Chemikerin oder ein Chemiker? Können die nicht in die Abteilung für KO-Tropfen und date rape gehen? Da brauchen wir unbedingt Leute in der Abteilung. Und jetzt ist da gerade die Stelle bezahlt. Nee, das wird auf keinen Fall mehr! 

Macht dich das traurig? 

Es ist, wie es ist! 

Hättest du es gern, dass sich mehr Leute für die forensische Entomologie interessieren würden? 

Nein, das ist mir egal. Jeder soll machen, was er will und jede soll machen, was sie will. Das irgendwie zu wünschen oder zu hoffen oder traurig zu sein, das bringt nichts. Die Menschen machen, was sie wollen. Wirklich. Von der Firma, die Zoom betreibt, oder die den Rechner hergestellt hat, haben wir beide wahrscheinlich so gut wie null Ahnung. Und die machen halt ihr Ding, ohne die könnten wir jetzt nicht reden. Weiß der Teufel, was gut und schlecht und besser und schlechter für irgendwas ist. I don’t care! 

Ich wollte noch mal spezifischer auf die Gifte in Insekten eingehen bzw. auf die Analyse der Drogen, mit denen ich mich befasse. Bei den Extraktionsverfahren aus den Proben werden ja verschiedene Lösungsmittel verwendet. Weißt du, welche da verwendet werden oder wie spezifisch die verwendet werden? 

Das kann super spezifisch sein. Das kann ich dir aber im Moment nicht sagen, weil ich nicht weiß, auf welchem Stand die forensischen Toxikologinnen und Toxikologen jetzt gerade sind. Seit etwa 10 Jahren bin ich eher auf der Ergebnisseite. Wenn wir jetzt eine Konferenz haben, dann reden wir jetzt beispielsweise bei date rape, also KO-Tropfen, welche Stoffe das waren. Aber die Toxikologen sagen dann vielleicht noch, welche grundsätzliche Art der Analyse sie verwendet haben, aber diese Einzelheiten verraten sie nur auf den rein toxikologischen Meetings, weil das im Allgemeinen keinen interessiert. Da kann ich dir das leider nicht sagen. Das kriegst du aber sehr leicht raus, wenn dich das wirklich interessiert und du dich da reinfuchsen willst. Wobei… bei den Insekten weiß ich jetzt auch nicht, ob du da so leicht jemanden findest, der dir das ausführlich sagen kann. Wenn du die Extrak-tionsverfahren in so einem forensischen Labor sehen willst, ist das für eine Facharbeit viel zu weit. Aber wenn du das aus privaten Gründen mal wissen willst, kann ich dich gern an ein Labor/ eine Toxikologie vermitteln. Da kannst du mit denen mal reden. Auf Anhieb finde ich hier schon 2 Videos für Flüssigextraktion. Die schicke ich dir schon mal. Flüssigextraktion ist ja bei uns am bedeutsamsten. Man kann sagen, kristallografische Verfahren werden gar nicht angewandt, das ist zu aufwändig. Wenn du z. B. mit den Leuten im LKA, im toxikologischen Labor, sprichst, die werden extrem stark auf Feststoffuntersuchung gehen. Gegebenenfalls machen die auch Flüssigextraktionsverfahren, aber das hat dann mit forensischer Entomotoxikologie eigentlich gar nichts mehr zu tun. Deswegen könntest du dich vielleicht leichter durch die Extraktionsmethoden in der forensischen Toxikologie durcharbeiten für so eine Facharbeit. Aber kannst ja mal Bescheid sagen, wenn es dir nicht reicht. 

Danke! Wenn man eine Leiche findet und den Entomologen dazu holt, dann nimmt man ja nicht nur die Insekten vom Körper, sondern auch aus der Umgebung. Gibt es da Dinge, wonach man genau sucht und in welchem Umkreis ungefähr? 

Die Wahrheit ist ja, dass das leider sehr oft aus den genannten Gründen der Zeit- und Geldersparnis von der Rechtsmedizin gemacht wird. Da werden die Tiere dann durch die Rechtsmedizin von der Leiche geholt, was biologisch betrachtet nur so mittelcool ist. Und wenn du das am Fundort machst, dann suchst du einfach rum, suchst alles ab, so gut das geht. Und dann guckst du in allen Ritzen, auch unterm Teppich. Im Wald guckst du unter Ästen, Röhren, in der obersten Erdschicht. So gut es halt geht. Das Ziel wäre, alles zu durch-suchen. Im Freien kriechen die Maden, wenn sie sich verpuppen wollen, superweit. Auf dem Dach der Rechtsmedizin in Kolumbien haben wir tote Schweine rausgelegt, da waren die Maden 15 Meter weit gekrochen, obwohl da gleißende Sonne war und es ziemlich warm war, was die eigentlich überhaupt nicht mögen. Die haben sich dann unter Rohren, die keiner mehr brauchte, verkrochen. Wenn es regnet, können die z. B. auch hochkriechen. Also wenn du auf dem Bauernhof so ein Törchen hast, können die auch tatsächlich das Tor hochkriechen und sind dann auf der anderen Seite. Das musst du sehr biologisch angehen. Wie feucht ist es hier? Wie trocken ist es hier? Liegen hier viele Tannennadeln? Können die darüber kriechen oder nicht? Wie hart ist die Erde? Ist sie lehmig, da gehen sie nicht rein, packen sie nicht, außer es ist superfeucht. Das ist eine rein biologische Frage. 

Und werden dann alle Insekten mitgenommen, die man finden kann? 

