Vampire brauchen auch nur Blut

Quelle: Cicero, Juni 2020, Seite 108—111

SALON Bibliotheksporträt

Der Kriminalbiologe Mark Benecke umgibt sich mit wunderlichen alten Büchern, die Licht werfen ins Dunkel der Gegenwart, indem sie über die Vergangenheit aufklären.

Von OLIVER USCHMANN / Fotos: JÖRG HEUPEL

Es fällt leicht, sich die Bibliothek des Kriminalbiologen Mark Benecke als Organismus vorzustellen. Als Myzel-Netzwerk, in dem alles mit allem verbunden ist und nachts die Stimmen aus Jahrhunderten miteinander flüstern.

„Ich umgebe mich nicht mit Büchern“, sagt er, „die Bücher umgeben mich.“ Die Schuld an der Umzingelung trägt der einzige öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für biologische Spuren in Deutschland selbst.

Da er Anfragen zu „Blutwundern“ wie weinenden Gemälden oder „angeblich seit 200 Jahren aus einer Leiche tropfendem Wasser“ bearbeitet sowie als Autor den Vampirismus erforscht, muss er auf Quellen zurückgreifen, „die über Google niemals zu finden sind“. Alte Texte bis hinein ins 18. Jahrhundert, zu finden nur in wenigen Bibliotheken, die „für Kopien horrende Preise nehmen“ und tagelange Anreisen erfordern. Sobald Benecke sich in ein Thema verbeißt, besorgt er sich die alte Literatur und integriert sie hier in Köln in sein Archiv. 

Zu Therese von Konnersreuth, die angeblich mittels Stigmata das Leiden Christi durchlebte und 35 Jahre lang außer der Eucharistie nichts aß, besitzt Benecke alle Literatur. Zum Thema „Mumien“ stapeln sich „sämtliche essenziellen“ Bücher. Weiter gefasste Bereiche sind „nicht erschöpfend zu komplettieren“, dafür geht’s immer wieder spitz in die Tiefe. Es wird kein zweites deutsches Privathaus geben, in dem sich alte Ausgaben der schottischen Vampirzeitschrift Bite Me finden oder Nicolas Venettes „Abhandlungen von den Geheimnissen keuscher Liebeswerke“ von 1721. Das sei ein „lupenreines Werk der Aufklärung“, schwärmt Benecke, „keine Pornografie unter dem Deckmantel der Information“.

Aufklärung ist der Leitstern, der die dämmerigen Regale erleuchtet. Der scheinbar finstere „Dr. Tod“, dessen viele Tätowierungen einen von J. R. R. Tolkien geschriebenen Brief enthalten, hat Freude am glasklaren Deduzieren. Seine Methoden folgen der Haltung von Sherlock Holmes, für den es „niemals eine Rolle spielt, ob etwas wahrscheinlich ist, sondern nur, ob es ausgeschlossen werden kann“. Um die angeblichen Tränen eines Gemäldes zu analysieren, überredete er eine Spezialfirma für die Analyse feinster Ölspuren, ihr „unbezahlbares Equipment“ nutzen zu dürfen.

Ein früher Held der Skepsis ist für ihn Augustin Calmet. Der Benediktiner brachte 1746 eine Abhandlung über Vampire und Geister heraus, die scheinbar übernatürliche Phänomene handfest erklärte. Etwa, wie Vampirmythen dadurch entstanden, dass Menschen sich furchtbar erschraken, wenn Leichen bei der Exhumierung aufgeblähte Körper oder Blut im Mund hatten. Gemeinsam mit Ines Fischer untersuchte Benecke die Psychogramme von Menschen unserer Gegenwart, die sich selbst für vampirisch halten. So häufig er zum „Lexikon des Aberglaubens“ greift, so viel trägt er dazu bei, diesen zu bekämpfen.

Für das rein private Lesen fehlt dem Wissenschaftler, Gutachter, Kongressredner, Autor und Vorsitzenden des NRW-Landesverbands der PARTEI die Zeit. „Von Fiktion habe ich keine Ahnung“, sagt er, die Säulenheiligen Tolkien und Arthur Conan Doyle einmal ausgenommen. Die Übersetzung der US-Serie „CSI New York“ hat er auf Richtigkeit überprüft. Autoren von Krimis würde er auf Anfrage durchaus Ratschläge geben, die aber „am Ende ohnehin keinen kümmern, da Realismus eine gute Geschichte oft zerstört“. Umgekehrt hätte die eine oder andere gute Geschichte in der Realität bessere Wirkung erzielt als die harten Fakten. Der schuldige O. J. Simpson sei damals trotz eindeutiger Spuren „überlagerter Erbsubstanz von Tätern und Opfern“ von den Geschworenen freigesprochen worden. Frei nach dem Motto: „Bio und Chemie haben wir schon in der Schule nicht gemocht. Der wirkt doch so nett.“ Benecke hat über den Fall in der Fachzeitschrift Kriminalistik geschrieben, unter deren Ausgaben sich ebenfalls die Bretter biegen. „Im Falle Simpson hätte die Verteidigung neben den harten, forensischen auch die weichen, sozialen Beweise anbringen müssen“, sagt er, „so etwa die cholerischen Ausfälle des Mannes in vorherigen Beziehungen.“

Klarheit und Stringenz leiten Mark Benecke auch geschmacklich, wenn es aus der „Mutterkammer“ in den Comic-Raum geht. Die düsteren unter den Superhelden finden sich dort. „Batman“, der „letztlich eine Weiterentwicklung von Holmes war“, sowie die lange Zeit als unverfilmbar bewerteten Reihen „Watchmen“ und „The Boys“, die ihren Weg auf Leinwand und Streaming-Server gefunden haben. Davon abgesehen, mag Benecke den im Vergleich zu „überkoloriertem Scheiß“ schlichten Minimalismus eines Hergé. Der habe einmal gesagt, es komme nicht auf die einfache Linie an, sondern auf die Einfachheit der Struktur im Gesamten. So, wie in der Kriminalistik „die einfachste Lösung in den meisten Fällen immer die richtige“ sei. Auf die Frage, wie er die Mengen seiner stetig wachsenden Bibliothek samt Geschenken aus aller Welt – vom Satyrkopf des „Hellraiser“-Maskenbildners bis zum Voodoo-Gott aus New Orleans – in den Griff bekommt, hat Mark Benecke auch zwei einfache Antworten. Erstens: „Einfach machen.“ Zweitens: „Keine Objekte vor Bücher stellen, an die man häufig ranmuss.“ Derlei gepflegt, bleibt dem papiernen Organismus weiterhin Luft zum Atmen.

OLIVER USCHMANN ist Schriftsteller und Journalist.

Mit vielem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung sowie Autor und Fotograf für den exzellenten Artikel. — MB


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