Quelle: momag (klicke hier und hier), Februar 2020, Seiten 34-39
PETRA ORTNER
Mark Benecke. Deutschlands bekanntester – vom FBI ausgebildeter – Kriminalbiologe gibt am 9. Februar im Mostviertel Einblicke in die Welt der Serienmörder. Das momag traf den Forensik-Star für ein Gespräch in Wien.
Hast du sowas wie einen „Lieblings-Serienkiller“? Jemanden, mit dem du dich besonders gerne beschäftigst?
Nein, das sind alles traurige Figuren, die mir leidtun. Die Opfer tun mir natürlich noch tausendmal mehr leid. Was aber immer spannend ist: sich die Taten aus den 1920er Jahren anzusehen. Das war eine Zeit des starken Umbruchs mit schwers- ten Wirtschaftsproblemen. Gleichzeitig war die sexuelle Aufklärung eigentlich schon weit fortgeschritten, wurde aber stark unterdrückt: Es gab eine Gegenbewegung zur Aufklärung. Es gab in Deutschland Fritz Haarmann, Karl Denke oder Peter Kürten. Recht gut untersuchte Taten. Damals wurden die Morde von etwas „märchenartigem“ – Räuber im Wald, Vergewaltiger, die über einen herfallen – zu etwas gut Dokumentiertem, auch schon mit Psychologie und Psychiatrie. Man bekam eine deutliche Vorstellung davon, dass da irgendwas Sexuelles eine Rolle spielt, und Spuren konnte man auch schon sichern, also Hautleisten-Abdrücke und ähnliches.
Die bekanntesten Serienmörder sind aus den USA. Gibt es noch Schlimmere?
Die sind alle gleich schlimm. Die Amerikaner sind nur deswegen bekannter, weil überall auf der Welt Englisch gesprochen wird, während zum Beispiel die Haarmann-Protokolle deutschsprachig sind und gar nicht international veröffentlicht wurden. So kam es, dass diese psychologischen, psychiatrischen und kriminalistischen Tatsachen, die in den 1920ern eigentlich schon bekannt waren, dann – wenn man so will – in den USA in den 1980ern und 1990ern wieder neu entdeckt wurden. Das war der Hype, den wir heute als so amerikanisch wahrnehmen. Aber eigentlich war das alles seit allerspätestens 1931 durch den Film „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ bekannt. Dieser Film beruht auf dem Fall Peter Kürten, was aber nicht verraten wird. Der Täter sagt am Ende des Films, er sei ein Monster und habe keine Wahl: Er ist so wie er ist. Und die anderen Leute sollen nicht über ihn richten, denn sie sind auch Verbrecher, nur haben sie die Wahl zum Guten und er nicht. Diese „Nichtwahl“ haben wir heute als „Neigung“ in Deutschland im Gesetz stehen. Wir wissen auch, dass Serientäter entscheiden können, nicht zu töten, deswegen stimmt das mit der Neigung bei ihnen nicht, aber es ist auch schon 100 Jahre später als im Film von Fritz Lang. Insofern ist es weltweit gleich. Das Schlimmste ist eigentlich, dass man nicht so gerne in die Vorbeugung geht, sondern denkt, wenn man Serientäter einsperrt, ist die Welt wieder schön und voller Einhörner und Glitzer. Das ist aber leider nicht so, weil man zusehen muss, dass der nächste nicht entsteht.
Wie oft warst du schon in St. Pölten?
Für einen Vortrag nur einmal. Aber der Bezug ist ja durch den Ostberliner Rechtsmediziner Professor Prokop, der aus St. Pölten kam, entstanden. So gesehen hatte ich da viele Berührungspunkte mit der Stadt.
Wurde schon mal jemandem übel in einem deiner Vorträge?
Die Leute kippen schon mal um. Nicht beim Serienmord-Vortrag, sondern meistens wenn es um Blut oder sowas geht. Aber nicht sehr oft. Es hängt auch stark davon ab, ob gute Luft im Raum ist. Wenn es im Sommer glühend heiß ist und die Luft schlecht, dann geht es den Leuten eh schon nicht so gut. Also beim Blut-Vortrag, beim Bakterien-Vortrag und auch beim „Mord im Museum“ kam es schon vor. Da sieht man ziemlich starke Gewaltdarstellungen, wegen dem Vergleich mit mittelalterlichen Bildern – und diese Gemälde sind sehr brutal.
Wie alt warst du, als du gewusst hast, in dieser Richtung arbeiten zu wollen?
Ich weiß bis heute noch nicht, in welcher Richtung ich arbeiten will. Ich mach’, was gerade so anfällt. Da bin ich ganz offen.
Es gibt auch eine Menge Bücher von dir, auch eine Biografie.
Die Arbeit an der Biografie – „Mein Leben nach dem Tod. Wie alles begann“ – war sehr aufwendig. Da war ein Journalist dabei, der ganz viele Fragen gestellt und ein Rohgerüst gemacht hat. Und dann habe ich das komplett umgeschrieben, das war eine Wahnsinnsarbeit. Die Hölle auf Erden, wirklich. Also wenn ich eine Sache in meinem Beruf nicht empfehlen kann, dann ist es Bücher schreiben. Das ist die ätzendste, anstrengendste Arbeit die es gibt. Wirklich.
Welche Eigenschaften darf man als Forensiker gar nicht haben und welche sollte man unbedingt mitbringen?
