Vom Hängen und Würgen - Dresdens schaurige Geheimnisse

Vom Hängen und Würgen - Dresdens schaurige Geheimnisse. Gebundene Ausgabe, 192 Seiten, Dresdner Buchverlag, 1. Auflage 4. März 2017, ISBN-10: 3941757695, ISBN-13: 978-3941757691

Vorwort

VON MARK BENECKE

Zänkerinnen und Verleumder, Säufer und Nachtschwärmer — ihnen allen drohten in und um Dresden gesalzene Strafen. Dass die Region auch heute noch strenger bewacht ist als der Rest des heutigen Deutschlands, ist eine moderne Schleife. Denn Strafen waren früher allerorten vor allem eins: drastisch.

Im folgenden werden Sie daher von Dresdens Schwarzem Tag — allerdings nicht einem im Januar 1945, sondern dem im Oktober 1417 — hören, von der mildesten aller Todesstrafen (dem Enthaupten, das allerdings des Öfteren nicht so recht gelang), vom Hängen, Verbrennen, Sieden, Handabschlagen und Rädern. Wer diese Tötungstechniken schon kennt, wird eine Sammlung anekdotenhaft und aus der Sicht eines im Erzählen geübten, locker aneinander gereihter Geschichten und Nacherzählungen finden, deren Besonderheit der örtliche Bezug ist.


Mario Sempf erlebt das Geschehene bewegt mit: “Wenn angstschlotternde Frauen mit schrecklichen Platzwunden und Knochenbrüchen immer noch versuchten, den wutschnaubenden Teufel in dem Erdloch zu zerfleischen [gemeint ist der Ehemann, M.B.], kochte die Stimmung des gewaltversessenen Pöbels hoch. Und erst dann, wenn die kleine Kampfarena nach Schweiß und Blut roch, wollte Zufriedenheit einkehren. Blieb der Mann bei diesem Zweikampf dennoch Sieger, so stand ihm das Recht zu, die nun schuldig erklärte Frau lebendig zu begraben.”

Uff! Der Text ist aber nicht nur belebt, sondern auch umfangreich. Hexenprozesse in Dreseden, das Bahrrecht, der Kniegalgen und Menschen mit unehrlichen Berufen geistern durch die wahren Geschichten. Entfernt sich der Textbogen zu weit von Dresden, so liefert das Buch immerhin Andeutungen, darunter die von der “berühmten Henkersfamilie Sanson”, deren eines Mitglied “vor lauter Aufregung stolperte und von der hohen Holztribüne hinab in die gierige Menschenmenge stürzte.” So war es wirklich, doch ich will, da es sich in Kurzform vielleicht doch allzu unglaublich anhört, das Ganze ein wenig unterfüttern. Der im Buch nur angerissene, gestürzte Henker war Gabriel Sanson. Bei seinem Sturz vom Schafott im Jahr 1792, mitten während einer laufenden Hinrichtung, war er keine 25 Jahre alt geworden. Folge: Sein Bruder Henri, der den in der Familie tatsächlich weiter gereichten Job nun vom gemeinsamen Vater übernahm, richtete im Jahr danach, im Oktober 1793, Marie Antoinette. Das war die wegen ihrer Verschwendungssucht vielgehasste Königin von Frankreich und Navarra, mithin die Ehefrau König Ludwigs XVI.

Wer diese Geschichte schon märchenhaft findet, der wird sich auch darüber wundern, dass das Leben genau dieser Marie Antoinette mittlerweile als Musical auf der Bühne ist — geschrieben von Michael Kunze, der nicht nur einer der Texter von Udo Jürgens (R.I.P.) ist, sondern auch der fantastische Librettist des Musicals ‘Tanz der Vampire’ sowie des hervorragenden Buches Straße ins Feuer. Vom Leben und Sterben in der Zeit des Hexenwahns. Das Buch fußt auf Kunzes juristischer Doktorarbeit und schildert in lebendiger Form die Geschichte einschließlich der Hinrichtung der Familie Pappenheimer — samt Folter und öffentlichem Blick darauf. Man sieht: Die heute nur noch aus Redewendungen bekannten Pappernheimer gab es wirklich. Genauso wirklich war der Fotofund von Joan Gage, die im Jahr 2012 das wunderbare Foto der Enkelin des Henkers Samson fand, mit dem handschriftlichen Vermerk: “Louise Sanson. Descendante de Sanson qui décapita Louis XVI, Roi de France.” Geschossen wurde das Foto in Lüttich im Fotostudio Sanson auf dem Boulevard d’Avroy. Manchmal holt uns die Vergangenheit eben schneller ein, als wir es wahrhaben möchten.

Angesichts solch weiter Bögen und Schwünge ist es verständlich, dass Mario Sempf regional bleibt und in Ruhe die angebliche Hexe Heidine Widemann aus Glashütte zu ihrer Verbrennung am Rabenstein nahe des Wilsdruffer Tores begleitet. Dort vernimmt er “markerschütterndes Geschrei”, und wittert den “Gestank von verbranntem Holz und verkohltem Fleisch”. Es geht ans Eingemachte, und das ist erkennbar wörtlich zu nehmen.


Lassen Sie sich daher von Mario Sempf statt in Archive und Bibliotheken hinaus zu Köpfungen, Nagelungen und einigen verdammt zähen Hinrichtungen mit dem Schwert führen, bei denen auch schon mal die Ehefrau des Henkers glaubt, einspringen zu müssen (und es mit tragikkomischen, jedenfalls unerwartet tödlichen Folgen auch tut), weil ihr schluffiger Gatte auf einmal weiche Knie bekommt.

Zum Glück geht es übrigens nicht immer tödlich aus. Hin und wieder gab es beispielsweise Begnadigungs-Akte nach “dreimaligem zum Tode Erschrecken”… Und wer das Buch aufmerksam liest, wird sogar den Stein finden, auf dem zwischen Seershausen und Ohof bis heute “mittem im Wald” geschrieben steht: “Hinrichtungsstätte des ehemaligen Amtes Mensen, letzte Hinrichtung am 27. Februar 1829.”


In diesem Sinne: Viel Freue mit der regionalgeschichtlichen Anekdoten- und Berichts-Sammlung, die der Autor schwungvoll für Sie, liebe und gewiss unbescholtene Leser/innen, zusammengetragen hat.

Leipzig, Dezember 2016

Mark Benecke

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