Filme, in denen die angeblich reale Tötung von Menschen im Rahmen und zum Zwecke der Produktion eines Filmes gezeigt wird, bilden seit den späten 1970er Jahren ein eigenes Genre, das mit dem Begriff "Snuff" charakterisiert wird.
Read MoreInterdisziplinäres Fachforum Rechtsmedizin
Das Symposium "Todesermittlungen VIII" des Interdisziplinären Fachforums Rechtsmedizin beschäftigte sich diesmal mit dem Mordfall an der 8-jährigen Michelle aus Leipzig im Jahr 2008. Am 18. August 2008 verschwand das Mädchen auf dem Heimweg, ihre Leiche wurde zwei Tage später in einem Ententeich gefunden. Der 19-jährige Täter Daniel V. stellte sich unter erheblichem Ermittlungsdruck nach acht Monaten der Polizei.
Read MoreChild neglect and forensic entomology
Source: Forensic Science International 120:155-159
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Mark Benecke & Rüdiger Lessig
Abstract
Close co-operation between forensic scientists, medico-legal doctors, and police forces made it possible to estimate not only the post-mortem interval but also the time since a child was neglected. On the skin surface under the diaper (anal-genital area), third instar larvae of the false stable fly Muscina stabulans FALLÉN, and the lesser house fly Fannia canicularis L. were found. F. canicularis adults are attracted to both feces and urine. From the face, larvae of the bluebottle fly Calliphora vomitoria L. were collected. C. vomitoria maggots are typical early inhabitants of corpses. From the developmental times of the flies, it was estimated that the anal-genital area of the child had not been cleaned for about 14 days (7–21 day range), and that death occurred only 6–8 days prior to discovery of the body. This is the first report where an examination of the maggot fauna on a person illustrated neglect that had occurred prior to death.
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Five cases of forensic short tandem repeat DNA typing
In medicolegal samples DNA is often broken into fragments. In many cases, only the amplification of short tandem repeated DNA stretches (STRs), which are located in noncoding regions, allows DNA typing of such degraded materials
Read MoreBenecke Einseitiges Auftreten von Maden im Gesicht einer Leiche
Source: Archiv für Kriminologie (Archives for Criminology, indexed in Medline) 208:182-185 (2001) - Quelle: Archiv für Kriminologie, Band 208, Seiten 182-185
Rein einseitiges Auftreten von Schmeißfliegenmaden im Gesicht einer Faulleiche
Purely unilateral occurrence of blowfly maggots in the face of a decomposing body
Von Dr. rer. medic. Dipl.-Biol. Mark Benecke
Summary
The corpse of a 41-year-old medical doctor was found in his bed. The body was part-iaily dried out; parts of the hip region were skeletonized due to maggot activity. In the fa-cial region of the corpse, blowfly maggots (Lucilia (Phaenicia) sericata [Meigen]) were found exclusively in one eye socket. This is an unusual occurrence since on that side, a bed-light (40 W light bulb) had been burning during the seven week post mortem interval. All other lights in the apartment were switched off, and no direct sunlight could enter the space where the body was found (only a TV set had been running all the time, ca. 2 m away from the head at the foot end of the bed). Obviously, the maggots who usually flee light had used up the one eye that was further away from the bedlight as a feeding source. Since the con-tinuing mummification of the corpse led to a substantial restriction of feeding material, the maggots finally switched to the eye that the light was shining on.
l. Fundsituation
In der ersten Etage eines innerstädtischen Wohnhauses im stärker begrünten Süden Kölns wurde am l. August 2001 in der Wohnung eines 41-jährigen, alleine lebenden Krankenhausarztes dessen teilmumifizierte Leiche im Bett liegend angetroffen. Die Oberhaut war fetzig abgelöst und vertrocknet, Teile des Haarschopfes lagen abgelöst auf dem Boden am Kopfende des Bettes. Die Augenhöhlen (nicht aber die Lider) waren deutlich sichtbar von Maden ausgefressen, die Lippen waren durch zahlreiche Madendurchtrittsstellen vollständig löchrig aufgelöst. Im linken Hüftbereich, der unter einer Bettdecke gelegen hatte, fanden sich madenbedingte Gewebsdefekte, die bis auf den Hüftknochen reichten; Arme und Beine waren ausgetrocknet und nicht von Maden besiedelt. Neben dem Bett fand sich eine Schüssel, die als "Brech-Eimer" interpretiert wurde, mit sehr dichtem Besatz toter Schmeißfliegenlarven.
Benecke in Arch Kriminol (2001) Der Fernseher am Fußende des Bettes war in Betrieb. Es gab keine Deckenbeleuchtung; direktes Sonnenlicht konnte den Körper nie erreichen, da die Leiche hinter einem regalartigen Zimmerteiler lag. Die einzige Fensterfront wies zudem nach Nordost (der Sonne abgewandt). An der rechten Kopfseite des Bettes war eine Bettlampe mit 40 Watt-Glühbirne angeschaltet, die von der Leiche in stumpfem Winkel fortwies (Abb. l). Es herrschte insgesamt sommerliche Raumtemperatur; ein großes Terrassenfenster stand beim Eintreffen des Berichterstatters in Kippstellung. Der Wohnungsschlüssel steckte von innen, so dass das Schloss von der Feuerwehr mit einem Schlossöffner von außen entfernt werden musste. Die Feuerwehr betrat den Raum mit Atemschutzgeräten; die danach eingetroffene Schutzpolizei weigerte sich wegen angeblicher Gesundheitsgefahr einzutreten. Die Wohnungstür stand bis zum Eintreffen der Kriminalpolizei/des zugezogenen Kriminalbiologen etwa eine halbe Stunde lang offen, so dass erwachsne lebende Fliegen entweichen konnten.
Datierte Zeitungen und Briefe wiesen darauf hin, dass der Bewohner seit Anfang Juni die Wohnung nicht mehr verlassen hatte. Dementsprechend fand sich zuoberst auf Papierstapeln ein Kongressheft einer ärztlichen Fortbildung in Mallorca, die am 3. Juni 2001 geendet hatte. Studentische Flur-Nachbarn berichteten damit übereinstimmend, dass sie seit etwa sieben Wochen ohne Unterbrechung Geräusche ein und desselben Fernsehsenders aus der Wohnung des Toten vernommen hätten (Musik-Video-Kanal). Die Untersuchung der Fliegenbesiedlung erbrachte keine dieser ersten Zeitschätzung widersprechenden Ergebnisse.
Am Fuß des gekippten Nordost-Fensters wurden Dutzende toter erwachsener Schmeißfliegen der Gattung Lucilia (Lucilia (Phaenicia) sericata (Meigen)) angetroffen; lebende Maden und Puppen waren im Umkreis von etwa zwei Metern um das Bett unter verstreut herumliegenden Buchstapeln, Aktenordnern, Teppichteilen und Schachteln zu finden. Die Küche enthielt praktisch keine Lebensmittel; es fanden sich auch sonst im Wohnbereich oder im kombinierten Badezimmer/Toilettenraum keinerlei organische Abfälle oder andere Reste, die als Flie-genhabitat hätten dienen können.
2. Diskussion der Befunde
Die angetroffene Maden-, Puppen- und Fliegenpopulation stammte von der Besiedlung der Leiche.
Benecke in Arch Kriminol (2001) Maden fliehen im Gegensatz zu erwachsenen Tieren das Licht. Die im vorliegenden Fall somit paradoxe Situation, dass gerade nur die beleuchtete Seite des Gesichtes der Leiche von Maden besiedelt war, erklärt sich vermutlich wie folgt:
Die normalerweise lichtfliehenden Tiere hatten zunächst die andere, dem indirekt über die Wand einfallenden Licht abgewandte, linke Augenhöhle besiedelt, konnten aber angesichts der zunehmenden Austrocknung der Leiche zuletzt nur noch die rechte Augenhöhle als Nahrungsgrundlage nutzen. Eine Brückenbildung über den Arm von der Schüssel auf dem Boden hin zur Augenhöhle ist nicht möglich, da Maden nicht aufwärts kriechen können.*
Zu diskutieren wäre eine mögliche Bevorzugung der beleuchteten Kopfseite durch Maden, weil dort eine durch die Wärmeabgabe der Lampe minimal erhöhte Temperatur herrschte, die von den wechselwarmen Larven in der Regel bevorzugt wird. Angesichts der ohnehin sommerlichen Temperaturen, der bereits erfolgten Ausfressung des anderen Auges, vor allem aber auch wegen der durch die Wärme der Lampe begünstigten, rascheren Austrocknung des Leichengewebes auf der scheinbar bevorzugten Seite erscheint das aber weniger plausibel.
Ein vergleichbarer Fall rein einseitiger Madenbesiedlung der Augenhöhlen wurde nach unserer Kenntnis bisher noch nicht berichtet und hätte bei einer isolierten Betrachtung der Leiche, beispielsweise bei einer äußeren Leichenschau abseits des Fundortes, trotz umfangreicher Kenntnis der Lebensgewohnheiten leichenbesiedelnder Gliedertiere (1-7) mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Fehlinterpretation der Besiedlungsfolge des Gesichtes sowie ggf. vorhandener Madenfraßspuren in Abgrenzung zu potentiellen Verletzungsspuren (vgl. dazu [6]) geführt. Insbesondere hätte eine primäre Verletzung des nun von Maden verlassenen Auges, beispielsweise durch einen Stich, mit daran anschließender bevorzugter Besiedlung dieses Auges fälschlicherweise vermutet werden können.
Der Autor dankt dem Kriminalkommissariat 11 der Kölner Polizei für die gute Zusammenarbeit; im vorliegenden Fall wurden die Ermittlungen von KOK Christian Kuhlemann gefuhrt.
Zusammenfassung
Bericht über die ungewöhnliche Besiedlung nur einer - dem Licht (40 W-Glühbirne einer Bettlampe) zugewandten rechten - Augenhöhle einer teilmumifizierten Leiche mit Larven der Schmeißfliege Lucilia [Phaenicia] sericata (Meigen). Die postmortale Liegezeit betrug etwa 7 Wochen. Vermutlich hatten die normalerweise lichtfliehenden Maden zunächst die andere, dem Licht abgewandte, linke Augenhöhle besiedelt, konnten aber angesichts der zunehmenden Austrocknung der Leiche zuletzt nur noch die rechte Augenhöhle als Nahrungsgrundlage nutzen. Ein vergleichbarer Fall wurde noch nicht berichtet und hätte bei einer retrospektiven Betrachtung der Leiche abseits des Fundortes mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Fehlinterpretation der Besiedlungsfolge geführt.
(* gilt nur, wenn sie trocken sind. 29. Okt. 2004, MB)
Literatur
Benecke, M. (Ed.): Special Issue: Forensic Entomology. Forensic Sei. Int. 120: 1-160 (2001)
Byrd, J. H., Castner, J. L. (Eds.): Entomological Evidence. Utility of Arthropods in Legal Investigations. CRC Press (Boca Raton), 2000
Catts, P. E., Haskell, N. H. (Eds.): Entomology and Death, A Procedural Guide. Joyce's Print Shop (Clemson), 1990
Goff, M. L.: A Fly for the Prosecution. How insect evidence helps to solve crimes. Har-vard University Press (Cambridge [MAj/London), 2000
Nuorteva.P.: Sacrophagous Insects as Forensic Indicators. In: Tedeschi, C. G., Eckert, W. G., Tedeschi, L. G. (Eds.): Forensic Medicine. A study in trauma and environmental hazards. Vol. II, Saunders (Philadelphia), pp. 1072-1095 (1977)
Pollak, S., Reiter, C.: Vortäuschung von Schussverletzungen durch postmortalen Madenfraß. Arch. Kriminol. 181: 146-154 (1988)
Smith, K. G. V.: A Manual of Forensic Entomology. The Trustees of the British Museum (Natural History) (London), 1986
Anschrift des Verfassers:
Dr. rer. medic. Dipl.-Biol. Mark Benecke, Int. Forensic Research & Consulting, Postfach 250411, D-50520 Köln
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Der reverse C.S.I.-Effekt Teil 2 und 3 (Kriminalistik)
Quelle: Kriminalistik, 3/2010, 64. Jahrgang, Seiten 174 bis 179, der Artikel als .pdf
Der reverse C.S.I.-Effekt - Wenn Spuren nicht beachtet werden: Fortsetzung aus Kriminalistik 2/2010
Teil 2: Mord oder Totschlag? Ein Rückenschuss entscheidet: Der Fall Streicher
Von Saskia Reibe und Mark Benecke
Auftragserteilung
Im Jahr 2003 beauftragte uns die Schwester des zu lebenslang wegen Mordes verurteilten Klaus Streicher, die am Tatort gefundenen Blutspuren zu beurteilen.
