"Ich trenne nicht zwischen Freizeit und Arbeit"

2016 08 nofreakshow: Interview

Quelle: No Freak Show (online) vom 10. August 2016
Interview: Dr. Mark BeneckeVON MICHAEL FICHTNER

Ein ganz besonderer Gast stellt sich heute unseren Fragen, welcher aus dem Fernsehen (z. B. „Medical Detectives“), als Kriminalbiologe, Spezialist für forensische Entomologie (Insektenkunde) und Politiker (Vorsitzender des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der Partei „Die PARTEI“) mehr als nur bekannt ist sowie als DJ Dr. Doom beim DJ-Team Das Chaos Team im Aggrotech-/Hellectro-Bereich aktiv ist: der „Herr der Maden“, kein Geringerer als Dr. Mark Benecke.

NFS: Mark, wir danken dir vorerst dafür, dass wir einen Teil deiner Zeit stehlen können um dich mit ein paar Fragen zu löchern. Eine simple Frage zum Anfang: Wie wird man Fan von Maden und wie kamst du dazu, auf deinen heutigen Gebieten zu arbeiten? War es eine kindliche Begeisterung von früher, hat das Elternhaus einen Einfluss auf dich gehabt oder bist du durch Beiträge aus der damaligen Medienwelt darauf aufmerksam geworden?

Mark: Ich habe mich schon in der Schulzeit lieber mit dem Chemiebaukasten beschäftigt als Fußball gespielt, und dann war der Film „Blade Runner“ so ein Schlüsselerlebnis, der 1982 in die Kinos kam. Als damals 12-jähriger war ich fasziniert von den Bio-Androiden, die so schwer von den realen Menschen zu unterscheiden waren. Es folgten das Biologiestudium in Köln und meine Promotion über genetische Fingerabdrücke. Unmittelbar nach der Doktorprüfung flog ich in die USA – die offizielle Doktorfeier habe ich schon nicht mehr miterlebt. Beim Institut für Rechtsmedizin in Manhattan suchte man dringend Leute; meine alte Chefin war schon dort. Das war supergeil und ein völlig internationales Team.

NFS: Liebevoll wirst du „Dr. Made“ genannt, auch durch deine Arbeit mit diesen. Lt. einer früheren Aussage von dir ist dieser sehr treffend. Hättest du die freie Wahl gehabt, wie hätte denn dein Spitzname lauten können? Immerhin publizierst du in den sozialen Netzwerken gern mit Namensspielen. Magst du solche kleinen „Spielereien“ oder zeugt dies allein nur von deiner Persönlichkeit, dass du einfach so bist wie du bist, einfach der Mark?

Mark: Namensspiele finde ich gut, das ist in unserem Fach – hier bei der Polizei und in der Forensik – eh üblich. Allerdings erfährt der- oder diejenige nicht immer, wie er oder sie genannt wird 😉. Ich kann keine Gesichter erkennen, vielleicht beschreibe ich Menschen deswegen gern nach Eigenschaften, die ich in ihnen sehe. Meine Kollegin Tina sieht beispielsweise wie Nico von Velvet Underground aus, also sage ich das zu ihr. Für mich selbst verwende ich im Netz in der Tat Quatschnamen wie Dr. Doomy, „Marky Mark“ oder so, aber nichts berufsbezogenes. In der Kölner Rechtsmedizin haben mich die Präparatoren oft mit „Dr. Made“, „Würmi“ oder so angesprochen, obwohl Maden gar keine Würmer sind, aber hey…passt schon.

NFS: Du bist eine authentische Person, die mit Leib und Seele spürbar in der Materie involviert ist, dennoch verständlich auch für Laien sein Fachwissen teilt, ein wahrer Fachmann. Wie reagiert denn aber die Fachwelt, national und international, auf dein Auftreten bzw. auch auf deine nicht wenigen Tattoos? Hat dies bei manchen an deren Vorstellung von dir gekratzt oder wie stehen diese dir gegenüber? Schließlich berichtest du auch zu Vorträgen nicht nur über den Tod u. a., sondern auch über Risiken des Tätowierens.

