Kriminalbiologe: Manche trinken eben gerne Menschenblut

Deutschlandfunk Kultur, 11. Januar 2011 — viele weitere Informationen unter http://tsdracula.org und https://home.benecke.com/zombiesvampire

Mark Benecke erklärt Reallife-Vampirismus

Moderation Stephan Karkowsky

Der Kölner Kriminalbiologe Mark Benecke hat den Reallife-Vampirismus erforscht und sieht ihn als sehr seltenes, psychologisches Phänomen, das „nichts mit einer Ideologie zu tun“ habe, „und mit Satanismus schon überhaupt nicht“. Das Ergebnis seiner Recherchen hat er in zwei Bänden „Vampire unter uns“ veröffentlicht.

Stephan Karkowsky: Der Tanz der Vampire nimmt kein Ende. Der Vampir-Boom in Literatur, Film und Fernsehen ist ungebrochen und womöglich sind die bleichen Wesen mit den langen Zähnen längst den Buchseiten und DVDs entkommen! Sie sollen Einzug gehalten haben in die Subkultur der wahren Welt, behauptet der Kölner Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke. Er hat die echte Vampirkultur erforscht und soll uns nun die Lust am Blutsaugen näherbringen. Guten Morgen, Herr Benecke!

Mark Benecke: Guten Morgen!

Karkowsky: Guten Tag, besser gesagt!

Benecke: Guten Tag, ja stimmt!

Karkowsky: „Vampire unter uns“ heißen Ihre beiden Bände mit Textsammlungen zum Vampir als Phänomen. Mal ganz unter uns, Herr Benecke, wir wissen doch beide, dass Vampire eine literarische Erfindung sind, oder?

Benecke: Ja, unter anderem, und eine Erfindung oder ein Glaube, den es halt bei abergläubischen Menschen gibt. Also eigentlich, in der Tat, eine Fantasiegestalt aus Film, Fernsehen und ja Aberglauben.

Karkowsky: Wen genau bezeichnen Sie denn nun als Vampir in der realen Welt?

Benecke: Diese Reallife-Vampire – die nennen sich auch selber so, also sozusagen Echtwelt-Vampire –, das sind Menschen, die das Bedürfnis haben, ab und zu Blut zu trinken, und das meinen die auch ganz ernst. Das ist jetzt keineswegs, was sie so spielerisch empfinden oder nachempfinden, wenn die sich einmal dienstags abends treffen, sondern das ist in ihrem ganzen Leben so. Und irgendwann, wenn sie Jugendliche sind, fällt ihnen das auf und das begleitet sie auch ihr ganzes Leben und geht dann nicht mehr weg. Das sind dann die Reallifer, die das versuchen, auch in ihrem Lebensstil ja einzubauen.

Karkowsky: Und wie wird das gewertet? Also ich meine so medizinisch, ist das eine Störung?

Benecke: Ja ich denke, die Psychologen würden da wahrscheinlich sagen, dass es schon Ereignisse im Leben dieser Menschen gibt, die die zu dem gemacht haben, was sie sind. Dass zum Beispiel Blut ein sehr, sehr, sehr starker Reiz ist und dass das sicher einen Grund hat, dass dieser starke Reiz dazu geführt hat, dass sie ihn so wichtig genommen haben in ihrem Leben. Aber insgesamt muss ich sagen, wir haben, meine Frau und ich, mit denen sehr viel gesprochen, und ich muss sagen, es sind also sehr nette und friedliche Menschen, die einem auch nicht nachts irgendwie in den Hals beißen. So gesehen würde ich sagen, man kann das mal entspannt angehen. Man soll es aber auch nicht zu entspannt angehen und so tun, als ob es völlig normal wäre.

Karkowsky: Was können Sie uns darüber erzählen, wie sich dieses Verlangen nach Blut bei diesen modernen Vampiren äußert und wie sie es stillen vor allen Dingen?

Benecke: Also es äußert sich durch den Wunsch und die Vorstellung, dass man unbedingt das Blut aufnehmen möchte, und auch, das sind ganz spezifische Vorstellungen, das darf nicht kalt sein, das darf nicht von Tieren sein. Sondern das muss schon von echten, menschlichen Donoren, also Spendern sein und es muss auch frisch sein. Und das wird dadurch gestillt, dass man sich dann meistens in einen Zirkel begibt von Leuten, die dasselbe Interesse haben. Und manche geben eben gerne Blut, also andere trinken es gerne und manche geben es gerne, das gehört aber auch zu dieser Vampirsubkultur. Und so ist das Problem dann eigentlich auch sehr schnell und sehr friedlich gelöst.

