Der „Herr der Maden" besucht den Nachwuchs der Polizei (FHPol Aschersleben)

Landesverbände 

SEMINAR Der Herr der Maden 

Wann: 26. Sept. 2019 14:45 — 16:00 Uhr 

Wo: FH Pol Hörsaal 

Dozent: Dr. Mark Benecke 

Vom Tatort bis zur Homöopathie — der „Herr der Maden" besucht den Nachwuchs der Polizei! Dr. Mark Benecke, Biologe und Spurenfan, referierte am 26. September 2019 in Aschersleben an der Fachhochschule der Polizei im Rahmen der AG „Junge Kripo" auf Einladung des BDK

Thema des Vortrages war: "Der Erste Angriff — aus Sicht eines Biologen". Der „Herr der Maden", wie Benecke hochachtungsvoll genannt wird, berichtete über einige Fälle und entsprechend von ihm realisierte Untersuchungen. 

Dabei war ihm besonders wichtig darauf hinzuweisen, dass das Ziel seiner Arbeit die Erforschung der Tatsachen ist. Anhand der Tatsachen kann dann die Justiz oder die Öffentlichkeit oder, oder, oder .... sein Urteil fällen. Im Nachgang zu der äußerst gelungenen Veranstaltung haben wir MARKY MARK, wie er sich selber mit einem Augenzwinkern nennt, zum Interview gebeten. Die Fragen stellte Alexander Meißner ... auch im Auftrag der Auszubildenden. 

Interview

Alexander Meißner (AM): Hallo Mark! Ich möchte mich noch mal für Deine Veranstaltung in Aschersleben an der Fachhochschule Polizei recht herzlich bedanken. Insbesondere, dass Du so kurzfristig auf unsere Wünsche reagiert hast und es Dir wichtig war, den Anwärterinnen und Anwärtern einen Gefallen zu tun. Du hast den Kollegen Einblicke in Deine Arbeit und in Dein Wirken gegeben. Das war aus meiner Sicht Inspiration und Motivation für alle. Im Nachhinein wurden verschiedene Diskussionen geführt. Dabei wurde klar, dass viele mit Deinem Beruf wenig anfangen konnten (Dich zum Teil- mit einem Rechtsmediziner verwechseln) ... Deshalb meine erste Frage: Wie würdest Du Deinen Beruf selbst beschreiben? 

Marky Mark (MM): Ich sammle Spuren ein, entweder am Tatort oder an Leichen oder an Lebenden, beispielsweise Blut, Haare, Sperma oder Insekten. Es kann auch Mageninhalt sein, der meinem Team über-sendet wird oder ein zwanzig Jahre alter Haarzopf oder eine Bluse oder ein Handschuh. Im Labor schauen wir uns alles unter dem Vergrößerungsgerät an. Manchmal machen wir genetische Fingerabdrücke oder messen Blutspuren aus. Wir haben eine eigene Software — gratis für alle: http://bloodonline.de — mit der wir auch recht schnell Auftreffwinkel von Blutstropfen messen können. Gerne ertüfteln wir auch neue Abformmethoden, beispielsweise mit Silikon. Das ist supercool. Oder wir erforschen, warum das alte DDR-Spülmittel FIT die Luminol-Reaktion verstärkt. Manchmal betreue ich auch Arbeiten an Polizeifachhochschulen oder Universitäten. Es gibt immer was zu tun. Außerdem bin ich öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Untersuchung, Sicherung und Auswertung von kriminaltechnischen Spuren sowie Prüfer für neue Sachverständige. 

AM: Bei einigen Kollegen blieb der Satz von Dir hängen, dass man Zeugen nicht trauen dürfe und dass Du die Aussage von Zeugen vor Deiner Untersuchung gar nicht hören möchtest. Bei altgedienten Kriminalisten kam da natürlich sofort die Frage auf, war-uni schätzt der Mark die Arbeit der Kriminalpolizei nicht! Was sagst du dazu? 

MM: Ich erfahre nicht, was die Kripo macht, außer wir sind zusammen am Tatort oder es steht in den Akten. Mit Zeugen und Zeuginnen habe ich nichts zu tun. Das ist auch gut so, da ich niemandem — auch mir nicht — etwas glaube. Menschen können mir aber gerne alles berichten — ich prüfe es dann halt durch Spuren. Mache ich auch im Alltag so. Zu Dingen, die ich nicht durch Versuche prüfen kann, sage ich einfach nichts. 