Streicher wurde 1997 wegen Mordes an einem ehemaligen Türsteher seines Nachtclubs und wegen Totschlags einer weiteren Person zu einer lebenslangen Gesamtstrafe verurteilt, außerdem wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Es handelte sich um Erschießungen, nachdem zwei im illegalen Bereich erfahrene (Drogen, Hundekämpfe) und sehr gut trainierte (Kampfsport; eines der Opfer hatte sogar einen hohen europäischen Wettbewerbs-Sieg erzielt) Personen die Bar des nun Verurteilten trotz Hausverbot betreten hatten.
Ein wesentlicher Bestandteil der Verurteilung war die Schuss- bzw. Tatreihenfolge, in der ein Feld von Blut-Tropfen auf einer Anrichte im Innenbereich der Bar, unmittelbar am Erschießungs-Ort, wichtig wurde. Wir werteten die Urteilsbegründung, die rechtsmedizinischen Gutachten sowie die Farbfotos vom Tatort und der Sektionen aus. Es handelt sich hier um einen der aufwändigsten Fälle, die wir jemals experimentell und durch Beratungen begleiteten; wir stellen hier nur den Bezug zum "reversen C.S.I.-Effekt" und daher nur ein spurenkundliches Schlaglicht in seiner Essenz dar.
Geschehen gemäß Urteil
Am 14. Juni 1996 trafen kurz nach 23:00 Uhr die beiden späteren Opfer auf dem Parkplatz von Streichers Nachtclub ein. Da eines der Opfer in seiner früheren Eigenschaft als Türsteher des Clubs versucht hatte, den dort arbeitenden Frauen Drogen zu verkaufen und er aus diesem Grund Hausverbot hatte, klingelte sein Begleiter, so dass nur dieser auf dem Bildschirm der Videoüberwachungsanlage zu sehen war. Die Tür wurde daraufhin geöffnet.
Eines der späteren Opfer betrat dann den Innenraum des Theken-Bereiches (innerer Ausschankbereich), um eine ihm bekannte Bardame dort zu begrüßen. Gegenüber dem länglichen, gassenartigen Eingang zum Theken-Innenraum befand sich der Eingang zur angrenzenden Küche. Dort saß Klaus Streicher und telefonierte. Als ihm bewusst wurde, wer in den Innenraum seiner Bar vorgedrungen war, fühlte er sich durch den sehr kräftigen Mann, der zudem Hausverbot hatte, in seinem Territorium bedroht, griff er laut Urteil zu einem Revolver und näherte sich dem ihm in diesem Moment den Rücken zuweisenden Eindringling.
Nach Auffassung des Gerichtes setzte Streicher den Revolver auf dessen Rücken auf und schoss einmal (Abb. 1, links). Das Opfer drehte sich zum Schützen um und es kam zu einem Gerangel, während dessen sich ein zweiter Schuss löste. Dieser ging in den Deckenspiegel1 (Abb. 2), so dass Glassplitter auf die Anrichte fielen (Abb. 3). Das Opfer glitt laut Gericht am Angreifer hinab; dabei kam es zu einer Verletzung an der Augenbraue (Abb. 4) und das austretende Blut spritzte auf die hüfthohe Bar-Anrichte im Bereich unter dem Einschussloch in der Decke.
Es folgten zwei weitere Schüsse, einer in den Bauch und ein weiterer in den Oberarm des ersten Opfers. Anschließend richtete Streicher die Waffe auf eine weitere Person, die - immer noch nahe des Haupt-Einganges stehend - eine Bewegung in seine Richtung gemacht hatte. Er schoss auf dessen Oberkörper und traf trotz der erheblichen Entfernung direkt ins Herz. Beide Opfer verstarben am Tatort. Da der angeblich erste Schuss in den Rücken des ersten Opfers ging, kam das Mord-Merkmal der Heimtücke zum tragen.
Ergänzendes zur gerichtlichen Betrachtung
Die Ablauf-Rekonstruktion (Reihenfolge der Schüsse) ergab sich für das Gericht aus der Anordnung der Hülsen, die bei Revolvern in der Trommel verbleiben. Natürlich lässt sich aus der Anordnung in der Trommel naturgemäß nicht ermitteln, welche der erste Schuss war: Abhängig davon, welches Projektil als erstes abgefeuert wurde, ändert sich jeweils die Schuss-Abfolge, und zwar in sicher feststellbarer, objektiver Art.
In der Trommel befanden sich bei Sicherstellung der Waffe – ein Glücksfall für die Rekonstruktion –Geschosse verschiedener Hersteller: Eine Federal-, eineWinchester- und drei CCI-Hülsen. Das Federal-Geschoss wurde später im Holz oberhalb des Deckenspiegels gefunden (Abb. 2). Das Winchester-Projektil fand sich nahe der Wirbelsäule des ersten Opfers, die drei CCI-Geschosse wurden dem Bauch- und Arm-Schuss des ersten Opfers sowie dem Oberkörper des zweiten Opfers zugeordnet.
Laut Gericht war der Tatort teils verändert worden, bevor die Polizei eintraf. Dem ersten Opfer soll nachträglich eine kleine „Frauenpistole“ in die Hand gelegt worden sein, so dass er als bewaffneter Angreifer erscheinen konnte, obwohl er in Wahrheit angeblich unbewaffnet war. Zudem sollen Absprachen bezüglich der Aussagen gegenüber der Polizei getroffen worden sein.
Warum schloss das Gericht, dass der Rücken-Schuss der erste war?
Die Aussage des von Anfang an voll geständigen Täters bzw. Seines Anwaltes wurden bis heute niemals voll gewürdigt. Sie sagten – trotz sich stark ändernder Beweislage – niemals etwas anderes aus, als dass der Bauch-Schuss der erste Schuss gewesen sei. Damit hätten sich Opfer und Täter aber gegenüber gestanden; Heimtücke läge dann nicht vor.
Das Gericht glaubte dem damals Angeklagten aber nicht und stützte die Festlegung des ersten Schusses (und damit wegen der bekannten Hülsen-Reihenfolge in der Trommel des Revolvers aller folgenden Schüsse) auf einen Zeugen.
Er saß zum Zeitpunkt der Schüsse an der Theke. Allerdings befand sich erstens eine fest installierte Zapfsäule zwischen seinen Augen und dem Inneren der Bar, zweitens war das gesamte Etabliessement in rotbraunes Dämmerlicht getaucht, drittens hatte der Zeuge bereits Alkohol getrunken und viertens laut seiner eigenen Aussage keine Waffe in der Hand des Täters gesehen. Der Zeuge ist seit der Verhandlung nicht mehr auffindbar.
Dieser Zeuge war der einzige für das Gericht glaubhafte Beweis, dass der erste Schuss der Rückenschuss gewesen (und damit die Heimtücke gegeben) sein musste.
Weitere Untersuchungen
Zunächst beschränkte sich unsere Beauftragung auf das kleine Blutspuren-Feld auf der Anrichte der Bar. Nach Beschaffung brauchbaren Foto-Materials und Ausschnittsvergrößerung wurde aber deutlich, dass die Spiegelsplitter in das Blut hinein gefallen waren. Das Blut war also nicht auf bereits heruntergefallene Spiegelstücke gespritzt. Daraus folgte, dass schon vor dem Spiegelschuss Blut auf die Bar gelangt war. Da der Rückenschuss aber sehr tief – unterhalb der Auflagefläche der Bar – erfolgt war, konnte das Blut nicht aus dem Rückenschuss stammen. Woher sollte also das Blut stammen, in das die Spiegel-Splitter gefallen waren?
Es drängte sich nun die Vermutung auf, dass dem Urteil ein grundliegender Denkfehler zugrunde lagen und die Aussagen des Täters korrekt waren. Waren die objektiven Spuren (Blut, Glas, Geschoss-Hülsen) nicht genügend beachtet worden? War eine andere, objektivierbare Schuss-Reihenfolge eindeutig belegbar?
Versuche
Gemäß der Ausführungen des Gerichts war der Spiegelschuss früh erfolgt und dadurch Spiegelsplitter auf die Anrichte gefallen. Dann erst sei Blut aus der Augenbrauenverletzung auf die Anrichte gespritzt. Obwohl dies angesichts des Befundes, dass die Spiegelsplitter im Blut lagen, widersinnig war, wollten wir doch zunächst prüfen, aus welcher Höhe und in welcher Weise das Blut (bogenförmig?) seine Bahn genommen haben musste, um das Spuren-Feld – wie am Tatort fotografisch dokumentiert – zu erzeugen.
Der gesamte Innenraum der bar wurde daher von uns durchschritten, mit Metermaß und Laser vermessen und skizziert. Anschließend wurde eine 3-D-Rekonstruktion (inklusive animiertem Film) erstellt, aus der ersichtlich werden sollte, wie der Tathergang laut Urteil abgelaufen ist und ob sich alternative Schussreihenfolgen bestätigen lassen (Abb. 5A-c).
Es wurde zudem ein rechtsmedizinisches Gutachten eingeholt. Es behandelte die Frage, welche Bewegungsmöglichkeiten nach einem Rückenschuss in den unteren Teil der Wirbelsäule bestehen. Konnte sich der Getroffene nach solch einem Schuss noch umdrehen? Und vor allem: Konnte er, wie im Urteil und auch durch das Faserspurengutachten zwingend gefordert, noch mit dem Angreifer rangeln? Desweiteren sollte anhand von Fotos von der Obduktion geklärt werden, ob das Blut auf der Anrichte aus der Verletzung an der Augenbrauen-Verletzung stammen kann.
Dabei zeigte sich, dass die Rücken-Schussverletzung in Höhe des 2. Lendenwirbels (Abb. 6) etwa 2 cm rechts der Mittellinie des Rückens lag. Es handelte sich um einen Trümmerbruch des zweiten Lendenwirbelkörpers mit Eröffnung des Rückenmarkkanals. Diese Verletzungen führten zu einer sofortigen Lähmung der Beine. Das Opfer stürzt sofort zu Boden, weil es sich nicht mehr aufrecht halten kann. Die rechtsmedizinische Stellungnahme sagte weiter aus, dass das Projektil eine Bewegungsenergie (einen Impuls) auf den getroffenen Körper überträgt und vergleicht diesen Effekt – wörtlich – mit dem „Tritt eines Elefanten“.
Selbst unter der Annahme, dass nach dem Rückenschuss noch eine sehr kurze Bewegungsfähigkeit des ersten Opfers gegeben war (das feste Rangeln, das sowohl das Fasergutachten objektiv und die Urteilsbegründung nach richterlicher Einsicht zwingend fordern) war damit ausgeschlossen. Wo also sollte das Blut auf der Anrichte herkommen? Bereits hier zeigte sich, dass die Ablauf-Beschreibung aus dem Urteil grundsätzlich nicht möglich war.
Zu unserer Überraschung (wir sind keine Mediziner) fand sich in der rechtsmedizinischen Stellungnahme zudem der Hinweis, dass die Schussverletzung im Arm nur einen Durchschuss darstellte und das Projektil danach in den Brustkorb (Lunge) gedrungen war, wo es bei der Sektion auch gefunden wurde.
Durch diesen Schuss in die Lunge war Blut in die Luftwege eingedrungen; es erreichte über die Luftröhre den Kehlkopf und löste einen Hustenreflex aus. Dr. Schäfer folgert daraus, dass es sich bei den Blutspuren auf der Anrichte offensichtlich und derartig ausgehustetes Blut handelt. Dies steht auch in Einklang mit unserem Befund, dass das Blut – ableitbar aus seiner From – von oben (und nicht von unten) auf die Anrichte gelangt war. Vor Gericht oder bei den Ermittlungen war dies nie bekannt geeworden.