Karkowsky: Wie organisieren sich diese Leute denn, wie treffen sie sich?

Benecke: Die treffen sich mittlerweile im Internet. Früher, als ich die Ersten von denen kennengelernt habe, als ich noch in New York in der Rechtsmedizin gearbeitet habe, da habe ich in so einer Ecke gewohnt, wo es auch sehr wild und bunt zuging und auch sehr düster halt eben manchmal. Und da war das natürlich noch ein bisschen schwieriger. Da haben sie sich meistens dann so auf Partys getroffen, wo dann noch so Flugzettel, also Flyer, ausgehängt worden sind oder Poster.

Aber heute ist das eigentlich kein Problem, da gibt es jede Menge Chatrooms. Und natürlich, wenn man das einfach im Internet sucht, landet man erst mal auf so Fanseiten und so weiter, da muss man dann schon etwas länger sich durchwurschteln, bis man ernst genommen wird als echter Vampir und dann eben, wie bei allen Menschen, die besondere Eigenarten haben, dann auch aufgenommen wird in den Klub oder Coven oder wie auch immer das jeweils heißt.

Karkowsky: Und rein technisch, wie funktioniert das? Ich kann ja nicht einfach einem Gegenüber in den Hals beißen, wenn der sagt, ich möchte gerne, dass du mein Blut trinkst. Das tut ja zum einen weh und ist zum anderen wahrscheinlich auch nicht ganz ungefährlich, oder?

Benecke: Ja das ist total gefährlich, weil das gibt stumpfe Verletzungen und Zerreißungen an den Adern. Das würde also bluten und das kann man sehr schlecht – oder nicht sehr schlecht, aber schlecht – nähen, jedenfalls es gibt einen mörderischen Bluterguss. Das Blut würde alles vollspritzen, was ja nicht Sinn der Sache ist. Es geht ja nicht darum wie im Horrorfilm, dass also da Köpfe fliegen und Blut spritzt, sondern es geht eigentlich nur um diese wertvollen Energieträger, so wie die sich das vorstellen.

Und dazu benutzt man dann einfach Kanülen. Die werden dann zum Beispiel in eine Ader im Arm gesteckt und dann kann man da einfach ein bisschen Blut mit abnehmen. Es gibt auch welche, kennt man vielleicht aus dem Krankenhaus, wo man, die man richtig auf- und zudrehen kann. Also da hat man halt wie so eine Art Hahn – das ist ganz lustig eigentlich, sich das so vorzustellen – und dann kann man auch einzelne Tropfen nehmen. Also neulich waren wir bei einer Veranstaltung, da haben wir das gesehen, dass sie sozusagen in eine Flasche Met – das ist so ein Honigwein –, haben sie so ein paar Tropfen Blut reingetan und das war dann halt Blut-Met oder so.

Also es hat also nichts mit Überfallen, in den Hals beißen oder auch Krankheitsübertragung zu tun, muss man auch mal sagen. Wenn man nämlich einen Menschen in den Hals beißen würde und wirklich die Ader treffen würde, würde man die ganzen Keime aus dem Mund übertragen, und das ist auch eine Riesenschweinerei, weil der menschliche Körper sich gegen die Keime von anderen Menschen besonders schlecht wehren kann. Passiert also alles nicht.

Karkowsky: Stimmt es denn, dass es regelrechte Blutbars geben soll?

Benecke: Ja das ist so ein Begriff, den hat mal irgendein Vampir neulich einer Zeitung erzählt, wenn ich das richtig verstehe, ich kannte den Begriff nicht. Eigentlich nennen die das eher so ein geschlossener Zirkel oder ein geschlossener Kreis, wie so einen Klub, wie so einen Kleingärtnerverein halt kann man sich das vorstellen. Und diese Bars, das wären dann wohl Partys, nehme ich mal an, wo man sich einfach so trifft. Denn es ist so, dass die Donoren, die das Blut geben, die sind ja selber auch dadurch natürlich seelisch sehr stark, die bringen sich da sehr stark ein. Und es ist jetzt nicht so, dass man sich das vorstellen kann, dass da irgendeiner liegt, mit so einem Schlauch im Arm, und dann jeder einfach was trinkt, oder so, wie an einer echten Bar, oder dass man sich was bestellen kann. Also ganz so ist das nicht.