Wenn’s geht schon. Also alles getrennt. Wenn Du im Tatortkoffer nur 20 Gläschen hast, dann kannst du eben nur von 20 Orten nehmen. Dann kannst du sagen, die Leiche sieht mir superseltsam aus … die liegt in einer Tonne oder in einer Tasche, scheint aber ausgepackt zu sein oder Tiere haben den Sack aufgerissen und haben an der Leiche gefressen… Dann würdest du vielleicht sagen: ok, der Analbereich sieht total ausgefressen aus, was normalerweise nicht passiert, da sollten wir mal rausfinden, ob das das von einem Tier stammt oder ein Sexualdelikt war. Ist das durch Sonne oder Trockenheit entstanden? Dann würde ich dort schon mal 3 Proben nehmen. Dann würde ich auf jeden Fall Mund, Ohren, Nase, Haare und meinetwegen unter den Achseln, Schultern, … oh, jetzt habe ich schon 12 Gläschen verbraucht, jetzt habe ich noch 8 Gläschen übrig… Was ist es mir wert, das getrennt einzusammeln oder lieber alles einzusammeln. Das ist dann eine Einzelfallentscheidung. Aber wenn es geht, sammelst du natürlich alles ein. Aber du musst dann halt auch wissen, was du getan hast. Z. B. in New York hatten wir das anfangs, da sind die Polizisten und Polizistinnen teilweise etwas überenthusiastisch geworden. Da gab es eine Krimiserie, die hieß CSI – Crime Scene Investigation. Und dann haben die uns wirklich komplette Woh-nungseinrichtungen gebracht ins Labor. Und der Laborspace war vielleicht 1,20 m, wenn‘s hochkommt. Und da saßen wir so und ich sage, ich glaube es wäre besser, ihr sagt vorher, was ihr braucht. Blutspuren. Ach, dann lass uns doch erst einmal nach Blutspuren gucken, dann könnt ihr den Rest nämlich wieder mitnehmen. Da brauchen wir vielleicht nur diese Seite vom Telefonbuch und diesen Hammer. Und einen Schuh. Und so ist das bei Insekten genauso. Also das habe ich schon zweimal selber erlebt. Da haben die wirklich alles auf den Lastwagen geschaufelt und kamen mit einer Lastwagenladung Erde an. Das ist gut gedacht, aber leider gab‘s keine Garage und keine Halle, nichts. Hätte ich gerne, würde ich dann auch gerne machen, aber geht nicht. Plus, es kann auch alles durcheinander sein. Wenn du sehr, sehr viel einsammelst, wie gerade angedeutet, kannst du auch mehr Chaos erzeugen. Heute findest du ja kaum noch Insekten. Aber sagen wir mal, vor 10 oder 20 Jahren … wenn du da in einen Wald reingegangen wärst, kannst dir nicht vorstellen, wie viele Tiere da in und um einer Leiche waren. Das ist wie ein Disneymärchen. Da war alles voll, alles! Und da ist es besser gewesen, gezielt an den Orten was einzusammeln. Oder auch gar nicht einsammeln. Bei vielen Käfern reicht es, wenn du die fotografierst. Die brauchst du gar nicht umbringen. Also Ufertotengräber oder so ein wespenartig gestreifter Totenkäfer oder Kurzflügelkäfer oder Mistkäfer, die Bälle rollen, die brauchst du nicht, die fotografierst du. Die tragen eh jetzt keine so starke, supergenaue Leichenliegezeitinformation. 

Wenn man eine skelettierte Leiche findet, kann man dann auch darauf schließen, wie viele Generationen von Fliegen darauf schon gelebt haben? 

Ja, nur Biologinnen und Biologen können das. Klar! Also die Leiche verwest und abhängig davon gehen ja andere Tiere dran, andere Leicheninsekten sozusagen. Oder die nisten da nur oder suchen Schutz vor Regen, es müssen ja keine Leicheninsekten sein. Und das ändert sich, das wäre sozusagen der Stundenzeiger, bildlich gesprochen. Und dann hast du noch so einen Minutenzeiger, das wäre die eigentliche Leichenliegezeit. Die Gene-rationen sind eigentlich nicht so kritisch. Am Anfang kommen, oder sind bis vor 5 oder 10 Jahren gekommen, die schwangeren erwachsenen Schmeißfliegen. Die haben dann eigentlich, wenn es feucht war, schon vieles zerfressen. Und wenn es trocken war, sind sie nicht gekommen, weil sie nicht viel fressen konnten. Oder sind gekommen, konnten sich aber nicht groß auf der Leiche ausbreiten. Dann sind halt Tiere gekommen, die was Trockenes fressen. Also wenn du keine berufliche Erfahrung vor Ort hast, kannst du das nicht so gut abschätzen. Außer bei früher Leichenbesiedlung, die aber für die Polizei meistens am wichtigsten ist. Deshalb ist das nicht so schlimm. Wenn du einen Madenteppich hast, also ganz viele Larven, dann nimmst du halt die ältesten Tiere, wenn die nicht schon weggekrochen sind zum Verpuppen. Aber in einer Wohnung siehst du das ja, ob unter der Teppichleiste schon super viele Fliegen sind. So gesehen, würde ich die Frage eher dahingehend beant-worten, dass es in der Praxis meistens egal ist. Denn die späteren Generationen oder Stadien der Insekten werden gar nicht mehr herangezogen, sondern die Polizei fragt, war das Diens-tagnacht oder Dienstagabend, als die Leiche besiedelt wurde. Und da spielen die verschiedenen Generationen noch keine Rolle, weil du dann eh noch nah an der Leichenbesiedelung bist. 

Und rein theoretisch … wenn man eine skelettierte Leiche findet, welche Verfahren werden dann allgemein angestrebt, die man einerseits zur Identifikation benutzen könnte oder zur Beantwortung der Frage, wie die Leiche gestorben ist? 

Wenn du nur ein Skelett hast, kannst du nur die Knochen untersuchen. Du kannst Gifte, die in Knochen oder Knochenmark sind, angucken. Haare liegen manchmal auch noch rum, wenn du ein Skelett hast. Hautstücke auch. Da guckst du halt nach den Giften. Dann guckst du nach kleinen Ritzern an den Knochen, Knochenscharten, Löchern, Brüche, ob die vor oder nach dem Tod entstanden sind. Du kannst ruhig auch mit Insekten gucken. Es ist ja noch Fett in den Knochen drin, Haut- und Haarreste. Da können ja Speckkäfer oder Museums- oder Pelzkäfer rangehen. Das ist auch kein Zufall. Also wenn die da sind, dann weißt du, dass die Leiche aus biologischer Sicht noch recht frisch ist. Also nicht archäologisch, 10 oder 100 oder 1000 Jahre da liegt. Sondern dass das gerade noch etwas aktiv in Zersetzung Befindliches ist. 

