Tot überm Gartenzaun?

Quelle: Mitteldeutsche Zeitung, Lokales, Donnerstag, 2. Februar 2023, Seite 15

Der deutschlandweit bekannte Forensiker Mark Benecke fährt gern mit dem Zug - auch durchs Seeland.

SOZIALE MEDIEN Deutschlands wohl berühmtester Forensiker schießt Fotos aus dem Seeland und macht die Orte damit über Facebook deutschlandweit bekannt.

Von Regine Lotzmann

NACHTERSTEDT/FROSE/MZ - „Nachterstedt-Hoym" steht da auf dem Schild. Dahinter brauner Rasen und ein Wohnblock, der noch aus DDR-Zeiten stammt. „Da möchte man ja nicht mal tot überm Zaun hängen", hat einer der Facebook-Freunde das Bild kommentiert, das Mark Benecke - Deutschlands wohl berühmtester Kriminalbiologe, der tatsächlich oft mit dem Tod konfrontiert ist - in den sozialen Medien von einer seiner jüngsten Zugfahrten gepostet hat. Die führte ihn nämlich von Halle aus nach Halberstadt und direkt hindurch durchs Seeland, aus dem ihm vom Zugfenster aus gleich zwei Schnappschüsse gelungen sind, die er mit der Welt teilen wollte: das alte Stellwerk von Frose und den trostlosen Bahnsteig im benachbarten Nachterstedt.

Oft mit dem Zug unterwegs „Ich bin fast jeden Tag mit dem Zug unterwegs", meint der Wahl-Kölner, dessen forensisches Wissen Tausende begeistert - im Fernsehen und persönlich in vollen Hallen. „Fälle und Vorträge machen meine Frau und mich zu Stammgästen in der Bahn. Ich durfte kürzlich sogar im DB-Podcast mitmachen", freut sich der 52-Jährige, der allem im Leben die besten Seiten abgewinnt. Auch dem Zugfahren. In der Selfkant-Bahn, einer historischen Dampfeisenbahn aus Nordrhein-Westfalen, oder der englischen Severn-Valley-Bahn sei er sogar Mitglied auf Lebenszeit. Dabei hat er schon tausende Bahnhöfe im Bild festgehalten. „Ich fotografiere den ganzen Tag", gibt er lachend zu. Auch durch das Seeland sei er zu hundert Prozent schon durchgefahren. „Aber diesmal habe ich zum ersten Mal hingeschaut." Von dem kleinen Stellwerk in Frose war er dabei ganz verzückt. „Wie gemalt: Zug-Idylle", hat der Rechtsmediziner, der sein Handwerk auf der amerikanischen FBI-Akademie verfeinert hat, das Bild kommentiert. „Viele Bahnhöfe stehen leer, ich träume davon, eines Tages mal einen zu bewohnen", gesteht Benecke. „Das Wärter-Häuschen in Frose finde ich sehr schön, aber vielleicht etwas zu klein für Küche, Bad und Bett.”

Der Nachterstedter Bahnhof wartet darauf, dass er aus dem Dornröschenschlaf erwacht. „Er ist immer noch Bestandteil unseres Masterplans", erklärt Seeland-Bürgermeisterin Heidrun Meyer (parteilos). „Als Empfang für die Touristen im Seeland, die mit dem Zug ankommen."

Ein privater Investor habe das seit Jahren leerstehende Gebäude von der Bahn gekauft, berichtet die Bürgermeisterin weiter. Allerdings sei die touristische Entwicklung der Region nach dem verhee-renden Bergrutsch 2009 am Concordia See ins Stocken geraten. Das Gewässer und der Bereich rundherum seien zehn Jahre gesperrt gewesen. Erst seit 2019 gab es eine Teilfreigabe auf Schadele-bener Seite. „Dazu kam der Weggang des Geschäftsführers der Seeland-Gesellschaft", sagt Heidrun Meyer und meint: „Das sind unsere Probleme, mit denen wir zu kämpfen haben. Man sieht hier überall, wie groß die Herausforderungen sind."

Daher habe ich wenigstens ein Foto gemacht", meint er weiter. Dabei hat sich der Kriminalistik-Experte dann aber wohl doch geirrt. Denn genau diese Dinge hat der Froser Bernd Bruder, der das historische Gebäude vor dem Abriss gerettet hat, tatsächlich darin untergebracht. Das alte Stellwerk kann inzwischen als idyllische Ferienwohnung gemietet werden. Und auch das benachbarte Nachterstedt-Hoym, das mit dem Gartenzaun-Kommentar und dem morbiden Charme, wollte der Forensiker keinesfalls madig machen. „Ich fand den Namen super. Ich denke da an Fledermäuse, Sterne und die Nacht: Alles drei lieben meine Holde und ich sehr", sagt Benecke. Der hat tatsächlich neben all der Wissenschaft auch einen Hang zum Mystischen. Denn er ist nicht nur Meister der Blutspuren, sondern auch der Chef der transsylvanischen Dracula-Gesellschaft. „Ist das da, wo der Pfeffer wächst? Mann, sieht das trostlos aus", heißt es in einem weiteren Kommentar zum Nachterstedt-Bild. „Und dennoch... ist es für irgendeinen Menschen Heimat", schiebt der Facebook-Freund noch hinterher. Und hat Recht damit. Denn weitaus mehr Leute in den Kommentaren schwärmen von ihrem derzeitigen oder früheren Heimatort im Seeland und schicken Bilder mit.

Benecke selbst habe nicht immer die Zeit, die Kommentare zu lesen. „Aber ich weiß, dass wir eine sehr freundliche Gemeinschaft an Fans haben, die alles zum Friedlichen wenden." Dass die Leute ihre Heimat verteidigen, finde er gut. Zudem berichte ihm seine Frau oft von spannenden Kommentaren. „Manchmal meldet sich auch eine Stadtverwaltung oder — besonders oft — Menschen, die dort aufgewachsen sind. Das finde ich richtig schön", sagt Benecke. Der hat mit seinen Frose- und Nachterstedt-Bildern - für letzteres gab es immerhin 906 Gefällt-Mir-Buttons, 243 Kommentare und es wurde 33 Mal geteilt - das Seeland nun deutschlandweit und sogar international bekannt gemacht. Kein Wunder, bei einer halben Million an Followern bei Facebook. Eine ungewöhnlichere Werbung, die gibt es wohl nicht.

Mit vielem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Verwendung.


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