Er forscht, wo andere die Nase rümpfen

Quelle: Salzburger Nachrichten, 3. Febr. 2023, S. 14

Kauzig, furchtlos, akribisch: Kriminalbiologe Mark Benecke lässt sich von Insekten dabei helfen, Kapitalverbrechen aufzuklären.

Von Michaela Hessenberger 

Der Popstar in der Forensiker-Branche: Mark Benecke.

Er ist Kriminalbiologe, Spezialist für forensische Entomologie, Autor, Schauspieler und noch einiges mehr: Der 52-jährige Deutsche Mark Benecke spricht mit den SN über verräterische Tiere, Serienmörder und Big Data bei Leichengeruch.

SN: Herr Benecke, Sie waren der Einzige, der mit Serienmörder Luis Alfredo Garavito Cubillos sprechen wollte. Der Kolumbianer hat mindestens 140 Buben ermordet. Was braucht es, damit Sie einen Fall übernehmen?

Mark Benecke: In diesem Fall brauchte es die Beobachtung, dass meine Kolleginnen und Kollegen den Fall nicht wollten. Sie hatten die Leichen, Zerstückelungen, Spuren der Folter, Vernachlässigungen und Morde gesehen. Als mich dann die örtliche Polizei 2002 noch gefragt hatte, ob der Täter durch die lokale, traurige Volksmusik zu seinen Tötungen gekommen sein könnte, dachte ich mir: „Da hilft es nur noch, den Täter selbst erklären zu lassen, was passiert ist.“ 

Viele andere, auch der Staatsanwalt, waren so betroffen, dass sie sogar Traumastörungen davongetragen haben. Irgendjemand sollte wahr und klar die messbaren Tatsachen nachzeichnen.

Ihr Spezialgebiet ist die Arbeit mit Insekten an Tatorten oder Opfern. Lassen Krabbeltiere einen Tathergang eher auffliegen oder doch menschliche Ermittler?

Am besten beide. Je mehr Spuren es gibt, umso klarer ist das Bild vor Gericht. Und nur das hilft den Angehörigen und allen anderen, vorzubeugen, sodass Ähnliches möglichst nicht noch einmal passiert.

Was ist die erstaunlichste Geschichte, die Insekten Ihnen erzählt haben?

Jede. Kerbtiere leben in einer fantastischen Welt, in die wir durch die Fälle eintreten dürfen. Das ist wie ein Vorhang, den wir beiseiteziehen, um in die wirkliche Welt zu blicken. In dieser finden wir in einem Löffel Erde mehr Lebewesen, als es Menschen auf der Erde gibt. Wir staunen darüber wie Kinder, jeden Tag.

Sie sind nicht nur Wissenschafter, sondern auch Naturschützer. Deshalb kritisieren Sie die Einäscherung von Leichen. Gehen durch das Kremieren zu viele wertvolle Spuren verloren?

Für uns gibt es genügend Möglichkeiten, Insekten, Erbgut, Haare oder Pflanzen vor der Einäscherung zu sichern. Wir leben aber in einer Zeit, in der wir nicht weiter Bestandteile der Erde in die Luft blasen können. Leichen bestehen aus Stoffen, die dahin gehören, wo sie hergekommen sind, nämlich in den Kreislauf der Erde und des Lebens. 

Zum Glück weitet sich die Kompostierung von menschlichen Leichen aus, derzeit in den Vereinigten Staaten und Deutschland.

Wie lange nach dem Tod eines Menschen kann man Sie als Spezialisten sinnvollerweise beiziehen? Hitlers Zähne konnten Sie dem Diktator fix zuordnen?

Ja, Hitlers Zähne haben wir sicher als seine erkannt. Ich habe vom britischen Geheimdienst und einer mittelamerikanischen Quelle die Röntgenbilder des lebenden Hitler erhalten – alles passt zu seinen Zähnen, die ich in Moskau beim russischen Geheimdienst FSB untersucht habe. Meine ältesten Spuren waren 1600 Jahre alte Käferflügel aus dem Schrein des heiligen Severin.

Die Forensik lebt auch vom technologischen Fortschritt. Welche Revolutionen, wie die DNA-Analyse in den 1990er Jahren, stehen derzeit vor der Tür?

So wie überall erwarten uns künstliche Intelligenzen und Big Data, also Massendaten. Wir können immer mehr Orte im Erbgut anschauen und dürfen neuerdings auch versuchen, weitschichtige Verwandtschaft, Augenfarbe und Ähnliches abzuleiten. 

Besonders die Suche nach Verwandten bei einer unbekannten Erbgutspur ist richtig spannend. 

Und auch, dass die Gerüche von Bakterien, die Leichen besiedeln, jetzt in riesengroßer Zahl dargestellt werden. Das war ein jahrzehntelanger Traum meines Teams, der jetzt wahr wird.

Würden Sie einen Teil Ihrer Arbeit gerne an künstliche Intelligenz oder Robotik abgeben?

Nein, gar keinen. Meine Mitarbeiterinnen und ich sind wie Sherlock Holmes und Watson. Wir arbeiten also klein, kauzig, manchmal auch sehr langsam, furchtlos gegenüber staatlichen Einflüssen, organisierter Kriminalität oder unglaublichen Erscheinungen wie religiösen Wundern

Wir bleiben gerne sehr nah am Fall, wir messen, sortieren und fuchsen uns in den Einzelfall sehr gründlich ein.

Sie sind auf Bühnen live und online zu hören und zu sehen. Begeistern SocialMedia-Auftritte junge Leute für Ihren besonderen Job?

Ich mache im Netz das, was die Menschen wollen. Neulich musste ich für den TikTok-Kanal meiner Frau einen gerade verbreiteten Tanz mitmachen. Kein Problem. Ich setze aber vor allem darauf, jene Fragen zu beantworten, die andere stellen – und nicht darauf, das zu erklären, was mich selbst interessiert. Das funktioniert auf jedem Kanal.

Info: Neue Forschungsergebnisse präsentiert Mark Benecke jeden Samstag live in seinem Wissens-Podcast. Sein aktuelles Buch heißt „Warum Nacktbilder zu Gedächtnislücken führen“ (Verlag Lübbe). Am Freitag gastiert Benecke in der ArgeKultur Salzburg.


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