WGT-Tagebuch 2022

Quelle: Orkus! 7/2022, Seiten 18–56.

Den Bericht gibt es hier als .pdf

Knoblauch? Leichen? Kim Wilde?

Zwischen dem 28. und 29. Wave-Gotik-Treffen vergingen zwei Jahre mit Nicht-WGT-Specials, in die Dr. Mark Benecke trotz Pandemie zu Pfingsten nach Leipzig angereist war, um nach den verbliebenen schwarzen Seelen zu suchen. 2022 bestätigt sich endlich wieder die Formel: Pfingsten = WGT in Leipzig. Ganz offiziell. Als echter Hardcore-WGT-Besucher ist er mit Ines Benecke natürlich schon längst in Gedanken vor Ort, noch bevor sie es physisch tatsächlich sind.

23.04.2022, Leipzig Hauptbahnhof: Das WGT wirft einen Schatten voraus. Soeben wurde verkündet, dass die agra-Halle während des WGTs verfügbar ist (was vorher wegen eines Krieges nicht sicher war). Wir besuchen meinen Miteröffnungs-DJ Elvis, der zusammen mit der Band S.P.O.C.K. im malerischen Chemnitz ein kleines Warm-up vorbereitet hat.

Zur Feier des Tages hat Ines sich eine neue Frisur einfallen lassen, bei der der Pony gespalten ist im Sinne eines Teufelshufes. Ines: „Das ist natürlich alles Absicht. Nenn sie einfach Teufelshuf-Pony-Frisur.“

Gestern waren wir noch beim Mitteldeutschen Rundfunk, dessen Wiese mit herrlichen Kirschbäumen versehen ist. Ich versuchte Ines einige Kirschblüten als Liebesbeweis darzubringen. Sie war jedoch nicht begeistert, denn das Problem an Blüten ist: Ines: „Sie riechen nach Leiche!“ Hinzu kommt, dass Ines zu romantischen Gesten durch Blütenübergabe folgende Auffassung vertritt: ... Ines lacht.

Mark: „Was macht das mit dir, wenn ich dir Kirschblüten auf einem sonnendurchfluteten, windumspielten Feld darreiche?“ Ines: „Ich finde das sehr schön. Aber die armen Blumen!“ Auch der Clara-Zetkin-Park, wo das beliebte Viktorianische Frühstück stattfindet, hat bereits seine Schönheiten entfaltet. Dank meiner Pflanzenbestimmungs-App habe ich erstmals die Knoblauchrauke kennengelernt. Ein wunderschönes Gewächs, das nach dem Zerreiben angenehm nach Knoblauch riecht und nicht wie echter Knoblauch stinkemäßig und alle Vampire vertreibend.

Kurz bevor wir in den Zug steigen, begegnet uns auf dem Marktplatz voller polnischer Köstlichkeiten wie Bigos, Piroggen, Sauerkraut und Waffeln mit einem milden Sahnegeschmack eine Fanin nebst ihrer Mutter, die seit Jahren anhand meiner Insta- und Facebook-Posts versucht, mich einmal zu treffen. Nach vielen Jahren hat es nun geklappt und mit einer Plastiktüte voller Erdbeerpflanzen feiern wir den episch-historischen Moment. Noch ist die Stadt bunt. Insbesondere die polnischen Bonbons, die in glitzernde metallisch-schimmernde Papierchen eingewickelt sind, müssen auf Gruftis befremdlich wirken.

23.04.2022, Chemnitz: Bei der Vorabbesprechung im Chemnitzer Fuchsbau mit DJ Elvis und Alexander sowie seiner gesamten Band S.P.O.C.K. kommt es zur feierlichen Übergabe von Gastgeschenken. Alex erhält Knusperflocken aus dem Osten, die laut DJ Elvis aus dem Osten in der DDR „Elefantenpopel“ hießen. Warum Elefantenpopel schwarz sind, bleibt ein Geheimnis.

Wir unternehmen einen Ausflug ins „Bravo“-Zimmer, wo die in der DDR verbotene Musikzeitschrift Bravo überall hintapeziert ist. Unser kleinster gemeinsamer Nenner ist dabei Kim Wilde, während bspw. Die Ärzte und Rod Stewart von international gemischter Bekannt- und Beliebtheit sind.

SCHATTENBRÖTCHEN? KEIN RAMMSTEIN? BILD-ZEITUNG?

31.05.2022 – Dienstag, Löbau: Das WGT wirft jetzt unverkennbar seine Schatten voraus. Wenn ich „Schatten“ sage, meine ich schwarze Schattenbrötchen mit Bluteintragungen, die es in Löbau in Sachsen, wo wir derzeit sind, bereits zu kaufen gibt. Wir freuen uns, dass auch die Bäcker und Bäckerinnen nahe der polnischen und tschechischen Grenze ihre Produkte jetzt schwarz färben. Morgen geht es noch zu einem kurzen Abstecher nach Berlin zu einer Blutspuren-MINT-Schulklasse, die sich in den Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften sehr gut auskennt. Irgendwie passt alles sehr gut zusammen. Mark: „Ines, wie schmeckt dein Blutbrötchen?“ Ines: „Erstaunlich gut, muss ich wirklich sagen.“ Mark: „Gruftig?“ Ines: „Sehr gruftig, sehr schattig. Aber auch süß. So wie Gruftis halt sind.“

01.06.2022 – Mittwoch, Berlin: Im MINT-Gymnasium für Naturwissenschaften, Ingenieurskunde, Mathematik und Technik (daher MINT) haben wir soeben einen Blutspurenkurs gemacht. Statt Blut, das wir anders als im Studierenden-Kurs in einer städtischen Schule nicht verwenden dürfen, haben wir schwarze Tinte genommen. Mark: „Ines, es ist noch ein Tag bis zum WGT. Findest du das besonders gruftig? Blut und schwarze Tinte?“ Ines: „Blut ist immer gruftig, ja. Schwarzes Blut... schwarze blutige Tränen auf dem Turnhallenboden oder wie auch immer. Das ist jetzt mein Grufti-Gedicht zum Blutspurenkurs.“ Ines will das Gedicht in der Orkus! auf der Gedichte-Seite lesen. Ich fürchte allerdings, dass diese seit 20 Jahren nicht mehr existiert. Jetzt sind wir auf dem Weg nach Leipzig!

Am Bahnsteig treffen wir bereits den ersten Grufti namens Alex. Mark: „Worauf freust du dich am meisten beim WGT?“ Alex: „Erst mal auf das WGT selber, auf die Picknicks und natürlich einige Konzerte.“ Mark: „Welche Band wirst du auf keinen Fall verpassen?“ Alex: „Ich hab da jetzt noch nicht geguckt. Das entscheide ich immer kurzfristig. Aber Tanzwut hab ich im Programm.“ Mark: „Du hast riesig viel Gepäck dabei, ist das alles Picknick-Ausrüstung?“ Alex: „Nicht alles, da ist auch Schlafausrüstung dabei, das ist ein bisschen sperrig. Wir treffen uns ja hier, weil mein Zug sich verspätet hat.“ (beide lachen) Mark: „Das Schicksal hat uns zusammengeführt!“ Alex: „Wollen wir nicht hoffen, dass die Bahn ihr ganzes Verspätungspotenzial auffährt.“ Mark ist davon überzeugt, dass dies nicht passieren wird.

Leipzig: Die Reise von Berlin nach Leipzig ging dann doch nicht ganz reibungslos. Alex mit dem großen Koffer hat seine Kofferrollen eingebüßt und musste den Koffer jetzt auf dem Boden hinter sich herschleifen. Auf die Frage, was geschehen sei, antwortet er: „Der Koffer ist voller Met. Er war wohl zu schwer.“

Vor dem Leipziger Hauptbahnhof treffen wir Steve und Max. Sehr gut gekleidet, unter anderem mit Rammstein-T-Shirt. Mark: „Warst du auf dem Konzert?“ Steve: „Nein, leider nicht, habe die Tickets nicht mehr bekommen! Aber wir waren auf der Festwiese vor dem Konzert.“ Mark: „Und genau so macht ihr es beim WGT, ihr geht nicht zum WGT auf das agra-Gelände, sondern ins HeiDo. Warum?“ Max: „Mittelaltermarkt, Met und eine schöne Bühne.“ Mark: „Welche Sorte von Met mögt ihr am liebsten? Kirschmet oder ganz normalen?“ Steve: „Ich glaube Wikingerblut ist ganz geil!“

Dunkle Wolken hängen über dem Weg vom Hauptbahnhof Richtung Leipziger Innenstadt. Außerdem sehen wir bunte Turnschuhe. Schlechte Vorzeichen? Ines glaubt: „Dass das WGT noch nicht angefangen hat und du jedes Jahr Panik hast, dass es weniger wird.“

02.06.2022 – Donnerstag, Leipzig: In der Bild-Zeitung war auf Seite eins zu lesen, dass durch irgendwelche wirtschaftlichen und Kriegsschwierigkeiten die Erdbeeren einerseits überreichlich, andererseits aber unverkäuflich wären. Am Göerdelerring steht glücklicherweise ein Erdbeerhäuschen. Als ich zur Unterstützung der Erdbeerwirtschaft einige der köstlichen Früchte erwerben will, staune ich aber über das Aussehen der Verkäuferin. Sie trägt Hörner und weißen Schnee auf ihren Augenlidern. Könnte es sich um Ines handeln?

KONFETTI? DERO? FLAUSCHSOCKEN?

Wir stehen vor dem EMP und wollen hineingehen. Davor treffen wir Martin und Lin. Mark: „Ihr seid noch nicht komplett in Schale geschmissen. Wie werdet ihr denn aussehen?“ Martin: „Ein bisschen schwarz-viktorianisch.“ Mark: (blickt auf das marine-farbene T-Shirt und erkennt, ganz der Forensiker eben, Fasern): „Hast du einen Hund oder eine Katze?“ Lin: „Eine Katze! Eine graue Katze.“ Mark: „Warum habt ihr keine schwarze Katze?“ Martin: „Die war nicht in Schwarz verfügbar, es ist eine Main-Coon und die gibt es noch nicht in Schwarz.“ Mark: „Zuletzt wart ihr vor sechs Jahren auf dem WGT. Habt ihr eure Tickets von vor drei Jahren behalten oder neue gekauft?“ Martin: „Ja, wir haben sie behalten.“ Mark: „Wie traurig wart ihr in den vergangenen Jahren?“ Lin: „Ich war am Boden zerstört! Gestern kamen wir von Belgien nach Leipzig.“ Mark sieht ein Bild der Katze und kann nicht mehr sprechen. Mark: „We are cute-ified!“

Jemand kommt aus dem EMP-Laden: Yves Toossems. Mark: „Er ist eine ‚Known figure‘ auf dem WGT. Was bedeutet das?“ Lin: „Jeder kennt ihn!“ Mark: „Für was?“ Lin: „Aufgrund seines Outfits und dem Make-up.“ Mark: „Man kennt ihn also, weil er schön ist, nicht weil er viel trinkt.“

Wir haben es in den EMP geschafft. Frank Glassl (Solitary Experiments) legt auf dem WGT am Samstag mit einem Metal-Set auf. Mit einem Gast-DJ. Nämlich mit Dero: „Ihr
kennt ihn vielleicht noch von OOMPH! Wir sind gespannt!“ Mark: „Wie habt ihr euch vorbereitet? Der Dero ist ja nicht so für Metal bekannt...“ EMP-Chef: „Wir machen viel Konfetti und Trallala.“ Mark: „Schwarzes Konfetti?“ EMP-Chef: „Natürlich!“ Mark: „Was haltet ihr von Konfetti?“ Lin: „Wenns schwarz ist, dann ist es super!“ (lacht)

Nach einer eigentlich verdächtigen einstündigen Pause zeigt Ines mir ein TikTok-Video, auf dem zu sehen ist, wie aus ihrem Körper mit einem Mal riesige schwarze Klingen – es scheinen ihre Fingernägel zu sein – hervorschießen. Ines erklärt: „Das ist aus einem Computerspiel. Das kennst du. Das Fantasy-Computerspiel, wo Figuren gegeneinander kämpfen.“ Gibt es nur eines dieser Spiele?

16:21 Uhr: Auf dem Weg zur Bändchen-Ausgabe bietet ein Hörgeräte-Akustiker irgendetwas mit Vorbild der Natur an. Auf dem Foto ist ein Tiger zu sehen, der wie eine Sockenpuppe aussieht und ein Hörgerät im Mund trägt.

