Interview mit Dirk-Boris Rödel

Quelle: Tätowiermagazin 2011

Fragen von Mark Benecke

Dirk-Boris Rödel ist Japanologe, Chefredakteur ältesten deutschen Tattoo-Zeitschrift und von Herzen Schwabe. Seine Hobbies sind historische antike maritime Blankwaffen sowie das Dudelsack-Spiel, das er auf Wettkampf-Niveau beherrscht. Mark Benecke besuchte den Mann, der das Genre des hochwertigen Tattoo-Journalismus für Deutschland erfunden hat.

Mark Benecke: Du hast das Genre der mittlerweile allgegenwärtigen Tätowier-Zeitschriften völlig neu erfunden. Wie kamst Du dazu?

Dirk-Boris Rödel: Wie die Jungfrau zum Kinde. Um 1995 habe ich in Japan während eines Auslands-Semesters japanische Tätowierer gesucht und interviewt. Als ich zurück kam, schossen in Deutschland gerade Tattoohefte wie Pilze aus dem Boden und verschwanden sofort wieder. In einem der ersten Hefte des „Tätowiermagazins“ war ein Bericht über japanische Tätowierkunst drin, und der war Schrott. Ich habe denen also geschrieben, dass ich mich wissenschaftlich damit befasst und gutes Bildmaterial habe. Die hat mich gleich am nächsten Tag angerufen und gemeint, ich soll mal loslegen. Mein erster Artikel war ein Dreiteiler über japanische Tätowierkunst -- die Geschichte, traditionelle und moderne Tätowierer, also die japanische Tattoo-Szene aus verschiedene Winkeln beleuchtet.

Als ich mit meiner japanologischen Magisterarbeit schon beinahe fertig war, hat das TM von zweimonatiger Erscheinungsweise auf monatliche Ausgaben gewechselt. Dementsprechend war dann eine Redakteurstelle frei und zu besetzen. Da bin ich dann mehr oder weniger automatisch reingerutscht.

So ein Jobangebot, ohne dass man sich jemals für irgendwas beworben hat, mit bezahltem Urlaub und Sozialabgaben und was da noch alles dabei ist...da hab ich gedacht, also das wäre schon ein bisschen dumm, das abzulehnen. Knapp zwei Jahre später bin ich nachgerutscht als Chefredakteur.

Man sieht, dass Du sehr bodenständig bist, ein waschechter Schwabe. Gleichzeitig machst Du ein Szene-Magazin, und im selben Verlag erscheinen Biker-Magazine, für Rocker und Schrauber, also teils für Menschen, die in meist friedlichen, zu kleinen Teilen aber auch zurecht gefürchteten Motoradclubs organisiert sind. Wie passt das alles zusammen?

Der ganze Verlag ist ein Sammelsurium von Quereinsteigern. Der Chefredakteur der „Bikers News“ hat Philosophie und Theologie, meine Vorgängerin beim Tätowiermagazin Gartenbau studiert. Das hat jetzt auch nicht notwendigerweise was mit Tätowierungen zu tun hat.

Trotzdem: Ihr müsst und wollt eine Schnittschnelle zur Szene und zu Szene-Veranstaltungen sein.

Ich mach's so, dass das Heft meinem eigenen Anspruch gerecht wird. Ich bin mir bewusst, dass wir nicht die Financial Times oder das Wall Street Journal machen, und dass man da bei manchen Themen nicht alles bis zu Adam und Eva zurückverfolgen muss. Einzige Ausnahme ist Travelling Mick, einer unseren freien Mitarbeiter, der teilweise, wenn er über ethnologische Themen geschrieben hat, einfach noch mal ein paar Literaturtipps drangehängt hat. Aber dann muss ich schon ein bisschen aufpassen, dass es nicht zu verkopft und anspruchsvoll wird. Ich übersetze auch Fremdwörter ins Deutsche.

Grundsätzlich kann man Tattoos und die Tattoos-Szene und was Tätowierungen bedeuten durchaus anspruchsvoll darstellen. Umso mehr wenn's von anderen Medien eben gerade nicht anspruchsvoll dargestellt wird, sondern immer reduziert wird auf "Was sind denn die neuesten Trends?" und "Haben Männer mehr Tattoos als Frauen oder andere?" Den meisten Medien fällt ja nichts anders dazu ein.

