Lenins Leichenzustand

2013 Osteuropakanal Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Quelle: Wissenschaftsmagazin "Osteuropakanal" der Albert-Ludwigs-Universität | Feuilleton
Interview: Ronald Wendorf

RW: In welchem Zusammenhang warst Du bei Lenin?

MB: Der Fernsehsender National Geographic TV wollte die Frage klären, ob man sicher sagen könne, ob der vermeintliche Schädel sowie die Zähne Hitlers echt seien. Diese lagerten in Moskau, während Hitlers Leiche in Berlin gefunden worden war und danach in Magdeburg begraben wurde. Das war ein bisschen merkwürdig.

Der damalige Militärgeheimdienst SMERSCH war zudem 1945 an der Sache leitend beteiligt. Natürlich lügen Geheimdienste, das ist ihr Job. Deshalb wollten wir schauen, was man objektivieren kann. Im Zuge dessen kam ich an die Leiche Lenins. Wahrscheinlich wollte der Fernsehsender ein paar Stimmungsbilder. Für diesen schienen Stalin, Lenin und Hilter eine Mischpoke zu sein.

RW: Der Fernsehsender lud also zur Leichenschau ein?

Bildrechte: Mark Benecke/ Privatbesitz Ronald Wendorf/ Mark Benecke

Bildrechte: Mark Benecke/ Privatbesitz Ronald Wendorf/ Mark Benecke

MB: Ich würde nicht unbedingt Einladung sagen. National Geographic suchte einen Experten, der vor Ort erklären kann – was immer man da finden würde. Es war zwar deren Idee, jedoch eine Kooperation. Schließlich hatte ich mich bereit erklärt, ohne irgendwas Konkretes zu wissen und sagte: ‚Okay, wir gucken was wir finden. Dann machen wir das!’ So bin ich mit dem Team ins Leninmausoleum hinein gestolpert. Alles war organisiert, mit Bestechung und soweiter. Jedoch wusste keiner, ob es wirklich klappen würde. Wir kamen rein und das Interessante war, dass man eigentlich nicht lange der Leiche bleiben durfte. Filmen war okay, fotografieren verboten. Mit einer Photokamera hätte man nämlich hochauflösend fotografieren können und die wollten ums Verrecken nicht, dass man die schwarzen Stellen an der Nasenwurzel und zwischen den Fingern sieht. Das weiß ich aber nur vom Präparator. Wirklich sehen konnte ich die Stellen leider nicht. Dazu war zu wenig Zeit. Zudem musst Du Dir vorstellen, dass der Raum in einem rötlich-braunem Licht war. Ich verließ mich auf den Geruch. Denn es roch nach Formalin. Der Sohn des Präparators, der dies dann später selbst wurde, gab mir das Rezept. Dieses konnte ich dann prüfen.

RW: Das Konservierungsrezept funktionierte?

MB: Das Rezept haut hin! Lenin wird in einer Art Taucheranzug unter dem normalen Anzug relativ flüssig gehalten. Zudem wurden zur Fäulnisvermeidung dessen Organe entnommen. Die Leiche hat ein beständiges Vertrocknungsproblem. Dieses resultiert aus dem Begräbnis. Die Leiche war bereits vergraben, aber zum Glück noch im eiskalten Boden.

Ich habe bereits viele Leichenerscheinungen gesehen und kenne etliche Rechtsmediziner, Bestatter wie auch Kriminalbiologen: aus diesem Blickwinkel lässt sich die Leiche besser erklären. Laien hingegen halten die Leiche für eine Wachsfigur oder ähnliches. Das stimmt aber nicht.

RW: Welchen Aufwand muss man betreiben um die Mumie im derzeitigen Zustand zu erhalten?

MB: Man muss einen schweinemäßigen Aufwand bereiben. Der Hauptaufwand bestand darin, die Bakterien und die Vertrocknungen zu beheben. Das machte damals ein Anatom. Ihm hielt man am Abendbrotstisch eine Knarre an den Kopf und befahl ihm: ‚So, auf nach Moskau. Du siehst ja was Du an Deinem Kopf hast!’. Dieser Anatom bekam Lenin ganz gut hin. Danach begann jedoch der konservatorische Aufwand. Nach den Erzählungen vom Mausoleumpersonal und meiner Erfahrung nach muss man mindestens einmal die Woche komplett an die Leiche ran. Sauber machen, Flüssigkeiten wechseln, Anpassungen machen – das ist eine enorme Arbeit. Ein Museum bauen ist schön, aber ein Museum zu unterhalten ist dann nicht mehr so schön. Hinten im Leninmausoleum ist ein kleines Labor. Das ist richtig Arbeit.