Kurz vor der Bändchen-Ausgabe treten Probleme auf. Und zwar mit Ines‘ Strumpfhose: „Ich habe wieder festgestellt, dass man Strumpfhosen nicht ohne Flauschsocken tragen kann. Flauschsocken sind ein ganz wichtiges Thema, wenn man lange Zeit in Stiefeln und Netzstrümpfen herumlaufen möchte.“ Mark: „Warum?“ Ines: „Weil man sonst seine Füße aufschrubbt, was mir jetzt gerade passiert. Jetzt muss ich meine Netzstrumpfhose ausziehen und eine normale anziehen. Weil meine Füße sonst wund werden. Und ich keine Flauschsocken habe.“ Mark: „Das Thema ist damit aber noch nicht abgeschlossen.“ Ines: „Ich hab ja eine andere Strumpfhose darunter, aber die ist nicht dick genug.“ Mark hat noch viel über Strumpfhosen zu lernen. Sehr viel. Ines ergänzt: „Du kannst dieses unsägliche Leid überhaupt nicht verstehen.“ Mark: „Wie fühlst du dich?“ Ines: „Ganz fürchterlich.“ Mark: „Unverstanden?“ Ines: „Ja.“ Nach einer gefühlten halben Stunde kommt Ines aus der Toilette des WGT-Hotels zurück. Sie berichtet: „Ich habe sie aus Versehen zerrissen!“ Mark: „Und jetzt?“ Ines: „Jetzt hab ich nicht nur keine Flauschsocken, sondern auch keine Netzstrumpfhosen.“ Es wird immer schlimmer!

MEPHISTO? DONALD? BOXSPRINGBETT?

Ines hat ein Problem. In der Bahn bleibt sie mit ihren Hörnern am Haltegriff hängen. Sie sieht allerdings das Gute und stellt fest: „Man kann sich auch so in der Bahn festhalten. Dann hat man beide Hände frei.“ Währenddessen ersteht um Ines herum Unruhe. Einer der Straßenbahnpassagiere bemerkt, dass es hier „aussehe wie auf dem Friedhof“, woraufhin ihn ein anderer mit den Worten aufklärt: „Das ist jedes Jahr so. Die sind immer hier an Pfingsten. Es ist WGT! Kennst du das nicht!?“

17:27 Uhr: Zwei Menschen, die mit mir ein Selfie gemacht haben, haben eine Besonderheit. Mark: „Du trägst ein Element-of-Crime-T-Shirt – keine klassische Gruftiband!. Du willst gar nicht auf das WGT?“ Mensch mit Element-of-Crime-T-Shirt, der sich später als Theo vorstellt: „Ich wohne hier!“ Mark: „Welche Musikrichtung magst du denn?“ Theo: „Punkrock!“ Ist Element of Crime eine klassische Punk-Rock-Band?“ Theo: „Nein, eher nicht!“ Mark: „Und du bist ganz in Weiß gekleidet?“ Mensch-in-Weiß, der sich als Juna vorstellt: „Ja, das ist ein Anime-Shirt. Und ich hab noch eine Besonderheit: Tierschutz!“ Mark: „Warst du gerade auf der Anime-Messe?“ Juna: „Nee, die war vor drei Monaten in Jena.“ Mark: „Bist du nur ein zufälliger Gast oder gehörst du zum WGT-Umfeld?“ Juna: „Morgen treff ich mich mit meinen Punks.“ Info: Das WGT war ursprünglich auch mal sehr punklastig, ist aber schon etwas her.

Beim rituellen Fotografieren der sogenannten Bändchen-Schlange – eine in der Zoologie noch nicht näher beschriebene, aber alle WGT-BesucherInnen gut bekannte Art – kommt es zu dramatischen Szenen. Mark muss auf einem Fahrradständer balancieren. Der daneben stehende Fotograf gibt sich lustig und sagt: „Ich wäre vorsichtig, Steine geben nicht nach.“ In Wirklichkeit gibt er sich nur so freundlich, weil er Ines fotografieren möchte und dies kurz darauf auch tut.

17:50 Uhr, Leipzig Hauptbahnhof: Ines verzehrt eine riesige Portion Pommes mit allem möglichen, ist aber dennoch enttäuscht: Ines: „Ich habe keinen gruftigen Namen bekommen. Der vor mir hat einen bekommen, der hieß Mephisto. Ich habe einen Donald bekommen. Ich bin dafür, dass das Frittenwerk für das nächste WGT bitte nur gruftige Namen vorbereitet.“

So nah liegen Freude und Leid beim Wave-Gotik-Treffen.

Vor dem geschlossenen Softeis-Stand mit türkisem, lilanem und gelbem Eis treffen wir Michelle. Es ist ihr erstes WGT. Mark: „Wie fühlst du dich?“ Michelle: „Ich fühl mich etwas aufgeregt, ich bin sehr nervös, weil ich seit 15 Jahren in der Szene bin und ich eigentlich sämtliche Festivals kenne. Amphi, M’era, Rockharz usw.“ Mark: „Hast du da gezeltet?“ Michelle: „Ja.“ Mark: „Du bist also kein Edel-Gothic?“ Michelle: „Doch, dieses Jahr mach ich „glamping“. Das funktioniert, indem man entweder ein Hotel hat, oder man holt sich Mein-Zelt-Steht-Schon.“ Mark: „Wie funktioniert das? Prosecco? Ein Boxspringbett?“ Michelle: „Es ist ein kleines Feldbett, Schlafsack muss man selber mitbringen, man hat einen Stromanschluss, Wlan.“ (lacht) Mark: „Fühlst du dich schuldig, oder bist du froh, dass es so abläuft?“ Michelle: „Teils, teils. Ich bin froh, dass ich die andere, schönere Seite kennenlerne, aber es macht natürlich auch unheimlich Spaß auf dem Campingplatz mit den anderen Leuten zu zelten.“ Mark: „Was ist das schönste, wenn man Camping macht?“ Michelle: „Man lernt die Leute kennen. Da kommt immer einer dazu, setzt sich hin, bringt ein Bier mit, dann unterhalten wir uns...“ Mark: „Worauf freust du dich am meisten beim WGT im Vergleich zu den anderen Festivals?“ Michelle: „Auf das Kulturprogramm: Friedhofsspaziergang, Vorlesungen und die Bands wie Aesthetic Perfection, Centhron.“

DEPECHE MODE? ABBA? ROLAND KAISER?

19:16 Uhr: Aufregung wie in einer Fledermaus-Höhle zur Ausflugs-Zeit: Festival-Leiter Sven übergibt WGT-Maskottchen Mark das (wörtlich gemeint) druckfrische WGT-Programm nebst nützlichem Mond-Calendarium, das bis zum WGT 2023 reicht.

20:33 Uhr: Wir sind in der agra-Halle und eröffnen gleich das WGT. Vor wenigen Tagen ist eine berühmte Band zu Staub zerfallen. (Depeche Mode – Anm.d.Verf.) „Elvis, wie fühlst du dich?“ DJ Elvis: „Betroffen. Bilder posten oder sowas mache ich nicht, das muss ich mit mir persönlich ausmachen. Aber, was viele denken, dass die ganze Band zerbricht, das glaube ich nicht. Man soll erst mal der Familie und Band Zeit geben. Fletch soll unter die Erde kommen, Zeit der Trauer... und danach werden die was Neues machen. Meine Idee für die Zukunft ist es, dass sie ein Album und eine Tour machen. Eine geile Idee wäre es, das Keyboard von Fletch aufzubauen und so zu bestrahlen, dass es wirkt, als wäre er da. Oder wie bei ABBA einen Avatar. Das wäre das Beste, was man für Andy machen kann.“ Oli: „Das hat mir aus dem Herzen gesprochen. Geht uns allen so.“

Nachdem ein Kasten Zitronenlimonade – angeblich die bestellten Getränke für das DJ-Team – herbeigeschafft wurden, zaubert DJ Elvis einen alkoholischen Likör aus der DDR hervor. Als ob das noch nicht alles wäre, zieht er dann einen Plastebecher vom Roland-Kaiser-Konzert mit dem Gesicht des Sängers auf die in farbiges Licht getauchte Bühne. Schweigen.

Neben Ines hat sich im DJ-Backstage Julia eingefunden. Es ist nicht ihr erstes WGT, sondern ihr Neunzehntes. Mark: „Du hast gesagt, die Halle, in der wir gleich auftreten,
hat Schwierigkeiten.“ Julia: „Ich habe nichts dergleichen behauptet, sondern das Gegenteil!“ Mark: „Wir sind gespannt.“

03.06.2022 – Freitag, Leipzig 01:09 Uhr: Eine vergleichsweise große Traube schwarzer Menschen steht an der Haltestelle vor der agra, obwohl die nächste Bahn nach allen Fahrplanauskünften erst in 2 Stunden und 30 Minuten fährt. Ines ruft der Menge zu: „Die Bahn fährt erst in 2 Stunden und 30 Minuten!“ Niemand reagiert. Die Menge wird größer.

Später in der Nacht: Im fahlen Laternenlicht finden wir einen toten Vogel ausgetrocknet und mit ausgebreiteten Flügeln. Wir sind uns nicht sicher, ob es ein echter Vogel ist oder die Hutdekoration eines Gothic-Outfits. Oder beides.

3. Juni, Morgens: Ines erster Gedanke beim Aufwachen: „Flauschsocken sind etwas für die Älteren. Die Jüngeren tragen jetzt Geleinlagen.“ Mark: „Unter oder über der Strumpfhose?“ Ines: „Das hätte ich noch fragen müssen. Wahrscheinlich normale Socken, dann Netzstrumpfhose und dann die Einlagen in die Schuhe. Wir Älteren haben halt unsere dicken Wollsocken.“ So kann man also ältere und jüngere Gruftis voneinander unterscheiden.

Morgens beim Frühstück: Gruftis mögen offenbar die veganen Leckereien, die die Bäckerei Kamps in gleichbleibend guter Qualität anbietet.

Dort entspinnt ein Gespräch zwischen einer ausländischen Touristin, einem ausländischen Touristen mit Wanderrucksack, grauer Jeans und Adidas-Turnschuhen sowie einer WGTlerin in Netzstrumpfhose, Netztop und knalltürkisen Haaren. Auf die Frage des Reisenden, ob es sich bei Grufti-Klamotten um eine politische Meinungsäußerung handle, antwortet die Gothic-Backwarenliebhaberin: „Nein, es geht um Ästhetik.“

WOLFSHEIM? ALPHAVILLE? HAPPY, HAPPY?