Die verschiedenen Ansprüche der LeserInnen bedient ihr mit zwei Spin-Offs des Tätowiermagazins, der „Tattoo Erotica“ und der normaleren „Tattoo Style“, von denen Du allsamt Chefredakteur bis.

Als erstes hat sich die Tattoo Style abgespalten, die ein Motivheft ist, das zu neunzig Prozent einfach aus Tattoo-Fotos besteht. Wir hatten die ganzen schönen Bilder, und es gibt genügend Leser, die nicht so gern lesen, sondern sich lieber Bildchen angucken.

Für die „Tattoo Erotica“ kam der Impuls von der „Bikers News“. Die hatten immer so eine Beilage "Bikes & Babes" wo halt spärlich oder auch gar nicht bekleidete junge Damen sich auf Motorrädern geräkelt haben. Wenn man das in der „Bikers News“ macht, war dann die Idee, warum sollte man nicht was ähnliches fürs TM machen?

Ich war von der Idee am Anfang nicht so überzeugt, weil das Tätowieren ja eh immer so ein bisschen ein, im Schwäbischen würde man sagen, Gschmäckle, hat, was relativ schnell in die Knast-Ecke und ein bisschen in die Schmuddel-Ecke geht. Da dachte ich, jetzt noch ein Erotikheft, um das noch womöglich zu unterfüttern, das ist vielleicht keine gute Idee.

Andererseits war meine Überlegung: Gut, Tätowieren ist ja nun mal etwas, das auf der Haut stattfindet und mit Körpergefühl, Körperbewusstsein zu tun hat und auch einem gewissen Stolz auf sich selbst und das Bild auf der Haut, das Tattoo. Natürlich haben wir mitgekriegt, dass es 'ne Menge junger Frauen gibt, die nicht nur kein Problem damit haben, sich so darzustellen, sondern die das auch sehr offensiv wollten.

Im Tätowiermagazin wollten wir das nicht haben, weil da die Information im Vordergrund stehen sollte, und man uns nicht nachsagt: „Aha, da dringt der Schmuddel ein und letztendlich kommen sie doch nicht ohne Titten aus.“

Meine Auflage war also, dass es nicht in die Porno- und Schmuddel-Ecke gehen darf. Es muss klar sein, das ist authentisch, das sind keine professionellen Models -- ein paar modeln innerhalb der Subkultur, aber das will ich nicht vergleichen jetzt mit den Aktmodels, die man im Penthouse, im Playboy findet. Das sind authentische junge Frauen, die man auch auf Tattoo-Conventions trifft.

Wenn man das schön fotografiert darstellen kann in einer Art und Weise, dass ich die Hefte auf dem Tisch liegen lassen kann, wenn Besuch kommt, dann hab ich da kein Problem damit.

Erneut ein sehr schwäbischer Gedanke. Sind die Hefte wegen dieser Aufspaltung und einer eben doch gewissen Erdung so erfolgreich?

Wenn wir das Heft eher so ein bisschen boulevardmäßiger aufgemacht hätten, hätten wir vielleicht sogar höhere Verkaufszahlen. Ich habe den Eindruck, dass wir den Leuten manchmal schon ein bisschen zu anstrengend sind. Es ist aber ausgeschlossen, dass wir das ändern. Das werden wir nicht machen.

Die Leser können sich bei uns darauf verlassen, dass sie eben nicht zum hundertfünfzigsten Mal dieselbe Brigitte-Diät vorgesetzt bekommen oder dieselben Bauch-Weg-Übungen und Sex-Tipps wie bei irgendwelchen Fitness-Magazinen.

Fernsehserien wie "Miami Ink" haben uns auch einen enormen Schub gegeben. Andererseits war "Miami Ink" nur ein beschleunigender Faktor in einer Entwicklung zu einem stark vermehrten Interesse an Tätowierungen, die über die Jahre und Jahrzehnte schon kontinuierlich läuft und lief.

