Dr. Mark Benecke: Ein Polizist und sein Tattoo-Wunsch

Quelle: Tätowiermagazin (letzte jemals erschienene Ausgabe!) #293, Juli 2020 (7/2020), S. 22—23;

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Das höchste deutsche Verwaltungsgericht hat aufgezeigt, warum es bald mehr sichtbare Tätowierungen bei Polizistinnen und Polizisten geben wird.

Text und Fotos: Dr. Mark Benecke

Polizeihauptkommissar Jürgen Prichta, ein ruhiger, gesetzestreuer, friedlicher Franke, hatte im Jahr 2013 beim »Dienstherrn« (so heißt das bei Behörden) darum gebeten, sich als Erinnerung an seine Flitterwochen in Hawai'i das Wort »Aloha«, also »Liebe«, »Zuneigung«, »Nächstenliebe«, »Mitgefühl«, »Freundlichkeit«, »Sympathie«, tätowieren lassen zu dürfen.

Bei der Verhandlung am 14. Mai 2020 fragte der Vorsitzende Richter Ulf Domgörgen im vermutlich schicksten Gerichtssaal Europas auch mal nach der Größe der Tätowierung, nach der bisher niemand gefragt hatte — etwa handflächengroß soll sie auf Jürgens Unterarm werden. Das ist gar nicht so groß, da die bayrische Polizei schon mal mit einem Komplett-sleeve für sich geworben hatte. Aber das war ja möglicherweise nur aufgemalt... so ging es hin und her.

Dass das bayrische Innenministerium ins schwitzen gekommen war, da es eigentlich nur Kleidungs-Vorschriften gab, aber nichts zu Tattoos, bemerkten wir daran, dass eine Woche vor der Verhandlung aus weißblauem Himmel auf einmal eine rechtlich angepasste Regelung veröffentlicht worden war, die ursprünglich ohnehin nur wegen Jürgens Tattoo-Wunsch entstanden war. Irre! sozusagen das »Lex Prichta«, die Prichta-Regelung gegen Tätowierwünsche. oder auch »Lex Aloha«.

Während im Bundesland Berlin sichtbar tätowierte Polizistinnen und Polizisten alltäglich sind, und während sogar die Deutsche Polizeigewerkschaft offiziell beklagt, dass jährlich hunderte (!) von Bewerberinnen und Bewerber alleine in Bayern wegen sichtbarer Tattoos abgelehnt würden (Berufsverbot?), blieb es in Leipzig erst einmal bei der Ablehnung von Jürgens Wunsch nach einem hawaianischen Freundlichkeits-Tattoo.

Der Grund: Die bayrische Regelung sei klar verständlich und basta. so sahen das auch die drei Juristen aus Bayern — es solle bei einem »Total-Verbot« bleiben. Wie total so ein Verbot ist, wenn es ab Kleiderkante oft anders aussieht, wäre eine andere lustige Frage.

Egal, denn jetzt kommt der Dreh: Da das Gerichts-Verfahren als so genanntes Rechts-Gespräch ablief, gab Richter Domgörgen darin überdeutliche Hinweise, wie das Ganze

Mark Benecke und Polizeihauptkommissar Jürgen Prichta im Sitzungssaal des Bundesverwaltungsgerichts bald kippen dürfte. sollte nämlich bereits verbeamtete Polizisten sich ein Unterarm-Tattoo stechen lassen und dann »aus dem Dienst entfernt werden« (so heißt das auf Juristisch) beziehungsweise vor die Wahl gestellt werden, es entfernen zu lassen (»das soll sehr weh tun«, sagte der ursprünglich rheinische Richter dazu), dann handele es sich um wesentlich »tiefere Eingriffe«. Und davon, so Domgörgen, »werden wir hier dann noch mehr sehen«. Anders als in Jürgen Prichtas Fall — er hatte ja nur nett gefragt und sich dann mangels okay kein Aloha stechen lassen — heißt das:

Sobald schwerere fälle vor Gericht landen, dürfte es anders ausgehen. Dann steht nicht mehr nur eine saubere oder unsaubere Formulierung von bayrischen Rechtsregeln im Raum, sondern das Grundrecht auf freie Berufsausübung — hier: der Zugang zum Beamten-Beruf für alle — oder das körperliche Wohl. Oder beides.

Das war wohl der letzte wichtige Zwischenhalt hin zur seit über hundert Jahren in der kriminalistischen Fachliteratur dargestellten Tatsache, dass Tätowierungen nix über schräge Dinge aussagen. obwohl auch das TätowierMagazin früher noch die Auffassung vertrat, dass Polizistinnen und Polizisten und Soldatinnen und Soldaten halt damit leben müssten, dass sie freiwillig in einer Art dienstlichem Korsett steckten, haben wir alle dazu gelernt und werden daher nun bei der vielleicht meist tätowierten Berufsgruppe Deutschlands, den Polizistinnen und Polizisten, bald auch außerhalb Berlins sichtbare Tätowierungen häufiger sehen. sobald sich jemand traut, zu klagen ...

Übrigens, kleine Erinnerung: noch vor zehn Jahren war es für viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber unvorstellbar, dass Pflegerinnen und Pfleger, Kassiererinnen und Kassierer, ja selbst Straßenbahnfahrerinnen und Straßenbahnfahrer regelmäßig sichtbar tätowiert sein würden. Heute ein unvorstellbares und steinzeitliches Ding.


Tattoos im Grassi-Museum

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— Hope K.

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