Am Bahnsteig zur dieses Jahr nicht vorhandenen schwarzen Straßenbahn-Linie – sie ist dieses Jahr nur dunkelgrau eingefärbt – treffen wir Andreas und Janine aus Wien. Mark: „Was treibt euch zu den Piefkes?“ Andreas: „Das WGT natürlich. Ich leg auf, sie möchte gern schöne Outfits präsentieren.“ Mark: „Wo legst du auf?“ Andreas: „Heute Abend im Darkflower und am Montag in der Moritzbastei, als DJ Stromtod.“ Mark: „Hast du einen coolen Co-DJ oder machst du das alleine?“ Andreas: „Ich mach das alleine. Es legen nach mir andere auch auf, aber ich leg mein Set auf, Industrial-Techno und sowas.“ Mark: „Machst du deine Outfits selber?“ Janine: „Alles selbst, ja! Also nicht nähen, um Gottes Willen! Aber zusammenstellen, schminken, Perücke und das Ganze.“ Mark: „Was sagst du zu chinesischen Herstellerinnen und Herstellern?“ Janine: „Mir tun die Leute leid, die das Budget nicht haben und sich nichts Teures kaufen können. Aber man muss schon daran denken: Ist es menschenverachtend, wo es produziert wird oder nicht? Das ist das Wichtigste.“ Mark: „Und qualitativ?“ Janine: „Nicht optimal.“ Mark: „Hast du noch einen Styling-Tipp? Du bist ja heute in zarten Farben gekleidet, viele andere sind in Schwarz gekleidet. Hast du einen Tipp für die nächsten Jahre?“ Janine: „Einfach machen was man will und Goth ist so viel mehr als nur schwarz. Goth ist alles, mit dem man sich ausdrücken will. Eine Lebenseinstellung, und wie ich das nach außen trage, muss nicht immer black sein – darf natürlich! – aber muss nicht. Man soll machen, was einem Spaß macht. Man lebt nur einmal.“

Beim Aussteigen beim agra-Gelände treffen wir Janine wieder. „Ines hat ja bereits ausführlich berichtet, welche Probleme durch Strumpfhosen auftreten können, die die Haut aufscheuern. Kennst du diese Probleme auch?“ Janine: „In allen Formen und Varianten.“ Mark: „Was ist dein Trick gegen Strumpfhosen, die die Haut aufscheuern?“ Janine: „Generell mal: keine Strumpfhosen!“ (lacht) „Aber einer mit Strumpfhose wäre: Schmerzmittel und Alkohol nicht kombinieren bitte!“

Nach meinem Vortrag über Fäulnis treffen wir in der agra-Halle Kerstin Henning. „Kerstin, seit wann liest du Orkus!?“ Kerstin: „Den Orkus! haben wir hin und wieder mal zu Hause, die letzte Ausgabe war jetzt wegen The Cure.“ Mark: „Wie findest du mein WGT-Tagebuch, das dort regelmäßig erscheint? Hast du das gelesen?“ Kerstin: „Aber natürlich! Ich hab aber so viel im Kopf, ich kann das nicht auswendig, tut mir leid.“

In der agra-Halle: Ich stehe bei meinem Verleger Holger Kliemannel vom sehr guten Verlag Edition Roter Drache und ihm ist etwas aufgefallen: „Seitdem in der Ukraine der Krieg ausgebrochen ist, werden Bücher viel weniger gekauft. Die Verkaufszahlen sind generell stark rückläufig, was darauf zurückzuführen ist, dass ein Buch ein Luxusartikel ist. Die Leute achten wirklich darauf, wofür sie ihr Geld ausgeben.“

Mark: „Findest du persönlich denn, dass ein Buch ein Luxusartikel ist? Kannst du das verstehen?“ Holger: „Eigentlich schon. Ein Buch ist für die Unterhaltung da.“ Sehr krass. Wir fragen gleich die anderen Händler, wie sie das erleben.

Später Nachmittag: agra-Markthalle: Neben mir stehen: Ronny Zeisberg (wieglas) und Markus Reinhardt (Renard). Früher bei Wolfsheim! „Ihr habt einen Stand aufgebaut, in dem ihr über Depressionen aufklären wollt, mit Musik und einem Fotoprojekt. Könnt ihr das ganz kurz erklären?“ Markus: „Ich versuche mein Bestes, es ist unkompliziert zu erklären. Wir arbeiten zusammen in der deutschen Depressionsliga und hoffen mit dem Projekt, bei dem auch viele prominente Schauspieler mitmachen, möglichst viele Spendengelder zu generieren, damit die ihre Arbeit fortsetzen können, um das Thema publik zu machen. Das wird oft unter den Teppich gekehrt.“ „Ihr habt auch ein Video gemacht mit Marian Gold. Wie habt ihr den angesprochen, ein Superstar!“ Markus: „Nach Wolfsheim habe ich mich entschlossen, mit diversen Sängern zusammenzuarbeiten. Ich hab die Telefonnummer von seinem Manager bekommen und kurze Zeit später habe ich mit Marian gesprochen. Es hat sich herausgestellt, dass er ein großer Wolfsheim-Fan war. Ich war völlig perplex, weil ich hatte das Gefühl, dass er mehr über Wolfsheim wusste als ich über Alphaville.“ Mark: „Wie inszenierst du die Fotos?“ Ronny: „Ich versuche immer hinter die Fassade zu schauen und heilsame Momente zu schaffen.“ Mark: „Verstehe: das Happy-Schild ist die Fassade und dahinter ist der echte Mensch“

SPANKING? GEHIRNFROST? SILIKON IM KÖRPER?

Der Nachmittag wird immer später. Wir sind vor der agra-Halle. Wir treffen Walti und Moni. Mark: „Du hast in deinem Rucksack eine spezielle Tinktur.“ Walti: „Eine Desinfektionslösung nach Dr. Mark Benecke. Mit Zitronensäure. Das hat mich über die ganze Zeit gerettet.“ Mark: „Hast du da auch so trockene Hände wie ich bekommen durch das viele Desinfizieren?“ Walti: „Nein, ich desinfiziere nur im Notfall. Das hat sich ja jetzt ein bisschen verringert.“ Mark: „Hast du die Lösung auch benutzt?“ Moni: „Selbstverständlich. Das Rezept hat er von mir bekommen!“ (lacht)

Gleich spielen Fiddler’s Green. Auf dem Weg zum Zeltplatz treffen wir Luisa und Micha. Mark: „Luisa, du hattest eine Operation und saumäßiges Glück gehabt...“ Luisa: „...dass der Verband in Schwarz ist.“ Mark: „Sogar das Abstandskissen und die Hülle für deinen Arm. Hat das große Diskussionen erfordert?“ Luisa: „Nein, da hatte ich einfach Glück.“ Mark: „Was hättest du gemacht, wenn es Pink oder dieses komische Blau oder Grün gewesen wäre?“ Luisa: „Dann hätte ich mir ein Stück Pappe genommen, das vorgeklebt und so getan, als wäre es ein Schild. Als Schildmaid.“ Mark: „Eine neue Idee: Geht als Schildmaid, wenn ihr hässliche Armgips-Schienen habt.“

Wir werden es niemals zum Konzert schaffen, weil wir jetzt den wunderschönen Ari aus dem Kitkat in Berlin und seine ebenso schöne Freundin Anna treffen. Ari: „Wir sind zurück, um zu bleiben! Ich glaube, dass das Treffen geil ist ... der Hammer! Du musst morgen unbedingt zur Obsession-Bizarre-Party kommen!“ Mark: „Anna, bist du ein Kinky-Boy?“ Anna: „Ein Kinky-Girl!“ Mark: „Und, wurdest du auch schon ‚gespankt‘?“ Anna: „Nein, vielleicht sollte ich mich da beschweren!“ (lacht) Ari: „Morgen!“

Im Heidnischen Dorf spielen Fiddler’s Green. Frecherweise haben sie ein Poster mit der Zahl 30, nämlich ihrem 30-jährigen Bandbestehen, aufgezogen, vermutlich nicht wissend, dass dies das 31. WGT wäre, wenn nicht Corona dazwischen gekommen wäre. Die Stimmung ist sehr gut. Auffällig ist die hohe Anzahl von Kindern. Ines. „Aber wir fragen uns noch: „Wenn wir zwei halbe WGTs haben, ist das dann ein ganzes WGT und ist dann das jetzt das 30.?“ Mark: „Sicher ist nur, es sind sehr viele Kinder beim 30-jährigen Fiddler’s-Green-Konzert im HeiDo.“

Zwischen den Konzerten gönnen wir uns ein Eis aus gestoßenem Wasser. Das Erdbeereis von Ines besteht in Wirklichkeit aus Karottensaft, wie wir dem Etikett entnehmen. Es schmeckt aber dennoch nach Erdbeere. Ines hat Gehirnfrost. Ich habe Zahn- und Magenfrost.

Auf der sogenannten Flaniermeile vor den agra-Hallen treffen wir die beiden sehr gut aussehenden Alisha und Rhy. Mark: „Du bist MARKiert. Was bedeutet das?“ Alisha: „Dass ich eine Unterschrift von dir und Ines tätowiert habe.“ Mark: „Wie fühlst du dich damit? Wie lange hast du die schon?“ Alisha: „Bestimmt schon drei Jahre und ich finde die sehr gut.“

Abends, agra-Halle. Vor dem Solar-Fake-Konzert drängeln sich die Fans inklusive uns vor die Bühne. Darunter auch Bettina, Kursteilnehmerin meines Forensik-Kurses 2009. Wir haben einige verrückte Dinge gemeinsam erlebt. Jetzt wird es aber noch verrückter.

Denn sie beschäftigt sich mit folgendem.

Bettina: „Ich entwickle Neuro-Implantate, um auf der Hirnoberfläche neuronale Aktivität aufzuzeichnen und zu stimulieren. Chemisch und elektrisch, um die pathogenen Mechanismen in Gehirnen bei neuropsychiatrischen Störungen zu beheben.“ Mark: „Wir versuchen das jetzt mal mit einfachen Worten: Auf meine Gehirnoberfläche wird ein Stück Silikon gelegt, das kann dann mein Gehirn anregen. Was könnte mein Gehirn im Bestfall danach tun?“ Bettina: „Es funktioniert wieder normal!“ (lacht)

NEUES BUNDESLAND? HUNDEBISS? MUTTER-TOCHTER-DING?

Der Abend und die Konzerte nahen. Neben mir sitzt Ruby. Ruby hat Socken gekauft. Hat das damit zu tun, dass die Strumpfhosen scheuern, oder hat es andere Gründe? Ruby: „Ich mag einfach diese Socken, die sind toll!“ Mark: „Warum kaufst du bunte Socken auf dem WGT, wo sonst alles schwarz ist?“ Ruby: „Um die Leute zu schockieren! Ich kauf sie auf dem WGT, weil ich wohn in der Schweiz und dort ist alles verdammt teuer! Aber Leute schocken ist doch toll!“ Mark: „Was war der krasseste Schock, den du erlebt hast durch Ringelsocken? Konnte jemand nicht mehr sprechen, ist stehen geblieben, hat dich angesprochen?“ Ruby (lacht): „Ich hab mal aus Versehen in Dortmund gelb-gestreifte Overknees getragen. DAS war ein Schock für mich!“ Liebe Leserinnen und Leser aus der Schweiz und Österreich, lasst euch erklären, was es damit auf sich hat!

Meine Co-DJs Olli und Elvis kündigen Solar Fake an mit den Worten: „Sie treten in den nächsten Wochen auf in Thüringen, Sachsen und Nordamerika.“ Ist Nordamerika ein neues Bundesland?

Nachts in der agra-Halle. Denise von der Firma Schnittmuskel, die zerfetzte Kleidung mit Bändern dran herstellt – wie kann man das noch beschreiben? Denise: „Destroyed-Stil!“ – im Destroyed-Stil – wurde von einem Hund angefallen und hat sich das Bein gebrochen. Allerdings sieht die Cyborg-mäßige Beinprothese gar nicht so schlecht aus. Sie ist auch schwarz! Denise: „Ja, in Carbon-Optik. Techware-mäßig.“ Mark: „Überlegst du jetzt auch, mehr Techware anzubieten?“ Denise: „Tatsächlich! Aber im Destroyed-Stil!“ Mark: „Hat es also was Gutes gehabt, dass der Hund dich angefallen, umgeworfen und dein Bein zerstört hat?“ Denise: „Ja, kann man so sagen. Mehr oder weniger. Vielleicht.“ Wir drücken Denise die Daumen und sind gespannt auf die Techware-Destroyed-Crossover-Fashion-Ieva.