Damit war bewiesen, dass entweder der Bauch- oder der Lungen-Schuss der erste Schuss war. Anders konnte kein Blut von oben auf die Anrichte gelangt sein, denn spätestens beim Rücken-Schuss muss das erste Opfer zu Boden gegangen sein. So erklärte sich auch schlüssig und eindeutig, was in der Urteils-Begründung unverständlich blieb, nämlich, warum die Spiegel-Splitter im Blut lagen. Die Erklärung: Der Spiegel-Schuss war erst der vorletzte Schuss. Daher regneten die Splitter in das schon vorhandene Blut,so, wie es auch auf den Fotos vom Tatort festgehalten ist.
Schuss-Reihenfolge: ein reines Logik-Rätsel
Aus den Akten entnahmen wir, dass die Schusswaffensachverständigen sowie der Anwalt des Verurteilten schon bei der ersten Verhandlung eine Skizze angefertigt hatte (Abb. 7), in der er mehrere zum späteren Urteil alternative Schussreihenfolgen logisch aufzeigt. Diesen alternativen Ausführungen, obwohl absolut stimmig und mit den Spuren im Einklang stehend, wurde kein Gehör geschenkt.
In der zunächst nur von der Verteidigung vertretenen Alternativ-Version beginnt das geschehen damit, dass das Opfer den Angreifer im Theken-Innenraum anschaut. Es kommt zu einem Gerangel und dem ersten Schuss von vorne (Bauch-Schuss). Dies passt zur a der Leiche feststellbaren, einzig möglichen Schussrichtung des zweiten Schusses: von oben rechts nach unten links durch den Arm durchschlagend und dann in die Lunge. Das Opfer dreht sich, mit dem Kopf noch oberhalb der Ablage befindlich und hustet dabei Blut aus der Lunge auf die Anrichte. Auf dieser befinden sich zu diesem Zeitpunkt noch keine Spiegelsplitter.
Während der Körper-Drehung setzt Streicher den Revolver nahe an oder auf den Rücken des Opfers und drückt erneut ab. Das Opfer fällt nach vorne und bleibt liegen,. Der vierte Schuss geht, wie im Western, als Warnschuss in den Spiegel unter der Decke. Nun regnen Splitter auf die Anrichte und damit auch in die dort schon befindlichen Blutspuren aus der Lunge des Opfers.
Das zweite Opfer nähert sich Streicher trotz des Warnschusses, der schießt daraufhin zum fünften Mal – im Inneren des Theken-Bereiches stehend – und verletzt so auch das zweite Opfer tödlich.
Die Augenbrauenverletzung ist in diesem Szenario nicht mehr erforderlich. Sie kann nach rechtsmedizinischer Aussage ohne hin länger (etwa einen Tag) vor der Schießerei entstanden sein; im Institut für Rechtsmedizin war die Verletzung auch bereits krustig vertrocknet, wie beispielsweise bei einer beginnenden Heilung.
Die alternative Geschehens-Reihenfolge erklärt als einzige, wie die Splitter auf das Blut auf der Anrichte fallen konnten und zeigt anhand der bekannten Geschoss-Reihenfolge eindeutig, dass der Rückenschuss nicht der erste, sonder der letzte Schuss auf das Opfer war.
Der Ablauf, der im Urteil beschrieben ist, ist damit durch objektive Befunde – also nicht etwa durch abweichende Auslegung und Abwägung – widerlegt.
Ausgang des Verfahrens
Aufgrund der neuen Sachbeweise wurde eine Wiederaufnahme beantragt. Bei einer auf Geheiß des Bundesverfassungsgerichts (BVerG) und nur extrem zäh zustande gekommenen, formellen Vorbesprechung vor dem Kölner Landgericht im Jahr 2009 waren alle Sachverständigen aus der Hauptverhandlung sowie die neue hinzugezogenen Sachverständigen anwesend. Die neuen Sachbeweise wurden unter Einbeziehung aller Sachverständigen diskutiert. Soweit für die Autoren erkennbar, wurden die neuen Tatsachen ausführlich und sehr klar dargelegt, von allen Beteiligten offen und ausführlich diskutiert und einwandfrei verstanden.
Dennoch wurde die Wiederaufnahme abgelehnt. Dies wunderte uns als juristische Laien, weil nicht nur wir, sondern auch der BVerG Bedenken wegen „erheblicher Argumentationslücken“ in den Beurteilungen der bisherigen Gerichte bekundet hatte. Das BVerG riet angesichts der unter anderem von uns neu ermittelten Tatsachen wörtlich, dass „alle diese Gesichtspunkte bei der gebotenen Gesamtbetrachtung des Geschehensablaufes nicht unberücksichtigt bleiben dürfen“ und verwies das Verfahren wieder zurück ans LG Köln, das die weitere Bearbeitung bis dahin abgelehnt hatte.
Das LG Köln kam nun aber erneut zum Schluss, dass eine Wiederaufnahme abzulehnen sei. Allerdings fanden sich in der Ablehnung unrichtige Wiedergaben dessen, was sachverständigerseits persönlich, ausführlich und in einfachen, klaren Worten dargelegt worden war. Die falsche Wiedergabe dieser Feststallungen durch das Gericht musste von uns auf Eigen-Initiative hin schriftlich korrigiert werden – ein Vorgang, den wir noch nie im Zusammenhang mit gerichtlichen Sachverständigen-Aussagen erlebt hatten.
Obwohl das LG auf der sachlich und fachlich widerlegten – und sogar vom höchsten deutschen Gericht bemängelten – Geschehens-Abfolge in diesem Fall beharrte, wurde der Verurteilte nach über neun Jahren im Hochsicherheitsgewahrsam plötzlich und ohne für uns oder ihn erkennbare Gründe (seine Führung in der JVA war tadellos gewesen) in ein anderes Gefängnis mit deutlich gelockerten Vollzug überführt. Er bleibt aber bis auf Weiteres – obwohl durch die naturwissenschaftlich-medizinisch-forensische Spurenlage widerlegt – wegen Mordes inhaftiert.
Obwohl es sich um den Sonderfall handelt, dass der Täter aus dem Milieu kommt und die Schüsse zugibt, muss es doch eine ungünstige Wirkung auf die Öffentlichkeit haben, dass die klare Spurenlage (Blut-, Faser-, rechtsmedizinische, Geschoss- und weiteren Spuren), die in diesem Fall sogar vom BVerG als stärker zu berücksichtigen empfohlen wurde, hinter einer einzigen Zeugen-Aussage eines so genannten „Knallzeugen“ (auf Schuss bezogener Zeuge) mit den bekannten Fährnissen zurück steht.
Teil 3: Durchgebrannt? – Unfall? – Mord? Der Fall Raven Vollrath
Auftragserteilung
Im Januar 2008 beauftragte uns Familie Vollrath, die Akten im Fall ihres verstorbenen Sohns Raven zu sichten. Sie versprach sich Hinweise darauf, dass Raven nicht wie von der Polizei angenommen tödlich verunglückt, sondern Opfer einer Tötung war. Im Juni 2006 war die Leiche des Jungen nach sechsmonatiger Vermisstenzeit in Österreich in einem Bachbett gefunden worden.
Anfängliche Einschätzung nach Aktenlage
Familie Vollrath hatte ihren Sohn Raven Ende Dezember 2005 als vermisst gemeldet, da er sich nicht wie sonst üblich von seinem Saisonjob in Österreich täglich bei den in Deutschland lebenden Eltern telefonisch gemeldet hatte.
Sie kontaktierten den Arbeits-Kollegen und Mitbewohner von Raven in Österreich und erhielten die Information, ihr Sohn sei mit einem Mädchen durchgebrannt. Das hielten die Eltern für extrem unwahrscheinlich. Sie fuhren nach Österreich, um sich persönlich ein Bild zu machen.
Raven hatte während der Wintersaison an einem Skilift gearbeitet und mit seinem Kollegen und dessen Mutter eine kleine Abstellkammer direkt an der Liftanlage bewohnt. Die Eltern Vollrath befragten die beiden Mitbewohner erneut zum Verschwinden von Raven. Beide beharrten darauf, dass Raven eines Nachts mit einem ihnen unbekannten Mädchen verabredet gewesen war und mit diesem durchgebrannt sei.
Diese Version zum Verschwinden des Jungen erschien auch der Polizei plausibel. Auf dem Parkplatz der Liftanlage entdeckten die Eltern Vollrath jedoch das unverschlossene Auto ihres Sohnes, in dem sich seine gesamten privaten Dokumente wie Führerschein und Pass sowie ein einzelner Socken von Raven befanden. Die Polizei stellt das Auto daraufhin sicher und beließ es bis April 2006 auf dem Parkplatz vor der Wache. Eine spurenkundliche Untersuchung des Autos blieb aus. Die Dokumente und den schon erwähnten einzelnen Socken asservierten schließlich die Eltern, nicht die Polizei. Weiterhin galt als offizielle Version: Raven war durchgebrannt.
Am 12. Mai 2006 war der Schnee im Skigebiet weggeschmolzen. Als in einem dem Skilift Nahe gelegenen Bachlauf Müll aufgesammelt wurde, fand man Ravens Parka sowie eine Matratze, die aus der Unterkunft des Kollegen stammte. Am 10. Juni 2006 fanden Passanten die teilskelettierte Leiche des Jungen.
Die Bekleidung bestand aus einem bereits stark zersetzten T-Shirt, einer langen Unterhose sowie – am Fuß der Leiche – dem zweiten Socken, passend zu dem aus seinem Auto sichergestellten. Der Leichenfundort lag 2,5 km von der Lift-Anlage entfernt.
Identifiziert wurde Raven über Zahnstatus und DNA-Profil. Die toxikologische Analyse ergab eine – natürlich mit allergrößter Vorsicht zu bewertende – BAK von 0,8 Promille. Die Polizei schloss daraus, Raven habe nachts mit seiner Matratze alkoholisiert die Unterkunft verlassen, sei im Schnee 2,5 km ohne Schuhe umhergewandert, sich mit seiner Matratze im Bachbett zum Schlafen hingelegt und sei schließlich dort erfroren.
Die Sektion ergab aufgrund der fehlenden Weichteile keine Auskunft darüber, ob Fremdeinwirkung (hier: Verletzungen an den Weichteilen) vorgelegen hatte.
Bis zu diesem Zeitpunkt war nur der Kollege und Mitbewohner zu dem Vorfall polizeilich befragt worden, nicht jedoch dessen Mutter, die zum Zeitpunkt des Verschwindens bei den beiden gewohnt hatte und als alkoholabhängig galt.
Die Eltern von Raven gaben sich damit jedoch nicht zufrieden; sie glaubten weniger denn je an einen Unfall. Nach vielen Beiträgen in TV- und Printmedien, in denen Familie Vollrath die Vorgehensweise der Polizei anprangerte, wurden im Januar 2008 die Ermittlungen weider aufgenommen. Unter anderem hatten die Eltern Vollrath im Jahr 2007 bei einer selbst durchgeführten Suche in der Umgebung des Leichenfundortes einen blutdurchtränkten Badvorleger gefunden, der ebenfalls der Unterkunft von Raven und dessen Kollegen zugeordnet werden konnte.
Im Laufe der erneuten Ermittlungen wurde schließlich die Mutter des Kollegen/Mitbewohners befragt. Sie belastete ihren Sohn und sagte aus, er habe Raven erstochen.
Bei der Tat sei sie nicht anwesend gewesen, jedoch habe sie bei der Beseitigung der Leiche geholfen. Sie hätten Raven mit seinem eigenen Auto an die spätere Fundstelle gefahren und ihn dort mitsamt seiner Matratze über das Brückengeländer geworfen. Diese Aussage wiederholte sie vor einem Richter, machte in der Hauptverhandlung dann aber on ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Dies und die Tatsache, dass sie alkoholkrank war, erschwerte die Verwertbarkeit der ersten Aussage.
Die österreichischen Behörden begingen daraufhin den Tatort mit einem Blutspürhund. An Stellen, an denen der Hund anschlug, wurde eine Luminoluntersuchung durchgeführt und an Bereichen mit positiver Reaktion Abstriche genommen. Im Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck wurden die Abriebe analysiert. An drei dieser Abriebe konnte zweifelsfrei Blut nachgewiesen werden. Die molekularbiologischen Untersuchungen sämtlicher Abriebe führten jedoch zu keinen verwertbaren Resultaten. Das Gutachten vermerkt, dass entweder zu wenig intakte DNA vorhandne war oder es sich um Tierblut gehandelt hatte. Weitere Spuren-Untersuchungen wurden trotz dieses Ergebnisses nicht vorgenommen.