Sucht man auch nach Puppenhüllen? 

Ja, das kannst du machen. Aber du musst halt schon erst mal einordnen, wie lange die Leiche da liegt. Die Puppenhülle allein verrät dir nicht so viel. Wenn du ein Skelett hast und du hast da lauter Puppenhüllen, dann weißt du ja nur, da waren mal Schmeißfliegen und die Tiere sind schon umgewandelt zu erwachsenen Fliegen, sind geschlüpft und weggeflogen. Das Alter von denen kannst du ja so nicht bestimmen. Interessanter ist es, wenn du eine Mischung hast. Wenn du noch Weichgewebe dran hast und da sind noch Maden dran und du hast schon leere Puppenhüllen, die eindeutig zu Leiche gehören, also nicht von anderen Dingen stammen, Müll oder so, der an der Autobahnraststätte rumliegt, oder in einer vermüllten Wohnung, die sowieso schon vermüllt war. Dann können die Puppenhüllen auch noch mal interessant sein. Mitnehmen würde ich sie auf jeden Fall oder fotografieren. Aber welche Aussagekraft das hat, hängt vom Einzelfall ab. 

Und wie gravierend sind Temperaturunterschiede bezüglich der Entwicklung von Larven? 

Das ist allesentscheidend. Ohne Temperatur brauchst du gar nichts machen. Wenn du die Temperatur nicht kennst oder grob kennst, brauchst du gar nicht anfangen zu arbeiten. Das wäre völlig sinnentleert, weil sich Bakterien und Insekten immer abhängig von der Temperatur entwickeln. 

Vielen Dank! Das wären erst einmal alle meine Fragen gewesen. 

Ja, sehr gerne! 

Das Todesdatum hätte ich mit Speckkäferlarven bestimmt

Von Stefan Maus

Der Tod von Gene Hackman und seiner Ehefrau Betsy Arakawa war rätselhaft. Kriminalbiologe Mark Benecke erklärt, wie er in solchen Fällen arbeitet und was das mit ihm macht.

Welche Rolle spielt das Klima bei der Veränderung von Körpern?

Je trockener es ist, desto leichter vertrocknen die Leichen. Und je feuchter und wärmer es ist, desto mehr hat man bakterielle Fäulnis und Gasblähungen. Man kann auch gemischte Formen haben. Wenn jemand im Bett liegt und seine Hände hängen raus, dann vertrocknen die, weil die warme Luft das Wasser abtransportiert. Wir bestehen ja fast nur aus Wasser. Unter einer Bettdecke kann das Wasser aber nicht abtransportiert werden. Dann wird das dort eben faul.

In unserem Fall ist Betsy Arakawa sieben Tage vor ihrem Mann Gene Hackman gestorben.

Das kommt leider vor. Es gibt Menschen, die den Tod ihres Partners verdrängen. Sie schlafen wochenlang, teilweise sogar monatelang neben der toten Person. Und wenn man sie dann lebend antrifft und fragt, warum sie denn niemandem Bescheid gesagt haben, dann haben sie die verrücktesten Gründe für ihr Verhalten. Manche sagen: "Ich habe gedacht, uns wird dann die Wohnung weggenommen." Solche Gedanken können zu den merkwürdigsten Befunden führen.

Wie meinen Sie das?

Sagen wir mal, die Leiche liegt im Bett und fängt an zu stinken. Dann räumt der Partner sie in einen Schrank. Dann verändern sich dadurch natürlich auch die Fäulnis oder die Spuren an der Leiche. Auch der Fundort verändert sich: Plötzlich gibt es im Raum Schleifspuren, oder die Totenflecken der Leiche sind an der falschen Stelle. Manchmal gibt es auch Menschen, die wischen die Eierpakete weg, die die Schmeißfliegen in den Augen und geeigneten Stellen ablegen. Manchmal aber auch nicht. Dann hat man eben dicke Madenteppiche im Gesicht, an den Ohren, unter den Armen oder im Genitalbereich. Es gibt aber auch Partner, die die Leiche waschen. Oder es gibt Mischformen von all dem. Aus Thailand habe ich zum Beispiel einmal den Fall einer Familie erhalten, die ihre Oma einfach aufs Sofa gelegt haben. Auch die Brille haben sie ihr einfach gelassen. Der ganze Körper war mit dem Sofa verklebt. Aber die Oma gehörte eben zur Familie.

Laut Auskunft der Polizei war Betsy Arakawa zum Teil mumifiziert. Was bedeutet das?

Das Wort sollte man eigentlich nicht benutzen. Weil die Leute dann sofort an Ägypten denken. "Mumifiziert" heißt einfach nur vertrocknet. Das Klima in Santa Fe ist ja sehr trocken. Also wurde das Gewebewasser abtransportiert. So wie halt alles Leichengewebe unter bestimmten Umständen vertrocknet. Schinken, Salami: Das ist ja alles nur vertrocknetes Leichengewebe.

Was könnten Sie als Kriminalbiologe alles aus Körpern herauslesen, die schon seit 15 Tagen irgendwo liegen?

Anhand von Insekten kann ich die Leichenliegezeit bestimmen. Ich schaue, welche Insekten es gibt. Und an welchen Körperstellen sie auftreten. Gibt es ungewöhnliche Besiedlungsstellen? Zum Beispiel kann ich Leichname auf bestimmte Vernachlässigungszeichen hin untersuchen. Dann schaue ich, ob im Genitalbereich oder an irgendeiner ungewöhnlichen Stelle eine besonders starke Besiedelung durch Insekten schon vor dem Tod stattgefunden haben muss. Weil die Insekten an diesen Stellen dann viel älter sind als am Rest des Körpers. Oder weil es Tiere sind, die an Kot und Urin gehen.