Wir werden von den Seelenfängern des Steampunk-Zeltes eingefangen und treffen Ieva. Mark: „Das ist ein wunderschöner Langhorn-Käfer mit einem roten Amethyst.“ Ieva: „Genau, das ist ein afrikanischer Amethyst. Ich glaube, auf Deutsch heißt das Tier Schwarzkäfer, aber ich habe ein bisschen etwas daran geändert, also ist es nicht komplett anatomisch korrekt, es handelt sich um eine Kombination verschiedener Käfer. Aber ich hoffe, er gefällt dir!“ Mark: „Ist das eher ein Kunstwerk oder Schmuck, der einfach hübsch aussieht?“ Ieva. „Ich würde sagen, dass das jeder für sich selbst beantworten muss. Ich bin nicht in der Position, zu entscheiden, was Kunst ist. Für mich ist es etwas Persönliches und eine Art und Weise, meine Ideen mitzuteilen.“ Mark: „Bist du gefühlsmäßig in der Lage, den Käfer zu verkaufen oder würdest du ihn lieber behalten?“ Ieva. „Ich bin auf jeden Fall bereit.“ Mark: „Auf deinen Körper sind auch einige Käfer tätowiert, und zwar vom besonderen Tattoo-Künstler The Dude. Wo ist dieses Tattoo-Studio?“ Ieva: „Sein Name ist Maxim, und er macht sehr feine, spezielle Arbeit. Hinsichtlich Käfer bin ich da seine Haupt-Kundin. Er kann sich bei mir austoben.“ Mark: „Warst du wie ich schon als Kind irgendwie merkwürdig, hast du da schon Insekten oder so gesammelt?“ Ieva: „Als ich ein Kind war, habe ich mich richtig vor Insekten gefürchtet. Erst mit der Zeit habe ich meine Liebe dazu entdeckt. Sie sind wie kleine Aliens, die gar nicht zu dieser Welt zu gehören scheinen.“

Nach dem Konzert ist vor dem Regen. Neben mir steht Fara. Mark: „Du hast gesagt, du feierst mich, und warst mit 14 das erste Mal auf einer Veranstaltung von mir. Welche war das und warum durftest du mit 14 auf die Veranstaltung?“ Fara: „Meine Mutter nimmt mich mit zum WGT, seit ich 13 bin, und ich war mit 14 auf dem WGT auf einer Vorlesung bei dir. Es ging um Fäulnis.“ Mark: „Was findest du am besten am WGT?“ Fara: „Die Musik ist mein Ding! Ich bin absoluter Depeche-Mode-Fan, ich liebe Skinny Puppy und The Cure.“ Mark: „Du bist quasi Old-Schoolerin! Wie alt bist du denn?“ Fara: „19!“ Mark: „Was hast du gemacht, als du erfahren hast, dass Fletch gestorben ist?“ Fara: „Ich habe geweint! Ich habe das letzte Konzert 2018 in Berlin verpasst. Da wollte ich so gerne hin...“ Mark: „Du trägst ihn aber in deinem Herzen. Wie kommt es denn, dass du so auf old-schoolige Sachen stehst und nicht auf sowas wie x-Rx- oder sowas?“ Fara: „Meine Mutter hat mich da reingezogen, und Pop ist Mist. Electro finde ich aber auch gut. Industrial habe ich am liebsten.“

HAWAII? FESTIVALGRUFTI? NOSFERATU?

Nachts vor der agra. Wir treffen unsere Hawaiianischen Freunde mit den exotischen Namen Sandy und Philip.

Er ist Professor für Astrophysik mit dem Spezialgebiet Teilchenphysik. Sandy ist Bildungswissenschaftlerin mit dem Spezialgebiet Erwachsenenbildung. „Philip, du trägst einen Pulli, aber ich hab gehört, in Hawaii gibt es nicht nur kein Bier, sondern auch keine Pullis. Stimmt das?“ Philip: „Doch, ich hab nur einen Pulli mitgebracht.“ Mark: „Weil du wusstest, dass es hier kalt ist?“ Ines: „Aber er trägt kurze Hosen. Obwohl es in Strömen regnet und kalt ist.“ Mark: „Was sagst du zum Kleidungsstil deines Mannes, während du hier im aller-edelsten Grufti-Stil gekleidet bist.“ Sandy (lacht): „Kurze Hose kenne ich ja, aber er ist normalerweise doch viel farbenfroher zu Hause. Die Hawaii-Hemden sind im Hotel und die sind bisher noch nicht herausgekommen. Die bleiben dort...“

04.06.2022 – Samstag. Morgens: Ines ist in Plauderlaune. „Schau mal, ich habe ein neues Outfit“, sagt sie. Mir scheint es, dass es ein ganz normales Outfit ist, das sie das ganze Jahr über trägt. Daraufhin Ines: „Ich bin doch kein Festivalgrufti!“ Neben modischen Fragen gibt es schwerwiegendere Probleme, die Ines gestern mit unserem Astrophysikprofessor besprochen hat. Mark: „Ist Licht zweidimensional?“ Ines: „Soll ich dich jetzt mit physikalischen Einzelheiten langweilen?“ Mark: „Ja bitte!“ Ines: „Je höher die Geschwindigkeit eines Objekts ist, umso mehr findet eine Längenverkürzung statt, um die Richtung, wo es sich bewegt, bis zu einer Verkürzung in... also wenn ein Objekt Lichtgeschwindigkeit hat, hat sich die dritte Dimension theoretisch aufgelöst. Das heißt, es müsste zweidimensional sein. Licht hat ja Lichtgeschwindigkeit. Es besteht ja auch aus Teilchen und die müssen dann zweidimensional sein.“ Mehr dazu im nächsten Orkus!-WGT-Special „Teilchen-Physik“. Nachdem wir uns vegane, typisch Leipziger Lärchen – ein örtliches Gebäck – besorgt haben, erlebe ich den merkwürdigsten Moment des Jahres, möglicherweise auch meines Jahrzehnts. Wir sehen zwei Cybers, die es ja eigentlich gar nicht mehr gibt, schnurstracks in den Primark gehen.

An der Straßenbahnhaltestelle. Die schwarze WGT-Linie ist abgeschafft, dafür gibt es zahlreiche Umleitungen und Streichungen. Es ist verwirrend. An der Straßenbahnhaltestelle treffen wir Steffen und Rebecca. Mark: „Ihr seid schwarz gekleidet, aber gar nicht beim WGT, sondern beim Stadtfest. Warum?“ Rebecca: „Damit wir nicht auffallen!“ (lacht). Mark: „Was tragt ihr sonst für Farben?“ Steffen: „Gelb.“ Rebecca: „Richtig farbig. Ich glaube das ist mein einziges schwarzes Teil, das ich habe.“ Mark: „Deine Schuhe haben die Farbe Pflaume, würde ich sagen. Warum geht ihr nicht auch mal aufs WGT, wenn ihr euch schon so gekleidet habt?“ Steffen: „Ich habe viele wundervoll angezogene Menschen in herrlichen Kostümen gesehen. Und jede Menge Weihrauch, (Patchouli – MB) ohne Ende...“ Mark: „Was erwartet ihr vom Stadtfest heute?“ Rebecca: „Eigentlich sind wir nur zum Gucken hier und erwarten, dass wir noch ein paar hübsch gekleidete Menschen treffen.“

Das Wave-Gotik-Treffen ist vielfältiger, als ihr es durch unsere kleine Tagebuch-Auswahl erfahrt. Bspw. gibt es im Hauptbahnhof eine Ausstellung, in der der Stummfilm „Nosferatu“ gezeigt wird. Ines: „Es gibt auch viele Kinos, die passende Filme zeigen, die Museen haben schöne Ausstellungen, zum Beispiel die Geschichte des Würfels, vor allem für Rollenspieler interessant. Eine sehr geile Idee.“ In die Oper kommt man gratis rein und vieles mehr. Ich bin aber mit viel Blingbling behangen und bleibe am liebsten auf dem Festivalgelände.“

Mittags, agra-Gelände-Eingang: Als ich dachte, der Cyber-Primark wäre schon das merkwürdigste Ereignis des Jahrzehnts, werde ich nun vollkommen weggeflasht, weil am Bändchenhäuschen-Mitarbeiter keine einzige Person ansteht und alle fünf Anwesenden Karten spielen bzw. in die Luft schauen. Die Hinweise verdichten sich: Hier stimmt etwas nicht.

HÖLLE? MADEN? HONIG?

Am Eingang des Messeparks treffen wir Sabine, Kari und Jacky. Mark: „Du bist mit zwei Frauen in den Armen auf den Fotos zu sehen. Was geht hier vor sich?“ Kari: „Einmal Mutter, einmal Ehefrau.“ Mark: „Du hast gesagt, das sind deine liebsten Frauen auf der Welt.“ Kari: „Joah!“ (lachen) Mark: „Wer hat wen zu Gothic überzeugt? Deine Mutter euch beide oder ihr deine Mutter?“ Kari: „Das ist in Teenager-Jahren so gewachsen, ich habe die ganze Familie mitverseucht. Meine Schwester springt auch noch rum, aber die hat sich in der Bahn geirrt, die kommt zu spät. Wir sind seit etwa drei Wochen verheiratet, seit Freitag, 13!“ Mark: „Herzlichen Glückwunsch! Habt ihr eine gothische Hochzeit gemacht?“ Jacky: „Ja!“ Mark: „Wie war das für dich, in Schwarz deinen Sohn vor den Altar zu führen?“ Sabine: „Das gehört so!“ Mark: „Wie lange hat es gedauert, bis er dich von Grufti-Dingen überzeugt hat?“ Sabine: „Wir sind ja eher die Metaller-Schiene, und ich komm ja von der Rock-Seite. Von daher war da nicht so viel Überzeugungsarbeit notwendig.“ Mark: „Wie habt ihr eure Hochzeit schwarz-romantik organisiert?“ Kari: „Wir haben einen schwarzen Dresscode festgelegt, ein bisschen viktorianisch. Das hier ist lustigerweise mein Hochzeits-Outfit, aber das Jackett habe ich nicht dabei, weil es viel zu warm ist.“ Mark: „Du stehst in deinem Hochzeitsanzug!? Wie war eure Torte?“ Kari: „Schwarz-rot, dreistöckig. Ihre Mutter ist gelernte Konditorin und hat uns die schwarze Torte zur Hochzeit gebacken.“

Mark: „War sie innen auch schwarz?“ Jacky: „Die oberste Schicht, ja!“ Mark: „Könnt ihr das empfehlen, den Gästen schwarze Kleidung vorzuschreiben?“ Jacky: „Jeder hat sich angepasst, es gab gar kein Gemurre.“

Die Security beweist derweil Humor: „Was habt ihr hier gemacht?“ Security: „Ein Hopse-Spiel!“ Mark: „Kommen die meisten in den Himmel oder in die Hölle?“ Security: „Der Großteil geht in die Hölle, nur bei Pärchen geht ein Teil in den Himmel und der andere in die Hölle.“ Mark: „Darf man das mehrmals machen oder nur einmal?“ Security: „Immer wenn man durchgeht, kann man das machen.“ Ich habe mal wieder überhaupt nichts verstanden, Ines erklärt das Spiel: „Wenn du richtig wirfst, landest du im Himmel, bei den Normalos. Aber weil wir ja Gruftis sind, hat die Security extra hingemalt, dass es die Hölle ist, weil kein Grufti möchte in den Himmel, der ist ja langweilig. In der Hölle ist die Party.“ Mark: „Woher weißt du das?“ Ines (geheimnisvoll): „Ich war schon mal da!“(lacht)

Auf dem Weg zum Vortragsraum hat eine Zuschauerin namens Ulli eine sehr gute Frage, die sie gestern nach meinem Vortrag nicht mehr stellen konnte, weil es so viele Fragen gab: „Wenn jemand an Corona verstorben ist, sind die Maden dann auch Corona-positiv?“ Mark: „Wer es weiß, schreibt Orkus! eine Mail!“

Bei der Signierstunde nach meinem Vortrag in der agra 4.2 treffen wir Nicole. Mark: „Du hast Birkenstock-Schlappen an. Wir bitten um eine Erklärung, weil du ja ansonsten ganz gruftig gekleidet bist.“ Nicole: „Ich war so aufgeregt, und unterwegs hat mein Partner an mir gerüttelt und gefragt, ob ich nochmal zurück will. Und ich so: ‚Nein, sonst kommen wir zu spät‘, und dann sind wir weiter... sonst trage ich Chucks. Keine hochhackigen Schuhe, weil ich bin klein und das muss man nicht unterstützen.“

Es herrscht Leere in der agra zwischen zwei Veranstaltungen.

Aus dem Nichts erscheint DJ Elvis. Nicht wiederzuerkennen: Statt im weißen DJ-Hemd diesmal in mehr als gepflegtem klassischem Outfit. Was ist passiert? Elvis: „Meine Mutter hat das Bild von gestern gesehen und dann gab es erst mal einen Anschiss: ‚Zieh dich ordentlich an, Junge, sonst gibt’s ein paar!‘ ... Habe ich dann gemacht. Aber eigentlich ist es so, es ist heute der Tag der gepflegten Musik für mich.

Es ist einer meiner Lieblingstage beim WGT. Mit VNV Nation als Abschluss. Ich brauch ein Outfit, das zur Zigarre passt, und danach habe ich mich gerichtet.“ Mark: „Wir wollen nicht verschweigen, dass Welle:Erdball auch auftritt, und Elvis und ich werden diese beiden außerordentlich guten Bands, die fast jedem gefallen, möglicherweise sogar von der Bühne ansagen.“ Elvis: „Ja, und Rotersand vermutlich auch!“ Mark: „Jetzt erlebt ihr, wie ich hier eingestrudelt werde... Was ist das wichtigste, das man wissen muss, wenn
man vor so einer riesigen schwarzen Menge auf die Bühne geht?“ Elvis: „Spaß haben! Die Leute sehen! Sich freuen! Es ist fantastisch, das Lächeln vom Publikum... das ist so erfreut, ich muss immer grinsen. Mein Grinsen sieht vielleicht manchmal blöd aus, aber man freut sich wirklich. Das ist innerer Frieden.“ Mark: „Wir saugen wie die Bienen das Lächeln der Menschen aus und geben es wie Honig zurück.“

UMARMUNG FÜR GELD? NICK CAVE? FUCK?