Du bist im Heft oft persönlich präsent und dabei geradezu pädagogisch: Du stellst trashige Tattoos genauso bloss wie Du auf innovative Sachen hinweist. ODer Du stößt ausführliche Diskussionen um Tätowierer an, die deutlich politisch rechte Position haben, aber trotzdem sehr sehr gute Tätowierer sind.

Das stimmt. Passenderweise haben wir gerade diesen ACAB-Fall. Da hat sich ein Leser erkundigt, ob es denn legal wäre, auf die Hand „ACAB“ für „All Cops Are Bastards“ zu tätowieren. Ich habe im Heft jetzt nicht geschrieben "wie blöd geht's eigentlich", aber...

...man müsse sich nicht wundern, wenn der Polizist, der das Tattoo sieht, das uncool findet.

Genau. Dieser Leser -- und damit war auch zu rechnen -- hat sich davon auf den Schlips getreten gefühlt und jetzt nochmal geschrieben. Es ging es mir aber gar nicht um eine Diskussion darum, ob Polizisten gut oder schlecht sind oder ob ein Polizist jemanden anzeigen darf, der „All Cops Are Bastards“ auf seiner Hand stehen hat. Der Punkt war: Wenn du Dir das stechen lässt und Dich nachher drüber beklagst, bist du blöd. Das ist genauso blöd, als wenn du dir SS-Runen stechen lässt und dich dann beklagst, wenn du nicht in die Synagoge rein darfst. Das ist absehbar.

Der ACAB-Leserbriefschreiber hat sich als nächstes darüber beklagt, was denn meine persönliche Stellungnahme im Heft verloren hätte, die könnte ich mir doch bitte schenken. Aber das ist eben mein Punkt: Hat sie eben doch. Ich rede nicht über den Sinn oder Unsinn des Berufsbildes des Polizisten und auch nicht über juristische Belange, sondern ich spreche über Tätowierungen und über den Sinn von Tätowierungen. Denn Tätowierungen haben einen Sinn. Das ist mein Punkt und über den darf ich sehr wohl sprechen.

Eine Zeit lang waren ja Charles-Manson-Portraits angesagt. Das ist einfach saudumm.

Charles Manson gilt als jemand, der den Schwachen, Unterdrückten, Kaputten, psychisch Kranken, Traurigen, von der Gesellschaft Enttäuschten sagt, dass sie liebenswerte Menschen sind. Viele in der Szene denken, wenn sie sich sein Bild wie das von Bhagwan oder Jesus Christus auftätowieren, dass er ihnen dann beisteht.

Da unterstellst du den Leuten aber viel. Vor etwa sieben Jahren, da war das voll im Schwange. Wenn ich da jemand gefragt hätte, was das soll, der hätte außer "Öh, ich find‘s cool" nicht viel rausgebracht.

Das ist genau die Grenze, auf der du dich im TM immer bewegst: Zwischen teilweise gewalttätigen Hirnis, die nicht wissen, was Freiheit ist, und der Tatsache, dass jeder gerade bei Tätowierungen selbst überlegen und Entscheidungen treffen muss. Oder Du stellst hyperindividualistische Tätowierer vor, manche mit Grafikdesign-Studium, die alle Seh-Grenzen sprengen.

Ich weiß gar nicht, wie viel von dem, was ich den Leuten mitgeben will, ankommt. Ich mach's eben so, wie ich es mach, und freu mich dann, wenn wirklich angekommen ist, was ich meine.

Es kommt ja auch noch die Verjüngung der Leser dazu. Zuletzt hat Sonja, die neue Redakteurin, eine junge Modedesignerin aus irgend so einer TV-Designer-Casting-Show besucht, die recht tätowiert war, sowie einen tätowierten Schauspieler, der bei irgendeiner Doku-Soap, "Unter uns" oder sowas, mitgespielt hat. Da bin ich nicht so nah dran, und es ist dann ganz schön, wenn man sich da ergänzt.

Der zweite Redakteur, Jan, hat Sido und Azad und einen der Söhne Mannheims interviewt, die auch alle tätowiert sind. Das ist ganz prima, wenn wir unterschiedliche Interesse haben. Wir versuchen, möglichst in die Breite zu gehen und alles abzudecken, was das Thema Tattoo hergibt. Inzwischen gibt es ja sogar schon Immobilienagenturen für Tätowierte. Das haben wir dann auch im Heft.