RW: Wie hat der Chef-Präparator über sein Leichenwerk Lenin gesprochen?

MB: Vorab, die Übersetzer halfen in den Gesprächen. Das Präparatorenteam erzählte, dass es vor allem nervtötend sei. Sie kamen wie Jungfrauen zum Kinde. Durch die vielen politischen Verwicklungen hatte sie eigentlich viel Ärger. In der Stalinzeit konnte es gerade gut sein, dass man dort mitgearbeitet hatte und ein anders Mal war es doch schlecht. Je nachdem wie Stalin gerade drauf war. Nicht immer konnte man die Leiche so konservieren, wie es gewünscht war. Es war wohl wie ein Geist, den man nicht gerufen hatte. Man konnte nicht nein sagen und er blieb und ging nicht weg.

RW: Gibt es vergleichbare Mumien?

MB: Nein, solche gibt es nicht mehr. Die sind alle bestattet oder kremiert. Für Lenin gibt es kein Vergleichsobjekt mehr. Es gab eine Reihe von russischen Mafiamitgliedern, die jedoch meinem Wissen nach alle bestattet worden sind. Da geht es nur um den extrem guten Erhaltungszustand bei der Bestattung, und den Wohlstand zu zeigen, dass man sich solch ein Verfahren leisten könne. Selbst wenn die Mafiosi noch in den Mausoleen liegen sollten, sind sie nicht mehr öffentlich einsehbar. Ein Bestatter in New York macht noch eine Silikon-Konservierung. Das Besondere dabei ist, dass die Leichen gewünschte Gesichtszüge annehmen können. Sie lächeln beispielsweise. Aber eigentlich ist er der Letzte, der sich überhaupt noch ansatzweise mit einer dauerhaften Konservierung beschäftigt.

Ich war in Palermo und die Kapuzinermönche dort pflegen die Mumie heute nur wegen des Geldes. Das merkt man. Deren Mumiengruft bezeichnen sie ja auch als Friedhof. Sie könnten ihn dicht machen und sagen: ‚Okay, wenn er zerfällt, zerfällt er.’ Das ist halt Asche zu Asche und Staub zu Staub. Aber sie machen es für die Touristen. Ich kenne keine Leute mehr, als vll. in kleinen Dorfgemeinschaften, die sich dafür interessieren würden. Das ist irgendwie nicht mehr so hip.

RW: Es gibt einfach weniger Personenkult und zu wenig Markt dafür?

MB: Ja, es ist unmodern sich mit dem Totenthema auseinanderzusetzen. So lange es ein bisschen spannend und gruselig ist, ist es okay. Aber selbst möchten die Leute im täglichen Leben nichts mehr damit zu tun haben.

RW: Wie funktionierte das konkret bei Lenin? Das Blut wurde durch eine Konservierungsflüssigkeit ersetzt?

MB: Ja, genau. Das kannst Du rausdrücken oder raus laufen lassen. Mit einer formalinhaltigen Lösung werden die Körperflüssigkeiten ausgetauscht. Das ist keine große Arbeit. Das ist lange bekannt. Im Grunde stellst Du ein großes Gefäß etwas höher als die Leiche und setzt eine große Nadel in eine dicke Ader. Mit der Zeit läuft alles raus. Danach ist wichtig die Organe zu entnehmen, Ronald. Das dient der Langzeitlagerung, da die Organe sich ebenfalls zersetzen würden oder andere Probleme machen könnten. Man muss es nicht unbedingt, aber es ist auch nicht sehr kompliziert.

RW: War beim Besuch der Leichenfall an sich für Dich interessant oder hast Du in irgendeiner Weise eine weltpolitische Aura gespürt?

Copyrigh: Mark Benecke

Copyrigh: Mark Benecke

MB: Nein. Ich fand lediglich den Fundort interessant. Es ist so ähnlich wie hier: wir beide sitzen auf diesem roten Teppich. Wenn nun rote Spuren darauf kämen, wäre das scheiße. Die Frage ist dann, wie man das sichtbar machen kann. Das hatte ich mir auch im Mausoleum überlegt. Ich fragte mich, wie ich eine hochauflösende Fotografie in diesem rötlich-braunen Licht machen könnte, um die Abtrocknungen und Unterschiede der Verfärbungen sichtbar zu machen. Als ich jedoch die Kamera auf den Umlauf stellen wollte, kamen gleich Leute. Es war schlicht nicht erlaubt. Im Prinzip schaute ich mir die Sache wie einen Tatort an, und nicht wie etwas Weltpolitisches. Hinterher erfuhr ich das Theater, dass die KP die Beerdigung verhinderte, weil die Leiche angeblich zum Weltkulturerbe des Roten Platzes gehöre.