Snack-Zeit zwischen den Veranstaltungen. Gegenüber hat Denise von Schnittmuskel, die
ihr bereits von gestern kennt, Platz genommen. Sie wird heiraten, allerdings nicht im Techno-Destroyed-Look. Warum?“ Denise: „Weil wir rebellieren wollen und in Weiß heiraten.“ Mark: „Könnte es auch an deinen Tattoos liegen, die du gerne als möglichst starken Kontrast zum weißen Kleid hervorstrahlen lassen möchtest?“ Denise: „Auch!“ (lacht) Mark: „Dir gegenüber sitzt ein Professor für Astrophysik, der seine Jugend mit Nähen verbracht hat. Was für Gefühle löst das in dir aus?“ Denise: „Da freue ich mich! Ich nähe ja auch und könnte also auch Professorin für Astrophysik werden!“ Mark: „Philip, siehst du da einen Zusammenhang?“ Philip: „Ja, warum nicht, alles ist möglich. Es ist 2022!“ Mark: „Hast du denn viel gegrübelt und nachgedacht beim Nähen oder nur aufs Nähen konzentriert und nicht den Gedanken freien Lauf lassen kann?“ Philip: „Nähen ist sehr meditativ, die Naht muss immer sehr gerade sein.“ Mark: „Man kann also seine Gedanken schweifen lassen?“ Philip: „Wie beim Malen, da gibst du dir Mühe, dass du eine Fläche gut ausmalst und dann denkst du nicht viel über anderes nach.“ Mark: „Hast du dich denn als Jugendlicher und Kind, in der Zeit, in der du gerne genäht hast, schon für Elementarteilchen und Ähnliches interessiert?“ Philip: „Nicht gleichzeitig, aber vielleicht parallel. Unabhängig voneinander.“ Mark: „Was hat dich beeinflusst? Science-Fiction-Romane? Oder etwas ganz Anderes?“ Philip: „Nein, sondern einfach zu wissen, woher wir kommen, warum wir so klein sind, was da draußen ist. Um das ein bisschen zu verstehen. Das ist im Grunde genommen mein Gothic-Anteil. Also der philosophische Ansatz.“

Wenig später. Im Fotograben finden sich neben den Fotografen auch ziemlich junge Menschen, die sich als Angehörigenkollektiv der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen herausstellen. Besonders heraus sticht eine junge Videografin mit einem Glitzer-Regenbogen-Haarreif. Diese feierliche Kleidung ist umso begrüßungswerter als dass soeben das Wunder vom WGT stattfindet: Rotersand ist für Neuroticfish eingesprungen und hat erst zehn Tage vor Auftritt erfahren, dass sie nachmittags in der agra den WGT-Samstag eröffnen sollen. Selten habe ich ein derartig frohes und mitschwingendes und komplett durch die Decke gehendes Publikum erlebt wie bei diesem Auftritt. Spätestens jetzt ist die Pandemie hinweggetanzt.

Passend zu dem lebensbejahendem Gefühl, das dieses Jahr die Grufti-Halle durchströmt, haben die Techniker wie jedes Jahr ein neues Motto in ihrem Technik-Häuschen neben der großen Bühne angebracht. Vor einigen Jahren lautete es: „Keine Gaukler.“

In diesem Jahr heißt es: „Go fuck yourself.“ Als ich ein Foto davon machen möchte, bittet der Techniker mit dem Iro, sich mit ins Foto stellen zu dürfen.

Hinter den Kulissen: Ronan (VNV Nation – Claudi) umarmt jeden. Wie ist das passiert? Ronan: „Ich bin es leid, dass jeder in fünf Meter Entfernung von mir steht. Ich sehe viele Leute, die nach menschlichem Kontakt gieren. Menschlicher Kontakt ist etwas, auf das wir seit Tausenden von Jahren angewiesen sind. Etwas ganz Natürliches. Das ist wichtig für unsere mentale Gesundheit.“ Mark: „Würdest du gerne die Leute vom Publikum auf die Bühne bringen, um sie zu berühren?“ Ronan: „Ich bin nicht Morrissey!“ Mark (lacht): „Oder Nick Cave.“ Ronan: „Das hat er gemacht!?“ Mark: „Ja!“ Ronan: „Morrissey hat Tickets für Umarmungen verkauft!“ Mark: „Die Umarmungen von Nick Cave waren gratis.“ Ronan: „Eine Umarmung sollte spontan sein und etwas bedeuten. Knuddeln ist viel bedeutungsvoller als Sex. Du musst dich mit der Person wohlfühlen.“

Der Abend senkt sich über die Marketender-Halle der agra. Am Stand des hervorragenden Verlages Edition Roter Drache treffen wir Maja. Mark: „Auch dir ist das Strumpfhosen-Problem (aufgescheuerte Füße – M.B.) bekannt, du hast es aber für dich gelöst.“ Maja: „Ja, ich schneide einfach die Füße ab! ... also die Strumpfhosen!“ Mark: „Rutschen die dann nicht hoch?“ Maja: „Nein, die rollen sich nach unten ein und das sieht dann wieder modisch aus.“ Mark: „Wieso ist da noch niemand davor darauf gekommen?“ Ines: „Das hab ich auch schon gedacht, aber ich war mir nicht sicher, ob sie sich nicht auftrennt.“

KLEINANZEIGEN? FRÄULEIN PLASTIQUE? NACKENHAARE?

20:15 Uhr: Hinter der Haupt-Bühne befinden sich Pailletten-Glitzerkleider. Da kann ich locker mithalten, denn ich habe einen Glitzer-Schulter-Umhang. Wenige Sekunden später finden sich die Besitzerinnen der Glitzerkleider ein. Es handelt sich um die bezaubernden Sängerinnen von Welle: Erdball, einer der besten Bands nicht nur des Festivals, sondern meiner Meinung nach auch der Welt. Die Damen sind allerdings in Eile, da die Welle wie immer massenhaft Geschenke unter die Menge streuen wird. Insbesondere die bereits aufgeblasenen Ballons sind derart unter der Bühne angebracht, dass ich fürchte, dass sich gleich die gesamte Bühne heben und fortschweben könnte.

Vor den Bällen hinter den Kulissen treffen wir Fräulein Plastique in Person. Mark: „Heute siehst du Walküren-artig aus. Was hat es damit auf sich?“ Fräulein Plastique: „Walkürenartig? Das sehe ich jetzt mal als Kompliment, danke… Mir geht’s gut und deswegen sehe ich wahrscheinlich so aus.“ Mark: „Also du bist der Auffassung, Wikinger und Walküren haben ein gesundes Leben geführt. Bist du aufgeregt, am Samstagabend als Hauptact auf der Bühne zu stehen? Schwitzt du, zitterst du innerlich?“ Fräulein Plastique: „Ein bisschen ehrlich gesagt schon. Die Corona-Pause hat uns ja doch alle irgendwie ziemlich umgehauen und für mich ist das heute das erste Mal wieder. Ich bin sehr aufgeregt und freu mich.“ Mark: „Bist du aus Plastik?“ Fräulein Plastique: „Ja.“

Welle: Erdball hat wie immer eine sensationelle, das Publikum bezaubernde Leistung hingelegt. Am Ende des Konzertes sprudelte aus Honey heraus: „Ich dachte, ihr hättet uns vergessen!“ Wie könnte das passieren? Was für ein Auftritt! Wer dabei war, wird keine Sekunde davon vergessen. Ines fällt ein, dass heute ja der 04.06. ist. Wenn man das durch zwei teilt, dann ist das 23. Argh!

Nach dem wirklich unbeschreiblich guten Auftritt von Welle: Erdball sammeln sich hinter der Bühne Puppen, die gewisse Ähnlichkeit mit den Handelnden auf der Bühne haben. Als kleiner Fanboy, der die Autogramme der gesamten Band auftätowiert hat, geselle ich mich dort hinzu und genieße einen ruhigen Moment.

Neben mir steht plötzlich, völlig unvermittelt, einer der schönsten und besten Überraschungsgäste, die man sich nur vorstellen könnte. Es ist Steve Naghavi. „Ich bin im Dorf die größte Sau, weil ich gern den Orkus! schau!“, sagte der scheue Künstler. Mark: „Hast du früher auch die Kontaktanzeigen gelesen?“ Steve: „Die meisten Frauen habe ich damals darüber kennengelernt, aber es ist im Prinzip das erste Mal, dass ich darüber rede.“ Mark: „Hast du auch Gedichte eingesendet, als du 13, 14 warst?“ Steve: „Hast du mal meine Musik gehört? Von Gedichten ist da keine Spur. Das kann ich nicht...“ Mark: „Bist du jetzt sehr aufgeregt, mit Ronan mal aufzutreten? Das ist ja wie ein Ritterschlag.“ Steve: „Ich glaube Ronan hat eher Nackenhaare, die sich aufstellen, wenn er weiß, dass ich gerade hinter ihm stehe.“ Mark: „Was befürchtet Ronan denn, was passieren wird?“ Steve: „Naja, er glaubt sicher, dass ich mich an ihm rächen werde, weil er in Schweden mal sturzbesoffen auf die Bühne gekommen ist und meine Show gesprengt hat. Vielleicht denkt er, dass ich heute was Ähnliches vorhabe.“ Mark: „Das kannst du aber ausschließen, das wird nicht passieren?“ Steve: „Nein, es sei denn, du gibst mir einen aus und dann sehen wir, was daraus wird.“

POPCORN? FUCHS? BÄNDCHEN-REGELN?

Nach dem VNV-Nation-Konzert treffen wir die vorher noch in Pailletten gekleideten Welle-Sängerinnen. Jetzt in Zebramuster und in Schwarz. Was ist passiert? M. A. Peel: „Wir mussten die Pailletten-Teile ausziehen, weil die fürs Kaputtgehen sehr anfällig sind. Sie sind selbst genäht!“ Mark: „Ronan hat gerade auf der Bühne vor Rührung geweint. Wie war es für euch?“ Sängerin: „Das war der Wahnsinn, wie viele Leute da waren!“ Mark: „Und was macht ihr jetzt noch?“ M. A. Peel: „Wir fahren nach Hause, in einem Käfer.“ Mark: „Wo habt ihr den denn her?“ M. A. Peel: „Das ist ein New Beetle.“

Mark hängt immer noch beim Strumpfhosen-Problem: „Was sagt ihr zum Thema?“ M.
A. Peel: „Ich habe eine sehr gute Strumpfhose von Hedoine. Die sind super, unkaputtbar, weich und teuer.“ Ines: „Aber was machst du bei Netzstrumpfhosen?“ M. A. Peel: „Okay, ganz anderes Thema! Da müssen Strümpfe drunter!“

05.06.2022 – Sonntag
Tiefe Nacht, von Samstag auf Sonntag.
In der Linie 11 steigt am Connewitzer Kreuz
ein Normalo zu, der sich eine Handverletzung zugezogen hat. Ein aus dem Heidnischen Dorf kommender Mitfahrer streut ihm Heilkräuter auf die Hand und weist ihm darauf hin, dass diese in einigen Minuten wirken dürften. Die restliche Fahrt über ist der Normalo außerordentlich verwundert und versucht aus Gesprächen mit Umstehenden herauszufinden, ob es sich um echte Heilkräuter handeln könnte oder nicht. Wir glauben selbstverständlich an die heilende Wirkung von Kräutern aus dem HeiDo. Als wir am Goerdelerring aussteigen, wirbelt ein Fuchs an uns vorbei. Zeit, ins Bett zu gehen.

Noch später nachts. Das von Welle: Erdball von der Bühne geworfene Popcorn ist noch liebevoller gestaltet als ohnehin erwartet. Auf kleine aufgeprägten Eintrittskarten sind Filme aufgedruckt, die auch im Œuvre von Welle: Erdball vorkommen, bspw. Graf Dracula, Mumien und Pharaonen, sogar mit Datum des Konzertes. Gerührt beschließe ich, diese Packung Popcorn aufzubewahren und nicht zu verzehren.