Das Wichtigste ist, sich in Details vertiefen zu können. Die sollte man mögen, sonst wird es langweilig. Man muss gerne sortieren. Alle Insekten, die wir jemals eingesammelt haben, sind bei uns in identischen Gläschen. Seit 27 Jahren exakt dieselben Gläschen, auf dieselbe Art beschriftet, derselbe Deckel, alles gleich. Also an sowas muss man Spaß haben. Und man sollte auch sehr gerne fotografieren. Das tat übrigens auch Professor Prokop aus St. Pölten. Er hat schon bei der „Reichskristallnacht“, oder Reichspogromnacht, wie es richtig heißt, in Wien fotografiert und auch später als Rechtsmediziner. Er hat den besten Fotoatlas der Gerichtsmedizin herausgegeben. So ist es bei mir auch; ich fotografiere einfach alles um mich herum. Ich habe erst heute in der Nationalbibliothek in Wien den ganzen Tag fotografiert, ohne Unterbrechung. Ich hab’ tausende Fotos gemacht.
Was man nicht dürfen darf, ist zu glauben, dass man weiß, wie irgendwas funktioniert. Zu denken, dass man irgendwie abschätzen kann, was wahrscheinlich und was unwahrscheinlich ist. Was richtig oder falsch, gut oder böse ist. Das darf man nicht. Man muss immer Experimente machen, muss immer experimentell überprüfen, fotografieren, dokumentieren, einsammeln.
Neben deiner Arbeit als Forensiker und Vortragender bist du oft im Radio, im TV und auch noch Vorsitzender der Partei „Die PARTEI“ in Nordrhein-Westfalen. Wie schaffst du das alles, schläfst du auch mal?
Der Trick ist einfach, genug zu schlafen. Unterwegs ist das von zwei Uhr nachts bis neun Uhr morgens. So sind meine Frau Ines und ich fit genug, um die ganzen schönen Dinge zu stemmen. Nicht schlafen geht nicht. Achja, und wir trinken fast keinen Alkohol mehr, das war auch eine interessante Umstellung – geht aber nicht anders. Jedes Glas Bier kostet eine halbe Stunde hellwacher Einsatzzeit. Und ich trenne nicht zwischen Freizeit und Arbeit. Für mich ist das alles eins, ich mache das, was ich gerne mache.
Beschäftigst du dich öfters mit Serienmördern?
Ja, ich habe beispielsweise einen Klienten, der viele Kinder getötet hat. Es bringt sehr viel, mit den Tätern zu reden, weil sie die Einzigen sind, die wirklich wissen, was passiert ist. Vorausgesetzt, sie wollen reden. Das Gesagte kann man mit den Spuren abgleichen, so dass man eine schöne Brücke zur Wahrheit hat.
Sind kannibalistische Serienmörder auch ein Thema für dich?
Ich habe hin und wieder solche Fälle. Mein Team und ich führen auch Tat-Nachstellungen und Nachforschungen in Subkulturen dazu durch.
Wie lange kannst du Spuren auf Insekten nachverfolgen?
Im Prinzip kann man auch 2000 Jahre nach einer Tat noch Spuren finden. Wenn Maden Schwermetalle als Gift – etwa Thalliumsulfat – aufgenommen haben, kann es sein, dass man in den toten Tieren dieses Gift noch nachweist. Wenn beispielsweise mit einer Leiche auch eine Markusmücke in einem Plastiksack verpackt und vergraben wurde, kann man nach zehn, zwanzig Jahren immer noch die tierischen Reste und die Jahreszeit des Vergrabens untersuchen. Viele Tiere leben nur in bestimmten Monaten oder bestimmten Lebensräumen.
Du bist diplomierter Maden-Experte. Welche ist deine Lieblings-Made und warum?
Ich find‘ Käsefliegen-Maden lustig, weil die springen können und sich vorher wie ein Croissant zusammenkrümmen. Außerdem schreien alle noch mehr, wenn die springenden statt der normalen Maden aus dem Bergesack kommen.
Wie schaffst du es, gleichzeitig seriös und durchgeknallt zu wirken?
Ich finde mich ganz normal. Ich kenne aber viele schräge Menschen, die ernst genommen werden – einfach, weil sie sozial und ehrlich handeln. Das kennen wir ja noch aus Uralt-Zivildienst-Zeiten: „Lange Haare, aber so freundlich und hilfsbereit!“ Oder von Pflegestationen, wo reichlich Gothics rumlaufen, bis eben hin zu meinem Job, wo ich offen und ehrlich und ohne Geld- oder Machtwünsche einfach sage, wie es ist.
Das hilft in Fällen, wo du gerade dein verfaultes Kind aus dem Teich gezogen hast – mehr, als Rumgelaber und Bundfalten. Tattoos oder Glatze interessieren in solchen Momenten nicht mehr. Vor Gericht ist es manchmal was anderes. In sehr konservativen Umgebungen sind Aussehen und Verhalten – die geputzten Schuhe! – Glaubensfrage. Neuerdings bin ich aber sogar Prüfer beider eher konservativen Industrie- und Handelskammer für DNA-Sachverständige und staunte: Alle Prüflinginnen kamen letztes Mal in norma- len Klamotten und redeten ganz normal.
Hast du wirklich einen Magneten im Finger oder ist das ein Witz?
Habe ich wirklich, sogar zwei. Haben Profis eingenäht – bitte nicht zu Hause nachmachen. Man kann damit die schönsten, angeblich übersinnlichen, Sachen machen, beispielsweise Kreditkarten entwerten, Kompasse steuern und Büroklammern aufsammeln.