Fall-Berichte und Untersuchungs-Probleme
Quelle: Vortrag auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, Münster, 2003, V-44 (Abstract)
VON MARK BENECKE
Mit zunehmendem Lebens-Alter von Menschen häufen sich schwere Pflege-Vernachlässigungen. Drei Fälle aus dem Jahr 2002 stellen exemplarisch dar, welchen Beitrag insektenkundliche Untersuchungen bei der Klärung der Frage nach mangelnder Fürsorge bieten.
Fall 1: Leiche einer alten Frau, aufgefunden im Oktober in einer Mietwohnung im 3. Stock eines Hauses in großstädtischer Umgebung im Rhein-Gebiet. Wohnung auffallend ordentlich und sauber, nur in der Badewanne stand Wasch-Wasser. Auf dem Boden und auf einem Fenster-Sims innen auf der Nordwest-Seite zahlreiche, allesamt tote Stall-Fliegen Muscina stabulans FALLÉN, jedoch keine echten Schmeiß-Fliegen. Augen der Leiche intakt. Liegezeit-Bestimmung: mindestens drei Wochen; dies stand im Gegensatz zur Aussage (und den Aufgaben) der Pflegerin, die wöchentlich Dienst hatte.
Fall 2: September, Leiche einer alten Frau, großstädtische Wohnung im Ruhr-Gebiet. Räume sehr unordentlich und teils verschmutzt; das Bade-Zimmer/Toilette sollte wegen vermieterseits dokumentierter Verfalls-Erscheinungen renoviert werden. In einer um den Fuß gewickelten Plastik-Tüte zahlreiche Lucilia sericata-Larven. Massivste Ausfressungen des Gewebes an Fuß und Unter-Schenkel, die nicht in Einklang mit der (kürzeren) Leichen-Liegezeit standen. Pflegerin räumte zuletzt ein, den Maden-Befall der lebenden Pflegebedürftigen zu Lebzeiten – angeblich "einige Tage lang" – toleriert zu haben.
Fall 3: Leichenfund alter Frau im März, Ruhr-Gebiet. Wohnung eher unordentlich, aber bewohnbar. An der Leiche larvale Fannia canicularis und Muscina stabulans (Maden) sowie adulte Dermestes lardarius (Speck-Käfer). Fannia als Kot- und Urin-Besiedlerin bekannt; diese Lebens-Weise im vorliegenden Fall zusätzlich erhärtet durch Lokalisation der Tiere. Verurteilung des erwachsenen Sohnes wegen Pflege-Vernachlässigung.
Schlussfolgerung: In allen Fällen konnte nachgewiesen werden, dass die Personen schon vor ihrem Tode von Insekten entweder an unbehandelten Wunden oder in nicht beseitigtem Kot und Urin wurden. Haupt-Problem war das häufige übersehen von Puppen(hüllen) bei der Asservierung, was eine Unterschätzung der Besiedlungs-Zeit bewirken kann.