Quelle: Tätowiermagazin 08/2012, Seite 144
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Kolumne von Mark Benecke im Tätowiermagazin
Von Mark Benecke
Manchmal geht’s im tätowierten Leben erst durchs Knopfloch und Fensterkreuz, dann pi mal Daumen um die Ecke und endlich erst in Schwarze. In der Zwischenzeit entstehen soziale Netzwerke, die nix mit Facebook, dafür aber alles mit echten Freundschaften sowie dem gerade siebzig Jahre alt gewordenen Sänger Gunter Gabriel zu tun haben. Und zwar so:
Meine Tochter Jule und ich wollten kürzlich mittels zweier Nasenflügelpiercings etwas Zeit totschlagen. Der nächstgelegene Piercing-Laden unseres Vertrauens war das Leipziger Tattoo-Café, in dem der erfahrene Hautdurchstecher David arbeitet. Soeben kam er von einem Ausflug zum Amsterdamer Tattoo-Museum zurück, wo er von Filip Leu frisch tätowiert worden war und mit den weiteren Tattoo-Giganten Luke Atkinson, Mick aus Zürich und Hanky Panky in privater Atmo abgechillt hatte. Hinter David prangte an der Studio-Wand eine riesige, sehr cute Hula-Lady, die auf einer Spulenmaschine reitet. Warum mitten in Sachsen der überdimensionale Bezug zu fernen Stränden und salzigen Gewässern?
“Nun”, erzählt David, “ich habe früher auf einem fetten Schiff gearbeitet. Damals gab es zwar schon ein paar Tattoo-Conventions, aber noch keine Studios in den heutigen Tattoo-Hotspots Singapur, Hongkong oder Kaoshiung in Taiwan, wo es mich mit dem Schiff manchmal hin verschlug. Anders als vor dem Krieg hatten zumindest meine jungen Kollegen auf See allesamt keine Tätowierungen. Eins meiner Pieces hatte mir Luke Atkinson auf der Hamburger Convention gestochen...damals ging das noch ganz ohne Voranmeldung. Mein Mechaniker-Meister auf einem der größten Containerfrachter der Welt sagte dazu damals nur: “Naja, über das Motiv lässt sich ja streiten, aber gut gemacht ist es...” Ahem!
Dass meine Tattoos mich mit Menschen über Raum und Zeit verbinden, habe ich bemerkt, als ich in Hartford in der Nähe von New York landete. In diesem kleinen Kaff spazierte ich ins Studio Pelican Tattoo. Ich quatschte mit einem netten Tätowierer dort, bis ich auf einmal mekte, dass das Pierre war, der mir sieben Jahre vorher bei Endless Pain in Hamburg mein erstes Tattoo gestochen hatte. Wir hatten uns nicht erkannt und fuhren danach erstmal in Manhattan einen auf die Überraschung trinken. Danach haben wir uns nie mehr gesehen. Das finde ich bis heute echt irre.
Ein weiteres spannendes Tattoo habe ich von Jimmy Wong in Bangkok erhalten. Er arbeitete ja nur nachts und hat mir um drei Uhr morgens -- wegen seines Alters schon mit wackeligen Linien -- ein Samurai-Schwert gestochen, auf das ich sehr stolz bin.
Heute bin ich von Beruf Piercer, liebe Tattoos über über alles. Wenn ich bedenke, dass wir uns heute nur deshalb getroffen haben, weil Jules Tätowierer Markus und ich früher im selben Laden arbeiteten, dann staune ich.”
Nämlich darüber, wie klein die tätowierte Welt manchmal ist.
Pointe: Bei der Jailhouse Ink in Kassel standen Jule, Markus, David und ich auf einmal in derselben (ehemaligen) Knast-Zelle. Neben einem Kätzchen als Partner-Tattoo mit Jule konnte ich mir dabei gleich noch das frisch im Knast erhaltene Autogramm von Gunter Gabriel aufs Handgelenk stechen lassen. Die verschlungenen Wege der Tinte sind unergründlich und überkreuzt. I like!
In weltumspannend tätowierter Verbundenheit --
Euer -
Marky Mark