Sonntag, Morgens: Als ich erwache, ist Ines verschwunden. An ihrer Stelle im Bett liegt eine ordentlich aufgereihte Linie von an mir rätselhaften Gegenständen. Bevor ich Ines‘ Verbleib klären kann – auch im Badezimmer ist nicht zu hören – muss ich meine Bändchen sortieren. Da ich beim WGT traditionell weder allgemeines Backstage, noch irgendwelche Co-Ausweise erhalte, geschweige denn die begehrten Essensmarken, muss ich mit einem tatsächlich komplizierten System für jede einzelne Halle Backstage-Bändchen vorzeigen, sodass ich mich frage, wie die Security überhaupt noch durchblickt.

Ich habe Ines gefunden. Sie ist beim Frühstück der Vampyre, wo sie bereits sechs Gläser Sprudelwasser verzehrt hat. Fragile hat ihr 14-monatiges Kind dabei und auf dem Campingplatz eine interessante Beobachtung gemacht, wie Ruhe und Schlaf bei Kleinkindern eintreten. Viele Eltern könnten daran interessiert sein: „Mit der einen Musik von links und der anderen von rechts schlief das Kind das erste Mal neun Stunden durch!“ Mark: „Wie viele verschiedene Musikstile habt ihr insgesamt schon auf das Kind einprasseln lassen in den letzten Tagen?“ Fragile: „Ach, bestimmt so sieben verschiedene!“ Mark: „Electropop und was noch?“ Fragile: „Folkrock, guten alten Achtziger-Grufti-Kram, EBM, Industrial... was gibt es noch? Irgendwelches Ritual-Geheule...“ Frühstücksbesucherin Fragile und ihre junge Familie berichten von einem weiteren schönen Camping-Abenteuer: Opa hatte vor der Abfahrt unaufgefordert den Wassertank des Campingmobils mit einer Gesamtpackung Kukident-Zahnreiniger gereinigt. Obwohl er den Tank angeblich danach durchgespült hat, sprudelt jetzt auf dem Campingplatz das Wasser. Allerdings im wortwörtlichen Sinne, d. h. die Kukident-Reste lassen das Wasser sprudeln und bewirken einen Zahnpasta-Geschmack, sodass es für nichts anderes als zum Händewaschen geeignet ist. Ob Vampyre deswegen lieber Blut trinken?

LEONARD COHEN? VIP-MITGLIED? MOS-EISLEY-BAND?

Zu meiner großen Freude hat sich meine Mitsängerin Bianca Stücker, mit der ich das auch im Orkus! schon auf der Titelseite dargestellte Album „We Want It Darker (A Tribute to Leonard Cohen)“ sang, bereiterklärt, vor dem Fäulnisvortrag und -film eine Darbietung auf dem Hackbrett zu geben. Ich habe mich getraut, da ich mit ihr neulich schon in einem winzigen Keller in einer stillgelegten Zeche das Ganze mal vor Live-Publikum gesungen hatte, und war deswegen nicht so aufgeregt. Allerdings wurden wir dennoch von der gütigen, schwarzen, sanften Liebe der Gothics in ungeahnte Sangeshöhen getragen und vom Applaus wie eine warme Welle an einem flachen Strand überspült. Einziges Problem ist, dass die Vorträge, die vorher im Schauspielhaus stattgefunden haben und dort schon ständig überfüllt waren, sodass wir die meisten Menschen wegschicken mussten, selbst jetzt in der deutlich größeren agra 4.2 erneut überfüllt waren. So langsam fragen wir uns, ob wir in die agra 4.1 umziehen müssen. Das Publikum wäre zwar dafür, ich glaube aber, die Bands hätten etwas dagegen.

Bei der Security hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass ich eine lustige Armbinde mit dem Aufdruck „Insecurity“ habe. Weitere Fotos folgen daher unweigerlich. Auf der Flaniermeile der agra treffen wir Maria, ihres Zeichens die Vorsitzende des Agonoize-Fanclubs. Ihr sind bereits Hörner aus der Stirn gewachsen, außerdem trägt sie eine Agonoize-Kette. Mark: „Hast du die selber gemacht?“ Maria: „Nein. Selber gekauft.“ Mark: „Was ist das Coolste daran, Vorsitzende des Agonoize-Fanclubs zu sein?“ Maria: „Tatsächlich die Vorsitzende des Agonoize-Fanclubs zu sein. Mit der Band befreundet zu sein ist mega, mit den Fans Kontakt zu haben, Sachen zu organisieren, das macht Mega-Spaß.“ Mark: „Oft ist es ja ein bisschen lästig, wenn man möchte, dass die Fanclub-Mitglieder und -Mitgliederinnen was machen und in Schwung kommen sollen. Habt ihr das Problem auch oder ist das eine stets bewegte Gemeinschaft?“ Maria: „Es gibt einen harten Kern, der gerne an Sachen teilnimmt, aber natürlich ist es im Ganzen ein bisschen schwierig. Aber wir haben riesig Bock darauf.“ Mark: „Man muss auch sagen, ich bin ja Mitglied Nummer 999A oder sowas...“ Maria: „Du bist VIP-Mitglied.“ Mark: „Ich habe auch einen Agonoize-Fanclub-Ausweis. Ihr habt ja auch schon mal Fanclub-Konzerte oder sowas Ähnliches gemacht.“ Maria: „Ja, Meet & Greets, dass die Fanclub-Mitglieder vor dem Konzert reindürfen, die Band treffen können.“ Hoffen wir, dass Chris nächstes Jahr wieder Hoffnung, Blut und Wahnsinn in die Menge streut!

Wenig später. Das Heidnische Dorf scheint jetzt tatsächlich so überfüllt zu sein, dass Ines sich weigert, bei der Jungfrauenversteigerung zuzuschauen. Auf dem Weg zurück in die agra treffen wir die Mos-Eisley-Band, die verdächtig wie Gruftis mit einer Holzkiste als Trommel sowie einem Plastik-Flöten-Klavier-Gegenstand immer wieder dasselbe Lied spielt. (Wer es nicht weiß, es handelt sich hier um einen Internet-Scherz, bei dem die Mos-Eisley-Band aus Krieg der Sterne immer wieder dieselbe Melodie spielt.) Nachdem die Band schon an uns vorbeigezogen ist, fällt Ines ein, ihnen hinterherzubrüllen: „Spielt es noch einmal!“ Das hat die Band ohnehin schon getan. Kaum sind wir auf dem Zeltplatz, zieht die Band erneut an uns vorbei und spielt das Lied tatsächlich nochmal.

Neben uns ploppen auf einmal auf: Marie-Luise und Carl. Mark: „Ihr seid nicht in schwarzromantischer Kluft gekleidet, sondern du bist ein Sporty-Goth, wie es scheint. Wie kommt das?“ Marie-Luise: „Weil es viel zu warm ist und ich Hitze absolut nicht ausstehen kann. Normal wäre ich hübscher angezogen, aber Bequemlichkeit geht vor.“ Mark: „Ich finde, du bist aber sehr hübsch angezogen! Wie würdest du den Look nennen?“ Marie-Luise: „Sporty-Goth trifft es ganz gut.“ Mark: „Du hast auch viele Grauschattierungen drin. Was hat es damit auf sich? Carl: „Ein bisschen Techno-lastig.“ Mark: „Welche technoiden Gothic-Bands, die auf dem Festival spielen, findest du denn sehr gut?“ Carl: „Da gehe ich immer sehr ereignisoffen rein und hör es mir einfach mal an.“ Mark: „Was denkst du über die Mos-Eisley-Band, die soeben vorbeigezogen ist?“ Marie-Luise: „Ich hoffe, sie haben denselben Song nochmal gespielt!“

Unter den blauen Bäumen, die derzeit grün sind, weil die Blätter nicht blau sind... (Gelächter im Hintergrund) ... hat ein anonymer Fan der Mos-Eisley-Band folgendes beobachtet: „Der Walking- und Standing- und Sitting-Act hat heute früh darüber gesprochen, wie er die Chrom-Palladium-Pussi seiner Kokosnussfreundin von der Insel beglücken würde.“ Mark. „Was hast du dabei gefühlt?“ Fan: „Ich war verwirrt.“

KRIMINALBIOLOGIE? KINDERGARTEN? BRILLEN?

Nachmittags: Auf dem Weg zum immer noch völlig überfüllten Heidnischen Dorf treffen wir Anja, die zu ihrem 23. Geburtstag auf meinem Vortrag zur Body Farm war. Mark: „Und du warst ja auch gestern bei meinem Vortrag. Eines hat dir besonders gut gefallen: „Ja, da habe ich kleine Abkömmlinge von Fliegen gesehen. Das war so spannend, so etwas habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Du hattest ein tolles Bild von der Leiche, die in der Wohnung lag und so krass ausgetrocknet war. Niemand hat verstanden, warum. Es war komisch, dass da noch die Barthaare dran waren. Das habe ich damals gelesen vor fünf Jahren in deinem Buch „Kriminalbiologie“ und als ich das Bild gesehen habe, habe ich gedacht: ‚Oh wow! In Farbe!‘ Das ist ein riesengroßes Geschenk, weil ich hab Ewigkeiten danach gesucht und bin sehr froh, dass ich dich gefunden habe. Ich liebe deine Bücher!“

Etwas später. Ruby hat in der Corona-Zeit im Selbststudium Japanisch gelernt und stellt fest, dass die Bäume möglicherweise doch blau sind. Warum ist das so? Ruby: „Weil auf Japanisch Blau und Grün früher nicht unterschieden wurden, und grüne Farbtöne „blau“ genannt wurden.“

Unter den blaugrünen Bäumen treffen wir die Familie Engel. Ines prüft, welche Band als Erstes in der agra auftritt und vermutlich von der Familie Engel besucht werden wird. Die Antwort ergibt sich aber leicht beim Betrachten der Lacrimosa-Kleidung der Familie. Ines: „Das ist mir nicht aufgefallen. Aber es ist die zweite Band, die hier auftreten wird. Und wir wissen immer noch nicht, welche die erste Band ist.“ Mark: „Ines weiß nicht, dass es die vierte Band ist. (Familie Engel ist entsetzt.) Wie lange habt ihr auf das Lacrimosa-Konzert gewartet?“ Familie Engel: „Seit zwei Jahren.“

Ines hat den Bändchen-Code studiert und kann jetzt die Bändchen-Farben auseinanderhalten. Die wichtigste Farbe heißt bei der Security „Wichtling“. Ines: „Kommt es von ‚Wichteln‘ oder ‚Wichtig‘? Ich denke von wichtig, weil das ja wichtige Leute sind, die diese Farbe haben.“ Mark: „Welche Farbe ist es denn?“ Ines: „Darf ich nicht sagen.“

Auf dem Weg aus dem Veranstaltungsbüro treffen wir betreute Eltern: Willy und Mandy. Mark: „Ihr habt euer Kind im WGT-Kindergarten. Spielen die Kinder dort mit Fledermäusen und Ratten?“ Willy: „Unter Umständen, vielleicht auch. Aber auch natürlich mit anderen Sachen. Das Schöne an diesem Kindergarten ist, dass die Kinder sich von Jahr zu Jahr immer wieder sehen und mittlerweile auch schon WGT-Kinderfreundschaften gebildet haben.“ Mark: „Freuen sie sich schon lange vorher darauf, ihre WGT-Freundinnen und -Freunde zu treffen?“ Willy: „Zum einen ist es schon so, dass sie sich das ganze Jahr freuen, aber während der WGT-Zeit will unser Fritzi gar nirgends anders hin. Man kann die Kinder bis zu drei Stunden da lassen und sollte sie dann wieder abholen. Insofern sind die Eltern eigentlich entlastet, was bei unserem Fritzi nicht ganz so gut klappt, denn er möchte gerne, dass einer von uns dabei ist.“ Mark: „Ihr habt gesagt, dass ihr schon so lange hier seid, dass ihr selber schon im Kindergarten betreut werdet. Wollt ihr überhaupt etwas anderes machen oder freut ihr euch selber schon nur noch auf den Kindergarten?“ Willy: „Natürlich freuen wir uns auch auf den Kindergarten, weil unser Fritzi sehr gut versorgt wird, aber wir genießen es natürlich auch, mit Leuten zu quatschen und uns die Musik anzuhören usw.“ Aus dem Off kommt die Stimme von Mandy: „Und gleich kommt Lacrimosa!“

Wir haben es nicht geschafft, den Kindergarten zu verlassen und treffen vor seinen Toren Mandy. Mark: „Mandy Nummer 2: Du hast gerade gesagt, irgendetwas ist seit du klein bist mit uns beiden. Erzähl mal!“ Mandy 2: „Tatsächlich verfolgen wir dich bei „Medical Detectives“ schon seit wir ganz klein waren. Da waren wir bestimmt so fünf oder sechs unter dem Stubentisch von der Mama.“ Mark: „Wussten Mama und Papa das?“ Mandy 2: „Natürlich nicht!“ (lacht) Mark: „Ist euch etwas in Erinnerung geblieben, das ihr als kleine Kinder in der Sendung besonders auffällig fandet?“ Mandy 2: „Deine Brillen waren schon immer ziemlich cool! Die sind mir immer im Kopf geblieben. Und natürlich deine Tätowierungen!“ Mark: „Schaut mehr fern und lernt über Brillen und Tätowierungen!“

SACHERTORTE? TIGER? VAMPYRE?

