“Fahren Sie nach Leipzig?”, fragte uns gestern ein älterer Herr, als wir in Zerbst aus dem Zug stiegen.
Der Bahnhof Zerbst — das muss mensch dazu wissen — besticht durch ein dauerhaft geschlossenes, schloss-artiges, cremefarben gestrichenes Empfangsgebäude mit lustlosen Graffitis (“Provinzflucht vorantreiben! Für das schöne Leben!”) und einer seit sehr langer Zeit toten Taube vor dem ehemaligen Haupteingang. Sogar der am Gebäude angebrachte Name der Stadt wurde von der Bahn übertüncht.
Wenn nun selbst auf dieser etwas abgelegeren Regionalbahnstrecke via Wolfen, Rodleben, Roßlau, Bitterfeld und Dessau bunte Menschen leben, die nicht nur wissen, wie Gruftis aussehen, sondern auch, dass man sie gefahrlos ansprechen und nach dem WGT fragen kann, dann ist das
etwas Gutes. Und zwar nicht die von Steinzeit-Szene-Spezialisten befürchtete Verflachung und Profanisierung unserer samtschwarzen Welten, sondern genau das Gegenteil: Nämlich die tolerante Einbettung unserer für Außenstehende nachvollziehbarer Weise manchmal schräg erscheinenden Klamotten-, Musik- und hin und wieder auch sexuellen Vorlieben in den sonnenhellen Alltag.
Diese Beruhigung klappt gegenüber MetallerInnen schon seit mindestens einem Jahrzehnt und hat — soweit ich es beurteilen kann — dem Metall nicht geschadet. Stattdessen hat es die Welt ein bisschen ruhiger, schöner und friedlicher gemacht.
Und genau diesen Wunsch habe auch ich jedesmal, wenn ich aufs Amphi oder WGT gehe: Nicht, dass der Rest der Welt auf einmal schwarz trägt (hätte ich aber natürlich nix gegen ;) ), sondern dass Bunte und Schwarze sich nicht einfach in Ruhe lassen, sondern auch ab und zu mal gegenseitig fragen, wo es denn gerade lang geht.
Ganz der Eure - Dr. Doom