Quelle: Tätowiermagazin 01/2012, Seite 144
Kolumne mit Mark Benecke
Von Mark Benecke
Ahoi beisammen. Als kauziger Junge mit gestreiftem Hemd, Brille und Sandalen habe ich mich gefragt, was einem als Erwachsener als das Allercoolste erscheinen könnte - einen Preis gewinnen? Eine megabekloppte Reise machen? Etwas erfinden ? Mittlerweile gurke ich weltweit durch die Gegend, werde niemals was erfinden und gewinne auch keine Preise. Dafür habe ich etwas tausendmal Besseres gewonnen: Die Freundschaft sehr vieler Tätowierer und Tätowierter.
Dass ich ab sofort die Kolumne von Herbert Hoffmann übernehmen darf, ist die größtmögliche Ehre. Darum will ich, bevor es richtig 105 geht, kurz berichten, wen wir verloren haben, als wir unseren Freund im vergangenen Sommer in der Schweiz zum Grab begleitet haben.
Herbert war viel mehr als der älteste Tätowierer der Welt. Als Fotokünstler konnte er sich beispielsweise mit den größten seiner Zeit spielend messen. Das tat er allerdings nie. Stattdessen zeigte er seine großartigen Fotografien tätowierter Menschen in einem schönen schwarzweissen Bildband oder abgefahrenen Ausstellungen. Eine davon fand in Berlin in der halbtoten Hauptbahnhofs-Umgebung in einer schrottig-poshen Fabrikhalle statt. Man mischte dort kühnste Kunst aus Shanghai - das dortige Generalkonsulat hatte die zerbrechlichen Stücke eigens einfliegen lassen - mit Ölgemälden, ausgestopften Stoff-Armen, Tatort-Bildern und genau in der Mitte: Herberts Fotos.
Alle, vom Veranstalter bis zu den Künstlern, kamen zur Eröffnung zu spät. Nur einer saß schon lange vorher friedlich lächelnd auf einer total verrosteten Schranke vor den geschlossenen Rolltoren: Herbert. Er war genau dort, wo er sein wollte und begrüßte jeden mit soviel Respekt und Freundlichkeit, dass der Begriff "Old School" plötzlich nicht nur eine verklärt tätowierte Erinnerung an alte Seemanns-Schnurren war, sondern unfassbar fassbar wurde.
Die Aufmerksamkeit tat Herbert gut. Er liebte Vorträge und Tattoo-Conventions, auch wenn er immer wieder, auch im TätowierMagazin, gegen die laute Musik Einspruch erhob. Alles andere - teils grauenhafteste Verpflegung, dutzende von Autogramm-, Foto- und Tätowierwünsche sowie harte Jungs in noch härteren Kutten - verwandelte sich in seinen Augen in ausschließlich Schönes und Gutes.
Er war eben ein von Herzen unermüdlicher Tattoo-Begeisterter. Über die Jahrzehnte hat er Hunderte von Freundschaften unter Menschen gestiftet, die ohne ihn niemals voneinander erfahren hätten.
Herbert hat uns aber vor allem gezeigt, dass sich die albernen Grenzen zwischen Kulturen durch gemeinsame Interessen auflösen wie Zuckerwürfelchen im Atlantik. Bei ihm ließen sich uralte Männer und Frauen ganz entspannt einen fetten Adler auf die Brust knallen, der 50 oldschoolig war, dass einem vor Glück die Augen tränten. Als seine Hände schon 50 zitterten, dass er seinen Namen und Anker kaum noch tätowieren konnte, ließ sich Herbert ganz selbstverständlich von jungen Kollegen helfen. Sah er dabei grüne Totenschädel ohne Outlines, 50 gefielen sie ihm ebensogut wie ein eingehämmertes, verschwommenes Segelschiff. Ihm ging es um die Wirkung von Tätowierungen auf ihre Träger, nicht um stilistische Nickeligkeiten. Wenn Herbert unter Tätowierten war, war es, als würde der gute Hirte eine Geburtstagsparty schmeißen. Seine Welt teilte sich nur in zwei zwingend zusammen gehörende Hälften: "Tätowierer" und "Tätowier-Fans". Das war sein Traum, und das war seine Wirklichkeit.
Wir lernten von Herbert weiterhin, dass auch bärtige Landwirte aus der tiefsten Schweiz nicht intolerant und hinterwäldlerisch sind; auch wenn viele intolerante und hinterwäldlerische Großstädter das dachten. Er berichtete mit tiefem Lächeln, wie lebensgefährlich es wegen der einstmals herrschenden Bedingungen war, schwule Kneipen zu betreten. Er zeigte durch seine Fotos, dass zauselige Außenseiter nicht erst seit dem postmodernen Nerd-Hype, sondern auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg genauso cool sein konnten wie frisch verliebte Glücksbärchis oder heutige, von oben bis unten zugetintete Avantgardisten. Herbert war der erste detektivische Spurensucher in einer Welt der tätowierten Erinnerungen, Symbole und Jugendsünden.
Wie es sich für Besessene gehört, schlug sich auch Herbert mit einem Abgrund herum. Sowohl mit seinen Verwandten als auch ältesten Freuden konnte er sich tödlich verkrachen, wenn sie sich seiner Meinung nach quer legten. Bis zuletzt fühlte er sich von Geschäftemachern ausgenutzt und bekämpfte sie, wo er nur konnte. Diesen Kampf hätte er besser nie geführt. Er versauerte ihm öfters als nötig sein sonst 50 gütiges Leben und brach ihm zuletzt das Herz.
Bis zuletzt reiste Herbert von Tätowierer zu Tät.owierten, sonnte sich in der Freundschaft und Liebe, die ihm entgegen strömte und lebte vor, dass das, was uns zusammenhält - die Freude an Tätowierungen - eine Kraft sein kann, die wie keine andere Menschen weltweit verbinden kann. In diesem Sinn werde ich künftig hier berichten. Aye!