AM: Wenn Du einen Tatort in Augenschein nimmst — wie würdest Du ihn aus Deiner Sicht ideal beschreiben? 

MM: Ich arbeite mit dem, was da ist. Manchmal kraxele ich an einem Hang herunter, wo eine Leiche lag, um einfach mal einen Eindruck vom Platz und Raum zu erhalten. Manchmal sitze ich lange vor einem kleinen Blutspurenfeld und fotografiere die Blutspuren hinter einem Vorhang, wo sie eigentlich gar nicht sein können. Ich nehme die Welt und jeden Tatort so, wie sie sind, und passe mich daran an. 

AM: Du hast in Deinem Vortrag gezeigt, dass Du auch anhand von Bilden; Situationen bewertest beziehungsweise begutachtest. Wie funktioniert das? Wie kannst du ohne Geschmack, Geruch, Haptik dennoch zu einem plausiblen Ergebnis kommen? ...Oder sind es dann doch nur Vermutungen? 

MM: Wir vermessen dann einfach das, was noch da ist. Wenn ich beispielsweise Fotos ohne Maßstab habe, dann schaue ich mir Piercings an der Leiche an und frage Piercer/-innen, welcher Durchmesser das ist. Das ist meist nicht sehr genau, aber manchmal genau genug für die Fragestellung. Oder ich schaue mir Blutspurenbilder an, auf denen Schmierspuren zu sehen sind. Wenn die Aufnahmen gut genug sind, kann ich sehen, in welcher Reihenfolge durch die jeweils älteren Spuren gewischt wurde. Daraus kann ich Experimente ableiten. 

Beispielsweise kann ich zum echten Fundort gehen und dort mit echten Blut prüfen, wie lange es an den Kacheln an der Wand im Bad herunterlaufen muss, bis die Ränder trocknen. Es ist nicht immer hoch präzise, aber die Fragen von Gericht, der Kripo, den Angehörigen oder eben allen Auftraggeberinnen und Auftraggebern sind ja oft Ausschluss-Fragen: „Können Sie ausschließen, dass die Person sich nach einer halben Stunde noch bewegt und dabei Blut verschmiert hat?" — „Ja". 

Meine Mosaiksteinchen fügt dann die Kripo oder das Gericht mit allem anderen zu einem Gesamtbild zusammen. 

AM: Die Studenten sind natürlich vom Tod und den im Fernsehen immer wieder vorgeführten Todesursachenermittlungen fasziniert. Das ist oft auch ein Grund, warum sie den Beruf in der Polizei ergriffen haben. Wie ist Dein Verhältnis zum Tod und was würdest Du den jungen Leuten mit auf den Weg geben? 

MM: Ich habe noch nie einen eigenen Fernseher gehabt und kenne daher vermutlich die meisten Serien, auch die von früher, nicht. Der Tod ist das biologische und soziale Ende eines Menschen. Ich sage in Polizeifachhochschulen, wenn nur jüngere im Raum sind, die mit Toten arbeiten möchten: „Glaubt nichts und prüft alles. Macht keine Grundannahmen, wenn ihr genügend Zeit habt. Wenn im Dienst keine Zeit ist, seid privat neugierig und schaut und hört Euch in allen Ecken des Lebens um. 

So seid ihr gerüstet, wenn Ihr auf einmal Suizide und seltsame Gegenstände, Wohnungen und Gewohnheiten seht, die merkwürdig wirken — denn das ist das, was Ihr vermutlich am häufigsten zu sehen bekommt." 

AM: Du hast in Deinem Vortrag auf die Wichtigkeit der Tatortdokumentation und die Qualität der gefertigten Fotos hingewiesen. Was wäre Dir bei solchen Fotos besonders wichtig? 

MM: Gute Beleuchtung, Schärfe und ein international gültiger Maßstab — keine Münzen, Handys, Kulis und ähnlicher Schrott als Größenvergleich. 

AM: Als Thema hatten wir für den Vortrag den ersten Angriff gewählt. Was sind deine fünf wichtigsten Empfehlungen für Polizeibeamte am Tatort? 

MM: Freundlich zu den Menschen sein und ihnen grob erklären, was vor sich geht. Dicke Hose, Sarkasmus und schlechte Laune zu Hause lassen. Gute Fotos machen, auch von nebensächlichen Dingen. Mutige Entscheidungen treffen und dazu stehen. Wenn eine Politikerin oder ein Politiker an den Tatort will, dies aber für die Spuren schlecht ist, dann bleibt er oder sie draußen, egal wie viel Dampf er oder sie macht. 