Karkowsky: Sie hören den Kölner Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke, er ist Vampirforscher. Herr Benecke, was erzählen Ihnen diese Leute darüber, was sie denn mit diesem Bluttrinken bezwecken? Es kann ja nicht sein, dass sie damit einfach nur ein Verlangen stillen? Bei den echten Vampiren wissen wir, dass sie dadurch die Energie kriegen, um als Untote zu überleben. Und bei den Lebenden?

Benecke: Da gibt es ganz viele Vorstellungen und Untergruppen und Aufsplitterungen. Also der Kern der Sache ist, dass sie sich irgendwie schwach fühlen, energetisch schwach, es fehlt was. Das gestehen die sich zwar nicht immer ein, manchmal sagen die, Nein das stimmt nicht, wir sind in Wirklichkeit ganz stark. Aber wenn man sehr lange mit denen redet, was wir halt eben gemacht haben, meine Frau und ich, dann stellt man fest, denen fehlt Energie, und jetzt kann man die Energie als Energievampir zum Beispiel dadurch kriegen, dass man in die Straßenbahn geht und einfach nur die Aura, also die angebliche Energiehülle, die um Menschen rum existieren soll, dass man die anzapft. Und da sieht man schon, das ist also eine sehr geistige Vorstellung.

Und mit dem Blut ist das eigentlich auch so: Das soll der Träger von Lebensenergie sein, das wissen wir alle. Blut ist natürlich ein Träger von Lebensenergie, weil wenn man kein Blut mehr hat, ist man tot. Und es wird durchs Herz gepumpt und so. Aber es ist was, finde ich, sehr, sehr Symbolisches. Der Sinn der Sache ist wirklich, sich Energie zu holen. Und deswegen fühlen die sich auch schlapp, wenn sie das Blut nicht haben, weil sie aus ganz anderen Gründen, wahrscheinlich, weil im Leben mal irgendwas passiert ist, was sie sehr, sehr schwach gemacht hat oder wo sie sich sehr hilflos oder schwach gefühlt haben, weil das passiert ist. Und jetzt versuchen die, das auf diesem etwas symbolischen Wege wieder auszugleichen.

Karkowsky: Sind denn Vampire eigentlich immer Teil der Gothic-Szene, also jener Jugendkultur, deren Mitglieder sich vorwiegend schwarz kleiden, blass bleiben und ganz melancholisch gucken?

Benecke: Ja das ist uns nicht so aufgefallen. Also wenn man die Vampire selber fragt, die streiten das eigentlich ab. Andererseits muss man sagen, diese ganzen schwarzen Szenen – wobei Schwarz jetzt nichts mit Satanismus oder was Bösem zu tun hat, sondern wie Sie das gerade gesagt haben, also halt dunkle Klamotten tragen und vielleicht auch gerne nachts unterwegs sein und halt Met trinken, statt normalem Rotwein, oder so was, oder Weißwein am Ende noch, das wäre ja das Allerschlimmste. Die sind schon natürlich in einer gewissen Szene aneinander gebunden.

Aber das splittert sich sehr stark auf. Da gibt es dann verschiedene Musik, zum Beispiel, die einen mögen nur elektronische, die andere mögen nur Mittelalter-Schalmei-Gedudel und jeder mag was anderes. Da gibt es auch verschiedene Esskulturen und verschiedene Kleidungskulturen, die einen mögen es eher mehr fetischorientiert mit Lack und Leder, und andere mögen lieber Baumwolle oder viktorianische Kleider oder so. Insofern würde ich sagen, es gibt gewisse Überschneidungen zur Gothic-Subkultur, aber dadurch, dass Gothic auch schon so stark aufgesplittert ist, würde ich es nur Überschneidungen nennen.

Karkowsky: Oder hat es was mehr mit der Sadomasokultur zu tun und vielleicht sogar einem sexuellen Reiz, Bluttrinken?

Benecke: Nein, das streiten die ganz vehement ab. Da habe ich selber mich auch ganz schwer in die Nesseln gesetzt, weil das immer meine erste Frage war bei den Interviews. Ist das nicht – ich habe immer gesagt, Hand aufs Herz – es ist doch, letztlich, ist es doch was Verbindendes. So ewige Liebe, Haut aufschneiden und so. Blut trinken, sich ganz nahe sein, die Wärme fühlen und so. Die haben gesagt, nein, das ist nicht sexuell und es hat ganz schön viel Nachfragen gekostet, bis wir das selber verstanden haben, was sie damit meinen.

