Quelle: DELA Magazin, 5. August 2020, https://magazin.dela.de/kriminalgeschichte-interview-mit-dr-mark-benecke/
Von Stephanie Gasteiger
Nannys, Rentnercops, Ermittlerteams: Beinahe auf jedem TV-Kanal werden dem Zuschauer ein Mord oder „Tatort“ geboten. Ob real oder fiktiv, der Deutsche liebt den Krimi. Auch literarisch spricht die Statistik für sich. Unter den Bestsellern finden sich Autoren wie Nele Neuhaus oder Sebastian Fitzek. Wir sprachen zum Thema mit einem Experten der Ermittler-Branche: Dr. Mark Benecke. Sein Job fängt da an, wo Ermittler und Rechtsmedizin versagen. In TV-Formaten wie „Medical Detectives“ oder „Die spektakulärsten Kriminalfälle“ nimmt der Kriminalbiologe selbst Stellung, im Interview gewährt Benecke uns Einblick in die Forensik und seine Arbeit mit dem Tod.
Redaktion: Herr Dr. Benecke, was fasziniert Sie selbst an Kriminaldelikten und dem Bösen?
Dr. Mark Benecke: Ich mag es nicht, wenn Menschen auf der Couch hocken, Chips futtern und klugscheißerisch eine bessere Welt fordern. Dazu muss man auch mal an den Rand des Randes blicken, wo es stinkt und wackelt. Gemütlich in der Mitte rumsitzen löst gar nix. Es geht darum, selbst anzupacken. Ich hatte die Möglichkeit, mit Serientätern zu arbeiten. Also habe ich das gemacht, bevor das Wissen, das diese Menschen über sich selbst haben, einfach untergeht. Es lohnt sich, das Tor zur Hölle mal kurz aufzureißen und zu sehen, wer wirklich böse ist. Und sich zu fragen, wo die eigene Verantwortung anfängt. Abgesehen davon mag ich schwierige Rätsel, aber Sudokus kann ich nicht.
Und wie führte Ihr Werdegang zur beruflichen Verknüpfung aus Biologie und Kriminaltechnik?
In Köln hatte ich die Möglichkeit, einiges auszuprobieren, da die Uni sehr groß ist. Ich war dort in der Rechtsmedizin, weil ich etwas über genetische Fingerabdrücke lernen wollte. Das konnte man zum damaligen Zeitpunkt noch nirgends sonst. Eigentlich bin ich Biologe, aber so konnte ich auch viel über Kriminalistik und forensische Wissenschaften lernen. Im Keller der Rechtsmedizin, neben unseren Labors, bin ich auch zum ersten Mal auf Insekten auf Leichen gestoßen. Auf diese Weise kam eines zum anderen.
Und was macht Ihrer Meinung nach die Faszination der breiten Masse an den – oft auch brutalen – Kriminalfällen aus? Was reizt Sie selbst an der Beteiligung an entsprechenden TV-Formaten?
Fernsehsendungen zeigen Ermittlungen und Labor-Arbeit in einer Art Musical-Fassung: Gut gekleidete Menschen erledigen ihre Arbeit in dramaturgisch schönen Abläufen. Vieles klappt mit Fingerschnipsen. Ich erkläre als Experte in Sendungen gerne, wie es wirklich läuft, weil ich als Kind viele Fragen hatte, von denen einige nicht beantwortet wurden. Ich habe mir vorgenommen, es anders zu machen und alle Fragen einfach und klar zu untersuchen und zu beantworten, deren Lösung ich kenne oder ermitteln kann.
Inwieweit hat das Interesse an Kriminalistik – oder auch Druck – der Öffentlichkeit Ihrer Meinung nach zum Fortschritt in diesem Bereich beigetragen?
Gar nicht. Die Entdeckungen, die ich kenne, stammen von Menschen, die sich für Öffentlichkeit und Kriminalistik nicht interessieren: Nobelpreis an Kary Mullis für Erbsubstanz-Vervielfältigung, Entdeckung genetischer Fingerabdrücke… das hatte alles zunächst nichts mit Kriminalfällen zu tun. Vieles entleihen wir auch aus IT und Material-Wissenschaften: Mikroskopie, Datenbanken, Lasertechniken. In unserem Fach gibt es kein Geld. Wer Spaß an Kriminaltechnik oder dem Übergang des Faches in die Kriminaltechnik hat, der oder die macht es einfach. Es gibt kein Lob, kein Geld, keine Preise. Eine einzige meiner Studentinnen ist zur Polizei gegangen und erhält ein festes Einkommen. Alle anderen machen was anderes.
… und dennoch oder gerade deswegen erfreuen sich deutsche Ermittlungen eines guten Rufes.
Sie sind ja auch gut. Die deutsche Polizei – das sage ich auch bei Fortbildungen – ist weit vorne. Deutsche denken ja gerne, dass die Nordamerikaner/-innen immer vorne wären, aber das stimmt nicht. Deutsche sind wegen ihrer grundsätzlichen Grübelfreude und Unzufriedenheit unheimlich gründlich. Das gilt auch für die Techniker/-innen des Erkennungsdienstes, also die Spurensicherung. Die lieben es, immer noch weiter herumzutüfteln.
Inwieweit können Sie bei Ihren Fällen Privates von Beruflichem trennen?
Trenne ich nicht. Aber: Wer anfängt, getrieben zu sein oder unangenehme Erlebnisse aus dem Beruf in den Alltag oder Schlaf einsickern zu lassen, der muss aufhören. Wir möchten und sollen ja sachlich arbeiten, nicht durch den Filter von Gefühlen.
Bei der Aufklärung von Fällen helfen Ihnen Maden, Käfer und Fliegen. Inwieweit geben die Tiere Hinweise, die zu einer Lösung führen?
Aus dem Alter vorgefundener Maden kann ich errechnen, wie lange ein toter Körper schon mindestens da gelegen haben muss. Die Leiche ist sozusagen eine Totenuhr ohne Zeiger. Die Larven und Tierchen bilden die Stunden- und Minutenzeiger. Größere Lebewesen-Arten geben je nach Zustand der Leiche die Stunden, die Länge der Larven die Minuten an — sozusagen. Ich kann anhand der Tiere die Jahreszeit bestimmen oder wo eine Leiche eingepackt wurde: Am Waldrand oder auf einem Weizenfeld?
Sie selbst sammelten laut Aussage Ihrer Oma bereits mit vier Jahren Regenwürmer und Spinnen in ihrer Hosentasche.
Wenn eine oberbayrische Oma es sagt, stimmt’s. Meine Eltern haben es auch bestätigt. Ich habe neulich alte Fotos online gestellt, wo ich als Kind Käfer und Zeugs in die Kamera zeige und musste lachen, weil die heutigen Pressefotos oft genauso aussehen. Hat sich also möglicherweise wirklich nicht viel geändert.
Sie halten auch Vorträge vor Kindern und Jugendlichen. Wie wichtig finden Sie es, den natürlichen Umgang mit Tod, Trauer und Verlust bereits im Kindesalter zu normalisieren?
Wer mit sich, dem Tod, der Welt, dem Schönen und dem weniger bis gar nicht Schönen im Reinen ist, lebt glücklicher. Man muss dafür die Tatsache anerkennen, dass nicht alles wie im „Glücksbärchenland“ läuft. Wer das nicht kann oder will, lebt weniger glücklich und entspannt. Mehr ist es gar nicht. Kinder und Jugendliche sind da völlig offen, das ist sehr entspannend.