Vorher alle Schulungen wahrnehmen, die es gibt, auch für angeblich längst bekannte Dinge. Oft ergibt sich aus einem Nebensatz eine neue Idee. Experten und Expertinnen finden, die zwar das Tageslicht länger nicht gesehen haben, weil sie Angst vor Menschen haben, aber eine bestimmte Spur sehr gut verstehen. 

AM: Wir haben nach dem Vortrag bei den Studenten gefragt, wie sie Dich fanden und welche Fragen sie an Dich hätten. Als Beispiel für Dich zwei Aussagen: „Er ist sympathisch und hat Ahnung von dem, was er da erzählt, ist um die Welt gekommen, was zum einen schon etwas beneidenswert ist, aber hat sicher auch Schattenseiten ... „Geiler und sympathischer Mensch. Es macht Spaß, ihm zuzuhören!" 

MM: Na, die Studierenden waren ja auch supercool! 

AM: Die Fragen der Studierenden waren dann schon eher etwa skurriler Natur. Aller-dings habe ich versprochen, sie Dir zu stellen: Hat er (Mark) wirklich Hitlers Überreste in Arbeit gehabt beziehungsweise. damit zu tun gehabt? 

MM: Jau, ich habe sie mit National Geographic identifiziert. Das könnt Ihr auch googeln oder in meinen Büchern nachlesen. Die Arbeit gelang übrigens nur, weil ich vorher mit vielen Kolleginnen und Kollegen gesprochen habe — obwohl ich gar nicht wusste, dass ich jemals mit dem Thema in Berührung komme. Beispielsweise hat ein Kollege aus Lausanne die Zähne vorher schon mal auf Fotos untersucht und ich habe mir seinen Vortrag bei der Jahrestagung der Forensikerinnen und Forensiker in den USA angehört. 

Und ich kannte Professor Prokop, der in Ostberlin Chef der Rechtsmedizin war und Fotos des Schädels gesehen hatte. Außerdem habe ich mit Zahnärzten aus den USA geredet, die mir einen wichtigen Hinweis auf die Original-Röntgenbilder von Hitlers Schädel gegeben haben. 

AM: Ist er (Mark) generell gegen Homöopathie beziehungsweise was hält er von Homöopathie? 

MM: Solange es nicht viel kostet und bei echten Erkrankungen auch echte, bewiesen wirksame Behandlungswege stattfinden, ist es mir egal. Glauben und Fürsorge sind ja auch Heilmittel. In verblindeten Versuchen funktionieren Homöopathika nicht, aber gutes Zureden und das Ernstnehmen von Patientinnen und Patienten mit ihren Schwierigkeiten oder Leiden ist eine gute Sache. Das würde natürlich auch ohne Homöopathika klappen.

AM: Glaubt Mark an ein Leben nach dem Tod? 

MM: Aber sicher — da kommen noch Käfer, Fliegen, Larven, Bakterien und vieles mehr. Der Tod ist nicht das Ende. 

AM: Mich würde interessieren, inwiefern die gängigen ansteckenden Krankheiten (HIV, TBC, Krätze usw.) postmortal ansteckend sind? 

MM: HIV zerfällt sofort, zum Glück. Krätzmilben und andere Tiere interessieren sich oft nicht für Leichen, sodass sie dort weg-wandern. Tuberkulose ist eher für medizinisches Personal — also bei lebenden Menschen — ansteckend. 

Ich selbst habe mir alle Haare unterhalb des Halses weglasern lassen. Seitdem kraxeln keine Herbstgrasmilben mehr an mir hoch und zerbeißen mich bei Tatorten in Gebüschen, an Bahndämmen und Ähnlichem. Wie Ihr wisst, habe ich auch sehr kurze Kopfhaare, sodass es für Läuse uninteressant wird. Ich kenne keinen Fall, wo sich Polizistinnen oder Polizisten oder Bestatterinnen und Bestatter angesteckt haben — auch nicht in anderen Ländern, wo Einweghandschuhe nicht so leicht zu haben sind. 

Mit normaler Vorsicht ist das zu handhaben. 

AM: Lieber Mark, Danke für Deinen Vortrag und das Interview und wir wünschen Dir noch viele spannende Fälle!