Es kann natürlich diese Komponente haben von Nähe, und vielleicht dann auch was Sexuelles kriegen, es kann auch manchmal was Fetischistisches sein, so wie manche Leute halt Gummistiefel sexuell anregend finden oder Fische oder ein Stück Holz oder sonst was. Aber ich glaube, in der Regel ist es tatsächlich so, dass es wirklich mehr um diese Energieübertragung geht, und das kann dann umschlagen manchmal auch in was Sexuelles. Aber das ist – also wenn man mit den Vampiren redet – streiten sie es sehr, sehr, verdächtig vehement ab.

Karkowsky: Die meisten, die aussehen wie Vampire, sind vermutlich eher Vampir-Fans. Wie groß ist denn diese Gruppe der sanguinen Vampire, also der echt Blut trinkenden?

Benecke: Das ist eine ganz, ganz kleine Splittergruppe, die wird eigentlich auch verlacht innerhalb der Subkultur. Also man gilt als cool und sozusagen geistig erhaben, wenn man eben nur noch Energie durch Auren oder durch irgendwelche Kraftübungen oder so was wahrnehmen kann. Da sieht man auch schon die Überschneidung zu magischen und esoterischen Vorstellungen.

Und die Blutvampire, die Sanguiniker oder Sanguinarier, das sind diejenigen, die die niedrigste Stufe darstellen sozusagen, niedriger wären also nur noch Werwölfe wahrscheinlich, wenn man aus „Twilight“ dieses Motiv aufgreifen will. Und so gesehen ist das eine sehr, sehr kleine Splittergruppe, die auch sehr, sehr stark im Schatten ist. Und es hat, zum Beispiel bei mir, hat es elf Jahre gedauert, bis ich das erste ausführliche Interview mit den Leuten machen konnte. Also es sind sehr wenige.

Karkowsky: Sie halten sich hier und auch in Ihren Büchern mit Bewertungen ja weitgehend zurück. Ist dieser moderne Vampirismus also nicht die gefährliche Okkultideologie, vor der etwa die evangelische Kirche warnt, also so eine Art Satanismus?

Benecke: Nein, das hat wirklich überhaupt gar nichts damit zu tun, und das sage ich jetzt wirklich als jemand, der sich das sehr intensiv und sehr lange anguckt und auch ein großes Interesse an diesen verschiedenen Facetten hat. Also auch, ich mag es, weil ich Kriminalbiologe bin, genau hinzugucken und nicht einfach nur rumzulabern und Vorurteile auszuwalzen. Die Stellungnahmen, die wir von der Bundesprüfstelle teilweise in dem Zusammenhang sehen, mit Büchern, die von Vampirismus handeln – eins davon ist nämlich indiziert worden – und auch von der evangelischen Kirche, gegen die ich sonst überhaupt nichts habe oder so. Aber die sind doch sehr, sehr oberflächlich.

Und wenn man sieht, wer diejenigen sind, die die Berichte immer schreiben, sieht man auch, dass das immer dieselben Leute sind, und von denen wissen wir, dass sie gar keine Kenntnisse haben. Es ist also eigentlich nichts anderes als sehr, sehr, sehr schlechter Journalismus, aus ein paar Quellen zusammengezimmert mit einer dicken Soße aus Vorurteilen oben drauf. Also ich habe noch niemals erlebt, dass die Vampire eine Ideologie oder eine politische oder kulturelle oder soziale Grundeinstellung daraus schaffen wollten. Die empfinden das als etwas, was sie drängt und was sie auch gar nicht so superangenehm finden, als etwas Freakiges, Seltsames, Besonderes, kann auch schön und eigentümlich sein. Aber es hat nichts mit einer Ideologie zu tun und mit Satanismus schon überhaupt nicht.

Karkowsky: Der Kölner Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke ist Autor zweier Bände mit dem Titel „Vampire unter uns“, erschienen sind die in der Edition Roter Drache. Herr Benecke, was wünschen sich Vampire zum Abschied? Gut Blut?

Benecke: Hals und Beinbruch mit Aderriss oder so. Nein, nein, auf keinen Fall! Die würden wahrscheinlich sehr, sehr, sehr, sehr höflich und eine ganz höfliche Verabschiedung machen und sich, ich nehme mal an, die würden sich verbeugen und möglicherweise würde ein kleiner Aufsteckzahn dann im dunklen Schwarzlicht blitzen.

Karkowsky: Das tue ich jetzt auch, Herr Benecke, danke für das Gespräch!

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