Weitere Untersuchungen
Die Eltern Vollrath hatten bei einem ihrer Besuche in der Unterkunft von Raven und dessen Kollegen einige Holzdielen aus dem Boden gebrochen. Auf diesen hatten sie nicht untersuchte, an Blut erinnernde Flecken gesichtet. Einige dieser Stücke brachten sie zu einer Besprechung in unser Labor. Der Blutschnelltest (Hemastix, Bayer) zeigte an mehreren Stellen auf den Holzstücken eine positive Reaktion. Wir rieten der Familie, die Holzstücke dem LKA mit der Bitte um Untersuchung zu übergeben, damit alles erstens behördlich, zweitens kostenneutral und drittens aus einer Hand bearbeitet würde. Die Frage war: Handelt es sich um menschliches Blut und wenn ja, kann ein DNA-Profil daraus erstellt werden?
Des weiteren rieten wir dringendst zu einer Exhumierung der Leiche und einer erneuten Sektion, möglichst mit Virtopsie, um eventuelle Stichverletzungen an den Knochen begutachten zu können.
Ausgang
Aus dem Gutachten des LKA Thüringen ging hervor, dass an den blutverdächtigen Anhaftungen der eingesandten Holzstücke kein Blut nachweisbar war. Aus der molekulargenetischen Untersuchung der Materialproben war die Bestimmung eines DNA-Identifizierungsmusters nicht möglich. Die Schlussfolgerung: Es konnten keine weiteren Hinweise zum Verletzungs-Ort des Geschädigten gegeben werden.
Die Exhumierung und anschließende Sektion im Institut für Rechtsmedizin der Universitätsklinik Jena im November 2008 ergaben an Brustbein sowie der 6. und 7. Rippe des Leichnams gradlinige, glattrandige Knochenverletzungen (Stich-Schnitt-Verletzungen).
Das Gutachten bestätigt, dass für die Beibringung der Rippenverletzung ein spitz zulaufendes scharfes Messer in Betracht komme. Diese drei – wegen der Knochendefekte einzigen noch sichtbaren – Stichverletzungen waren nicht todesursächlich: Es konnten weder stark blutende Gefäße noch Brustorgane verletzt werden, da die Knochen jeweils nicht durchstochen wurden. Nach Einschätzung der Rechtsmediziner erfolgte die Verletzungsbeibringung am liegenden Opfer.
Im Dezember 2008 wurde der Kollege/Mitbewohner von der Skiliftstation wegen Totschlags angeklagt. Die Verhandlung fand in Deutschland statt. Die befragte Rechtsmedizinerin erklärte, es sei aufgrund des Stichmusters nicht auszuschließen, dass weitere Stiche ausgeführt wurden, die nicht auf Knochen trafen, sondern Lunge oder Herz tödlich verletzten. Aufgrund des Zersetzungszustandes der Leiche konnte das aber naturgemäß nicht belegt werden.
Ende Dezember 2008 wurde der Angeklagte nach einem Indizien-Prozess wegen Totschlags verurteilt. Er ging in Revision, die bis heute läuft.
Unsere Sicht auf den Fall
Nur das erbitterte Kämpfen der rechtlich und verfahrenstechnisch vollkommen ungeübten Eltern hat dazu geführt, dass die Ermittler die anfänglichen Feststellungen Jahre später zurück nahmen und neue Befunde schließlich die Wahrheit deutlicher darstellen konnten.
Der Zorn der Eltern auf die verpassten Ermittlungsschritte direkt im Anschluss an die Tat ist auch aus unserer rein spurenkundlichen Sicht nachvollziehbar. Eine Untersuchung des Autos des Vermissten unmittelbar nach dessen Verschwinden und auch die Untersuchung der blutähnlichen Anhaftungen – die unserer Meinung nach damals noch gut typisierbar gewesen wären – hätten sehr viel früher Hinweise auf ein Fremdverschulden bzw. Ein Gewaltdelikt liefern können. Den Angehörigen bleibt der bittere Beigeschmack, dass sie ohne jeden Grund mit unbewiesenen, nicht belegbaren Erklärungen abgespeist wurden, obwohl umfangreiche Spurenfelder sehr leicht verfügbar waren. Die Eltern mussten mehrere Jahre Zeit und Energie aufbringen, um die Ermittlungen zum Tod ihres Sohnes überhaupt ans Laufen zu bringen.
Schluss
Damit endet unsere Serie zu Tötungsdelikten, in denen die Spuren trotz deutlicher Hinweise nicht sinnvoll gewürdigt wurden.
Es handelt sich, wie wir sowohl aus unserer Praxis als auch Hunderten von Gesprächen mit über diese Situation ebenfalls unglücklichen PolizistInnen wissen, nicht um Einzelfälle.
Wodurch die aktive Spurenblindheit und -missachtung in Fällen wie den hier geschilderten entstehen kann, ist nicht Gegenstand unserer Fall-Serie.
Wir möchten aber darauf hinweisen, dass objektive Spuren unbedingt beachtet werden sollten, um nicht zu bewirken, dass die übertriebene Zuversicht der Bevölkerung in die Tatort-Arbeit – der so genannte „C.S.I-Effekt“ – in das Gegenteil umschlägt.
Der reverse C.S.I.-Effekt Teil 1 (Kriminalistik)
Quelle: Kriminalistik, 2/2010, 64. Jahrgang, Seiten 89 bis 94
Der reverse C.S.I.-Effekt
Wenn Spuren nicht beachtet werden
Teil 1: Als Muttermörderin verurteilt: Der Fall Hartung
VON SASKIA REIBE UND MARK BENECKE
Weltweit herrscht der Glaube, dass Spuren erstens jeden Fall lösen könnten und dass sie zweitens, wenn sie gefunden werden, immer die Wahrheit klären ("C.S.I.-Effekt"). Dass beides nicht der Fall ist, zeigen drei Beispiele aus unserer Sachverständigen-Praxis.
Die Einleitung
Die Nachuntersuchung eines Tatortes in Franken und aller von der örtlichen Polizei und dem LKA asservierten Spuren sechs Jahre nach Tötung einer alten Dame zeigte, dass es keine objektiven Spuren gab und gibt, die beweisen, dass die verurteilte Frau ihre Mutter getötet hat. Sie kann trotzdem die Täterin sein. Dennoch haben wir aus spurenkundlicher Sicht große Bedenken. Könnte es sein, dass dieser Fall dadurch bestimmt war, dass es sich scheinbar um den klassischen geschlossenen Raum handelte, den es sonst nur in erfundenen Kriminalgeschichten gibt? Doch selbst diese Annahme wäre ein – hier vor Gericht allerdings nicht erkannter – Irrtum: Es gab zahlreiche Zugänge zum Tatort, und jeder im betreffenden Ort wusste, wo der Schlüssel zur Eingangstür lag.
Auftragserteilung
Im Januar 2006 erreichte uns ein Brief aus dem Frauengefängnis Aichach. Frau Hartung, mittlerweile 55 Jahre alt, war vier Jahre zuvor wegen Mordes an ihrer neunundsiebzigjährigen Mutter zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt worden. Sie bestritt die Tat von der ersten Minute an, obwohl sie laut Urteil in der Tat-Nacht als einzige Person (abgesehen von ihrer nun toten Mutter) im geschlossenen Einfamilienhaus gewesen sein sollte. Frau Hartung wollte zum rechtsmedizinisch ermittelten Todeszeitpunkt nach Mitternacht in der über eine Holztreppe frei erreichbaren Etage über ihrer Mutter geschlafen haben (Abb.1).
Nach Prüfung der Akten beschlossen wir, den Fundort der Leiche – das Elternhaus, in dem ihre Mutter bis zur Ermordung gelebt hat – auf neue und alte Spuren zu untersuchen. Frau Hartung, ihr Verlobter und eine Bekannte wollten eine Wiederaufnahme erwirken.
Das Haus wurde von uns zweimal besichtigt und untersucht; beim ersten Mal, um den Tatort zu sichten und den Arbeitsaufwand einzuschätzen, beim zweiten Mal mit einem sechsköpfigen Team, um so viele Räume und Oberflächen wie möglich mit Schwerpunkt auf bisher unberücksichtigte Spuren zu durchsuchen.
Anfängliche Einschätzung/ Aktenlage
Uns lagen zunächst die Urteilsbegründung, eine Zusammenfassung aller serologischen Gutachten sowie, anwaltlich angefordert, Farbfotos des Tatortes vor. Aus der Urteilsbegründung ergab sich, dass die Mutter nachts mit 47 Messerstichen, während sie auf einem Sofa in der Wohnküche schlief, getötet wurde. Am Tag des Leichenfundes hatte die Polizei das Messer in einem hinter einer Spiegeltür versteckten Kämmerchen, in einem Messerblock steckend und mit Anhaftungen vom Blut des Opfers, entdeckt.
Unsere Mandantin hatte zwar nicht mehr bei ihrer Mutter gelebt, war aber in der Tatnacht bei ihr, da am nächsten Tag ein früher gemeinsamer Ausflug geplant war. Ihr ehemaliges Kinderzimmer stand auch nach wie vor jederzeit für sie als Schlafplatz bereit. Am Morgen des Ausflugtages betrat sie gegen 7:00 Uhr die Küche, wo ihre Mutter sehr oft auf einem Sofa schlief (Abb. 2), und wunderte sich – wie sie in der polizeilichen Vernehmung angab – darüber, dass diese noch nicht wach und abfahrtsbereit sei. Als sie versuchte, ihre Mutter zu wecken, sah sie, dass "etwas nicht stimme". Frau Hartung lief sofort zum Hausarzt, der fast gegenüber wohnte. Der Arzt folgte ihr ins Haus und vermutete anfänglich eine Hundeattacke bei einem eventuellen nächtlichen Spaziergang. Nach genaueren Untersuchungen des Oberkörpers – mittlerweile hatte er die zahlreichen Verletzungen besser erkennen können – verständigte er die Polizei und wartete gemeinsam mit Frau Hartung auf deren Eintreffen.
Die Polizei befragte Frau Hartung zunächst als Zeugin und nahm sie mit aufs Revier. Dort wurden ihre Fingernägel asserviert, weil vermutlich sie die letzte Person war, die Kontakt mit ihrer Mutter hatte. Die Zeugenvernehmung dauerte den ganzen Tag an, bis am Nachmittag ein Messer in einem ans Badezimmer grenzenden Raum hinter einer verspiegelten Tür gefunden wurde. Die Polizei schloss noch am selben Tag aus, dass eine dritte Person am Tatort gewesen sein könne, weil sich angeblich keine Einbruchsspuren fanden. Frau Hartung hatte hierzu allerdings ausgesagt, dass sie am Morgen eine offen stehende Tür bemerkt haben will. (Das Haus hat ringsum mehrere, teils verdeckte und nicht von außen einsehbare Türen zu insgesamt drei Straßen und in einen leicht erreichbaren Garten).
Wir trafen hingegen eine Metall-Tür mit deutlichen Werkzeugspuren an (Abb. 3), die erstens verdeckt war, zweitens von Zeugen nicht einsehbar gewesen wäre und drittens durch den Keller über eine nicht knarrende Luke direkt in die Wohnung der getöteten Person führte. Dieser Keller war im ersten Angriff übersehen worden (die Luke war mit einem kleinen Läufer bedeckt); erst der Haftrichter (!) wies nach Aussage unserer Auftraggeber auf die Untersuchung des Kellers hin. Das war sinnvoll, weil mehrere Keller-Fenster direkt zur Straße führten und direkten Zugang zur Wohnung gaben.
Das Gericht diskutierte diese nachweislich vorhandenen und teils mit Werkzeugspuren markierten Zugänge nicht und ging von einem geschlossenen Gebäude aus. Die Aussage der Angeklagten, die Garten-Türe sei nachts offen gestanden, wurde als unwahr bewertet: Frau Hartung habe die Tür erst offen stehen lassen, als sie zum Arzt gelaufen sei. Daraufhin wurde sie noch am Tattag, nach Fund des Messers, in Untersuchungshaft genommen und dem Haftrichter vorgeführt. Dieser ordnete Haft bis zur Verhandlung an.
