Quelle: IfS-Info, Ausgabe 4/2024, Seiten 18–19
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Interview mit Dr. Mark Benecke, von der IHK zu Köln öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung und Auswertung von biologischen Spuren.
Redaktion: Für den unwahrscheinlichen Fall, dass man Sie nicht aus dem Fernsehen, vom Amphi-Festival, aus der Politik oder als Umwelt- und Tierschützer kennt: Was machen Sie eigentlich als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung und Auswertung von biologischen Spuren?
Dr. Benecke: Haare, Insekten, Spermien, Blut und ähnliches aus entweder rätselhaft erscheinenden oder Kriminalfällen anschauen. Durch die Form oder die Auftreffwinkel von Blut können wir klären, wo es herkam und woher nicht. Insekten verraten uns, wie lange eine Leiche von ihnen besiedelt war. Derzeit haben wir Lampenschirme aus Menschenhaut unter der Lupe und kleine Teile davon auch im Reagiergefäß.
Das interessiert nicht Gerichte, sondern Menschen, die darüber nachdenken, wie wir zusammenleben möchten und wie nicht. Manchmal geht es auch um religiöse Wunder, wenn beispielsweise ein Gemälde weint oder sich das Blut von Heiligen verflüssigt.
Klingt irgendwie nach „CSI: Köln“ und für den Nicht-Entomologen ziemlich morbide – ist das für Sie wissenschaftlicher Alltag oder sind Sie von den menschlichen Schicksalen immer auch ein Stück weit persönlich betroffen?
Die Stimmung der beteiligten Menschen, von Angehörigen und Täterinnen und Tätern darf ruhig zu uns „herüberschwingen“. Die Vergangenheit können wir nicht ändern, das wissen alle mit Verbrechen und Tod in Berührung stehenden. Ich lasse mich davon aber nicht leiten, denn erstens weiß ich sowieso nicht, ob und warum die Menschen das wahrnehmen, was sie mitteilen. Zweitens bin ich nur für die Messungen zuständig. Wenn ich denke, dass es zu krass wird, verweise ich Menschen auch an Notfall-Seelsorger:innen.
Passiert aber fast nie, weil alle Menschen verstehen, dass die Spuren die Grundlage von allem sind: Fallbearbeitung, Trauer und Richtung dessen, was daraus zu lernen ist.
In welchen Fällen werden Sie von Gerichten, Staatsanwaltschaften oder der Polizei beauftragt und wie gut kommt man als Biologe mit Juristen zurecht?
Rechtsexpert:innen sind genauso kauzig wie wir. Sie fuchsen sich mega in Begriffsfestlegungen hinein, das ist bewundernswert. Vor Gericht habe ich aber auch gelernt, wie viel Spielraum es bei den Entscheidungen gibt. Das ist nichts für mich, ich mag es eindeutiger.
Die Beauftragungen kommen häufig von Privatpersonen, die durch das ganze Raster der auch rechtlichen Hilfsmöglichkeiten gefallen sind, denen niemand glaubt oder die Klarheit über Spuren haben wollen, ohne die Spurenlage vor Gericht bringen zu wollen. Ein Beispiel dafür sind Drogen, die bei Scheidungskriegen auf einmal eine Rolle spielen. Da hilft es oft schon, ein- oder auszuschließen, ob die Drogen überhaupt vorhanden waren und nachweisbar sind oder nur als Vorwurf oder Verdacht im Raum standen.
Es kann aber auch sein, dass bereits wenige Blut oder Erbgutspuren rechtliche Wirkung entfalten, wenn sie beispielsweise zeigen, dass die Aussage von Zeug:innen stimmt oder nicht stimmen kann.
Auf der einen Seite sind Sie täglich mit Tod und Vergänglichkeit konfrontiert, auf der anderen Seite retten Sie Tauben, Insekten und spenden Bäume – was fasziniert Sie mehr: das Leben oder der Tod?
Das Leben. Der Tod ist langweilig, denn da passiert ja nichts mehr, was die ehemals lebende Person noch wahrnehmen könnte. Bei verfaulenden Leichen sehen wir alle im Team das Wiederentstehen von Leben, nicht den von manchen eitlen Menschen wahrgenommenen Verfall oder Zerfall einer wichtigen Person. Es ist ein Lebenskreislauf und wir können nur handeln, wenn wir leben. Durch unseren Tod entsteht Platz für andere und anderes, ob wir es mögen oder nicht. Wir haben genau eine „Runde“ im Spiel des Lebens, und diese Runde sollten wir so gut es geht mit Leben füllen.
Sie waren beim FBI, haben Hitlers Schädel untersucht und Lenins Leiche getroffen – das klingt fast wie in einem Geheimdienst-Thriller. Was war Ihr skurrilster Fall?
Ich finde alle Fälle gleich interessant. Mich wundert es, wie stark die Wahrnehmung von außen schwankt. Die Taten meines Klienten Garavito, der Hunderte Kinder tot gefoltert hat, interessierten viele, sein sonstiges Leben und sein Tod kaum jemanden. Die schon geschilderten Lampenschirme rufen auch kein Interesse hervor. Manchmal gibt es auch gesellschaftliche Einflüsse, die sich auf Gerichtsverfahren auswirken oder einen Fall spannender als den anderen wirken lassen. Eine Zeit lang waren Fälle mit Insekten „en vogue“, weil es eine Serie gab, in diese offenbar vorkamen. Ist mir alles rätselhaft. Für mich ist eine Spur eine Spur, fertig.
Neben der Moderation des Amphi-Festivals sind Sie auch Mitglied der Kölner Donaldisten, Präsident von Pro Tattoo und Präsident der Transylvanian Society of Dracula. Legen Sie sich zum Schlafen mit einem Donald Duck Comic und der aktuellen Ausgabe von „Titanic“ zu den zarten Klängen von „Project Pitchfork“ in einen Sarg?
Ich bin mittlerweile Privat-Donaldist und habe mich in Manga-Welten eingearbeitet, daher lese ich – wenn ich mal zu Hause bin –, derzeit eher Will Eisner oder eben Mangas. Unterwegs geht das nicht, weil im Koffer kein Millimeter Platz für Papier ist, ich elektronische Bücher nicht mag und ich auch echt lange arbeite. Nur für die „Titanic“ mache ich eine Ausnahme, die habe ich als App. Die „Pitchies“ sehe ich hinter der Bühne persönlich und nehme sie nicht mit ins Bett. Beim Arbeiten habe ich fünf Jahre lang nur britischen Swing aus den 1930ern und 1940ern gehört, jetzt aber nur noch Psytrance. Wenn ich wie neulich im KitKat oder wie jedes Jahr beim Wave Gotiktreffen auflege, dann muss meine Frau ran und die neuesten Perlen heraussuchen: Ich habe beschlossen, nur noch ganz neue Stücke zu spielen.
Herr „Dr. Made“ – gibt es etwas, was Ihnen außer der Bahn manchmal Ihre Arbeit madig macht?
Ich versuche seit einem Jahr, die neuerdings gewünschten elektronischen Justiz-Postfächer ans Laufen zu kriegen. Das ist wie einem Film, den Monty Python und Karl Valentin gemeinsam gedreht haben: Schwierig.
Mich begleitet und berührt etwas anderes: Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, bin ich am Tag des Einsturzes des World Trade Centers formell bei der IHK Köln vereidigt worden. Ich habe früher im für alle Leichen und Spuren dieses Anschlages zuständigen Office of Chief Medical Examiner als Kriminalbiologe gearbeitet und denke manchmal, dass das schon ein ungewöhnlicher Zufall ist.
Vielen Dank, Herr Dr. Benecke.