Quelle: Tätowiermagazin 02/2012, Seite 144
Kolumne von Mark Benecke
Ahoi zusammen. Heute geht es um Freundschaften - natürlich tätowierbedingte. Die Folgende ist dabei eine der wohl unerwartetsten Dreier-Zusammenstellungen, die überhaupt vorstellbar ist. Und das kam so:
Vor zehn Jahren geisterte ich auf der Suche nach chinesischen Tätowierern, die im riesigen, damals noch sehr schrottigen Peking nirgendwo zu finden waren, entlang von Steinhütten, in denen wahlweise »Dog Noodle« (Nudeln mit Hundefleisch) oder von Chilischoten bedeckter Fisch serviert wurde. Zuletzt stand ich im Party-Viertel Sanlintun. Dort gab es neben winzigen Bars mit jeder Menge Lämpchenjedöns auch einen englischsprachigen Buchladen, in dem für den Gaumen pingeliger Expatriots (Menschen, die lange im Ausland leben) verträglicheres Essen serviert wurde. Und es gab eine Art Einkaufszentrum aus Backstein, in dem ursprünglich wohl für Touristen kunsthandwerkliche Fantasien verkauft werden sollten. Diese Touristen gingen aber leider alle in die benachbarte Mega-Mall, wo es tonnenweise gefälschter Taschen und Klamotten gab. Im etwas verlorenen Backstein-Gebäude hatte Dong Dong ein kleines Tätowier-Studio.
Was mir sofort auffiel, war, dass er erstens grenzenlos mild und ruhig war, dass er zweitens eine atemberaubend coole Riesen-Schlange über den Körper eines seiner Mitarbeiter getintet hatte und dass er drittens im Laden einige hübsche Gläser mit in Formalin eingelegten Skurrila stehen hatte. Wir tüftelten an einem Motiv, und am folgenden Tag war ich stolzer Träger eines nicht nur fetten, sondern auch bis heute von mir sehr geliebten Pieces. Damit hätte es enden können. Keiner von uns sprach damals eine Sprache, die der andere verstand, und so war auch E-mailen sinnlos. Doch eines Tages trudelte eine Mail aus der winzigen Stadt Wesel herein. Sie war auf deutsch geschrieben. Norman, der dortige Tätowierer, sei ein guter Kumpel von Dong Dong, und ob ich nicht zum Essen kommen wolle. Dong Dong sei in Town. Die Fragezeichen über meinem Kopf leuchteten in allen Farben. Natürlich wollte ich es wissen und fuhr hin.
Norman lebt mit seiner Familie im absoluten Nichts in einem Häuschen, das den direkten Gegensatz zum Krach, Schmutz und völligen Chaos darstellt, das in Peking Tag und Nacht herrscht. Bei unserem ersten Treffen an diesem unwirklichen Ort auf dem platten Acker gab es Klöße und Rotkohl- ein Gericht, von dem wohl noch kein Chinese gehört, geschweige denn gekostet hat. Nun war es an Dong Dong, sich einen geschmacklichen Weg durch unser deutsches, für große Teile der Welt vollkommen fades Essen zu bahnen ... seine Lösung: Eine Dose mit scharfer Bohnenpaste, die (wie hierzulande Maggi) so ziemlich alles an chinesische Gaumen anzupassen vermag.
Seitdem stehen wir alle In zwar seltenem, aber dafür umso enger empfundenem Kontakt. Dong Dong tätowiert mittlerweile in einem Atelier, ganz ohne Laufkundschaft. Er hatte dadurch Zelt, einen großen Bildband mit seinen Gemälden zusammenzustellen und zwischendurch geistert er durch Nepal, um dort uralte, tätowierte Menschen zu fotografieren. Ab und zu fahren Norman und Dong Dong irgendwo auf der Welt auf eine Convention, um dort zu arbeiten und zu feiern, beispielsweise in Singapur.
Obwohl ich bis heute nicht begreife, wie das alles so passiert ist, wie es eben passiert ist, finde ich es doch wunderbar, dass wir und unsere Familien durch die gemeinsame Liebe zu Tätowierungen etwas geschafft haben, was Geheimdiensten, Firmenbossen und Diplomaten meist nicht gelingt: Das Licht von Freude und Freundschaft zwischen Stadt, Land und Kulturen in den schönsten Farben strahlen zu lassen. Ach ja, noch was: Bei seinem letzten Besuch in Deutschland haben Dong Dong und seine Frau zur Feier des Tages selbst gekocht. Es war das wohl gigantischste chinesische Festmahl, das Wesel jemals erlebt hat! Zack, geht doch.
Aye und bis nächsten Monat –
Mark Benecke
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