"Gruselgeister leben von Aufmerksamkeit"

2017 08 daily deadline: Annabelle 2

Quelle: deadline-magazin.de vom 22. August 2017

Dr. Mark Benecke im Annabelle 2-Interview

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Nach ihrem Cameo in THE CONJURING aus dem Jahr 2013 wurde der gruseligen Puppe ANNABELLE schon ein Jahr später ein eigenständiger Film gewidmet, der nun in ANNABELLE 2 ab 24. August im Kino seine Fortsetzung findet. Die zweite Geschichte spielt vor den Ereignissen des letzten Films und soll die Ursprünge der Puppe erklären. In unserer aktuellen Ausgabe #64 mit der Titelstory zu ANNABELLE 2 haben wir euch bereits mit ans Set des Films genommen und Interviews mit der Crew geführt. Anlässlich des Kinostarts haben wir uns nun mit Dr. Mark Benecke – deutschlandweit bekannter Kriminalbiologe und Forensiker – über Geisterbeschwörung und paranormale Aktivitäten unterhalten.


Herr Benecke, wenn eine mir sehr nahestehende, geliebte Person stirbt, kann ich ihren Geist – beispielsweise mit Gebeten – heraufbeschwören? Hatten Sie mit so einem Fall schon mal zu tun?

Das geht auch ohne Gebete, indem ich an die Person denke. Sie wird dann, mal mehr, mal weniger, in mir Gefühle und Gedanken auslösen, die ich auch als örtlich vermehrte Gehirndurchblutung messen kann. Gefühle und Gedanken sind ja real und messbar, auch wenn man sie nicht wie einen Stein wiegen kann.


In meiner Arbeit brauchen die Menschen aber keine Rituale, sondern fühlen sich durch schlimme Umstände aus sich heraus gezwungen, an die Verstorbenen zu denken: verschwundene Kinder, verfaulte Geschwister, hingerichtete Eltern … das Verdrehen und Erinnern erledigt die Trauma-Störung wie von selbst.


In ANNABELLE 2 verliert das Ehepaar Mullins seine Tochter, lässt ihren Geist aber in eine Puppe fahren, damit sie in ihrer Nähe sein kann. Halten Sie so was für möglich?

Ja, habe ich schon oft gesehen: Menschen, die beispielsweise nie Kinder hatten oder sie verloren haben, stecken ihre ganze Liebe in süße Tiere oder Puppen. Wohnungen, wo die Eltern – oft die Mütter – Dutzende und Hunderte von Puppen — nicht nur eine — gesammelt hatten, habe ich schon gesehen. Der “Geist” steckt so lange in den Puppen, wie die Besitzer daran glauben.


Tatsächlich finden die Mullins schnell heraus, dass es sich nicht um ihre Tochter, sondern um einen anderen, sogar einen bösen Geist handelt. Kann es wirklich sein, dass man mit falschen Gebeten und Ritualen etwas Böses heraufbeschwört?

Klar, das ist wie bei halluzinogenen Drogen. Wenn die Umstände doof sind oder ich im Inneren unbearbeitete ängstliche, fürchterliche, mörderische oder sonst wie unbalancierte Anteile habe, dann können sie durch “Forcierung” mittels bewusstseinsverändernder Substanzen, Stress, Ärger oder eben auch Rituale oder Gebete schon mal innerlich hochkommen.


Hatten Sie schon mal mit einem bösen Geist zu tun? Oder kennen Sie jemanden, der so einer Heimsuchung beiwohnen durfte bzw. deren Folge miterlebte?

Manche psychische Auffälligkeiten wirken wie lupenreine Besessenheit. Besonders Psychosen (bei Schizophrenie oder Borderline), aber auch andere stark überwertige Vorstellungen (harter Narzissmus) führen dazu, dass Menschen sich sehr auffallend benehmen oder fremdgesteuert fühlen. Man muss es erleben, um das “Gruselige” daran nachzufühlen. Die Betroffenen (außer Narzissten) finden sich natürlich auch schrecklich, wenn sie aus der “Besessenheit” erwachen. Viele streiten anfangs ab, dass sie “das” getan, gedacht oder gesagt haben, als so fremd empfinden sie es. Ein guter Grund für Therapien und auch Medikamente.