Das Messer wurde während der Sektion der Ermordeten auf eine Übereinstimmung mit den Stichtiefen und -größen am Opfer überprüft. Es wurde nicht als Tatwaffe ausgeschlossen, aber naturgemäß auch nicht sicher zugeordnet. Im am Messergriff anhaftenden Blut fand sich DNA der getöteten Person. Dies machte es zunehmend wahrscheinlich, dass es sich um das oder zumindest ein Tatwerkzeug handelte. Allerdings fand sich keine Übereinstimmung der DNA-Spuren am Messergriff mit dem DNA-Profil der angeblichen Täterin. Stattdessen fand sich am Griffende des Messers die DNA des Opfers gemeinsam mit Fragmenten des DNA-Profils eines Mannes.
Eine Zuordnung zu anderen – beispielsweise männlichen – Verdächtigen wurde jedoch nicht versucht, obwohl zwei männliche Dorfbewohner, darunter ein Nachbar und ein laut Mitteilung der Angehörigen vorbestrafter Sexualtäter, ungefähr zum rechtsmedizinisch ermittelten Tötungszeitpunkt direkt am Haus vorbei gegangen waren.
Unter den Fingernägeln der verhafteten Frau fand sich nur ihre eigene, aber keine DNA ihrer nun toten Mutter. Es fanden sich auch keine Faserspuren von Frau Hartungs Kleidung an der Leiche. Umgekehrt fanden sich auch keine Blutspuren vom Opfer an Frau Hartungs Bekleidung.
Das Gericht erklärte das damit, dass aufgrund einer langanhaltenden Toilettenspülung, die ein Nachbar um 4:00 Uhr früh beim Rauchen vor der Tür bemerkt haben wollte, davon auszugehen sei, dass Frau Hartung ihre blutige Kleidung in der Toilette entsorgt, also gewechselt, habe. In der aus dem Haus der Toten deutlich abwärts führenden Kanalisation (Abb. 4) fanden sich bei der polizeilichen Nachsuche allerdings keine Kleidungsstücke.
Ablauf der Tat laut Urteil
Frau Hartung war laut Urteil gegen Mitternacht, nach einem Streit mit der Mutter über ein zerbrochenes Bild, zu Bett gegangen und hatte dabei ihren Verlobten angerufen, um sich wie schon öfters über die überstrenge Mutter, der sie nichts recht machen könne, zu beschweren. Sie habe jedoch nur dessen Mailbox erreicht und dort eine Nachricht von bis heute unbekanntem Inhalt hinterlassen.
Vor 3:00 Uhr nachts sei sie aufgestanden, aus ihrem Schlafzimmer im 1. OG die Treppe herunter ins EG und durch die Tür, die vom Bad aus in die Küche führt (Abb. 5), zum Sofa gegangen, auf dem die Mutter gelegen habe. Das Messer habe sie aus dem Raum mit der verspiegelten Tür, die ebenfalls vom Bad abging, aus einem Messerblock gegriffen, um dann 47 mal auf die Mutter einzustechen. Anschließend habe sie das Messer kurz abgewaschen, es wieder in den Holzblock hinter der verspiegelten Tür gesteckt und sei zu Bett gegangen.
Das Gericht nahm an, dass die Tat geplant gewesen sei. Die Möglichkeit zur Ausführung der Tat, Ortskenntnis und die Kenntnis über die Persönlichkeit des Opfers gepaart mit dem Wunsch, sich nach 54 Jahren aus der Kontrolle der strengen Mutter zu befreien, seien dabei die Rahmenbedingungen gewesen. Frau Hartung habe sich ständig gegenüber Freunden darüber beschwert, wie häufig sie sich um die 150 km entfernt wohnende Mutter kümmern müsse. Zudem habe ein Zwist über den Verlobten von Frau Hartung vorgelegen, der in den Augen der Mutter „als Italiener" nicht gut genug für ihre Tochter gewesen sei. Die Überwucht der 47 Messerstiche lasse auf eine enge emotionale. Beziehung zwischen Täter und Opfer schließen, was auf die vorliegende Mutter-Tochter-Verbindung zutreffe. Aus dieser Kette an Indizien und Meinungen wurde der Mord als bewiesen festgestellt.
Juristische Schritte nach der Verurteilung
Es wurde fristgerecht Revision sowie acht Monate später eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. Es wurden die Verletzung von Verfahrensrecht sowie die Verletzung materiellen Rechts, also die Strafnorm selbst und die Frage, ob deren Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, gerügt. Das Revisionsgericht lehnte die Verletzung von Verfahrensrecht jedoch ab. Ebenso wurde keine Verletzung materiellen Rechts festgestellt: Das LG Würzburg habe aufgrund der im Urteil aufgezeigten Indizienkette den für sich feststehenden Sachverhalt richtig dargestellt.
Als juristische Laien fragten wir uns, ob die Indizien wirklich ausreichten, um den vom Gericht festgestellten Sachverhalt zu rechtfertigen. Wie stark eine Indizienkette sein muss, um letzte Zweifel an der Täterschaft zu beseitigen, ist bei Indizienprozessen natürlich eine problematische Frage. Diese wurde in unserem Fall vom Bundesverfassungsgericht nicht überprüft (Oktober 2004; angeforderte Prüfung der Verletzung von Artikel 103 GG (Anspruch auf rechtliches Gehör) gegen die Beschlüsse des OLG Bamberg zu den Verfügungen des LG Würzburg); es ging im Wesentlichen um die Verletzung von Verfahrensrecht: Die Verfassungsbeschwerde wurde demgemäß abgelehnt.
Die von uns angestrebten kriminaltechnischen Untersuchungen sollten nunmehr zeigen, ob das von der Angeklagten geschilderte Geschehen oder eine andere Variante (unsere Mandantin wollte geschlafen haben) durch neue Sachbeweise untermauert werden konnte, um so die Feststellungen des Urteils zu erschüttern.1
Befunde vor Ort
Das Haus war während der Ermittlungen von der Polizei durchsucht worden. Beblutete Asservate wie Decken und Kissen vom Sofa waren dabei von der örtlichen KTU bzw. dem LKA mitgenommen und untersucht worden. Nach Abschluss der Ermittlungen wurde alles wieder zurück in das Haus gebracht, das seit der Tat nicht mehr bewohnt wurde.
In unserer Nachuntersuchung sollte geprüft werden, ob
eventuelle Blutspuren übersehen wurden und deren Verteilungsmuster auf einen anderen Tatablauf schließen lassen würden;
ein anderes Messer gefunden werden kann, welches ebenfalls an der Tat beteiligt gewesen sein könnte;
1000,- Euro, die am Tag vor der Tat vom Sparkonto abgehoben wurden und seitdem nicht mehr aufgetaucht sind, in etwa hundert nie durchsuchten Geldbörsen oder dutzenden von Schubladen und Koffern gefunden werden können;
eine Nachstellung in der Originalsituation mit den Originaldecken — unter denen das Opfer gelegen hatte — und dem Originalsofa erklärt, warum an der Wand, der Raumdecke und allen umstehenden Gegenständen trotz der starken Gewalteinwirkung absolut keine Blutspritzer entdeckt worden waren.
Blutspuren: Im gesamten Umfeld um und hinter dem Sofa an der Wand fand sich kein einziger Blutspritzer, weder durch stichprobenartige Tests mit Blutschnelltest-Sticks noch durch die Untersuchung mit hellem Licht. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Flächen gereinigt wurden, da sie mit einer Überfülle kleiner Gegenständen behangen waren, die alle einzeln hätten abgenommen und gereinigt werden müssen. Keine der zugangsberechtigten Personen gab an, nach der Tat geputzt zu haben. Allerdings stand beispielsweise ein Tischchen mit dem Gebiss der Toten scheinbar unverändert noch vor dem Sofa, was aber räumlich die Tat nahezu unmöglich gemacht hätte. Irgendjemand (Polizei? Angehörige?) hatte also zumindest größere Gegenstände im Raum verschoben und beispielsweise auch ein Kissen mit einem Kniff versehen und auf das Sofa gestellt (Abb. 6).
Eine Durchsuchung des gesamten Hauses unter Verwendung von Blutschnelltests2 an allen rötlich-braunen Anhaftungen zeigte an vielen Oberflächen eine Reaktion, zum Beispiel an einem Paar Lederhandschuhe aus einer Schublade der Kommode, die direkt neben der Durchgangstüre zum Tatzimmer, sehr nahe am Kopf der Leiche, stand, die durch einen Raum von der Haustüre ausgehend aus zur Küche führt. Zudem fanden wir an der Klinke der Tür, die direkt neben der Haustüre zum Kommodenzimmer abgeht, also erneut sehr nah am Kopfende der Leiche, mögliche Blutspuren (Abb. 7). Diese waren von vorigen Untersuchern nicht bemerkt und daher auch nicht asserviert und DNA-typisiert worden.
Weitere blutverdächtige Anhaftungen wurden unter anderem an Hausschuhen in Frau Hartungs Schlafzimmer (Abb. 8) und an einem Lichtschalter am Aufgang zum 1. OG (Abb. 9) gefunden. Auch hier ist bislang unbekannt, ob und um wessen Blut es sich handelt, da niemand Geld für die Untersuchung zur Verfügung stellt.3
Messer: Bei der Hausdurchsuchung war zwar auffällig, dass an sehr vielen Stellen viele verschiedene Arten von Messern gefunden werden konnten, darunter auch an Magnethaltern sehr nah am Fundort der Leiche (Abb. 10). Jedoch war keins der von uns gefundenen Messer versteckt oder sonstwie (offensichtliches Blut, Sofaritze o. ä.) der Tat zuzuordnen. Eine andere mögliche Stichwaffe wurde also nicht sicher festgestellt. Allerdings stand auf einem Esstisch direkt neben der Leiche eine schwere Metall-Vase mit blutverdächtigen Anhaftungen (Abb. 11).
Geld: Wir fanden kein Bargeld (nicht einmal lose Pfennige oder Cent-Stücke), obwohl das Opfer erstens am Tag vor der Tat (zusammen mit der Tochter) tausend Euro abgehoben hatte und laut Frau Hartungs Aussage zweitens an mehreren Orten im Haus Bargeld versteckt haben sollte. Das gesamte Haus wurde von unserem Team mehrere Tage lang sehr gründlich durchsucht, ohne dass Geld, Schecks, EC-Karten oder ähnliches zum Vorschein kamen.
Experimente: Zur Nachstellung des Tathergangs wurde eine Kissenfüllung aus Schaumstoff mit Schweineblut getränkt, mit zusammenhängenden Schweinerippen bedeckt und eine Plastiktüte darüber gezogen. Die Bedeckungssituation wurde wie im Ermittlungsbericht beschrieben mit den Originaldecken auf dem echten Sofa hergestellt. Mit einem in Länge und Form dem Tatmesser ähnlichen Messer aus dem Tat-Haushalt wurde von einer 26-jährigen Frau mit ähnlicher Statur wie Frau Hartung versucht, 47 mal auf das „Modell" einzustechen. Obwohl die junge Frau sportlich war, musste sie nach etwa der Hälfte der geplanten Stiche wegen Erschöpfung abbrechen.
Es könnte sein, dass das verwendete Messer während der langen Nicht-Benutzung an Schärfe verloren hatte oder aus anderen Gründen besonders unscharf war. Es war aber auch mit weiteren, von uns neu gekauften Messern aus Messerblöcken mühsam, durch die Wolldecken und Steppdeckenschicht (synthetische Füllung) zu stechen, da eine Federwirkung von denselben ausging, die ein tiefes Ein-dringen des Messers bis zu den Rippen extrem erschwerte. Der oder die Täter/in muss also stark und zumindest in einem Arm sehr gut trainiert gewesen sein.
Die fehlenden Blutspritzer erklärten sich experimentell dadurch, dass das Messer bei jedem Herausziehen durch die Steppdeckenschicht regelrecht abgewischt wurde, so dass beim erneuten Heben des Arms Schleuderspuren ausblieben. So verblieben nahezu alle Blutanhaftungen in der Deckenfüllung (Abb. 12).