Mark: Also, bisher hat noch keiner etwas gesagt. Eine Museumsdirektorin, die ich schon lange gut kenne, hat mich vorhin (kein Witz) gefragt, seit wann meine Hände tätowiert sind…sie hatte es bis dahin nicht bemerkt. Den Angehörigen in Kriminalfällen ist es, glaube ich, eh egal, denn sie haben andere Probleme – tote Kinder und dergleichen. Richter und Richterinnen, die mich nicht mögen, ziehen mich vermutlich einfach nicht zum Fall hinzu. Ein Kollege in Florencia in Kolumbien hat sich nach meinem Forschungsaufenthalt dort auch die Hände tätowieren lassen, leider mit geilem Übersetzungsfehler, aber, wie schon gesagt – hey…


NFS: Dazu noch eine Lieblingsfrage: stehen deine Hautbemalungen für etwas oder hast du sie ausgewählt, weil sie einfach gut aussahen? Ein Autogramm von Gunther von Hagens (deutscher Arzt, Anatom, Wissenschaftler, Unternehmer, Erfinder der Plastination) auf dem Unterarm hat schließlich auch nicht jeder.

Mark: Ich habe ziemlich viele Autogramme, darunter von den bestehenden Bands Welle:Erdball, Kirlian Camera, VNV Nation (Ronan), Agonoize (Chris von Blutengel) und vielen mehr, Zeichnungen von FiL und Sarah Burrini, von je einer aufgelösten skandinavischen und chinesischen Band sowie je eine vom ältesten deutschen und niederländischen Tätowierer. Von Gunther von Hagens hat außer mir vermutlich niemand ein Tattoo, auch bei Gunter Gabriel, Ingrid Newkirk, Heather Langenkamp und Helen Schneider bin ich der einzige, dem sie direkt auf die Haut unterschrieben haben, bevor die Nadel kam…ich finde die Leute einfach cool. Ansonsten mache ich was aus dem Moment heraus oder wenn ein Tätowierer unbedingt was machen will (beispielsweise die Peniskrake und „ein Löffel Maden“ – beides nicht meine Ideen).

Aus Dresden habe ich unter anderem einen raffinierten, tätowierten Zahlencode („1111111111“) und aus Köln mein Bauchnabel-Glitzerherzchen-Piercing. Sobald du dich fragst, was du dir tätowieren lassen sollst, willst du das eigentlich gar nicht. Manche Tätowierer sagen, dass sie nur das sichtbar machen, was sowieso schon an dieser Stelle beziehungsweise in der Person drin ist. Das klingt jetzt ein bisschen nach Schamanenblabla, aber da ist wirklich etwas dran. Wenn mich jemand fragt: „Was denkst du, welches Motiv oder Piercing passt zu mir?“, dann beantworte ich das grundsätzlich nicht. Schließlich muss das jeder für sich entscheiden, das ist eine private Frage. Meine Tätowierungen sind aus ganz unterschiedlichen Gegenden. Oft bekommen sie auch erst hinterher eine Bedeutung. Ich entscheide mich fast immer spontan für ein Tattoo.

NFS: Was macht Mark Benecke, wenn er mal etwas Freizeit hat? Doch bestimmt nicht nur vegetarische bzw. vegane Restaurants suchen oder eine seiner vielen Forschungsgeschichten schreiben, oder?

Mark: Also, gerade jetzt sitze ich in einem veganen Laden in London und habe Fotos davon bei Happy Cow hochgeladen 😉. Ich trenne nicht zwischen Freizeit und Arbeit – heute war ich den ganzen Tag im British Museum und habe Mumien angeguckt, mit Schräglicht beleuchtet und für Shows sowie für mein neues Buch „Mumien in Palermo“ (über Amazon o. ä. erhältlich; Verlag: Bastei Lübbe) fotografiert (es handelt auch von Mumien). Und was ist mit diesem Interview: Arbeit oder Freizeit? Für mich ist das alles eins, ich mache das, was ich gerne mache.