Ihr bringt allerdings auch sehr oft eine uralte Kategorie, die Anklänge an die Kolonialzeit hat: Ferne, wilde Länder. Als Szene-Publikation für tätowierte Menschen, die oft als Randgruppe stilisiert werden, berichtet ihr über die Fremde -- da, wo man krank wird und nichts klappt, wo die Leute nackt sind und bemalt und Pflöcke und Federn durch Nasen, Ohren, Mund gesteckt haben. Noch nicht einmal „National Geographic“ macht solche Geschichten noch, und Ihr springt sogar auf die reine Beobachtung und Beschreibung zurück.

Ich bin immer noch völlig platt und überrascht, wenn Travelling Mick wieder von irgendeinem Fleck, aus irgendeinem Land der Erde berichtet, das ich kaum buchstabieren kann, und dann dort achtzigjährige Omas findet, die sich die Gesichter total schwarz tätowieren, was ich noch nie vorher gesehen habe. Und das, obwohl ich mich relativ intensiv mit dem Thema befasse. Oder dass er eben mal nach Afrika fliegt, wo Leni Riefenstahl noch die Nuba besucht hat und guckt, was da inzwischen abgeht -- ob die jetzt schon völlig verwestlich sind, ob es noch Leute gibt, die sich die Narbentattoos noch ritzen.

Das alles kennt man irgendwie noch aus Kinderzeiten, wenn man sich mal nackte Mädels angucken wollte, dann hat man mal in National Geographic geblättert und hat dann die barbusigen Mädchen gesehen. Aber ich bin überzeugt, dass Travelling Mick schon Völker ausgegraben hat, bei denen die Redaktion von „National Geographic“ sicher auch gesagt hätte "Mein lieber Schwan, hätten wir auch gerne gehabt".

In aller Bescheidenheit: Dabei knallt halt die Authentizität vom Tätowiermagazins voll durch. Als Travelling Mick beispielsweise über Tattoos auf den Philippinen berichtet hat, da hatte er nichts weiter als ein Schwarz-Weiß-Foto aus den 40er Jahren. Er wusste nur, dass es irgendeinen Stamm auf den Philippinen gibt und die sind ja auch nicht gerade klein. Er wusste nicht, ob im Norden, Süden, Westen oder Osten -- er ist einfach nach Manila und hat sich durchgefragt.

Er hatte keine Ahnung, ob er die Leute überhaupt findet, ob es die überhaupt noch gibt, ob die sich noch tätowieren.

Mich selber müsstest du schlagen, ich würde das nicht machen, weil ich einfach nicht gerne reise. Travelling Mick ist da wahrscheinlich einer der unterschätztesten Journalisten überhaupt. Das ist wirklich Tim-und-Struppi-Journalismus...

...in Reinform.

Im Prinzip ist Travelling Mick unser Tim, könnte man sagen, der da wirklich aufs Geradewohl in die Welt geht und sich anguckt, was es Skurriles gibt. Und das trotz und in der ganzen Internetwelt. Er ist analog unterwegs, geht direkt zu den Leuten hin und gräbt Sachen aus, die man in der virtuellen, digitalen Welt einfach nicht findet.

Das ist ganz unverzichtbar, wirklich faszinierend und scheint unerschöpflich zu sein. Du denkst, irgendwann musst du ja mal alle Stämme und Völker durchhaben. Aber dann sitzt da wieder irgend so ein Clan von fünfzig Leuten, die noch irgendwas abgedrehtes machen, und er gräbt sie aus.

Leider trifft Mick oft auf Kulturen, wo nur noch die ganz Alten tätowiert sind, wahrscheinlich die letzte Generation, die überhaupt noch solche Tätowierungen haben. Aber wenn er ihnen dann Fotos da lässt oder beim nächsten Mal TM-Hefte mitbringt und sagt "Guckt mal, da wart ihr im Heft, die Welt interessiert sich für das, was ihr macht, und die Welt findet das gut, und ja, Eure Zentralregierung will euch das verbieten und will Euch hier irgendwie verwestlichen und anpassen, aber es gibt auch Leute in Deutschland, im Westen, in Amerika, in Europa, Leute, die sich tätowieren lassen, es gibt ganze Hefte dafür“ -- das musst du dir vorstellen!