RW: Vielen Dank Dir, Mark.

MB: Ich habe Dir zu danken.

Mit herzlichem Dank an Ronald Wendorf für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.

Das Interview als .pdf gibt es HIER


Das Geheimnis der Fessel-Mumie

von Peru


Lenins Leiche

Manche Tote leben länger


Lesetipps

Spurensicherungskasten für Kinder (2011-01 Blickpunkt)

Blickpunkt  

Quelle: Blickpunkt, Bezirksverband Köln des bdk, Ausgabe 1/2011, Seiten 13 & 14

VON MARK BENECKE

Da das Heulen über mangelnde kriminalistische Ausbildung ja deutlich erkennbar nix hilft, habe ich mal in die Zukunft gedacht und mit der Firma Ravensburger einen Spurensicherungs-Kasten für Kinder gebastelt.

Die Idee war dabei, richtig coole Sachen reinzustecken, die Kids auch wirklich Spaß machen, beispielsweise zur Gewinnung von DNA oder der Untersuchung von Blut-Spuren. Alles andere flog gleich zu Beginn raus.
Damit es nicht zu gruselig wird, stammt die Erbsubstanz natürlich aus zermatschten Äpfeln und das "Blut" ist selbst angerührter Traubensaft mit jede Menge Zucker. Bei der Vorführung auf der Spielwarenmesse Anfang Februar in Nürnberg klappte das prima und die Kids und ich hatten megaviel Spaß.

Allerdings war die nach einigen Stunden entstehende Mischung von Fruchtsäften mit Russ-Pulver und Brennspiritus etwas, ähem, klebrig, so dass die Kinder vor Rückgabe an ihre Eltern mit meterweise feuchten Tüchern gereinigt werden mussten. Aber das gehört eben auch dazu, wenn man echte/r Kriminaltechniker/in ist!

Extremen Wert habe ich auf ein gutes Begleit-Buch mit Tipps aus der Wirklichkeit sowie eine gute Lupe gelegt, weil der Kasten ja irgendwann leer ist und diese beiden Dinge dann als einzige übrig bleiben. Die sehr gute Lupe musste ich mit wirklich aller Willenskraft durchsetzen. Vermutlich denken viele Menschen, dass CSI mit Hubschraubern und High-Tech zu tun hat ... ist aber nicht so: Die Lupe und ein guter Maßstab sind der Schlüssel zum Glück, basta. Die Lupe im Kasten ist so klein wie meine echte, die ich immer dabei habe, schön ohne Rand- und Farbverzerrung. Das heißt, sie ist erstens oho und dürfte zweitens ein Leben lang halten.

Außerdem haben wir schicke Tatort-Kärtchen drucken lassen, die den meinen direkt nachempfunden sind, damit die Kinder gar nicht erst mit Kulis, Münzen und ähnlichem Schrott als "Maßstab" im Foto ankommen. Als kleine Überraschung gibt's noch etwas Knete u für den Fall, dass die Kids mal im Knast Schlüssel nachmachen müssen;) Ach ja, und ein Rezept, wie man Fliegen auf verfaultes Hundefutter lockt. "Man muss aber eine Plastiktüte drunter stellen", meldete eins der Kinder, "damit man es danach leichter wegschmeißen kann". Stimmt!

Was mich am meisten beeindruckte: Schon nach einer Stunde gaben die Kids Sendern vom NDR bis zum russischen ntv professionelle Interviews und Vorführungen über Satellitenspritzer, zerplatzte Zellen sowie Augen und Gabeln in Hautleistenabdrücken. Kein Witz! Das finde ich sehr lässig, und ich freue mich schon auf die Polizei-Anwärter/innen in zehn Jahren, die vielleicht mit dem Kasten fleißig geübt und gesehen haben, dass es bei der Spurensicherung weder Donuts noch Autorennen gibt, dafür aber Pinzetten, Vergrößerungen, Erbsubstanz, Kniffelei und jede Menge Spaß am Detail. Yeah


Vom Tatort zur Homöopathie

Junge Kripo / BDK Aschersleben

2008-05: Meeting of the Elders of The Transylvanian Society of Dracula (TSD)

Unlike former venues (that for now 15 years had taken place in Transylvania -- beautiful: see e.g. Chronicles Issue 27, p. 32--41), this year’s meeting was held in the pittoresque yet very spooky rooms of the Institute for Folklore (Institutul de Etnografie şi Folclor “Constantin Brăiloiu”) in Bucharest, i.e., in Valachia. This location is not too far-fetched since Vald the Impaler of course ruled in Valachia, and not in Transylvania.

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