Mit einem neuen sehr scharfen Messer mit ähnlicher Länge wurde der Test dann von einer kräftigen männlichen Person wiederholt. Diese schaffte es zwar 47 mal zuzustechen, war aber ebenfalls anschließend sichtlich angestrengt. Es konnte mit diesem Versuchsaufbau gezeigt werden, dass unter Extrembedingungen auch die Rippen durchstochen werden können — wenn genug Kraft vorhanden und das Messer scharf genug ist.
Unsere weibliche Versuchsperson berichtete am nächsten Tag von starkem Muskelkater im gesamten Arm, der bei der verurteilten Frau Hartung nicht beobachtet worden war.
Abwaschreihe: In einer Abwasch-Serie wurden neu gekaufte Messer in Blut getränkt und nach unterschiedlich langer Trockenzeit abgewischt. Da das Tatmesser samt Blutanhaftungen im Messerblock gefunden wurde, das Gericht aber ausdrücklich ein Abwaschen angenommen hatte, sollte dieses Experiment zeigen, unter welchen Umständen nach Abwaschen einer Klinge noch erkennbare Blutanhaftungen sichtbar bleiben.
Wir bebluteten daher Messer aus einem neu gekauften Messerblock mit wenig frischem Schweineblut (Anschmierungen) und ließen diese dann stufenweise (eine Minute bis 25 Minuten) trocknen, bevor wir sie in Wasser tauchten und in den hölzernen Messerblock zurück zu stecken. Dabei zeigte sich, dass ein Messer vor Zurückstellen in den Messerblock mindestens zehn Minuten trocknen muss, um wie das Tatmesser nach dem Herausziehen noch mit dem bloßen Auge erkennbare Beschmierungen aufzuweisen. Andernfalls verblieb das Blut im Schlitz dieses Messerblockes.
Desweiteren stellte sich für uns die Frage, wie das Messer trotz massivster Gewaltausübung am Griff kein auswertbares DNA-Profil aufweisen konnte, das eindeutig einem Täter zuzuordnen war. Einzige mögliche Erklärungen unter der Annahme, dass es sich um das Tatmesser handelt: a) es wurde nicht das ganze Messer gründlich abgewaschen, sondern nur der Griff oder b) es wurden Handschuhe verwendet.
Was passierte danach?
Alle gefundenen Spuren und Asservate wurden von uns fotografiert, verpackt und versiegelt. Sie liegen bis heute bei uns im Labor. Ein umfassender Bericht wurde an Frau Hartung gesendet mit der Bitte um Anmerkungen zur weiteren Vorgehensweise. Es wurde ihr beispielsweise vorgeschlagen, die Blutantragungen typisieren zu lassen, um möglicherweise neue Personen in das Verfahren einzuführen.
Besonders interessant erscheint uns bis heute der Handschuh mit rötlichbraunen Antragungen, der zudem auch defekte Leder-Anteile (wie von Schnitten?) aufweist sowie das mögliche Blut auf der Tür-Klinke, beides aus der direkten Nähe des Kopfes der toten Person. Wir haben dennoch nie wieder etwas von der Sache gehört. Behördlich ist niemand zuständig, und die verurteilte Frau sowie ihre Angehörigen haben kein Geld mehr.
Gedanken im Nachgang
Frau Hartung wurde aufgrund von Indizienbeweisen – ohne objektive Spuren – zu 15 Jahren Haft verurteilt. Es gab keinen direkten Beweis für ihre Täterschaft oder eine Tatbeteiligung. Ihre bloße Anwesenheit in der Tatnacht, das angeblich „geschlossene" Haus, die theoretische Möglichkeit, die Tat begangen haben zu können, sowie das als bewiesen angesehene Motiv, sich von der dominanten Mutter befreien zu wollen, reichten für eine Verurteilung aus.
Da Indizienprozesse problematisch sein können4, fragten wir uns, ob es neben den neu entdeckten Spuren noch andere Hinweise darauf geben könnte, die den Fall verständlicher machen. Dabei stießen, wir, ohne dies in der Tiefe ausführen zu wollen, auf folgendes:
Muttermord ist bei Frauen ausgesprochen selten und wird nahezu ausschließlich bei Söhnen beobachtet; er geht meist mit Schizophrenie einher5. Ein zugezogener Sachverständiger (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) hatte keine Gelegenheit die Angeklagte zu untersuchen, weil Frau Hartung dies ablehnte. In der Hauptverhandlung sagt der Facharzt aus den Akten heraus, er habe keine konkreten Anknüpfungspunkte gefunden, die das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung belegen würden.
Eine Studie aus England6 beschäftigte sich mit Frauen, die ihre Eltern getötet haben. Es wurden 17 Elternmorde (14 Muttermorde, 3 Vätermorde) untersucht, die zwischen 1972 und 1986 begangen wurden. Die Täterinnen waren entweder im Gefängnis, einer Klinik oder einer regionalen Sicherheitseinheit. Sechs der Täterinnen waren schizophren, fünf hatten psychotische Depressionen, drei hatten Persönlichkeitsstörungen und eine war Alkoholikerin. Zwei der Täterinnen der Vatermorde hatten keine Persönlichkeitsstörungen, sondern rebellierten gegen einen gewalttätigen Vater.
Unabhängig von der psychiatrischen Diagnose lebten alle Muttermörderinnen als Single und waren sozial isolierte Frauen mittleren Alters, die allein mit ihrer dominanten Mutter in einer reziprok abhängigen, aber dennoch feindlichen Beziehung gelebt haben.
Frau Hartung war dagegen seit über 30 Jahren von zu Hause ausgezogen, lebte nach einer Scheidung seit 10 Jahren in einer festen Beziehung (Verlobung) und war beruflich und sozial als Lehrerin normal eingebettet. Sie kümmerte sich zwar ausgiebig um ihre Mutter, die auch auf viel Zuwendung bestanden hatte, es lag jedoch weder eine erkennbare gegenseitige Abhängigkeit vor, noch eine echte Feindschaft zwischen Mutter und Tochter. Sie hat während der gesamten Verhandlung geschwiegen, weswegen alle von ihr gemachten Aussagen durch die Ermittlungsbeamten eingeführt wurden. Dies wurde ihr vom Richter und der Staatsanwaltschaft nachteilig ausgelegt.
Der leitende Oberstaatsanwalt sagte aus Anlass seiner Verabschiedung aus seinem bisherigen Zuständigkeitsbereich später im regionalen Fernsehen auf die Frage, welcher Fall ihm besonders im Gedächtnis geblieben sei: „Der Muttermord in Amstein: In dem Fall werden Emotionen angesprochen. Markant war das unglückliche Verteidigungsverhalten dieser Lehrerin, jedenfalls aus der Sicht der Staatsanwaltschaft, so dass also aus meiner Sicht hier Gesichtspunkte nicht berücksichtigt werden konnten, weil sie von der Angeklagten nicht selbst vorgebracht wurden, die sie etwas mehr entlastet hätten".
Dies steht nach Meinung unserer Auftraggeber im Gegensatz zur Unschuldsvermutung, nach der der Angeklagte nicht seine Unschuld, sondern die Strafverfolgungsbehörde die Schuld beweisen muss. Der Schuldbeweis ist aus unserer sehr fachspezifischen (objektive Spuren), unjuristischen Sicht in der Tat nicht er-bracht worden, sondern im Gegenteil: aussagekräftige Sachbeweise, nämlich die Analyse der DNA Spuren, deuten bisher vielmehr auf eine Nicht-Beteiligung an der Tat hin: Abwesenheit von Frau Hartungs DNA an der Leiche und der Tatwaffe, in Fragmenten männliche DNA am Griff der Tatwaffe, Abwesenheit der DNA des Opfers an Fingernägeln und Kleidung von Frau Hartung sowie keinerlei Faserübertragung zwischen Opfer und Angeklagten.
Eine Nachtypisierung der am Messergriff abgeriebenen Spuren könnte heute eventuell ein vollständigeres Profil liefern und sowohl auf Übereinstimmungen mit Profilen der DNA-Datenbank des BKA als auch auf Übereinstimmungen mit Personen aus dem näheren Bekanntenkreis abgeglichen werden. Es könnten auch die rötlich-braunen Spuren an den von uns gefundenen Handschuhen getestet werden; bei positivem Ergebnis könnte sodann eine DNA-Typisierung des Blutes sowie des Inneren des Handschuhs durchgeführt werden. Die Handschuhe und weitere Blutantragungen auf einer Türklinke wurden zudem an Stellen gefunden, die nicht auf dem laut Urteil von Frau Hartung genommenen Weg von ihrem Schlafzimmer zum Opfer und wieder zurück lagen. Hier wäre ein Typisierung des Blutes an der Türklinke also auch wünschenswert.
Auch unser Abwaschexperiment wirft Fragen zu dem im Urteil angeführten Tatablauf auf. Wenn tatsächlich bis zu zehn Minuten vergehen müssen, bis trotz Abwaschen des Messers noch Blutreste an der Klinge haften, was ist in den zehn Minuten geschehen? Hat vielleicht der Täter nach etwas gesucht? Eventuell nach 1000 Euro, die seit der Tatnacht spurlos verschwunden sind?
Ein weiteres Indiz für das Gericht war der Fund des Tatmessers in der Speisekammer, die an das Badezimmer angrenzt und durch eine verspiegelte Tür geschlossen werden kann. Diese Tür war geschlossen, als die Polizei die Wohnung durchsuchte. Daher ging das Gericht davon aus, dass ein Fremder die Tat nicht begangen haben kann, da er die Tatwaffe dort nächtens nicht gefunden haben könnte. Bekannte und Besucher der Familie wussten jedoch nach eigenen Angaben von der Kammer, deren Tür nahezu immer offen gestanden habe, so dass nicht Frau Hartung allein die erforderlichen Tatortkenntnisse besaß. Zudem drängt sich die Frage auf, wie die Polizei ein Wirken Dritter am Tatort ausgeschlossen hat, da sie nicht nach Fingerspuren unberechtigter Personen gesucht hat.
Lediglich angeblich fehlende Einbruchspuren führten zu diesem Schluss. Jedoch hatte ein Bekannter, der am Tattag noch im Haus war, auch einen Schlüssel für den Garten. Was, wenn die Hintertür vom Garten ins Haus doch nicht von Frau Hartung am Morgen auf dem Weg zum Arzt geöffnet wurde, sondern von einer anderen Person, die den Schlüssel besessen hatte, beispielsweise um die zeitweise nachweislich mit Nachbarn gemeinsam benutzte Mülltonne im Garten zu erreichen?
Zudem war allen Bewohnern des Dorfes bekannt, dass unter der Jalousie der Haupt-Eingangstür der Türschlüssel griffbereit lag — man musste sich noch nicht einmal bücken, um an ihn zu gelangen. Sinn dieser Bereitstellung war, dass die jetzt tote Person sich über Besuch sehr freute, aber gehbehindert war und daher die Tür nicht zügig selbst erreichen konnte.
Schluss
Die zu Verurteilung führende Indizienkette scheint uns als reinen Spurenkundlern merkwürdig. Der deutliche Mangel an Sachbeweisen hat das Gericht aber nicht in seiner Überzeugung über die Täterschaft von Frau Hartung erschüttert.
Auf uns als Naturwissenschaftler wirkt die Indizienkette eher wie eine Hinweiskette. Das einzige Indiz, das für eine Tatbeteiligung spricht, ist die Anwesenheit von Frau Hartung am Tatort. Die weiteren vom Gericht genannten Indizien, wie die dominante Mutter, die Streitigkeiten wegen Belanglosigkeiten und die Ablehnung des italienischen Verlobten durch die Mutter sind aus spurenkundlicher Perspektive bloß die Auslegung subjektiver Beobachtungen und eher als Hinweise zu werten.
Jeder, der mehrere Jahre in einem ähnlich kleinen Örtchen gelebt hat, wie dem, in dem die Tat passiert ist, kennt auch die Dynamik, die der Meinungsbildung zugrunde liegt, etwa die starke gegenseitigen Beeinflussungen durch Tratsch sowie die Sticheleien, die eine allein lebende 80-jährige Frau eventuell gegenüber Nachbarn und Verwandten über die einzige nahe Angehörige, v. a. wenn sie weit entfernt lebt, äußern kann.
Es ist dennoch keineswegs ausgeschlossen, dass Frau Hartung die Tat begangen hat. Auch sind unsere Auslegungen der Hinweise nicht die einzig möglichen.