Die haben ja überhaupt noch nie eine Zeitschrift in der Hand gehabt und dann sehen sie ein Heft nur für Tätowierte, nur für Leute, die das machen, was sie auch machen, wofür sie aber unterdrückt oder lächerlich gemacht oder von der jeweiligen Hauptkultur an den Rand gedrückt werden.

Und die sehen dann, dass das an anderen Ecken der Welt wirklich was ist, was geschätzt wird und wo Künstler gefeiert werden, dass sie dann dazu gehören. Und das gibt denen natürlich auch entsprechendes Selbstbewusstsein.

Am deutlichsten sieht man es ja bei den Maori auf Neuseeland, wo das Tätowieren ja schon beinahe einen sehr patriotischen Black-Power-Anstrich hat. Also wo es bei der neuseeländischen Black-Power-Bewegung beinahe schon zum guten Ton gehört, dass man sich das Gesicht tätowieren lässt, also aus Patriotismus oder Nationalstolz. Oder dass man die alten Traditionen wieder verstärkt praktiziert im Sinne von sich bewusst machen, wo man herkommt und sich unterscheiden zur westlichen Kultur. Auch die Streetshops, die es in Malaysia gibt, bieten wieder die traditionellen Motive an.

Oder Leute aus ehemaligen niederländischen Kolonien reisen jetzt in die Niederlande und blättern da in den Universitätsbibliotheken: Was haben denn da vor 100, 150 Jahren die Missionare zu Papier gebracht, wie haben denn unsere Tattoo-Motive früher ausgesehen? Das ist eigentlich ganz schön, wenn das wieder zurückwirkt.

Da sind wir wieder bei der hundertsten identischen Diät im immer gleichen Heft. So etwas hat keinerlei Rückwirkung, da lernt keiner was von, das ist in dem Moment, wo es gedruckt wird, schon Müll. Ihr aber wirkt aber zurück und fördert das Alte, aber auch sehr stark das Neue in der Tattoo-Szene. Welche Grenzen sind da noch nicht so richtig angekratzt?

Ich denke ich oft, dass da meine Phantasie doch anscheinend etwas begrenzt ist, weil ich mir das nicht überhaupt vorstellen kann, mit was die Leute ankommen -- als zum Beispiel aus der „Boucherie Moderne“ aus Brüssel plötzlich diese Pixel-Tattoos kamen...also, verpixelte Portraits oder Tattoos, die man mit 3-D-Brille angucken kann....auf die Idee wäre ich nie gekommen.

Gerade eben hat uns eine junge Mediendesignerin ein Buch angeboten, was man als Tätowierung aus der deutschen Kultur heraus umsetzen kann. Der Tätowierer entwickelt sich aus der Kultur heraus, wie in Borneo. Tattoos sind immer mit der Kultur und in der Tradition verwurzelt. Da gehört in Deutschland der Hund mir rein, der Schäferhund, das ist grafisch noch relativ normal, dann der Wolpertinger, wo man sich im Buch seinen eigenen Wolpertinger zusammenstellen kann. Dann geht es um Ordnung -- da hat sie dann einen Tattoo-Vorschlag, wo man eine ganze Reihe von Buntstiften ganz akkurat montiert oder ein Karl Lagerfeld-Portrait in der Art eines Schnittmusters oder einen König Ludwig, wahlweise als Portrait oder einfach mal den Grundriss von Schloss Neuschwanstein über den ganzen Arm montiert.

Inzwischen ist die Entwicklung der Tätowierungen so rasant -- es gibt eigentlich keine Grenzen mehr.

Der Anfang war relativ steinig. Als wir die modernen Sachen der Franzosen und Belgier abgedruckt haben, ist eine Welle des Protestes über sie hereingebrochen: „Was soll das denn sein? Das kann ja meine siebenjährige Tochter! Das sind keine Tätowierungen!“.