Wann könnte solch eine Untersuchung von Vernachlässigungszeichen von Interesse sein?

Eine Versicherung könnte zum Beispiel sagen: "Wir haben hier Geld an eine pflegende Person ausgezahlt. Aber diese Person scheint gar keine Pflege durchgeführt zu haben. Also hätten wir jetzt gerne unser Geld zurück." Da kann eine solche Untersuchung interessant werden.

Die Todesdaten von Gene Hackman und seiner Frau wurden mit Hilfe von Daten von Videokameras und Herzschrittmachern bestimmt. Wie genau hätten Sie den Todeseintritt mit rein biologischen Mitteln bestimmen können?

Den hätte ich mit Hilfe von Schmeißfliegenlarven bestimmen können. Oder wenn die Körper tatsächlich schon länger da lagen, dann auch über andere Tiere. Zum Beispiel mit Hilfe von Speckkäferlarven.

Hätten Sie den Tod damit genau datieren können?

Das hängt davon ab, wie viele Vergleichsdaten für Insekten aus Santa Fe vorhanden sind. Es gibt in den USA eigentlich relativ gute Wachstumsdaten von den einzelnen Insekten an den jeweiligen Orten.

Wie nah wären Sie dann an das genaue Todesdatum herangekommen?

Falls es stimmt, dass die beiden Körper ungefähr ein bis zwei Wochen dort lagen, dann kann man das Todesdatum gut eingrenzen. Ungefähr auf den Vormittag oder den Nachmittag eines bestimmten Tages. Aber das hängt alles von den örtlichen Vergleichstabellen mit den Wachstumsdaten der Insekten ab.

Erstaunlich, dass Sie mit rein biologischen Mitteln eigentlich ähnlich präzise sein können wie die Ermittler mit ihren technischen Spuren.

Ja. Aber natürlich wählt man immer das einfachste Mittel. Vor Ort kämen ja immer drei Parteien für Ermittlungen infrage: Polizei, Rechtsmedizin und Kriminalbiologie - also Spurenkunde. Und wenn ich jetzt bei der Polizei bin und sowieso schon vor Ort bin, dann nehme ich natürlich die sogenannten technischen Spuren. Wozu soll ich da eine biologische Zusatzinfo einholen?

Die amerikanischen Ermittler haben etwa eine Woche lang gebraucht, um das Rätsel zu lösen: Betsy Arakawa starb an Hantavirus, Gene Hackman an Herzversagen. Haben diese Ermittler einen guten Job gemacht?

Es geht keinen etwas an, das zu beurteilen. Einfach Fresse halten. Wir waren nicht dabei.

Der Sheriff sagte einen Tag nach dem Fund, die Leichen hätten schon mindestens einen Tag vor dem Fund auf dem Boden gelegen. Nun hat Betsy Arakawa dort aber schon über zwei Wochen gelegen. Ein Tag war also eine ziemliche Fehleinschätzung. Ist es verwunderlich, dass ein Sheriff so etwas sagt?

Er hat ja gesagt: Mindestens einen Tag. Insofern stimmt es. Aber grundsätzlich gilt: Laien können Leichenliegezeit nicht einschätzen. Wenn jemand nur vom Augenschein versucht, die Liegezeit zu schätzen, geht das immer schief. Da nützt alle Berufserfahrung nichts.

Wie kommt das?

Weil es sehr stark von den Umwelt-Bedingungen vor Ort abhängt.

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen wir an, ich bin Coroner, Sheriff oder Priester und habe schon viele Leichen in meinem Leben gesehen. Nun komme ich aber an einen Ort mit einer seltenen Besonderheit. Nehmen wir an, der Ort ist mit einer Tür verschlossen. Aber unter der Tür ist ein Schlitz. Und auf der anderen Seite des Raumes ist durch einen baulichen Zufall auch ein Schlitz. Den aber keiner sieht, weil er hinter einem Schrank ist. Dann hat man einen Luftkanal zwischen den beiden Schlitzen wie in einem dieser Händetrockner. Und plötzlich hat man völlig andere Feuchtigkeits- und Lufttransportbedingungen. Ganz unabhängig von der allgemeinen Temperatur in dem Raum. Wenn nun die Leiche vor diesem Türschlitz liegt, dann wird das Körperwasser sehr viel schneller abtransportiert, als wenn sie auch nur einen Meter weiter links oder rechts in derselben Wohnung liegen würde. Hier nützt es mir also nichts, wenn ich schon Dutzende Tote gesehen habe. Deswegen muss man das vernünftig vor Ort untersuchen. Mit technischen oder eben biologischen Mitteln.

Gene Hackman hat gut eine Woche länger als seine Frau gelebt. Er litt an Alzheimer in einem fortgeschrittenen Stadium. Als die Rechtsmedizinerin seinen Magen untersuchte, fand sie dort kein Essen. Sie haben ein sehr nüchternes Verhältnis zur menschlichen Vergänglichkeit. Aber ist der Tod nicht einfach ein verdammtes Arschloch?

Wie meinen Sie das?

Macht Sie solch ein Fall melancholisch oder traurig?

Ja, klar. Es ist schade, dass die beiden keine Sozialkontakte mehr hatten. Aber wie ich schon am Anfang sagte: Das ist total normal. Deswegen nenne ich diese Menschen auch "Invisible People". Nach einer Geschichte des New Yorker Comiczeichners Will Eisner. Diese Invisible People sind überall. Sie sind nicht der rosa Elefant, der mitten im Raum steht. Sondern sie sind das Hintergrundrauschen auf unserer Welt. Das sind die vergessenen Leute. Sie sind das Allerhäufigste, das wir bei Wohnungsleichen sehen. So ist das halt. Das hat mit dem Tod an sich nichts zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass diese Menschen keine Sozialkontakte mehr haben.

Sie verabscheuen Gefühlsduselei mehr als jeden Leichengestank. Gab es trotzdem einen Fall, der Sie gerührt hat?