Jedoch zeigt sich in diesem speziellen Fall, dass die Bewertung der Indizien hier unnötig und überstark im Auge des Betrachters liegt. Aus unserer juristischen Laiensicht zeigt der Fall, dass objektive Sachbeweise entgegen populärer Annahmen („C.S.I.-Effekt") noch immer ungenügend gewürdigt werden7 und dabei Verurteilungen mit langen Haftstrafen entstehen können, die für Laien, aber auch naturwissenschaftliche Kriminalisten nicht leicht nachvollziehbar sind.
Dank
Das Team bestand (alphabetisch) aus den Autoren sowie Julia Gehrisch, Maria Geppert, Birgit Klesser und Martin Pal.
Mail-Kontakt: forensic@benecke.com
Anmerkung der Redaktion: Die Falldarstellungen werden in der nächsten KRIMINALISTIK mit Teil 2 und Teil 3 fortgesetzt.
Anmerkungen
1 Nur unter der Voraussetzung neuer entlastender Beweise kann eine Wiederaufnahme des Verfahrens erzielt werden.
2 Hämastix (3,3',5,5'-Tetramethylbenzidin/Diisopropylbenzoldihydroperoxid)
3 Der Verlobte von Frau Hartung hat seine gesamten Ersparnisse zugunsten seiner Verlobten für Anwälte ausgegeben.
4 Erich Sello: Die Irrtümer der Strafjustiz und ihre Ursachen. Erster Band: Todesstrafe und lebenslängliches Zuchthaus in richterlichen Fehlsprüchen neuerer Zeit. Decker/Schenck, Berlin, 1911; Fritz Roth: Ein Justizirrtum? Der Giftmordprozeß Riedel-Guala. Aus den Dokumenten für seine Revision. Zürich, Leipzig, Orell Füssli, 1929; Rolf Boss/Friedhelm Werremeier: Ich fordere Recht. München, Gütersloh, Wien, Bertelsmann 1975; Helmut Ortner: Zwei Italiener in Amerika: Der Justizmord Sacco und Vanzetti. Rastatt, Moewig, 1988; Michael Farin: Heroine des Grauens: Elisa-beth Bathory. München, Kirchheim, 1989.
5 Bluglass R (1979) The psychiatric assessment of homicide. Br 1 Hosp Med 22:366-77; Chiswick D (1981) Matricide. Br Med i 283:1279-80.
6 d'Orban PT, O'Connor A (1989) Women who kill their parents. Br J Psychiatry 154:27-33. 7 Die Gründe dafür könnten teils mangelhaft - teils nur drei Stunden lang - spurenkundlich geschulte Beamten vor Ort, die juristische Notwendigkeit, auch Abstracta als Tatsachen aufzufassen oder vor Gericht keine neuen Anträge zu genehmigen sowie schlicht finanzielle und zeitliche Not sein. All dies ist nicht Gegenstand unseres Fallberichtes.
Geilenkirchener "Bar-Mord"
2007-10-06
Quelle: Aachener Zeitung, 6. Oktober 2007, S. 5, Region Rhein-Maas
"Ich arbeite nur im Dienst der Wahrheit"
Der Kölner Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke zur Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Klaus Günter S. aus Geilenkirchen
KÖLN/AACHEN. Der Tatort: "Nadias", ein Nachtlokal mit Bordellbetrieb in Geilenkirchen-Niederheid. Die Opfer: zwei Männer, ein Niederländer und ein Kanadier. Der Täter: Der Barbesitzer Klaus Günter S. Das Motiv: Eifersucht. Das Urteil: Einmal Mord, einmal Totschlag - lebenslänglich mit einer besonderen Schwere der Schuld. All das ist nun über zehn Jahre her. Im Aachener Landgericht wurde der Prozess 1997 unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen verhandelt. Leibesvisitationen, Schleusen, Sondereinsatzkommandos waren an der Tagesordnung. Nun ist alles hinfällig. Klaus Günter S. könnte in wenigen Wochen ein freier Mann sein.
Nach gescheiterten Wiederaufnahmeversuchen hat S.' Anwalt Norbert Hack aus Eschweiler Verfassungsbeschwerde eingelegt. Mit dem Ergebnis, dass das Bundesverfassungsgericht wegen Verfahrensfehlern sämtliche Urteile aufgehoben hat und der Prozess am Landgericht Köln neu verhandelt werden muss. Die ersten beiden Anhörungen sind für den 10. und 15. Oktober angesetzt. Als einer der Sachverständigen, die Beweise liefern wollen, dass es kein Mord, sondern Totschlag war, ist auch der aus dem Fernsehen bekannte Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke geladen - auch bekannt als "Madendoktor". "Wir haben herausgefunden, dass der erste Schuss nicht in den Rücken ging, also keine Heimtücke, das heißt wiederum kein Mordmerkmal besteht", erklärt der 37-Jährige im Gespräch mit unserer Redakteurin Sabine Kroy.
Herr Dr. Benecke, macht es ihnen eigentlich nichts aus, einem 1996 als Mörder verurteilten Mann zu helfen?
Mir ist es egal, wer jemand ist. Ich helfe auch niemandem persönlich. Ich arbeite nur im Dienst der Wahrheit - also weder für die Dicken noch für die Dünnen, weder für die Gladbacher, noch für die Aachener. Welches Schicksal hinter einem Fall steht, geht mich nichts an. Ich arbeite mit Priestern, Vergewaltigern, Vampiren, Nebelgeistern und Rechtsanwälten. Die sind, wie sie sind, die Leute ... Mein Maßstab sind nicht die Schicksale, sondern die Wahrheit - sonst nichts.
Sie sind bekannt aus Fernseh-Serien wie "Medical Detectives", "Autopsie","SK Kölsch" und"Richterin Barbara Salesch". Wie kommen Sie zu einem unspektakutären Fall wie dem des Klaus Günter S. aus Geilenkirchen?
Die Schwester von Klaus S. kam auf mich zu. Der Fall ist auch nicht unspektakulär: Für mich sind alle Fälle gleich interessant. Privataufträge übernehme ich als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger sowieso immer gerne, das macht mir Spaß. Man kann sich das vielleicht so vorstellen: Wenn es im Roman irgendwo nicht mehr weitergeht, gehen die Menschen zu Sherlock Holmes. Ich vergleiche mich natürlich nicht mit Holmes, aber ähnlich ist es schon: Wenn eine Blockade im System ist, kommen die Auftraggeber zu mir - aus jeder Bildungsschicht und mit jeder Art von Todsünde. Die Geschichten und Gerichtsurteile, die diese Leute mitbringen, können auf Fehlannahmen beruhen - oder auch nicht. Die Schwester von Klaus Günter S. hat jedenfalls was drauf: Sie lieferte stets sachliche Argumente.
Was ließ Sie an der Richtigkeit des Urteils zweifeln?
Die Schussreihenfolge. Das hat S. offenbar auch am meisten geärgert. Wie sie in der Urteilsbegründung steht, ist sie tatsächlich falsch. S. ist so gestrickt, dass er nicht im Knast vergammeln will. Er sagt: Es war auf keinen Fall Mord. Er findet das Urteil total ungerecht.
Alte vorherigen Urteile sind mittlerweile aufgehoben, so dass der Fall von Klaus S. komplett neu verhandelt werden muss. Wie haben Sie das erreicht?
Wir haben nur bewiesen, dass der erste Schuss nicht in den Rücken abgegeben wurde, so dass das Mordmerkmal der Heimtücke wegfällt. Das Opfer Peter H. muss nach dem ersten Schuss noch gestanden haben. Das wäre nicht möglich, wenn der erste Schuss den Rücken mitsamt Wirbelsäule getroffen hätte. Um den Aachener Rechtsmediziner Dr. Achim Schäfer zu zitieren: "Das ist, als wenn man vom Elefanten getreten wird." Außerdem ist das Blut nicht auf die Theke gespritzt, sondern getropft. Das heißt, dass das Blut nicht von der niedrig gelegenen Rückenschusswunde kommen kann. Es muss ausgehustet worden sein, und zwar infolge des Lungenschusses: Das Projektil trat dabei durch den Arm in den Brustkorb ein. Dadurch lief Blut in die Lunge und löste einen Hustenreflex aus.
Wie haben Sie das getestet?
Zusammen mit meiner Assistentin Saskia Reibe habe ich Experimente bei mir im Flur gemacht, wo wir die Theke nachgebaut hatten. Mit verschiedenen Elementen haben wir dann auf Blutbeutel und -lachen eingeschlagen und uns die entstehenden Blutspritzer angeschaut. Am Tatort fand man übrigens noch Glassplitter auf dem ausgehusteten Blut. Das bedeutet, dass der Schuss, der den Spiegel unter der Decke zerstört hat, nach dem Arm/Brustschuss abgegeben worden sein muss - sonst lägen die Spiegelscherben nicht auf dem Blut. Das heißt zugleich, dass der Rückenschuss auf keinen Fall der erste gewesen sein kann.
Sie waren sogar, um den Tatort exakt rekonstruieren zu können, in Geilenkirchen in dem Nachtlokal?
Ja, wir haben dort schon sehr früh den Thekenraum vermessen, beim zweiten Mal sogar mit Laser. Der zerschossene Spiegel unter der Decke ist immer noch da, nur das Projektil wurde leider von irgendwem unschön herausgeprokelt. Das ist wie im Wilden Westen da, und ich war sehr erleichtert, dass die neuen Besitzer des Ladens uns Zugang gewährt haben. Wir haben uns also umgeschaut: Was kann man überhaupt wahrnehmen, wie viel versperrt die Sichtblende? Wie schummerig ist das Licht, für wie viele Personen ist Platz im inneren Thekenbereich?
Aber es hieß doch auch immer, dass S. den Tatort verändert haben soll. Sind die Beweise dann überhaupt stichhaltig?
Die mögliche Einwirkung von Polizei, Rettungsdienst und Herrn S. auf den Fundort hat unsere Arbeit zumindest nicht behindert.
Die Beweise scheinen tatsächlich gereicht zu haben. Das Verfassungsgericht hat die Urteile aufgehoben.
Das Verfassungsgericht hat in den bisherigen Verfahren Fehler erkannt. Dem Aachener Gericht war offenbar die Heimtücke besonders wichtig. Wir zeigen, dass der erste Schuss eben nicht in den Rücken gegangen ist und das Opfer also wohl nicht arglos war.
Sie sind zu den Terminen beim Landgericht Köln als Sachverständiger geladen. Wäre die ganze Arbeit für die Katz', falls das Gericht die Beweise nicht anerkennt?
Nein, das ist mir völlig egal. Na gut, das ist das falsche Wort. Aber ich bin letztlich nur der Mann für die Spuren und die Tatortrekonstruktion. Für mich gibt es kein Ziel außer der reinen, schon fast autistischen Wahrheitsfeststellung. Wie das Gericht urteilt, ist für mich irrelevant, weil Wahrheit und Gerechtigkeit zwar verschwägert, aber sicher nicht blutsverwandt sind.
In Geilenkirchen, so sagt man, sähen viele Menschen S. lieber hinter Gittern.
Wenn S. nur noch wegen doppelten Totschlags verurteilt werden würde, wäre er wegen der langen bisherigen Haft im Prinzip ein freier Mann. S. weiß bestimmt, dass er sich nichts erlauben kann. Es gibt unabhängig davon natürlich in jedem Fall Vorhänge, die man noch aufziehen kann. Bei S. gibt es vielleicht auch welche. Ich halte Mutmaßungen aber grundsätzlich für ganz trübe Leitsterne. Mir sind klare und objektive Beweise lieber.
Kriminalistik: Einsatz von übersinnlichen Fähigkeiten
Nicht oft, aber regelmäßig, trudeln bei uns im Labor Nachfragen ein, ob wir bei Kriminalfällen die Hilfe von "Medien"-Menschen, die übersinnliche Fähigkeiten besitzen - einsetzen.
Read MoreLenins Leichenzustand
2013 Osteuropakanal Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Quelle: Wissenschaftsmagazin "Osteuropakanal" der Albert-Ludwigs-Universität | Feuilleton
Interview: Ronald Wendorf
RW: In welchem Zusammenhang warst Du bei Lenin?
