Quelle: Einblick - Zeitschrift des Verbandes der Privatärztlichen Verrechnungsstellen e.V., 01/2017
Dipl.-Biol. Dr. rer. medic., M.Sc., Ph.D. Mark Benecke ist Kriminalbiologe und wird zu den verschiedensten Tatorten deutschlandweit gerufen – Fliegen und Maden sind sein Metier. In Fernsehserien wie „Medical Detectives“ oder „Autopsie“ erklärt er die wissenschaftlichen Hintergründe von Mordfällen.
PVS: Hauptberuflich werden Sie als Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger zu Gewaltverbrechen herangezogen, um biologische Spuren auszuwerten. Aber worin besteht Ihre tägliche Arbeit als Kriminalbiologe genau?
Mark Benecke: Ich mache zwei Sachen. Entweder ich bin als Spurenkundler tätig und gucke nur die Insekten an. Dann kann ich manchmal beispielsweise sagen, dass ein Insekt fünf Tage auf der Leiche gelebt hat, oder dass eine Leiche mit Sicherheit längere Zeit in einem Haus gelegen hat und nicht an der Stelle, wo sie gefunden wurde. Der Rest des Falles ist mir dabei vollkommen egal. Wenn es aber um Tatortrekonstruktionen geht, hole ich mir alle möglichen Infos heran und rede mit jedem, der irgendetwas wissen könnte.
Erst einmal registriere ich alles, schreibe auf, fotografiere, notiere, beschrifte, katalogisiere, kartiere. Und wenn es dann um die Einordnung geht, was das alles für den Fall bedeutet, lautet die Regel: Ich glaube erst einmal gar nichts. Ich glaube auch nicht mir selbst. Schlechte Sachverständige denken, dass es eine Person auf der Welt gibt, auf die sie sich verlassen können: sie selbst. Aber das stimmt nicht. Erfahrungsgemäß macht man viele Denkfehler und steht sich selbst im Weg.
PVS: Haben auch Sie als Kind schon gerne experimentiert und analysiert?
MB: Ja, ich hatte einen Chemie-, einen Detektiv- und einen Physikkasten. Fand ich supergeil. Mein Vater hat mir auch in das kleine Zimmer, in dem ich glücklich aufgewachsen bin, einen Klapptisch gebaut, sodass ich dort experimentieren konnte, ohne den Fußboden mit Flecken oder Löchern zu zerstören.
Als Kind wollte ich eigentlich Koch werden. Aber auch die Spurensuche hat mich irgendwie schon immer fasziniert: Ich habe immer versucht Schneeflocken mit Lack einzufangen. Für das Mikroskop. Und ich habe Staub auf Tesafilm geklebt und untersucht. Daher kann man wohl sagen, dass ich mich schon immer für spurenkundliche Dinge interessiert habe. In der Schule fand ich auch Chemie immer gut. Und dann habe ich Bio studiert und während des Studiums ein Praktikum in der Rechtsmedizin gemacht. So kam das dann.
PVS: Sie entwickelten Experimentierkästen für Kinder. Was brachte Sie zu dieser Idee?
MB: Da das Heulen über mangelnde kriminalistische Ausbildung ja deutlich erkennbar nix hilft, habe ich in die Zukunft gedacht und mit der Firma Ravensburger einen Spurensicherungskasten für Kinder gebastelt. Die Idee war dabei, richtig coole Sachen reinzustecken, die Kids auch wirklich Spaß machen, beispielsweise zur Gewinnung von DNA oder der Untersuchung von Blutspuren. Alles andere flog gleich zu Beginn raus. Damit es nicht zu gruselig wird, stammt die Erbsubstanz natürlich aus zermatschten Äpfeln und das „Blut“ ist selbst angerührter Traubensaft mit jeder Menge Zucker. Allerdings war die nach einigen Stunden entstehende Mischung von Fruchtsäften mit Ruß-Pulver und Brennspiritus etwas, ähem, klebrig, sodass die Kinder vor Rückgabe an ihre Elternmit meterweise feuchten Tüchern gereinigt werden mussten. Aber das gehört eben auch dazu, wenn man echter Kriminaltechniker ist!
Extremen Wert habe ich auf ein gutes Begleitbuch mit Tipps aus der Wirklichkeit sowie eine gute Lupe gelegt, weil der Kasten ja irgendwann leer ist und diese beiden Dinge dann als einzige übrig bleiben. Die sehr gute Lupe musste ich mit wirklich aller Willenskraft durchsetzen. Vermutlich denken viele Menschen, dass CSI mit Hubschraubern und High-Tech zu tun hat ...ist aber nicht so: Die Lupe und ein guter Maßstab sind der Schlüssel zum Glück, basta.
Die Lupe im Kastenist so klein wie meine echte, die ich immer dabei habe, schön ohne Rand- und Farbverzerrung. Das heißt, sie ist erstens oho und dürfte zweitens ein Leben lang halten. Außerdem haben wir schicke Tatort-Kärtchen drucken lassen, die den meinen direkt nachempfunden sind, damit die Kinder gar nicht erst mit Kulis, Münzen und ähnlichem Schrott als „Maßstab“ im Foto ankommen. Als kleine Überraschung gibt's noch etwas Knete für den Fall, dass die Kids mal im Knast Schlüssel nachmachen müssen. ;) Ach ja, und ein Rezept, wie man Fliegen auf verfaultes Hundefutter lockt. „Man muss aber eine Plastiktüte drunter stellen“, meldete eins der Kinder, „damit man es danach leichter wegschmeißen kann“.
