Interview mit der Letzten Generation, Teil 2: Charly (Charlotte)

Foto: Letzte Generation

Mark Benecke: Liebe Charlotte, kannst du mir mal deine erste und letzte Nacht im Knast beschreiben? Was passierte da?

Charlotte: Ganz ehrlich? Das ist kaum zu beschreiben. Die Straßenblockaden die dem voran gingen waren unglaublich anstrengend. Bevor ich im Gefängnis ankam, wurde ich mehrfach von der Polizei und den Haftrichtern verhört. Also war ich in meiner ersten Nacht total übermüdet und bin erschöpft eingeschlafen. 

Dass ich wirklich im Gefängnis war habe ich erst nach und nach wirklich realisiert. Die ersten Tage war ich isoliert in einer Zelle. Ich hatte eine Stunde am Tag Hofgang, auch alleine. Es drang erst langsam zu mir durch, dass die Türen keine Klinken hatten, dass es viele Kameras gab und dass ich wenig Kontrolle über mein Leben hatte. Beamte konnten jederzeit in die Zelle kommen und mir Ansagen machen. 

Vieles wurde bestimmt: wann es Essen gab, wann ich duschen durfte, wann ich morgens wach werden sollte, wann ich frische Wäsche bekam, … Jetzt, hinterher, weiß ich, dass ich diese Ohnmacht unbewusst verdrängt habe, um mich selbst davor zu schützen.
In meiner letzten Nacht habe ich mich vor allem auf das Rauskommen gefreut, obwohl da auch Sorgen waren. Sorge, dass ich von dem normalen Alltag und all den Entscheidungen überfordert sein könnte.

Hast du es dir im Knast so vorgestellt? Hast du überhaupt damit gerechnet, eingebuchtet zu werden? Falls ja, seit wann und warum?

Natürlich wusste ich, dass das Risiko besteht, eingesperrt zu werden und habe darüber nachgedacht, wie es im Gefängnis wohl sein würde. So richtig vorstellen konnte ich es mir nicht. Es gab Berichte von Menschen, die schon mal im Knast waren. 

Im Oktober habe ich die Entscheidung getroffen, das Risiko einer „Inhaftierung“ (richtiger ist in dem Fall „Gewahrsamnahme“) einzugehen. Ich bin schon seit etwa zwei Jahren Aktivistin und habe vieles ausprobiert, immer mit diesem Druck im Hinterkopf: „Unsere Gesellschaft bricht zusammen, also halt dich ran…“. 

Es kann nicht sein, dass wir den drohenden Kollaps verhindern wollen und dafür kriminalisiert und eingesperrt werden. Die Letzte Generation sorgt gerade dafür, dass der zivile Widerstand sichtbar wird. Deshalb war es für mich von unschätzbarem Wert, dazu beizutragen, dass alle Menschen in Deutschland bemerken, wie es wirklich aussieht. 

Dass unsere Regierung — die im Grundgesetz verankert den Auftrag hat, unser Überleben zu schützen — lieber Menschen einsperrt, als ihrer Verantwortung nachzukommen.

Besonders schwer war es, meinen Eltern zu sagen, dass ich vielleicht ins Gefängnis komme. Die haben sich natürlich Sorgen gemacht und das erst nicht verstanden. Sie haben versucht, mich zu überreden, keine Straßen zu blockieren. 

Wenn ich wüsste, wie ich ohne Straftaten zu begehen die Regierung zum Kurswechsel bringen könnte, dann würde ich das gerne machen. Das haben viele viele Menschen jahrelang versucht und wir rasen immer noch in den Klimakollaps. 

Als ich entschieden hatte, vor Weihnachten zu riskieren, in den Knast zu kommen, habe ich mich fast nicht getraut, es meinen Eltern zu sagen, gerade weil ich ihr einziges Kind bin. 

Wie erklärst du dir, dass ihr die wissenschaftlichen Zahlen und Messungen zum Ende der gemäßigten Klimazeiten in eurem Rücken habt, aber Deine und Eure Aktionen zum deutlich überwiegenden Teil in Ärger über Staus enden? 

Die traurige Realität ist, dass unser aller Zuhause zerstört wird. Die meisten Menschen verdrängen das Ausmaß der Katastrophe, um weiterhin in ihrem Alltag funktionieren zu können. Wir alle fühlen uns ohnmächtig, Viele wissen nicht, wo sie anfangen sollen und persönliche Lebensstil-Änderungen reichen nicht aus, um die Katastrophe abzuwenden.