MB: Der Fernsehsender National Geographic TV wollte die Frage klären, ob man sicher sagen könne, ob der vermeintliche Schädel sowie die Zähne Hitlers echt seien. Diese lagerten in Moskau, während Hitlers Leiche in Berlin gefunden worden war und danach in Magdeburg begraben wurde. Das war ein bisschen merkwürdig.
Der damalige Militärgeheimdienst SMERSCH war zudem 1945 an der Sache leitend beteiligt. Natürlich lügen Geheimdienste, das ist ihr Job. Deshalb wollten wir schauen, was man objektivieren kann. Im Zuge dessen kam ich an die Leiche Lenins. Wahrscheinlich wollte der Fernsehsender ein paar Stimmungsbilder. Für diesen schienen Stalin, Lenin und Hilter eine Mischpoke zu sein.
RW: Der Fernsehsender lud also zur Leichenschau ein?
MB: Ich würde nicht unbedingt Einladung sagen. National Geographic suchte einen Experten, der vor Ort erklären kann – was immer man da finden würde. Es war zwar deren Idee, jedoch eine Kooperation. Schließlich hatte ich mich bereit erklärt, ohne irgendwas Konkretes zu wissen und sagte: ‚Okay, wir gucken was wir finden. Dann machen wir das!’ So bin ich mit dem Team ins Leninmausoleum hinein gestolpert. Alles war organisiert, mit Bestechung und soweiter. Jedoch wusste keiner, ob es wirklich klappen würde. Wir kamen rein und das Interessante war, dass man eigentlich nicht lange der Leiche bleiben durfte. Filmen war okay, fotografieren verboten. Mit einer Photokamera hätte man nämlich hochauflösend fotografieren können und die wollten ums Verrecken nicht, dass man die schwarzen Stellen an der Nasenwurzel und zwischen den Fingern sieht. Das weiß ich aber nur vom Präparator. Wirklich sehen konnte ich die Stellen leider nicht. Dazu war zu wenig Zeit. Zudem musst Du Dir vorstellen, dass der Raum in einem rötlich-braunem Licht war. Ich verließ mich auf den Geruch. Denn es roch nach Formalin. Der Sohn des Präparators, der dies dann später selbst wurde, gab mir das Rezept. Dieses konnte ich dann prüfen.
RW: Das Konservierungsrezept funktionierte?
MB: Das Rezept haut hin! Lenin wird in einer Art Taucheranzug unter dem normalen Anzug relativ flüssig gehalten. Zudem wurden zur Fäulnisvermeidung dessen Organe entnommen. Die Leiche hat ein beständiges Vertrocknungsproblem. Dieses resultiert aus dem Begräbnis. Die Leiche war bereits vergraben, aber zum Glück noch im eiskalten Boden.
Ich habe bereits viele Leichenerscheinungen gesehen und kenne etliche Rechtsmediziner, Bestatter wie auch Kriminalbiologen: aus diesem Blickwinkel lässt sich die Leiche besser erklären. Laien hingegen halten die Leiche für eine Wachsfigur oder ähnliches. Das stimmt aber nicht.
RW: Welchen Aufwand muss man betreiben um die Mumie im derzeitigen Zustand zu erhalten?
MB: Man muss einen schweinemäßigen Aufwand bereiben. Der Hauptaufwand bestand darin, die Bakterien und die Vertrocknungen zu beheben. Das machte damals ein Anatom. Ihm hielt man am Abendbrotstisch eine Knarre an den Kopf und befahl ihm: ‚So, auf nach Moskau. Du siehst ja was Du an Deinem Kopf hast!’. Dieser Anatom bekam Lenin ganz gut hin. Danach begann jedoch der konservatorische Aufwand. Nach den Erzählungen vom Mausoleumpersonal und meiner Erfahrung nach muss man mindestens einmal die Woche komplett an die Leiche ran. Sauber machen, Flüssigkeiten wechseln, Anpassungen machen – das ist eine enorme Arbeit. Ein Museum bauen ist schön, aber ein Museum zu unterhalten ist dann nicht mehr so schön. Hinten im Leninmausoleum ist ein kleines Labor. Das ist richtig Arbeit.
RW: Wie hat der Chef-Präparator über sein Leichenwerk Lenin gesprochen?
MB: Vorab, die Übersetzer halfen in den Gesprächen. Das Präparatorenteam erzählte, dass es vor allem nervtötend sei. Sie kamen wie Jungfrauen zum Kinde. Durch die vielen politischen Verwicklungen hatte sie eigentlich viel Ärger. In der Stalinzeit konnte es gerade gut sein, dass man dort mitgearbeitet hatte und ein anders Mal war es doch schlecht. Je nachdem wie Stalin gerade drauf war. Nicht immer konnte man die Leiche so konservieren, wie es gewünscht war. Es war wohl wie ein Geist, den man nicht gerufen hatte. Man konnte nicht nein sagen und er blieb und ging nicht weg.
RW: Gibt es vergleichbare Mumien?
MB: Nein, solche gibt es nicht mehr. Die sind alle bestattet oder kremiert. Für Lenin gibt es kein Vergleichsobjekt mehr. Es gab eine Reihe von russischen Mafiamitgliedern, die jedoch meinem Wissen nach alle bestattet worden sind. Da geht es nur um den extrem guten Erhaltungszustand bei der Bestattung, und den Wohlstand zu zeigen, dass man sich solch ein Verfahren leisten könne. Selbst wenn die Mafiosi noch in den Mausoleen liegen sollten, sind sie nicht mehr öffentlich einsehbar. Ein Bestatter in New York macht noch eine Silikon-Konservierung. Das Besondere dabei ist, dass die Leichen gewünschte Gesichtszüge annehmen können. Sie lächeln beispielsweise. Aber eigentlich ist er der Letzte, der sich überhaupt noch ansatzweise mit einer dauerhaften Konservierung beschäftigt.
Ich war in Palermo und die Kapuzinermönche dort pflegen die Mumie heute nur wegen des Geldes. Das merkt man. Deren Mumiengruft bezeichnen sie ja auch als Friedhof. Sie könnten ihn dicht machen und sagen: ‚Okay, wenn er zerfällt, zerfällt er.’ Das ist halt Asche zu Asche und Staub zu Staub. Aber sie machen es für die Touristen. Ich kenne keine Leute mehr, als vll. in kleinen Dorfgemeinschaften, die sich dafür interessieren würden. Das ist irgendwie nicht mehr so hip.
RW: Es gibt einfach weniger Personenkult und zu wenig Markt dafür?
MB: Ja, es ist unmodern sich mit dem Totenthema auseinanderzusetzen. So lange es ein bisschen spannend und gruselig ist, ist es okay. Aber selbst möchten die Leute im täglichen Leben nichts mehr damit zu tun haben.
RW: Wie funktionierte das konkret bei Lenin? Das Blut wurde durch eine Konservierungsflüssigkeit ersetzt?
MB: Ja, genau. Das kannst Du rausdrücken oder raus laufen lassen. Mit einer formalinhaltigen Lösung werden die Körperflüssigkeiten ausgetauscht. Das ist keine große Arbeit. Das ist lange bekannt. Im Grunde stellst Du ein großes Gefäß etwas höher als die Leiche und setzt eine große Nadel in eine dicke Ader. Mit der Zeit läuft alles raus. Danach ist wichtig die Organe zu entnehmen, Ronald. Das dient der Langzeitlagerung, da die Organe sich ebenfalls zersetzen würden oder andere Probleme machen könnten. Man muss es nicht unbedingt, aber es ist auch nicht sehr kompliziert.
RW: War beim Besuch der Leichenfall an sich für Dich interessant oder hast Du in irgendeiner Weise eine weltpolitische Aura gespürt?
MB: Nein. Ich fand lediglich den Fundort interessant. Es ist so ähnlich wie hier: wir beide sitzen auf diesem roten Teppich. Wenn nun rote Spuren darauf kämen, wäre das scheiße. Die Frage ist dann, wie man das sichtbar machen kann. Das hatte ich mir auch im Mausoleum überlegt. Ich fragte mich, wie ich eine hochauflösende Fotografie in diesem rötlich-braunen Licht machen könnte, um die Abtrocknungen und Unterschiede der Verfärbungen sichtbar zu machen. Als ich jedoch die Kamera auf den Umlauf stellen wollte, kamen gleich Leute. Es war schlicht nicht erlaubt. Im Prinzip schaute ich mir die Sache wie einen Tatort an, und nicht wie etwas Weltpolitisches. Hinterher erfuhr ich das Theater, dass die KP die Beerdigung verhinderte, weil die Leiche angeblich zum Weltkulturerbe des Roten Platzes gehöre.
RW: Vielen Dank Dir, Mark.
MB: Ich habe Dir zu danken.
Mit herzlichem Dank an Ronald Wendorf für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.
Das Interview als .pdf gibt es HIER
Lesetipps
Spurensicherungskasten für Kinder (2011-01 Blickpunkt)
Quelle: Blickpunkt, Bezirksverband Köln des bdk, Ausgabe 1/2011, Seiten 13 & 14
VON MARK BENECKE
Da das Heulen über mangelnde kriminalistische Ausbildung ja deutlich erkennbar nix hilft, habe ich mal in die Zukunft gedacht und mit der Firma Ravensburger einen Spurensicherungs-Kasten für Kinder gebastelt.
Die Idee war dabei, richtig coole Sachen reinzustecken, die Kids auch wirklich Spaß machen, beispielsweise zur Gewinnung von DNA oder der Untersuchung von Blut-Spuren. Alles andere flog gleich zu Beginn raus.
Damit es nicht zu gruselig wird, stammt die Erbsubstanz natürlich aus zermatschten Äpfeln und das "Blut" ist selbst angerührter Traubensaft mit jede Menge Zucker. Bei der Vorführung auf der Spielwarenmesse Anfang Februar in Nürnberg klappte das prima und die Kids und ich hatten megaviel Spaß.
Allerdings war die nach einigen Stunden entstehende Mischung von Fruchtsäften mit Russ-Pulver und Brennspiritus etwas, ähem, klebrig, so dass die Kinder vor Rückgabe an ihre Eltern mit meterweise feuchten Tüchern gereinigt werden mussten. Aber das gehört eben auch dazu, wenn man echte/r Kriminaltechniker/in ist!
Extremen Wert habe ich auf ein gutes Begleit-Buch mit Tipps aus der Wirklichkeit sowie eine gute Lupe gelegt, weil der Kasten ja irgendwann leer ist und diese beiden Dinge dann als einzige übrig bleiben. Die sehr gute Lupe musste ich mit wirklich aller Willenskraft durchsetzen. Vermutlich denken viele Menschen, dass CSI mit Hubschraubern und High-Tech zu tun hat ... ist aber nicht so: Die Lupe und ein guter Maßstab sind der Schlüssel zum Glück, basta. Die Lupe im Kasten ist so klein wie meine echte, die ich immer dabei habe, schön ohne Rand- und Farbverzerrung. Das heißt, sie ist erstens oho und dürfte zweitens ein Leben lang halten.
Außerdem haben wir schicke Tatort-Kärtchen drucken lassen, die den meinen direkt nachempfunden sind, damit die Kinder gar nicht erst mit Kulis, Münzen und ähnlichem Schrott als "Maßstab" im Foto ankommen. Als kleine Überraschung gibt's noch etwas Knete u für den Fall, dass die Kids mal im Knast Schlüssel nachmachen müssen;) Ach ja, und ein Rezept, wie man Fliegen auf verfaultes Hundefutter lockt. "Man muss aber eine Plastiktüte drunter stellen", meldete eins der Kinder, "damit man es danach leichter wegschmeißen kann". Stimmt!
Was mich am meisten beeindruckte: Schon nach einer Stunde gaben die Kids Sendern vom NDR bis zum russischen ntv professionelle Interviews und Vorführungen über Satellitenspritzer, zerplatzte Zellen sowie Augen und Gabeln in Hautleistenabdrücken. Kein Witz! Das finde ich sehr lässig, und ich freue mich schon auf die Polizei-Anwärter/innen in zehn Jahren, die vielleicht mit dem Kasten fleißig geübt und gesehen haben, dass es bei der Spurensicherung weder Donuts noch Autorennen gibt, dafür aber Pinzetten, Vergrößerungen, Erbsubstanz, Kniffelei und jede Menge Spaß am Detail. Yeah