Es sind die Angehörigen, die mich bewegen. Vor allem, wenn sie nicht genug Informationen haben. Oft machen sich diese Menschen in ihrer Trauer etwas vor. Viele suchen dann nach einem Mörder, wo es keinen gibt. Irgendwann lädt die dann keiner mehr ein. Dann heißt es: "Du, Renate, dein Mann ist vor zehn Jahren gestorben. Wir wollen jetzt einfach Silvester feiern. Wir haben das schon vor fünf Jahren gesagt. Du sollst nicht wieder anfangen mit dem Mord an deinem Mann. Vielleicht ist er ermordet worden. Vielleicht nicht. Auf jeden Fall laden wir dich jetzt nicht mehr ein." Die Menschen kriegen Posttrauma-Störungen. Die gucken dann nur noch gegen die Wand. Oder wenn Kinder versterben. Bei erweiterten Selbsttötungen im Partnerschaftsbereich zum Beispiel. Dann suchen die Großeltern für den Rest ihres Lebens nach Antworten und geben ihr gesamtes Geld an irgendwelche windigen Pfeifen aus, die sich ihr Leben dadurch finanzieren, dass sie alte Leute ausnehmen. Das Hauptproblem ist, dass die Angehörigen keine Ansprechpartner haben.

Inwiefern?

Die Polizei ist für diese Menschen nicht zuständig. Wenn ein Mensch ums Leben kam, es aber kein Kriminalfall war, dann sagt die Polizei: "Gucken Sie mal, es ist kein Kriminalfall. Bitte. Wir haben hier solche Stapel an echten Kriminalfällen liegen. Wir sind nicht zuständig. Die Staatsanwaltschaft hat ja auch gar kein Verfahren eröffnet. Das hat Ihnen die Polizei auch alles schon erklärt. Bitte, entschuldigen Sie, aber wir möchten uns gerne um die Drogenhändler, Mörder, Vergewaltiger und die häusliche Gewalt kümmern. Verstehen Sie?" - "Nein", sagt die trauernde Person dann, "verstehe ich nicht. Ich möchte wissen, warum mein Mann getötet wurde."

Also nimmt Sie so etwas schon mit.

Klar ist das alles scheiße. Auch diese ganzen Genozide, die wir sehen, und die keinen Menschen interessieren. Aber ich kann es ja nicht ändern. Was ich aber ändern kann: dass den Menschen ihnen wichtig erscheinende Informationen nicht vorenthalten bleiben. Das kann ich als freiberuflicher Forensiker mit meinem Team vor Ort oder im Labor ändern. Hier geht es um Lösungen, nicht um weinerliches Gejammer.

Gibt es einen konkreten Fall, der nicht nur ein interessantes Rätsel war, sondern Sie auch gerührt hat?

Wir hatten einen Fall, da kam eine Familie und sagte, sie habe ein Gemälde, das weint. Aber keine Bluttränen, sondern Wasser. In der Familie war jemand ertrunken, und der Glaube war nun, dass das Gemälde nicht Tränen weint, sondern das Wasser aus dem Gewässer, wo die Person ertrunken ist. Also habe ich gesagt: "Okay, untersuchen wir, kein Problem. Vielleicht können Sie dann ja besser in die Trauerarbeit gehen. Oder können durch die Informationen innerhalb der Familie dann mal besprechen, was da los ist. Das können Sie ja dann für sich selbst einordnen. Ich kann Ihnen nur sagen, ob das Süßwasser ist, Salzwasser, Öl oder Farbe." Sobald Angehörige beteiligt sind, sind echte Gefühle im Spiel. Die sind messbar. Natürlich bemerke ich die. Und die springen dann auch über. Sie beeinflussen mich aber nicht.

Wie schützen Sie sich vor dem Grauen und dem Entsetzen des Todes?

Es ist, wie es ist. Ich kann es doch auch nicht ändern. Ich meine, ich bringe die Leute ja nicht um oder stopfe sie ins Massengrab. Ich bin nicht derjenige, der Lampenschirme aus Menschenhaut näht. Ich verwende keine Tierprodukte. Ich tue, was ich kann. Aber der Tod scheint ja keinen Menschen zu schrecken. Folter und Ausbeutung interessiert ja auch kaum jemanden. Die Leute trinken Milch und essen Butter, zerhackte Tintenfische und Schweine-Schnitzel. Es scheint fast allen Menschen scheißegal zu sein. Keine Ahnung, warum den Menschen das einfach alles so völlig egal ist. Ich verstehe das nicht. Aber ich bin ja nicht derjenige, der es tut. Ich arbeite lieber an der Lösung, anstatt herumzujammern, dass irgendwas scheiße ist und mir dann die nächste Scheibe Schinken aufs Brot zu legen. Keine Ahnung. Ist mir auch ein Rätsel, was mit den Leuten los ist.

Verursacht Ihr Beruf Ihnen Albträume?

Nö, eigentlich nicht. Das Problem ist eher der Tag. Wenn die ganzen angeblich guten und braven Menschen herumlaufen und sich unsozial verhalten. Nachts ist es eigentlich angenehmer als tags.

Mehlwurmpulver in Lebensmitteln: Wie werden essbare Insekten unsere Ernährung verändern?

Quelle: Tagesspiegel (Berlin), 25. Febr. 2025

Mehlwurmpulver im Apfelkompott oder geröstete Grillen zum Salat? Ob sichtbar oder nicht – Insekten werden zunehmend als Nahrungsquelle genutzt. Fachleute ordnen ein, was auf dem Menü stehen könnte.