NFS: Btw.: in Dresden gibt es z. B. im Szeneviertel Neustadt die eine oder andere vegetarische/vegane Lokalität. Als Dauerreisender hast du neben all deinen Beschäftigungen eigentlich noch die Zeit, die jeweiligen Städte zu besichtigen? Hast du als Ex-Bayerischer und aktuell Kölner Junge denn schon die barocke Landeshauptstadt Sachsens etwas mehr unter die Lupe genommen?

Mark: Ich bin sehr oft in Dresden, weil ich bei Touren im Osten dort oft „überwintere“, also Zwischenstation mache, wenn ich länger reisen muss. Die Infrastruktur ist super, die Hostels und Hotels auch. Die Neustadt mag ich gern, die veganen Läden dort leiden aber am häufigen Einsatz von Knoblauch – bitte auch mal was ohne Knoblauch anbieten…das geht, wirklich. Ansonsten habe ich den Neuaufbau der Frauenkirche seit der ersten Animation, damals glaube ich von IBM durchgeführt verfolgt, den Umbau der Stadt in so einer Art Zeitraffer schlaglichtartig erlebt und sogar die „Dresden Fahrinfo“-App dauerhaft auf meinem Handy installiert (wo sonst echt nur das Nötigste drauf ist). Es gibt auch mehrere Videos von und mit mir aus Dresden auf Youtube, googelt mal danach 😉.

NFS: In der heutigen Zeit sind soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter nicht mehr wegzudenken. Wie wichtig sind dir diese Möglichkeiten, den direkten Kontakt mit den Leuten da draußen zu haben? Wie oft schaffst du es, selber noch hinter den Posts zu stecken?

Mark: Bei uns werden alle Postings persönlich abgezeichnet, es ist also immer eindeutig erkennbar, wer was geschrieben hat. Mein Team und ich haben teils keine privaten Seiten. Meine Frau Ines administriert unser Fan-Facebook, die Schwarze Witwe hat das Fan-Facebook gestartet und Satanka hat aus Spaß an der Freude unsere Squarespace-Seiten komplett erstellt. Die ursprünglichen .html-Seiten habe ich seit den 1990er Jahren, auch während meiner Zeit in Manhattan, selbst mit dem Text-Editor erstellt. Wir haben daher heute mit Liebe für alle Fans und FreundInnen gehegte Squarespace-, Facebook- und Wiki-Archiv-Seiten mit teils überlappenden, teils aber auch recht unterschiedlichen Inhalten. Ich sorge dafür, dass alles sehr gut durchsuchbar, dauerhaft angelegt und contentlastig ist. Das Twitter- und Snapchat-Geflitter ist nichts für mich. Zum Glück sind mein Bruder (Linux), meine Frau (php) und mein ehemaliger Band-Kollege Klaus bei den Blonden Burschen (Wiki) alle Programmierer/in, so dass ich dahingehend stark beeinflusst wurde.

„Ich spreche html“ und ändere auch in der „echten“ Wikipedia alles, was mir komisch vorkommt und stelle Fotos von schrägen Orten dort ein. Ich liebe Content, nur mit Gefühlen und sozialem Netzwerksgefunkel kenne ich mich nicht so gut aus. Das hat den Vorteil, dass unsere Webseiten friedlich sind und wir uns auch nicht trollen lassen.

NFS: Mark, seit 2008 gibt es nicht nur Vorträge von dir, sondern auch Musik vom Mischpult. Zusammen mit Die Schwarze Witwe und Fräulein Venus (Welle: Erdball) bildet ihr das DJ-Team „Das Chaos Team“. Wie kam es denn damals zu dieser Entscheidung und wie ist das Projekt entstanden? Bist du selber ein Fan von der Musik aus dem Goth-/Industrial-Sektor oder „muss“ man das in deiner Fachrichtung fast schon sein?