Du hattest ja vorhin gefragt, wie ich als Schwabe in dieser Szene lebe. Da hätte ich eigentlich sagen können: Im Prinzip passt das eigentlich ganz gut, weil wenn ich es mir so überlege, ist doch ein großer Teil der Tattoo-Szene eigentlich extrem spießig -- so spießig, wie ich nicht werden kann.

Man ist wie man ist, das ist meine Haltung. Man lässt sich auch nicht tätowieren, um anders zu sein -- das wäre Blödsinn. Man lässt sich tätowieren, weil man sich tätowieren lassen will. Sobald es eine andere Begründung hat, ist es eigentlich schon blöd.

Tätowieren ist eh nur das Medium. Ob es Kunst ist oder nicht, ist eine blöde Frage. Das ist ja wie wenn man fragen würde, ist Ölmalerei Kunst oder nicht. Ich kann irgendwas klecksen und ich kann mir Caravaggio anschauen. So wie dort die Ölfarbe und den Pinsel gibt es hier die Tattoo-Maschine und die Farbe. Sie sind nur Medien. Du kann alles draus machen.

Reiner Verwaltungsirrsinn

Mark Benecke, Kriminalbiologe und Vorsitzender des Vereins Pro Tattoo, hält das geplante EU-Verbot bestimmter Tattoofarben für „sinnlos“. … „Es gibt keinen biologischen Grund für ein solches Verbot. Zudem trifft es ausgerechnet die sauber arbeitenden Hersteller, die dann ihre Läden schließen müssen. Übrig bleiben Murxer und Keller-Labors.“

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Tätowiermagazin: Im Wendekreis der Tätowierung

Das Leben dreht und wendet sich oft, und mit ihm die Tätowierungen. Auch hinter offensichtlich unfetten Pieces kann eine Menge Story stecken. Meine Freundin Sarah Mandy kennt das live (Achtung, LeserInnen: der Namensteil »Mandy« ist geheim, daher lassen wir ihn im Folgenden weg – ihr wisst von nichts!). Erst hat die gelernte Biologin bei mir und in der Bonner Rechtsmedizin mit Blut und Insekten auf Leichen gearbeitet, dann war sie auf einmal hauptberuflich Festival-Managerin. Zeit für ein Treffen in der Hauptstadt.

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Henning und der allessehende Skull (Tätowiermagazin)

Dass man sich ein Autogramm oder Band-Logo tätowieren lässt, ist die eine Sache. Als aber bei einer Veranstaltung ein Zuhörer mit meinem Dienst-Symbol, fettest auf seine Brust geinkt, vor mir stand, da war ich platt. Wenig später saß Henning, der Träger dieses ultimativen Pieces, bei mir in der Küche und berichtete, wie er auf seine krasse Idee kam.

»Du hast bei uns an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg vor vier, fünf Jahren eine Gast- vorlesung gehalten«, erzählt er bei einer Tasse Kaffee. »Da fing der Studiengang ›Forensik‹ gerade an, und deine Vorlesung war eigentlich auch nur für Forensiker. Eine gute Freundin von mir, die großer Fan von dir ist, hat mich mitge- schleppt, weil sie nicht allein da sitzen wollte. Ich studiere Chemie und kannte vorher nichts von dir, fand aber interessant, was sie erzählt hatte: Herr der Fliegen und so. Und dann habe ich dein Logo zum ersten Mal gesehen. Ich fand’s cool, wie der Logo-Totenkopf in alle Richtungen blicken zu müssen, zu können und zu wollen.«

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Die schwarzen Menschen am Darien Gap (Tätowiermagazin)

Der Darién Gap ist eine sumpfige, unwirtliche und kaum erschlossene Gegend zwischen Panama und Kolumbien. Wer sich von Tropenkrankheiten, brütender, schwüler Hitze, Drogenkurieren und Mückenschwärmen nicht abschrecken lässt, trifft hier auf die Embera, einheimische Indios, die eine skurrile Art von Körperdekoration ausüben, die ihre Haut teilweise komplett schwarz erscheinen lässt.

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Klinsmann—in Kolumbien (Tätowiermagazin)

Meine Tattoos stammen ja aus ziemlich vielen Häfen und Havens: Mülheim und Medellin, Hamburg und Helsinki, NewYork und New Orleans, Berlin und Bejing. Nur einmal scheiterte meine seemännische Sammelwut - in Florencia, tief im amazonischen Kolumbien. Nicht, dass es dort keinen Tätowierer gäbe. Das Problem war etwas vertrackter.