Von Kathleen Oehlke, Martin Smollich & Mark Benecke

Mark Benecke – Es ist weder eklig noch gesundheitsschädlich, Mehlwürmer zu sich zu nehmen. Wer aber meint, dass es für die Umwelt besser sei, statt Steaks und Schnitzel nun Insekten zu verspeisen, irrt. Insekten sind Tiere und egal, ob es sich um Kühe oder Mehlwürmer handelt, braucht es für deren Produktion viel mehr Landflächen, Wasser und Energie als für pflanzliche Nahrungsmittel. Deshalb empfiehlt der Weltklimarat IPCC und fast alle neuen Studien pflanzliche Ernährung und Verzicht auf tierische Produkte. Das heißt auch: keine Insekten. Anstelle von Rindfleisch Insekten zu essen, das wäre vielleicht vor ein paar Jahrzehnten noch ein kleiner, in die richtige Richtung führender Schritt gewesen. Aber die Zeit der kleinen Schritte ist im Klimaschutz längst vorbei. Zum anderen findet gerade ein dramatisches Massensterben von Insekten statt. Weltweit schrumpft sowohl die Menge der Insekten als auch die Zahl der Insektenarten. Da ist es nicht gerade hilfreich, sie jetzt als Nahrungsmittel zu etablieren.

Kathleen Oehlke – Mehlwürmer, die in der EU als neuartige Lebensmittel zugelassen sind, enthalten nach unseren Untersuchungen bis zu 30 Prozent Eiweiß, zwischen sechs und 23 Prozent Fett, bis zu 70 Prozent Wasser und etwa sechs Prozent andere Substanzen, wie Mineralstoffe. Der Eiweißgehalt kann durch gezielte Fütterung erhöht werden. Das Eiweiß enthält alle für den Menschen essenziellen Aminosäuren und ist so gut verdaulich wie das von Fisch oder Fleisch. Allerdings ist das Potenzial von Mehlwürmern zu beachten, allergische Reaktionen hervorzurufen. Der Fettanteil steigt an, je älter die Mehlwürmer werden. Er kann durch gezielte Fütterung reduziert werden. Auch die Qualität des Fettes kann stark beeinflusst werden. Fressen die Larven zum Beispiel Lein- oder Chiasamen, verändert sich das Verhältnis von Omega-6- zu Omega-3-Fettsäuren auf einen für die menschliche Ernährung günstigen Wert. Ob dies auch besonders nachhaltig mit Reststoffen aus der Lebensmittelherstellung als Futter gelingen könnte, wird gerade erforscht.

Martin Smollich – Unsere Essgewohnheiten prägen uns und Menschen sind in diesem Bereich äußerst konservativ. Deshalb werden Insekten in den nächsten Jahrzehnten in Deutschland keine große Rolle spielen. Global sieht das anders aus. Insekten werden künftig sicher häufiger verzehrt, insbesondere in verarbeiteter Form, etwa als Pulver. Was Menschen abschreckt, ist ja, wenn Insekten klar als solche erkennbar sind. In verarbeiteter Form könnten Insekten in der Nahrung hingegen akzeptiert werden – in Gummibärchen stecken schließlich auch Schlachtabfälle. Es gibt auch keinen Grund, warum Insekten prinzipiell weniger gesund sein sollten. Wenn man sich die ökologischen Folgen des Fleischkonsums vor Augen führt, ist eine nachhaltigere Alternative in Form von Insekten definitiv sinnvoll. Global betrachtet haben wir eine drastisch steigende Nachfrage nach Proteinen und Fleisch. In Deutschland allerdings stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit von Insekten als Proteinquelle kaum, da wir bereits ein Überangebot an Fleischprodukten haben.

Doktor Made ermittelt

Quelle: KURIER.at, 8. November 2024

Von Birgit Seiser

Nachgefragt. Immer noch ist offen, wann der Doppelmörder Roland Drexler gestorben ist. Experte Mark Benecke erklärt, welche Faktoren für die Bestimmung des Todeszeitpunkts essenziell sind.

Fünf Tage lang suchte eine Hundertschaft an Polizisten Wälder im oberösterreichischen Bezirk Rohrbach (OÖ) nach dem mutmaßlichen Doppelmörder Roland Drexler ab. Am Samstag stand fest, dass er tot ist, seine Leiche wurde in seinem Jagdgebiet entdeckt. Mit Spannung erwartete das ganze Land das Ergebnis der Obduktion, das aber weiter Fragen offen ließ. Der genaue Todeszeitpunkt konnte nicht bestimmt werden. Nun sollen forensische Entomologen das Rätsel lösen.

Einer der bekanntesten Vertreter dieses Fachs ist Dr. Mark Benecke. Der Kriminalbiologe, der auch als "Dr. Made" bekannt ist, erklärt im KURIER, wie man den Todeszeitpunkt bestimmen kann und wie Insekten dabei helfen. Die folgenden Zeilen sind nichts für Menschen mit schwachen Mägen.

Leiche als Brutstätte

"Bei einer frischen Leiche erkennt man den Todeszeitpunkt beispielsweise über die Reizbarkeit der Muskeln mit Strom, die Auskühlung des Körpers und die Beweglichkeit der Pupillen, wenn etwas hineingetropft wird. Auch, wie sich die Gelenke biegen lassen, gibt Aufschluss über den Todeszeitpunkt", sagt Benecke. 

Ist der Tod schon vor längerer Zeit eingetreten, gibt es andere Merkmale, die zur Aufklärung beitragen können. Insekten nutzen Leichen als Brutstätte und Nahrungsquelle: "Je länger eine Leiche liegt, umso mehr zersetzt sich der Körper. Dann kann man das Alters der Larven von Schmeißfliegen verwenden, die wie eine Uhr ticken, also wachsen", erklärt der Kriminalbiologe. Käsefliegen oder Aaskäfer, die Leichen erst später besiedeln, können ebenfalls zur Bestimmung des Todeszeitpunkts beitragen. In manchen Fällen können sogar Pflanzen und deren Wurzeln untersucht werden, die über oder durch die Leiche hindurch wachsen.

Genau solche Merkmale sollen nun helfen, den Todeszeitpunkt von Roland D. festzustellen. Dass er schon länger tot gewesen sein muss - sich möglicherweise direkt nach dem Doppelmord am Montag das Leben genommen hat - kann durch das Auftreten von Insekten aber nicht zwingend abgelesen werden.