Stimmt! Was mich am meisten beeindruckte: Schon nach einer Stunde gaben die Kids Sendern vom NDR bis zum russischen ntv professionelle Interviews und Vorführungen über Satellitenspritzer, zerplatzte Zellen sowie Augen und Gabeln in Hautleistenabdrücken. Kein Witz! Das finde ich sehr lässig, und ich freue mich schon auf die Polizei-Anwärter in zehn Jahren, die vielleicht mit dem Kasten fleißig geübt und gesehen haben, dass es bei der Spurensicherung weder Donuts noch Autorennen gibt, dafür aber Pinzetten, Vergrößerungen, Erbsubstanz, Kniffelei und jede Menge Spaß am Detail. Yeah!
PVS: Sie sagten einmal, dass Sie in Ihrem Beruf die Wahrheit suchen und nicht das Böse bekämpfen bzw. Sie sorgen dafür, dass das Böse nicht mehr böse wird. Fühlen Sie sich nach einem Kriminalfall, der durch Ihre Hilfegeklärt wurde, nicht trotzdem als eine Art Retter der Welt?
MB: Nein, überhaupt nicht. Jeder, der in unserem Berufsfeld arbeitet, atmet jeden Tag Gutes, Schlechtes, Soziales und Unsoziales ein. Es ist alles um uns rum. Manche Menschen blenden aber das eine oder das andere stärker ein oder aus. Unsere Menschenwelt wäre durch viele, sehr einfache Maßnahmenzu verbessern, beispielsweise durch Umstellung auf pflanzliche Ernährung: Dann gäbe es weniger Tiere, die leiden, mehr Essen für alle, weniger Treibhausgase und mehr sauberes Wasser.
Aber selbst, wenn das so umgesetzt würde, gäbe es in der Folge vielleicht einfach noch mehr Menschen auf der Erde, die dann diese freiwerdenden Ressourcen ebenso aufbrauchen. „Es ist kompliziert“, wie es bei Facebook in den Beziehungsmeldungen manchmal heißt, und so ist es auch wirklich. Retten lassen sich Kunstwerke, aber die Menschen sind, wie sie sind, und das wird auch niemand ändern. Wir arbeiten im Nahfeld, letzlich für Angehörige, erfolgreiche Trauerarbeit und manchmal ein bisschen Prävention. Mehr geht nicht, und es reicht mir auch. Das beste wäre, wenn es einfach keine herzzerreißenden Fälle mehr gäbe. Es ist nur das zweitbeste, Fälle zu bearbeiten und zu „lösen“.
PVS: Jetzt stellt man sich die brutalsten Mordfälle vor, die jeden Menschen allein schon durch Erzählungen erschaudern lassen. Gehen Ihnen manche Kriminalfälle emotional nahe? Oder anders gefragt: Wie schaffen Sie es manch grausame Taten nicht an sich ranzulassen?
MB: Ich bin halt so, ich schau mir lieber Details an anstatt das Große, Ganze oder Emotionale. Das ist ein Charakterzug, den kann man nicht lernen, wie die Erfahrung mit den Studierenden zeigt. Manche wollen – O-Ton – sich etwas beweisen, das klappt aber nie. Bekanntlich schaut der Höllenschlund immer zurück.
Es sind aber gar nicht die „brutalen“ Morde (warum steht das immer so in der Zeitung?), sondern auch die Hilflosigkeit der Angehörigen, die ganz schön ätzend ist. Die meisten Menschen haben niemanden, absolut gar niemanden, der ihnen sinnvoll hilft, wenn sie das Unheil trifft. Anwälte müssen von irgendwas leben, Freunden fehlen oft die richtigen Worte bei der Trauer … et is wie et is. Der nüchterne Blick ist zusammen mit einigen anderen Eigenschaften bei Naturwissenschaftlern, die das lebenslang machen, gar nicht so selten. Häufig geht er mit gesenkter Sozialkompetenz, einer großen Liebe für Details und für's Sortieren sowie einem sehr klaren, direkten Blick auf Tatsachen, die andere emotional auslegen, einher. Das ist wie bei den X-Men: Es ist 'ne Superschwäche, aber mit einer Superstärke im Paket.
PVS: Neben Ihrem vielseitigen Beruf, gibt es noch viel mehr Dinge, mit denen Sie sich beschäftigen: Sie sind u. a. Autor, Musiker,Vorsitzender des Landesverbandes NRW von „Die PARTEI“, Tierschützer, Veganer, Talkshowgast, Sieuntersuchen Parawissenschaften ... Geht Ihnen da manchmal nicht die Puste aus?
MB: Also, Veganer sein ist jetzt nicht anstrengend, sondern eher sehr einfach. ;) In der Zeitschrift „Kochen ohne Knochen“ war vor ein paar Wochen sogar das Lieblings-Rezept von meiner Frau und mir abgedruckt: „Death by Tomato“, also Tomatenstücke mit Tomatenmark und Tomatensauce. Das kann jeder. ;)
Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.