Mark: Das war Witwes Idee, die heute passenderweise in einem sehr großen Musik-Laden arbeitet. Ich glaube, das Schicksal wollte es so – wir haben auch die lustigsten Foto-Shootings zusammen gemacht mit den Magieren von Silent View – könnt ihr auch mal googeln.

Ich lege ja meist Aggrotech und schrägsten Scheiß auf, damit kannst du keine Partynacht für die Massen gestalten, so dass ich meist nur ein paar Mal die Menge aufpeitsche und danach den Rest den Damen überlasse 😉. Dieses Jahr beim WGT habe ich zur Eröffnung mit Ronan Harris (VNV), DJ Elvis und Chris von Agonoize aufgelegt. Da habe ich eher kleine musikalische Sahnetupfer gesetzt und ansonsten meinen drei Vorbildern Pfeffi-Limonade gemixt.

NFS: Lässt denn deine Zeit als gefragter Fachmann überhaupt so viel Luft, um auch noch zu diversen DJ-Auftritten gebucht zu werden oder wie bekommst du das unter einem Hut? Immerhin bist du auch aktuell in den Deutschen Alternative Charts auf Platz 1 (zusammen mit Sara Noxx).

Mark: Ich mache das nur ganz selten, weil ich ja 18 bis 24 Monate im voraus meine Termine mache. Das ist für die meisten Gothic-VeranstalterInnen zu weit im voraus. Wenn es mal klappt, ist es eher Zufall. Notfalls machen Witwe und Venus es alleine – zu dritt ist es aber natürlich lustiger, wie letztes und dieses Jahr beim „superschwarzen“ Mannheim auf einer Schrottlaube von „Schiff“ ohne jede Kühlung, wo wir bei gefühlten 80 °C aufgelegt haben. Ich musste danach ins Bett, die beiden Damen haben noch weiter abgehottet.

NFS: Wo ward ihr bereits gebucht bzw. gab es auch ein Booking, was dir in Erinnerung geblieben ist? Erkennt das Publikum eigentlich, dass du gerade auflegst und wie reagieren diese auf dich?

Mark: Keine Ahnung, ich habe ja manchmal eine Latex-Katzenmaske auf oder muss mich obenrum frei machen, da erkennt mich glaube ich nicht jeder sofort. Oft kündigen die VeranstalterInnen uns aber auf Postern und im Internet mit Namen an – kann also sein, dass die ZuhörerInnen mich deshalb doch erkennen. Erinnerungswert sind alle Aufritte im Dark Flower, wo einfach immer irgendwas Wahnsinniges passiert, aber auch jede andere unserer Shows, darunter in der Moritzbastei oder früher in alten preußischen Fort-Anlagen in Köln. Das ist kein Geschleime: Mit Witwe und Venus zusammen ist es wie in einem Psychonautenfilm, wir spinnen alle drei so lustig, dass die Gigs zusammen mit dem verwirrten, coolen Publikum eine immer erinnerungswerte Melange ergeben. Zur Sicherheit mache ich auch Fotos 😉. Dazu kommt, dass ich ja keine Musikwünsche spiele, sondern nur meinen eigenen Shit, es ist also wie eine Art Jubiläumsparty mit freiwillig mitfeiernden, schwarzen Seelen.


NFS: Wo wird man euch demnächst sehen können? Seid ihr auch mal in Dresden gebucht oder bist du hier doch eher zu deinen Vorträgen als zu DJ-Sets?

Mark: Das kannst du einfach auf der Shows-Seite checken. Die Termine sind dort immer sehr lange im voraus aufgelistet – der nächste ist sehr bald in Mannheim!


NFS: Wir danken dir sehr für deine Zeit für das Interview, Mark!

Mark: Ich habe zu danken, echt.

Wir danken ihm dafür, dass er seine knappe Zeit uns gewidmet hat, und freuen uns schon auf seine kommenden Vorträge in diesem Jahr, auch wünschen wir ihm noch viel Erfolg bei seinem Musik-Projekt!

Mit großem Dank an Michael Fichtner und die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.