"Insekten können superschnell auf einem Leichnam zu finden sein. Ich habe es schon erlebt, dass die schwangeren Fliegen-Weibchen sofort nachdem die Leichen ins Freie gelegt wurden, beispielsweise im Studierenden-Kurs oder auf der Body Farm, angesaust kamen. Fliegen können Butanol und Methylsulfid, das aus Leichen strömen kann, sehr gut riechen."

Störfaktoren

In der forensischen Entomologie gibt es aber selbstverständlich auch Störfaktoren, die Untersuchungen erschweren können. "Wenn  eine Leiche verlagert, also von einem Ort an den anderen gebracht wurde, kennt man die jeweiligen Temperaturen der Orte vielleicht nicht. Die brauchen wir aber, um die Wachstums-Geschwindigkeit der Larven zu errechnen. Manchmal werden Leichen auch versenkt oder irgendwo eingeschlossen, wo die Tiere nicht sofort dran gehen. Oder es ist zu kalt oder regnet", sagt Benecke. 

Die Witterungsbedingungen dürften in der vergangenen Woche so gewesen sein, dass sie keine negativen Auswirkungen auf die kommenden Untersuchungen haben sollten. Die Temperaturen lagen deutlich im ein- bis niedrigen zweistelligen Bereich; an drei Tagen regnete es, aber nur sehr mäßig. Die Leiche wurde laut Polizei außerdem nicht eingeschlossen oder in Wasser versenkt, entdeckt, sondern soll offen in dem Waldstück gelegen haben. 

Wetter und Temperatur spielen eine große Rolle

Quelle: t-online.de, 26. Juni 2024

Von Simone Bischof

Kriminalbiologe zum Fall Arian

In Niedersachsen wurde eine Kinderleiche gefunden. Möglicherweise ist es der vermisste Arian. Wie die Ermittler das herausfinden, erklärt der Kriminalbiologe Mark Benecke.

Am Montagnachmittag entdeckte ein Landwirt auf einer Wiese im Landkreis Stade eine Kinderleiche. Die Ermittler schließen einen Zusammenhang zu dem seit mehr als zwei Monaten vermissten sechsjährigen Arian aus Bremervörde nicht aus. Der Leichnam wurde zur Obduktion in die Gerichtsmedizin gebracht, Ergebnisse der Untersuchung sollen noch in dieser Woche bekannt gegeben werden.

Der Forensik-Experte Dr. Mark Benecke hat die Polizei schon in vielen Fällen unterstützt. Im Gespräch mit t-online erklärt er, wie die Ermittler, die mit der Aufklärung des Falls befasst sind, im Weiteren vorgehen.

t-online: Herr Benecke, Arian ist vor etwas mehr als zwei Monaten verschwunden. Vorausgesetzt, bei der gefundenen Kinderleiche handelt es sich um den Sechsjährigen: In welchem Zustand ist die Leiche nach so langer Zeit?

Mark Benecke: Das hängt von mehreren Faktoren ab. Wetter und Temperatur spielen eine große Rolle. Wenn es warm und feucht ist, zersetzen sich Leichen im Freien schnell. Weiterhin spielt eine Rolle, wie die Leiche gelagert ist – beispielsweise in einer Kiste oder in der Erde. Außerdem, ob es Tierfraß gibt. Etwa durch Ameisen, Maden oder Wildschweine.

Welche Wetterbedingungen spielen beim Zustand einer Leiche eine Rolle? Zum Zeitpunkt von Arians Verschwinden war es noch kalt. Inzwischen gab es Unwetter mit viel Regen, außerdem Hitze.

Solange es kalt ist, wachsen die Bakterien und Insekten langsam. Wenn es wärmer wird, wachsen sie schneller und lösen die Leichen dann auch schneller auf.

Wie erschwert der Zustand einer Leiche ihre Identifizierung?

Das spielt seit der Erfindung beziehungsweise Entdeckung genetischer Fingerabdrücke in Vermissten-Fällen keine Rolle mehr. In den Knochen und Zähnen ist immer genug Erbgut, um zu bestimmen, ob die Leiche die vermisste Person ist oder nicht.

Gibt es einen leichteren Weg?

Wenn es um den "ersten Blick" geht: Meist über die Bekleidung.

Wie wird eine Leiche untersucht und wonach wird gesucht?

Gesucht wird nach Verletzungen, die an Knochen sichtbar sind, beispielsweise "Scharten", also Ritzer, die von einem Messer stammen könnten. Außerdem nach Giften, die im sogenannten "Weichgewebe" sind, aber auch in harten Körper-Teilen. Und nach Spuren von Brand, Ersticken, Knochenbrüchen und natürlich allem, was von einem Täter oder einer Täterin stammen könnte: Haut-Zellen, Haare, Kleidungs-Fasern, Blut, Sperma oder Speichel.

Nach welchen "typischen" Merkmalen wird zuerst gesucht, um die Todesursache festzustellen?

Die Kolleginnen und Kollegen aus der Rechtsmedizin schauen unter anderem danach, ob es bestimmte Flecken auf Organen gibt, sofern diese noch erhalten sind, ob es Brüche beispielsweise am Kehlkopf gibt oder ob der Schädel gebrochen oder durchlöchert ist. Blut-Unterlaufungen können interessant sein oder Löcher in der Haut, eigentlich alle "Veränderungen" gegenüber dem Grundzustand.

Insektenminiaturen fragmentarisch entlarven. Ein Werkvergleich zweier mittelalterlicher Handschriften des frühen 14. Jahrhunderts.

