Quelle: WELT am Sonntag, Nr. 52, 26. Dez. 2021, Seite 10++Mark Benecke ist Kriminalbiologe und Vorsitzender des Vereins Pro Tattoo
Die WELT: Finstere Zeiten für Tätowierstudios: Ab Januar sind zwei Drittel aller Farben verboten, fast nur noch dunkle Töne moglich. Laut EU-Chemikalienverordnung stehen zwei wichtige Farbpigmente im Verdacht, gesundheitsschadlich und krebserregend zu sein. Es klingt erst einmal nach einer vernünftigen Entscheidung, sie zu verbieten — oder?
Mark Benecke: Zucker und Salz konnen auch giftig sein — wenn man zu viel davon zu sich nimmt. Im Gegensatz zu den verbotenen Farben gibt es dafür aber Belege und erprobte Grenzwerte. Ich würde mit dem Verbieten also da anfangen, wo Messungen vorliegen, anstatt im Nebel zu stochern.
Oder Alkohol und Zigaretten: beides potenziell todlich, trotzdem erlaubt. Wieso hat man ausgerechnet Tattoofarben den Kampf angesagt?
Ich war gerade Redner zu diesem Thema bei der Konferenz des Bundesinstituts für Risiko-Bewertung. Fast alle Forscherinnen und Forscher fanden das Verbot beknackt. Zitate: „Wir gehen zurück ins Mittelalter." „Es gibt keine Beweise für die Gefahrlichkeit von Tatowierfarben." „Verrückt." Wohlgemerkt, das waren Aussagen der geladenen Forscherinnen und Forscher. Aber um auf Ihre Frage zu antworten: Wir haben alle keinen Schimmer, was das Verbot soll.
Statistiken zufolge ist in Deutschland mittlerweile BOCHUMER STUDIE jeder fünfte Mensch tätowiert. Vor zehn Jahren war es erst jeder zehnte. Ist mit dem Verbot der Trend gestoppt?
Nein, für Jüngere ist es eine Selbstverstandlichkeit. Auch als Schmuck oder als Erinnerung an geliebte Menschen oder Tiere nehmen Tatowierwünsche zu. In Osteuropa und Lateinamerika gab es vor 30 Jahren kaum Farben. Da hat man dann alles schwarz und grau tätowiert. Das geht also auch. Nur ist es idiotisch, weil mittlerweile vorwiegend Künstlerinnen und Grafiker tätowieren, keine alten Typen im Hinterzimmer. Warum sollte man den Kunstlerinnen und Künstlern ihre Farben wegnehmen?
Man kennt Sie vor allem als Kriminalbiologen, der Bücher schreibt und Vortrage hält. Sie sind aber auch Vorsitzender des Essener Vereins Pro Tattoo. Warum haben Sie den Verein gegründet?
Weil ich Tatowierungen für etwas ganz Normales halte und möchte, dass die Aufregung darum verschwindet.
Sie sind selbst stark tatowiert und sagen oft, dass Sie nicht wüssten, wie viele Tattoos Sie haben. Wissen Sie schon, wie viele 2022 hinzukommen werden?
Je nach Laune. Erst mal bin ich Ende dieses Jahres in Amsterdam. Da kann ich mir bei „Tattoo Peter" oder Henk Schiffmacher bestimmt noch ein paar blaue Himmel, blaue Wellen und blaue Blumen stechen lassen. (*)
WELT AM SONNTAG I NR. 52 I 26. DEZEMBER 2021 | FRAGEN VON FRANK LORENTZ
ABBILDUNGEN 1 MIT TEXT:
(*) Amsterdam war dann leider im Lockdown. Kurz vor dem Blau-Verbot hat Mark daher von Ines noch ein fluffiges, blaues Krümelmonster-Tattoo erhalten