Es gibt auch eher lebensgeschichtliche Besonderheiten, etwa bei Menschen, die sich “durch die Geschichte an einen Platz gestellt” fühlen und richtig scheisse bauen (Zitat aus einer Verhandlung gegen einen Nazi-Helfer). Das wirkt im Nachhinein auch schon mal wie besessen.


Sagen wir mal, dass ich aus Versehen einen Geist in einen Gegenstand banne und nun Terror habe. Wie muss ich da handeln?

Frieden mit dem Geist, also auch sich selbst, machen. Jagt mich der Geist des Ex-Partners? Verstorbene Eltern, mit denen ich mich noch aussprechen wollte, es aber nicht getan habe? Das Opfer eines Unfalls? Bin ich der einzige Überlebende eines Flugzeugabsturzes und frage mich, warum ich als Einziger überlebt habe?


Es hilft meist, die Situation zu akzeptieren und dabei entweder Trauerarbeit oder Rituale durchzuführen (ist eigentlich dasselbe). Ein Notfallseelsorger hat in einem Fall mit einem toten Kind, das die Eltern seit Jahren beschäftigte (“ihnen hinterhergeisterte”), und die immer wieder bei uns im Labor saßen, mal gesagt, die beiden Eltern sollen doch mal in Urlaub fahren. Das fand ich am Anfang etwas dünn, habe es aber dann verstanden: “Geister”, Erinnerungen und Gefühle hängen eben auch an Orten, Gewohnheiten, Regelmäßigkeiten, weil man sich dann immer und immer wieder erinnert. Ein Urlaub (im Geisterfilm oft: ein Umzug), also ein “Tapetenwechsel”, kann das ändern.


Glauben Sie an die Möglichkeit, Geister in Gegenstände zu bannen?

Absolut. Wozu gibt es Gräber, Grabsteine, Erinnerungsstätten? Um die Erinnerungen und Gefühle, also die “Geister”, daran zu binden.


Manche kennen vielleicht noch die Denkmäler für die Opfer des Ersten Weltkrieges, die früher überall mitten in Orten und Städten standen. Das war so eine Bannung. Der Krieg war unfassbar gewesen, es gab keine sozialen Medien, keine brauchbaren Erklärungen, viele Überlebende waren traumatisiert und verstümmelt, andere erstickt und zerfetzt. Es ergab keinen Sinn. War man nicht auch selbst schuld, dass der eigene Sohn in die Hölle gezogen war?


Wie sollte man damit umgehen? Indem man die Namen der Toten in einen Stein gemeißelt und damit die Erinnerung kontrolliert und an einen Ort gebunden hat. Auch im Serienmordfall Bernardo/Homolka haben die Einwohner eines Ortes für eines der Teenager-Opfer einen Gedenkstein im Park aufgestellt. Man hatte das “ganz normal” wirkende Täterpaar einfach übersehen … wer hätte da nicht Angst vor Geistern mit Rachegelüsten der Opfer?


In welchen Gegenstand würden Sie ihren Geist verfrachten?

Öh, also wenn es ein fremder Geist ist, der mich mag, dann vielleicht an den Ort, den er/sie/es gerne mochte, falls ich den erfahre.


Wenn’s Dämonen sind, die mich jagen, dann am besten so, wie es Clive Barker in den BÜCHERN DES BLUTES mit dem Geyatter macht: ignorieren. Aufmerksamkeit füttert die meisten Gruselgeister … Das Verfahren ist sehr gut, aber Geschmacks-, Nerven- und Persönlichkeitsfrage und hängt natürlich vom Einzeldämon ab.
 

Mit herzlichem Dank an die Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.