Irgendwo auf dem agra-Gelände zwischen den Bäumen treffen wir Micha und Katja aus Nürnberg. Mark: „Du bist Bestatter und du sagst, du bist mir seit Jahren hinterhergejagt. Was ist die Geschichte?“ Micha: „Man trifft dich ja sonst nie und eine Vorlesung konnte ich leider nicht mitmachen, weil immer was anderes dazwischenkommt.“ Mark: „Leichen sind dazwischengekommen?“ Micha: „Nein, in der Freizeit gibt’s keine Leichen!“ Mark: „Was wissen selbst Gruftis nicht über Leichen?“ Micha: „Das kann ich nicht sagen, ob sie das wissen. Was ich der Meinung bin, dass jeder darüber Bescheid wissen sollte: Wie er bestattet werden will. Dass jeder mit dem Tod zurechtkommen muss. Dass man verwest und wie man verwest.“ Mark: „Also du würdest raten, dass die Leute mal bei den Bestattern und Bestatterinnen vorbeikommen und sich informieren, wie eine Bestattung ablaufen könnte?“ Micha: „Man kann sich informieren, wie man will. Es gibt so viele Sachen. Man muss sich halt erst einmal überhaupt damit beschäftigen. Wir müssen alle sterben, da kommen wir nicht drumherum.“ Mark: „Bist du mir auch schon hinterhergejagt?“ Katja: „Ich bin ein großer Fan von dir und ‚Vampire unter uns‘. Und ich bin absolut begeisterter Fan von Süßigkeiten in schwarzem Design zu kreieren, ich bringe jedes Jahr auf das Viktorianische Picknick eine Torte in Schwarz mit Corpsebride-Figuren mit.“ Mark: „Verteilst du sie auch oder isst du die Torte ganz alleine?“ Katja: „Ich verteile sie gerne an die Leute, die vorbeikommen, lasse die Leute gern Fotos machen und das gute Stück bewundern.“ Mark: „Was ist für dich das Beste an Vampiren?“ Katja: „Vampire sind einfach sehr faszinierende Nachtwesen. Mich fasziniert die Art und Weise, wie sie auftreten. Ich bin ein großer Fan von Fledermäusen.“ Mark: „Was ist das Beste an schwarzer Torte?“ Katja: „Das Beste ist das Innenleben, der Rest ist nur dunkler Fondant. Innen drin ist eine klassische Sachertorte als Füllung. Aber nicht mit Aprikosenkonfitüre sondern mit Johannisbeeren.“ (Der echtwienerische Teil der Orkus!-Redaktion ist schockiert. – Claudi) Mark: „Ein heikles Thema, wir gehen besser weiter...“

Wenn ihr das mit der Torte schon verrückt fandet, dann kommt hier noch eine unglaubliche Aktion: Er fährt jeden Tag aus Nürnberg nach Leipzig. „Wann fahrt ihr da los?“ Reisende: „Gegen zehn fahren wir los und dann abends nach dem letzten Konzert, dann sind wir um vier zu Hause und nach vier, fünf Stunden Schlafen geht es wieder los... Ging nicht anders!“ Mark: „Was habt ihr gegen Zelte!?“ Reisender: „Wir zelten nicht! Wir brauchen eine Dusche, ein Bett. Gestern waren wir sieben Stunden in der Halle, haben ein Konzert nach dem anderen durchgemacht.“ Mark: „Habt ihr Ronan weinen sehen? Wart ihr ergriffen?“ Fahrradfahrer: „Unglaublich! Eines der besten Konzerte, die ich je gemacht oder gesehen habe!“ Mark: „Wie findest du das denn, wenn starke Männer weinen?“ Fahrradfahrerin: „Ich finde das super, wenn sie ihre Gefühle zeigen!“

Am Eingang des Zeltplatzes der blauen bzw. grünen Bäume bewacht ein Tiger das Zelt der Security. Auf Nachfrage weiß keiner der Security-Arbeiter, welche Bedeutung das hübsche, weiß-schwarz-gestreifte Plüschtier hat. Ob es die Sicherheit erhöht oder nicht, ist ebenfalls unbekannt.

Nur wenige Minuten, bevor The 69 Eyes zu spielen beginnen, flattern alle Vampyre – also Menschen aus der Vampir-Subkultur – tanzend in die agra. The 69 Eyes, ein Urgestein der Gothic-Szene, waren mir gar nicht als bei Vampyren beliebte Band bekannt. Community-Chefin Azrael erklärt: „Sogar der Olli hat sie angekündigt als die Vampire von Helsinki, und das hatte seinen Grund. Aber der ist geheim!“ Der geheime Grund ist, dass die Band aus echten Vampiren besteht, die Menschen spielen, die wiederum Vampire spielen. Das genügt, um auch den Vampyren ihre Freude an der Band einzuhauchen. Zumal dieses Motiv (Vampire, die Menschen spielen, die Vampire spielen) auch in den Vampirromanen von Anne Rice auftaucht.

Hinter der Bühne treffen wir den großartigen und sanftmütigen Tilo Wolff (Lacrimosa) und ich beschließe zum ersten Mal in meinem Leben, ihn sich in Ruhe vorbereiten zu lassen. Stattdessen stellen wir uns in den prasselnden Regen und hören den entfernten Klängen von The 69 Eyes zu. Der Himmel öffnet seine Schleusen und scheint in die mittlerweile tiefdunkelblaue bis pechschwarze Nacht seine Tränen herabzugießen. Ist der Grund, dass The 69 Eyes ihr Konzert unter wirklich tosendem Applaus beendet haben oder ist es das Vorzeichen für Lacrimosa, die ja in ihrem Bandnamen schon den Begriff des Tränenreichtums führen?

CASUAL? ZEITREISE? SCHELLACK?

Sonntagnacht: Auf dem Nachhause-Weg erreicht mich eine E-Mail von einer Leserin. Sie schreibt: „Ich durfte auf dem Dach einer alten Kirche eine mumifizierte Katze anschauen. Das war sehr interessant und schön. Anbei ein Foto.“ Dies scheint mir eine für WGT-BesucherInnen interessante Information zu sein. Ich poste sie und sinke ins Bett.

06.06.2022 – Montag
Montagmorgen:
Ines ist heute im Casual-Gothic-Look gekleidet. Erneut bin ich der Auffassung, dass sie eigentlich wie immer aussieht. Ines sagt: „Deswegen ist es ja auch casual.“ Ein Problem bleibt jedoch bestehen: Die Strumpfhosen. Diesmal haben sie an einer anderen Stelle Reibungskräfte ausgeübt. Ines: „Auf der Rückseite der Oberschenkel.“ Wie ich kürzlich gelernt habe, kann man einfach die betreffende Strumpfhosenstelle ausschneiden. Wäre das eine Möglichkeit? Ines: „Wäre vielleicht gut gewesen, dann hätten sie sich nicht in meine Beine eingearbeitet.“ Ich habe langsam die Befürchtung, dass bei dieser Methode am Ende gar keine Strumpfhose mehr übrig bleibt. Möglicherweise ist das ohnehin die beste Lösung. Während ich das diktiere, frage ich mich, wozu dienen Strumpfhosen überhaupt?

Die seit Jahren in kleinen Städten verlorenen, geschlossenen und vergessenen Gothic-Clubs scheinen wieder zu entstehen: Ein vom Regen bereits mitgenommenes, mit gelbem Klebeband unbekannter Herkunft befestigtes Poster verspricht das erste Fledermaustreffen. Ein Mini-Cave-Festival auf Burg Vondern in Oberhausen in Nordrhein-Westfalen. Mit Postpunk, Batcave, Goth, Ausstellungen, DJs und Bands. Ich fühle mich wie in einer Zeitreise. Entsteht hier das nächste Festival, von dem wir in 30 Jahren sagen werden: Ich war auch schon beim ersten Festival dabei?

Wir sind im agra-Treffen-Café. Neben uns stehen zwei der DJs. Mark: „Ihr seid absolut unfassbar unermüdlich. Was ist euer Geheimnis?“ DJ Hellsbody (Ingo): „Spaß, Freude und einfach die Leute feiern sehen. Das ist Adrenalin pur.“ Mark: „Wie viele Tage während des WGTs macht ihr das?“ DJ Hellbody: „Fünf Tage.“ Mark: „Dieses Jahr habt ihr Gaststars, die Twitch-Allstars.“ DJ Hellsbody: „Ich hab mir drei verschiedene DJs, die bei Twitch sehr gut angesehen sind, mit ins Boot geholt und wir machen halt die Party und streamen das Ganze auch noch auf Twitch.“ Mark zu DJ Insert Scary Name Here: „Wie wär’s denn mit dem Nick Schwarze_Fledermaus_666?“ DJ Insert Scary Name Here: „Wir saßen bei der Planung einer Party und haben uns überlegt: Wir brauchen einen gruftigen Namen! Und so war das dann geboren.“ Mark: „Für über-50-Jährige: Was ist Twitch?“ DJ Insert Scary Name Here: „Das ist eigentlich eine Gaming-Plattform, auf der Menschen Videospiele live vor anderen Menschen spielen. Mit der Pandemie haben wir das für die Musik für uns entdeckt.“ Mark: „Ich hab bei Twitch gelernt, man kann sich auch gegenseitig aus einem Kanal rübernehmen. Wie funktioniert das?“ DJ Insert Scary Name Here: „Das ist eine Raid-Funktion. Wir als die Person, die den Kanal betreibt, geben den Befehl ein, und alles, was bei uns ist, fällt in den anderen Kanal ein.“ Mark: „Ist das was Übliches?“ DJ Insert Scary Name Here: „Das ist Community-Bildung at the finest, weil man sich so gegenseitig unterstützt.“ Mark: „Du bist jemand, den wir schon immer an den Plattentellern gesehen haben. Wie findest du denn das mit diesen neumodischen Methoden? Wünschst du dir die Zeit zurück, als noch Schellackplatten aufgelegt wurden?“ DJ Hellsbody: „Ich komm mit den Twitch-Jungs gut klar. Ich selber mache das seit einem Jahr bei Twitch, bin aber nicht so aktiv wie die Kollegen. Aber es macht Spaß, es ist schön.“ Mark: „Wissen die Jüngeren, wie das geht? Können sie die Übergänge machen?“ DJ Hellsbody: „Oh ja, die können das richtig fett. Ich hab gestern mit Cyberella von DarkTunes aufgelegt, und ich hab einfach nur genossen, was er da an den Decks gezaubert hat.“ Mark: „Was wäre das Wichtigste, was du den Orkus!-Leserinnen und -Lesern mitgeben willst, wenn sie hier das Maximum der Musik-Genüsse erleben wollen?“ DJ Hellybody: „Ungezwungen Spaß haben. Einfach sich mitreißen lassen von der Masse. Wir wollen kein direktes Klischee erfüllen, sondern euch einen schönen Ausklang vom Tag gönnen.“ Mark: „Dürfte ich mir bei dir was wünschen oder bist du wie ich ein DJ, der keine Wünsche erfüllt?“ DJ Hellsbody: „Du darfst dir fast alles bei mir wünschen!“ Mark: „Ich bewundere extrem, was ihr hier durchzieht.“

WGT-APP? DANKGEBET? ZÄHNE?