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Ziemlich beste Freunde (Tätowiermagazin)

Ahoi! Diese Seite im TM soll in Herbert Hoffmanns Geist von Tätowier-Freundschaften handeln. Manche sind verrückt, andere entzückt oder verzwickt - aber manchmal sind sie auch einfach, klar, gerade und daher besonders eindrucksvoll.

Solch eine - nicht nur Tattoo-, sondern sogar wirklich tätowierte - Freundschaft begegnete mir an einem der merkwürdig warmen Tage dieses Winters. Gerade schneite ich bei meiner Tattoo-Kumpeline Ewa in ihrem Berliner Studio hinein, als sofort vergessen war, worum es ging. Denn erstens stand gleich (und durch Zufall) eine Fotografie-Studentin vor mir, die spannende Bilder von Tätowierten für ihre Schule machte. Zweitens verfolgten mit einem ganz ungewöhnlichen, irgendwie stolzen Gesichtsausdruck zwei Personen auf der Wartecouch das Geschehen im Laden. Doch drittens guckten sie gar nicht auf das kreative Chaos, sondern äugten auf den Mann, der unter der Nadel lag. Ich schlich zu ihm hin.

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Gynäkologische Werkzeuge im Tattoo - Museum (Tätowiermagazin)

Im Frühling erblühen nicht nur Krokusse, Maiglöckchen und Gefühle, sondern derzeit auch die »neuen« Bundesländer. Allerdings nicht immer genau da, wo man's erwartet hätte: beispielsweise im winzigen Örtchen Grünhain. Das liegt im Erzgebirge, wo große Sprachfrische herrscht (»schworzesforbsch« bedeutet etwa »schwarz ist farbig«), die Häuser mit frischem Schiefer gedeckt sind, selbst kleinste Sträßchen die Qualität einer Formel-1-Piste haben und die Grundstückspreise erschwinglich sind. O-Ton eines Wessis: »Watt? Datt janze Haus hat
ja wenijer jekostet als mein Rückspiejel!«

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Familienbande (Tätowiermagazin)

Liebe, Freundschaft und tätowierter Zusammenhalt sind die Themen dieser Kolumne im Geiste Herbert Hoffmanns. Öfters muss man für solche Werte kämpfen oder zumindest einen Preis bezahlen. Manchmal ist das der Familienfrieden.
Meine langjährigste ehemalige Mitarbeiterin Saksia aus dem kriminalbiologischen Labor machte es vor. Erst hatte sie die Schnauze voll von forensischer Mangelwirtschaft und suchte sich einen normal bezahlten Job in der angeblich freien Wirtschaft. Zugleich gab es weitere Veränderungen: Saskias Gatte Martin schloss seine genetische Doktorarbeit mit Bravour ab, die beiden sind umgezogen, ihr Bruder ist auffe Arbeit nach Irland entschwunden, die Eltern gründeten einen neuen Wein-Laden und der Hund bekam einen Kastrations-Chip. Einiges los also.

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Zeitweilig (Tätowiermagazin)

Manchmal geht’s im tätowierten Leben erst durchs Knopfloch und Fensterkreuz, dann pi mal Daumen um die Ecke und endlich erst in Schwarze. In der Zwischenzeit entstehen soziale Netzwerke, die nix mit Facebook, dafür aber alles mit echten Freundschaften sowie dem gerade siebzig Jahre alt gewordenen Sänger Gunter Gabriel zu tun haben. Und zwar so:

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Kettensägenfetisch und Bling - Bling - Studio (Tätowiermagazin)

Gerade holte ich mir am Züricher Bahnhof einen Kaffee, als mir eine sehr stark tätowierte Dame etwas hinterherrief. In der Schweiz? Da kennt mich eigentlich keiner. Gerufen hatte Birte: Tätowiererin und zufällig die Kaffee-Kundin hinter mir. Das wäre nicht so spannend, wenn Birte mir nicht kurz zuvor einen menschlichen Schädel vermacht hätte. Der schwamm eigentlich in ihrem Goldfisch-Aquarium. »Er hatte im Laufe der Jahre aber Moos angesetzt und meine Goldfische interessierten sich auch nicht so richtig für das Teil«, erklärte sie mir damals.