Humboldt-Universität zu Berlin
Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät
Institut für Kunst- und Bildgeschichte
Modul: Mittelalter Seminar: „Medizin, Tanz und Epik.
Bebilderte Handschriften im 14. Jahrhundert und die neuen Herausforderungen an den spätmittelalterlichen Künstler“

Die gesamte Arbeit als .pdf

Von Franziska Schlicke | Kunst- und Bildgeschichte

Einleitung

Insektendarstellungen in der Buchmalerei des Mittelalters verweisen auf ein bislang eher minder erforschtes Feld, dabei sind sie bei Weitem nicht minder beachtenswert. So erfüllen entomologische Miniaturen und Illustrationen womöglich nicht nur eine dekorative Rolle in der Produktion von Handschriften, sondern implizieren gleichsam eine naturbetrachtende und die Biologie-erfragende Auseinandersetzung anhand bildnerischer Wiedergabe, die es sich durchaus lohnt, genauer zu betrachten. Die buchmalerische Entomologie-Geschichte spricht eine inzwischen hochaktuelle Thematik an, die besonders innerhalb der Kunsthistorik zunehmend aufkeimte und wegbereitend bis heute einen äußerst signifikanten Einzug in die modernen Wissenschaften bedeutet. Erst über die künstlerisch umgesetzte Entomologie in illuminierten Büchern des Mittelalters konnte eine wissenschaftliche Kunstform etabliert und bis zur Gegenwart weiterentwickelt werden.

Diese Arbeit widmet sich einem Miniaturvergleich, vermittels exemplarischer Gegenüberstellung zweier ausgewählter Handschriften aus dem frühen 14. Jahrhundert, die reich mit Insektenminiaturen- und Illustrationen bebildert wurden. Ziel dieser Arbeit ist die formale, figürlich, und stilistische Untersuchung unterschiedlicher künstlerischer Miniatur-Insektendarstellungen. Zusammen mit dem einzigartigen, prächtig illuminierten Cocharelli Codex und der berühmten Handschrift Der naturen Bloeme soll anhand einer Bildbeschreibung ausgewählter entomologischer Miniaturen und Illustrationen eine vermutete Unterscheidung forciert und dargelegt werden. Im Fokus liegen darin die Naturbeobachtungen der Insekten, insbesondere der illuminierten Darstellungen von Schmetterlingen und Raupen und einer einhergehenden Bedeutsamkeit der Naturlehre im Spätmittelalter…

Dr. Made lässt jetzt Schweine verwesen

Quelle: BILD, 6. Februar 2024

Von Nicole Biewald

Hier gibt es den Artikel als .pdf

Der bekannteste Kriminalbiologe der Welt macht jetzt versaute Experimente!

Dr. Mark Benecke (53) aus Köln ist Spezialist für Entomologie (Insektenkunde), bekannt als Dr. Made – und hat jetzt mit einer zehnköpfigen Studentengruppe fünf Baby-Schweine verwesen lassen.

Was soll der Schweine-Kram?

Foto: Mark Benecke

„Wir haben beobachtet, in welchem Stadium welche Leichen-Bewohner kommen, wie sie sich vermehren und was mit dem Schweine-Körper dadurch passiert“, sagt Dr. Benecke zu BILD. Das Ergebnis ist ein 18-minütiger Lehrfilm, der bald online geht.

Die Mini-Schweine bekamen die Wissenschaftler geliefert. „Die sind eines natürlichen Todes gestorben, wir haben sie eingefroren erhalten“, sagt der 53-Jährige. Unter sommerlichen Bedingungen – 27 Grad, 50 Prozent Luftfeuchtigkeit und indirekter Sonneneinstrahlung – hat die Gruppe abgewartet, was passiert.

Und das ging ganz schön schnell...

„Die Haut der Tiere hat sich schon nach wenigen Stunden durch die Bakterien grün verfärbt“, sagt Dr. Benecke. Er erklärt: „Wärme und Feuchtigkeit lassen die Haut schnell verwesen. Die Knochen sind schon nach wenigen Tagen zu sehen.“

Schwangere Fliegen legen ihre Ei-Pakete auf der Leiche ab, die Maden schlüpfen aus den Eiern, Fliegen machen sich breit Der Kriminalbiologe: „Verwesungszustände sind für die Ermittlungsarbeit der Polizei interessant. Daraus ist ersichtlich, wie lange die Leiche beispielsweise im Freien gelegen hat.“ Sie geben auch Aufschluss darüber, wie lang ein Kind oder eine ältere Person vernachlässigt wurde.

Für diese Experimente werden Schweine verwendet, weil die dem Menschen am Ähnlichsten sind. „Schweine sind fast gleich gebaut wie der Mensch. Nur Hände und Füße unterscheiden sich“, so der Experte.

Auch die Polizei nutzt Schweine oder nur deren Köpfe (je nach Gewicht), um beispielsweise herauszufinden, wo und wann eine Leiche ins Wasser geworfen wurde. Dr. Benecke: „Anhand der Strömung kann das nachvollzogen werden.“

Das Fazit des Verwesungs-Experiments? Dr. Benecke: „Die ersten Eier und Maden lassen sich bevorzugt in Augenwinkeln, Nasenlöchern und Ohren nieder. Die Vermehrung geht schnell. Später kommen so genannte sekundäre Leichenbewohner dazu. Das sind Käfer, die sich nicht von der Leiche, sondern von den auf ihr lebenden Maden ernähren.“

Nach etwa einer Woche war die Schweinehaut übrigens samt Muskeln und Fett weg. Es waren größtenteils nur noch die Knochen der Tiere zu sehen. Der Kriminalbiologe: „Die werden von den „Maden-Teppichen“ hin und her geschoben, aber nicht wirklich zersetzt.“

Komm mit in den Garten #94: Efeu 🍃

In jedem Garten sollte Efeu wachsen! Dafür plädiert der berühmte Kriminalbiologe und Insektenexperte Dr. Mark Benecke. Mit ihm hat Kleingärtnerin Nadine Witt über diese Superpflanze gesprochen. Zum Teil verschrien als Grabpflanze, bietet Efeu Nahrung und Wohnung für viele Insekten und Vögel. Efeu ist eine wertvolle Pflanze und wegen seiner Langlebigkeit ein Symbol der Liebe. Wo Efeu her kommt und noch mehr Wissenswertes, hört ihr in dieser Folge des MDR-Podcasts 🌿

Hier ist der Podcast zu hören (klick):