Das Faltpapierprogramm des WGT hat noch kein Mensch verstanden. Zumindest kenne ich keinen. Seit einiger Zeit gibt es eine App, die komfortabel, zuverlässig und mit den richtigen Uhrzeiten und -orten versehen ist. Programmiert hat sie der Tobi. Mark: „Wie bist du auf die Idee gekommen?“ Tobi: „Die Idee kam, als ich mir vor zwölf Jahren einen 20-seitigen Plan mit Excel-Listen auf Papier ausgedruckt habe und damit irgendwann überfordert war und dachte, das muss doch heutzutage einfacher gehen. Dann ging’s los und die App kommt sehr gut an. Ich glaube, die Leute sind ganz froh, dass sie nicht mehr mit diesen riesigen Faltplänen unterwegs sein müssen.“ Mark: „Soweit ich das sehe, ist die App ja gratis. Ist das deine Liebe zur Szene, die dich da bewegt, oder hast du das nur gemacht, damit du eine App hast und die anderen können sie dann auch benutzen?“ Tobi: „Erst mal wollte ich sie für mich alleine haben, aber ansonsten denke ich, die Leute sind froh, dass es das umsonst gibt. Es gibt auch die Möglichkeit zu spenden.“ Mark: „Hast du schon auch mal Spenden bekommen?“ Tobi: „Ich krieg tatsächlich auch Spenden rein. Dieses Jahr spenden sie relativ viel, was schön ist. Daran sieht man auch, dass den Leuten das wichtig ist und das ist schön. Ich habe auch viele liebe Mails bekommen, ob es die App dieses Jahr wieder gibt.“ Mark: „Klassischerweise kündigt die WGT-Leitung alles eine Minute vor Konzertbeginn an. Wie kommst du an die Informationen, sodass sie rechtzeitig in der App sind?“ Tobi: „Tatsächlich schickt mir das WGT die Infos sogar zu, wenn sich irgendwas ändert. Das war nicht immer so und das ist natürlich super. Wir arbeiten mittlerweile zusammen und die sind auch froh, dass es mich gibt.“ Mark: „Wann hast du erfahren, dass Faderhead nicht kommt?“ Tobi: „Das habe ich relativ kurzfristig erfahren, da hatte mich der Cornelius vom WGT angerufen und mich gefragt, dass ich das bitte anpasse.“ Mark: „Wie machst du denn das, ihr seid ja jetzt hier unterwegs und feiert. Hast du wie in Science-Fiction-Filmen um den Arm so ein Display umgeschnallt?“ Tobi: „Ich hab tatsächlich überlegt, ob ich meinen Laptop mit mir tragen soll, aber die Updates stelle ich erst ein, wenn ich wieder im Hotel bin.“ Mark: „Von Herzen danke, dass du das machst. Ohne dich wäre es unmöglich, sich zu organisieren.“

Hier war ich noch nie auf dem WGT: Ich bin im Backstage des veganen Standes. „Ohne euch wären die ersten WGTs gar nicht zu überleben gewesen, weil dann hätte es nichts zum Essen gegeben. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, hier ursprünglich vegetarisches und dann veganes Essen anzubieten?“ Vegan-Chef: „Wir hatten unsere ersten Kunden aus der Szene auf einem anderen Festival, das ist mehr so Heavy-Metal-Schiene, und die haben uns empfohlen, hier einfach mal vorbeizuschauen. Dann fanden wir, dass wir unsere treuesten und besten Kunden hier gekriegt haben.

Ich hab das Gefühl, gar nicht, weil hier so viele Veganer oder Vegetarier herumrennen, sondern weil die Leute anspruchsvoll sind mit sich und ihrem Körper und lieber eine frische Gemüsepfanne essen als Fritten und so.“ Mark: „Jetzt gibt’s hinten ja auch Gemüse. Aber bei euch ist das mit Liebe gemacht. Wie haltet ihr über die Festivaltage eure gute Laune aufrecht? Ihr seid der einzige Stand, bei dem immer so ein friedlicher, freundlicher Vibe rüberkommt.“ Vegan-Chef: „Das sind wir halt! Wir kommen eher aus einer esoterischen, religiösen Ecke. Wir lieben Hinduismus, Yoga und das ganze Ding, und da ist Kochen auch dabei. Das hat mehr mit Energie zu tun für uns als mit Gewürzen. Wir haben auch einen kleinen Altar, da wird ein kleines Dankgebet gesprochen und dann geht es raus und wir haben das Gefühl, Liebe geht durch den Magen, und das ist unsere Art, unsere Liebe zu zeigen.“ Front-Frau: „Das ist kein Job, das ist eine Mission. Wir halten die Energy.“ Mark: „Ihr seid aber keine biologische Familie, sondern eine geistige?“ Mann: „Ja, schon seit so vielen Jahren.“

Ich sitze bei Sebastiaan, der Fangzähne herstellt. Mark: „Weißt du, wie viele Fangzähne du schon hergestellt hast?“ Sebastiaan: „Über 20.000.“ Mark: „Die Kunden sind sehr glücklich, weil es nicht nur eine wunderschöne Arbeit ist, sondern weil sie so gut sitzen.“ Sebastiaan: „Fangzähne bewirken vier Sachen: 1. Sie sind wie eine Maske, und die Ängste gehen verloren. 2. Sie sind ein magischer Trick: Sie sehen echt aus für dich und die anderen. 3. Sie verbinden dich mit deiner primären Natur: Knurren, Heulen... du bist wie ein Raubtier, ein Bär, Löwe oder Wolf. 4. Fangzähne sind ein geiles Sex-Spielzeug. Jeder will wissen, wie es ist, mit ihnen rumzumachen. Sie sind auch einfach ein großartiger Gesprächs-Gegenstand. Sie passen auch zu allem. Ich kann nur jedem empfehlen, zum Fangsmith (Fangzähne-Schmied) deines Vertrauens zu gehen. Es gibt ganz tolle in Deutschland und in Amerika. Du musst dir aber sicher sein, dass sie zahnärztlich ausgebildet sind und das lieben, was sie tun.“ Mark: „Du kommst oft nach Deutschland. Hast du von den deutschen Kunden irgendetwas gelernt, das du so nicht erwartet hättest?“ Sebastiaan: „Sie haben mich den liebsten Satz gelehrt: ‚Das ist cool!‘“

DRECK? SECURITY? KUCHEN AUSGEBEN?

Backstage mit Grendel. Mark: „Wir haben gehört, dass ihr eine schottische Band seid. Stimmt das?“ J. D. Trucker: „Ja klar.“ Mark: „Hast du Angst, bald zu sterben?“ J. D. Trucker: „Nein, ich bin ok. Ich bin jetzt 40 und muss immer noch den Ausweis zeigen, wenn ich Alkohol kaufen will.“ Mark: „Was denken die Leute, wie alt du bist?“ J. D. Trucker: „18!“ Mark: „Und was machst du dann?“ J. D. Trucker: „Ich sage danke!“ Während wir das Bandfoto von Grendel machen, stellen wir fest, dass hier Combichrist-Mitglieder eingesickert sind. Wir taufen daraufhin die Band um in Combigrendel oder Grendelchrist.

Hinter der Bühne treffen wir Intent:Outtake. Andreas: „Wir haben richtig Bock, die Bude zu rocken!“ Mark: „Du hast allerdings ein Problem, die Bühne ist dir zu sauber. Du möchtest auf die Bühne in einem abgerockten, staubigen Look und hast aus der Pfalz Dreck mitgebracht, um dich noch zu beschmutzen. Wie funktioniert das? Was ist das Geheimnis deines Schmutzes?“ Andreas: „Ja, der Dreck aus Rheinland-Pfalz ist der Beste. Aber wir sind eine Band aus Leipzig, ich komm zwar ein bisschen weiter her... aber es ist echt cool, hier zu sein.“ Mark: „Wo ganz genau hast du den Dreck denn eingesammelt?“ Andreas: „Aus dem Garten.“ Mark: „Was ist das Geheimnis, dass der auch am Körper bleibt? Nicht, dass du am Ende sauber wirst! Das wäre entsetzlich!“ Stefan: „Blut, Schweiß und Tränen.“

Backstage treffen wir neben dem lieben Chris von Agonoize auch Battle Scream, die für Faderhead eingesprungen sind. Der Name ist allerdings erst jetzt bekannt geworden, weil davor immer von „der Band aus Dresden, die für Faderhead einspringt“ die Rede war. Mark: „Du warst im HeiDo, als du die Nachricht erhalten hast. Hattest du gerade Met getrunken?“ Alex: „Wir saßen beim Mittagessen, ich hab dann kurz Puls bekommen, ich hab erst mal gesagt: ‚Gib mir fünf Minuten, dann sage ich zu oder ab.‘ Dann ging es relativ zügig, dass wir gesagt haben, man kann das Angebot gar nicht ablehnen und da spielen wir. Bis heute Mittag haben wir nicht gewusst, ob unser Keyboarder überhaupt kann. Der arbeitet in der Pflege und musste seine Schicht kurzfristig tauschen. Ich glaube, da muss er nächste Woche ein paar Kuchen ausgeben.“ Mark: „Du hast deine Schicht getauscht, hat sich das gelohnt?“ Simon: „Ja, auf jeden Fall! Ich bereue nichts.“ Mark: „Man könnte sagen, ihr seid die Vorband von Grendel und Combichrist.“ Alex: „Oder, dass sie nach uns spielen durften.“ Mark: „Würdet ihr das anderen Bands auch raten, so kurzfristig einzuspringen?“ Alex: „Immer. Immer machen! 100 Prozent, oder ganz zu Hause bleiben.“ Mark: „Oder im HeiDo einen Anruf erhalten, nach Hause fahren, die Ausrüstung holen und zurückfahren.“

Wir stehen im Fotograben. Die Security muss keine betrunkenen Fußballfans vertreiben, sondern plaudert freundlich mit dem Publikum. „Wie ist das für euch, wenn ihr gar niemanden zur Ordnung rufen müsst?“ Peter: „Das ist jedes Jahr immer richtig ein schönes, angenehmes Arbeiten.“ Mark: „Auch die Fotografen und Fotografinnen sind brav?“ Mucke: „Jawohl, alle sind lieb.“ Mark: „Die Bands auch?“ Peter: „Die Bands sowieso.“

ÜBER DEM LIMIT? DRACHE?

Wir sind backstage bei Combichrist. Der Abend geht dem Höhepunkt entgegen. Mark: „Wie fühlst du dich, der Hauptakt des größten Gothic-Festivals auf dem Planeten Erde zu sein?“ Andy LaPlegua: „Ist es das?“

Combichrist ziehen wenig später dermaßen hart die Wurst vom Brötchen, dass die agra bebt. Wir fragen einen Techniker, was da los ist. Er sagt: „Da hat wohl jemand den Limiter rausgenommen.“ (Der Limiter begrenzt die Tonlautstärke, damit die Boxen nicht platzen. – Claudi) Während gerade „Bloodsports“ in wie angedeutet sehr lauter Lautstärke ertönt, umkreisen wir die agra von außen und stellen fest, dass dort bereits alles abgebaut wird. Ein ziemlich lustiger Anblick. Innen tobt die Menge, außen löst sich bereits alles auf.

07.06.2022 – Dienstag Dienstagmorgen. Genauer gesagt: 13:45 Uhr. Ines hat bereits ihren ersten leichten Ohnmachtsanfall hinter sich, vermutlich, weil... Ines: „Es fünf Tage Festival sind und ich meinen Kaffee noch nicht getrunken habe.“ Dankenswerterweise kommt in diesem Moment Kevin vorbei und bringt uns einen aus einer Fahrkarte selbstgefalteten Drachen vorbei. Dieser Drache bringt Glück und hilft auch gegen Schwindel. Kevin: „Ist schon vorgekommen.“

Wave-Gotik-Treffen-Dienstag: (Diesen Tag erfinde ich einfach immer, weil Elvis, Olli und ich so traurig sind, dass alles vorbei ist.) Bei der Leipziger Bäckerei Ludwig ist auch der Katzenjammer ausgebrochen. Die kleinen, süßen dunkelvioletten Särge – Backwaren für Gothics – kosten jetzt nur noch die Hälfte. Wir müssen uns wohl doch alle damit abfinden, dass es jetzt vorbei ist. Darum also wirklich bis nächstes Jahr. Schön, dass es euch alle gibt.

Damit endet das WGT-Tagebuch und das WGT. Bis zum nächsten Mal beim 32, ääh 30. WGT. Von und mit eurem –
Mark

und mit fettem Dank an Claudia vom Orkus!, die das ja alles abgetippt hat. Chapeau!

(Claudia vom Orkus!, die das ja alles abgetippt hat: „Danke!“)


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