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Respekt (Tätowiermagazin)

Zum Jubiläum des TätowierMagazins möchte ich – auch im Sinne Herbert Hoffmanns, dessen Kolumne dies hier ursprünglich war – nochmal daran erinnern, dass Tattoos sehr viel sein können und auch sollen: Kunst, Erinnerung, Handwerk, Sehnsucht, Quatsch, Gesprächseinstieg oder einfach nur ein Statement.

Jede Tätowierung verdient Respekt, wenn sie aufrichtig gemeint ist. Absolut jede. Vom oft gar nicht üblen Arschgeweih über das rote Teufelchen, die blaue Banane (Mini-Delfin), den Tigerkopf, den Koi, den Adler und alles an heutigem Jedöns, was wir im Jahr 2030 auch nicht mehr genau verstehen werden.

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Tätowierte AkademikerInnen (Tätowiermagazin)

Jeden August zieht es zehn der weltweit tapfersten StudentInnen nicht in den Urlaub oder zu Nacktpartys mit Prinz Harry. Stattdessen schauen sie sich Schweine an. Verwesende. Mit Insekten drauf. Bei mir im Kurs.

Wo derart coole Menschen zusammenkommen und selbst bei herben Fäulnisdämpfen und glühender Hitze schon am zweiten Tag melden, dass sie »eigentlich gar nichts Unangenehmes mehr riechen«, ist der Kühnheits-, aber auch der Partyfaktor hoch. Schon immer beträgt die Arbeitszeit im Forensik-Training zwölf Stunden pro Tag. Ohne Mittagspause, denn am Tatort gibt’s auch keine Mittagspause. Umso größer der Wunsch, nach Schichtende »to unwind« (sich locker zu machen; das Training findet auf Englisch statt).

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Von soziooekonomischen Unterschieden (Tätowiermagazin)

PartnerInnen, Kumpels und beste Freundinnen lassen sich manchmal das gleiche Tattoo stechen. Einen identischen Bodysuit hat allerdings noch keiner gesehen. Logo: Denn so unterschiedlich wie Lebenswege verlaufen, so unterschiedlich wachsen und werden auch die daraus entstehenden Tattoo-Flächen. Trotzdem vereint uns alle die Liebe zu geinkter Symbolik.

Ein Beispiel für dieses Wechselspiel, bei dem die tätowierten Unterschiede allerdings größer scheinen als sie im Herzen sind, liefern die Tattoos und Lebenswege von Claudia und Claudio.

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Hands up! (Tätowiermagazin)

Ab und zu halte ich für die Jura-StudentInnen der Ruhr-Universität eine Vorlesung über (mangels eines schickeren Titels) »was Kriminalbiologisches«. Der Campus besteht trotz vieler Bemühungen – geiles Café, geile Pizzeria, fette Chill-out-Wiese – aus hingekotzten Betonklötzen, unterbrochen von verrottenden Parkhäusern. Die Tristesse soll neben Studierenden angeblich auch SuizidentInnen anlocken. Das glaube ich allerdings nicht, denn eins der lustigsten Graffitis ever ist riesengroß an einer Waschbetonmauer nahe der in die Uni eingebauten Straßenbahnhaltestelle zu sehen: »ACAB: All Christians Are Brothers«. Harrharr!

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Ein Keller voll Präparatorinnen (Tätowiermagazin)

Kürzlich stolperte ich in einen Keller voller medizinischer PräparatorInnen: Vorabend der Jahrestagung. Anstelle buckliger Frankenstein-Gehilfen erblickte ich eine große Schar junger, cooler und weiblicher Gesichter. Selektive Wahrnehmung oder Realität? Bei ein/zwei Limonaden klärte ich das mit der bezaubernden Nina: Hi. Ich heiße Nina Holste, wie das Bier, nur ohne »n«, und bin Präparations- und Sektionsassistentin (und medizinisch-technische Assistentin) in der Pathologie.

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