Ich kann das sehr gut verstehen, auch ich verdränge oft, wie machtlos ich mich fühle, damit ich überhaupt irgendwas hinbekomme. Doch um noch etwas ändern zu können, müssen sich alle Menschen ihrer Verantwortung bewusst werden. Wir müssen alle gemeinsam Lösungen ausarbeiten, denn alle auf der ganzen Welt sind davon betroffen. Unsere Blockaden konfrontieren Menschen damit, dass die Klimakatastrophe auch ihr Problem ist. 

Das ist sehr unangenehm, besonders wenn man schon vorher vom Alltag gestresst war. Uns wird ja oft vorgeworfen, dass wegen unserer Proteste die Menschen statt über die Klimakrise nur über unsere Protestform reden und das wahre Problem sogar unseretwegen untergeht. 

In Wahrheit wird überall mit allen Mitteln von der Klimakrise abgelenkt und zwar unabhängig davon ob die Letzte Generation Staus verursacht.

Welche Erfahrungen hast du im letzten halben Jahr mit der Polizei gemacht?

Weil ich eine junge Frau bin, die noch dazu mitten in der Öffentlichkeit in Blockaden sitzt, werde ich wahrscheinlich oft netter behandelt als Andere. Zumindest ist meine Hand noch nie von der Straße abgerissen worden. 

Die Polizist:innen in Berlin sind mittlerweile routiniert mit „Klima-Klebern“ und in München waren sie auch eher vorsichtig mit mir. Dennoch sind die Repressionen gegen uns stark erhöht worden. Wir werden kriminalisiert und einige Menschen haben schon Razzien über sich ergehen lassen müssen. Davor habe ich große Angst, gerade weil ich im Gefängnis war. 

Bei vielen der anderen, die in Präventiv-Haft waren, sind Razzien durchgeführt worden. Das Ziel dieser Repressionen ist, uns einzuschüchtern und bei mir hat die Vorstellung, dass bis zu 30 Polizist:innen meine Wohnung stürmen und sie auf den Kopf stellen, genau diesen Effekt. Natürlich mache ich trotzdem weiter, ich denke immer an eine der Führerinnen der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, Diane Nash, die in solchen Zeiten gesagt hat „We can‘t let violence overcome non-violence.“.

Was sollen die Leser:innen über dich wissen?

Weihnachten und Silvester im Gefängnis waren für mich Anlässe, darüber zu reflektieren, was ich mit meinem Leben eigentlich gerade mache. Heute werde ich 26 Jahre alt. Die Menschen, die mit mir zusammen angefangen haben, zu studieren, sind jetzt wahrscheinlich langsam mit ihren Masterarbeiten durch oder machen schon ihren Doktor. Ich dagegen habe mich entschieden, Widerstand zu leisten und ich mache gerade ausschließlich das. 

Ich weiß nicht, ob die Bemühungen der Klimaaktivist:innen auf der ganzen Welt am Ende ausreichen werden. Ich habe mich jedenfalls dafür entschieden, alles zu geben was ich kann um den Klimakollaps einzudämmen.

Wir müssen als Gesellschaft zusammenkommen, wir müssen viele Dinge grundlegend ändern und ich möchte gerne daran beteiligt sein. Ich verzichte auf eine berufliche Karriere und bekomme dafür ein Leben mit viel Polizeipost. 

In gewisser Weise hat mich der Gefängnisaufenthalt radikalisiert, denn er hat mir geholfen zu sehen, dass es unserer Regierung nicht darum geht, im Sinne der Bevölkerung zu handeln. Dass wir im Angesicht der Klimakatastrophe für friedlichen Protest eingesperrt und eingeschüchtert werden zeigt, dass friedlicher ziviler Widerstand gerade absolut angemessen ist. 

Und ich rufe alle Menschen dazu auf sich zu überlegen auf welcher Seite sie stehen wollen: Wollen sie wirklich so weiterleben wie bisher und sehenden Auges auf den Abgrund zu rasen oder wollen sie – wie ich — den Abgrund sehen und eine Vollbremsung machen um ihr Leben zu retten?


Teil 1 des Interviews

mit Maja von ‘Letzte Generation’


Teil 3 des Interviews

mit Micha von “Letzte Generation”


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