Come out wherever you are

Quelle: Shekinah, Schriftenreihe für Schamanismus, Okkultismus, Parapsychologie, Magie, Nummer 7, Seiten 35 bis 48
Come out wherever you are
Im Gespräch mit Mark Benecke

[Hier gibt es das Interview als .pdf

Interview: Holger Kliemannel

Der Kriminalbiologe Mark Benecke muss eigentlich nicht mehr großartig vorgestellt werden, seine unzähligen Fernsehauftritte und spektakulären Fälle haben ihn auch außerhalb der Kriminalistik bekannt gemacht. Dass er kein trockener Forensiker ist dürfte jeden spätestens nach seinen Vorträgen auf dem Wave-Gotik-Treffen 2009 oder dem diesjährigen Schauenforsttreffen bekannt sein. Im Gegenteil, er fühlt sich innerhalb der schwarzen Szene weitaus wohler als unter Otto-Normal-Bürgern. Das folgende Interview entstand im Oktober, kurz vor der Frankfurter Buchmesse und der Veröffentlichung seines neusten Buches "Vampire unter uns!" und wurde in gekürzter Form bereits im Gothic-Magazin veröffentlich.

Du warst nicht nur Referent auf dem diesjährigen Schauenforsttreffen, sondern in erster Linie ein interessierter Zuhörer. Du bist einer der wenigen, die sich echt alles angehört haben. Wie ist dein bleibender Eindruck von diesem Treffen?
MB: Die ultraentspannte Atmosphäre (kleinkarierte Clan-Zwistigkeiten jetzt mal ausgenommen). Es wäre eine sehr gute Lehrveranstaltung insbesondere für klassische Monotheisten, aber auch Atheisten (ist vermutlich gar nicht so weit voneinander entfernt, aber das ist ne andere Geschichte) um mal zu erleben, dass Glaube nicht nur frei ist, sondern auch Spaß machen kann und dass wir, so platt das auch klingt, einfach alle Menschen sind, die nicht nur in einer Hütte im Wald alle wertgleich sind.

Ich hätte mir so gewünscht, dass es ne Art Comic, am besten von Jacques Tardi, von der Veranstaltung gibt, wo die Glaubens- und Wesens-Eigenschaften aller überzeichnet dargestellt werden, inclusive dem Würstchenmann, dem Schamanen, dem pädagogischen Setianer, den Vampyren, der Hekate-Priesterin, den furchtlosen Hunden, der bezaubernden Asenath Mason, den WiccanerInnen unter ihrem Spezial-Baum und so weiter... echt, das war im guten Sinne magisch und unvergesslich.

Das mit dem Comic könnte man mal den Magus machen lassen, gar keine schlechte Idee. War es Deine erste Veranstaltung mit Menschen, die sich selbst als Magier, Schamanen und Hexen bezeichnen?
MB: Ich gurke ja quer durch die Welt und da verschwimmen die Grenzen sehr stark. Als Bogota beispielsweise noch eine der gefährlichsten Städte der Welt war, gab es dort immer ganz sanfte Menschen, die auf mich aufgepasst haben oder mich in Covens gelockt haben. Das waren zwar in Wirklichkeit Kollegen und in einem Fall einfach ne Schwulen-Kneipe, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass viele der Menschen, denen ich seitdem begegne, mehr Kräfte und Weisheit haben, als sie es zugeben.


In Deiner jüngsten Veröffentlichung "Vampire unter uns!" geht es um Vampire, literarische wie auch Reale. Wie bist Du auf dieses Thema gestossen, und vor allem wie bist Du in Kontakt mit der Subkultur gekommen?
MB: Meine Nachbarin in New York war die Gründerin des ältesten Vampirclubs der Welt. Ihr Gatte arbeitete in Hollywood, hatte sich zu seinen Lebzeiten aber nur für Laurel & Hardy interessiert und mit derartigen Filmen auch zwei Oscars gewonnen. Jeanne war (und ist) eher Spezialistin für Dracula-Kram und -Krempel sowie das in den 1960ern verkitschte Bild von "Transylvanien". Ich machte mich also auf in den Meatpacking District und schaute mir an, was nach "Interview mit einem Vampir" so alles ins real life durchgeschlagen hatte. Der Weg war einfach, ich brauchte nur die 10te Straße runterlaufen, was von mir zu Hause (St. Mark's Place) nur ein schwarzes Katzensprünglein war. Was ich dort allerdings so alles gesehen habe, war weniger einfach ;) -- passend hat Frater Mordor mir in sein Vampir-Buch geschrieben hat: "Für Mark, der Dinge gesehen hat, die andere nicht glauben würden"  ;)


Was sind Vampire, und was unterscheidet Vampir vom Vampyr?
MB: Vampire sind erfundene Gestalten, Vampyre sind Mensche, die meinen, nächtliche Eigenschaften zu besitzen. Wenige denken auch, dass sie nach dem Awakening (Erkennen, dass sie Vampyre sind) keine Menschen mehr sind, andere DNA haben usw.


Woher kommt Dein Interesse für diese Menschen? Man könnte sie doch auch als krankhafte Menschen abstempeln, die eher eine gute (Psycho-)Therapie benötigen, Du aber nimmst sie dem Anschein nach ernst.
MB: Hahaha, in der Therapie würden dann aber auch alle Grenzen auflösende Magiere, pädophilen Priester, egoistischen Politiker, arschlochigen Beamten, überleicht reizbaren Hexen, verklemmte Admins und überhaupt jeder sitzen, der nicht absolut nach der Norm gestanzt ist. Obwohl, die stark Angepassten sind oft auch gefährlich, weil sie ihre Gefühle und Wünsche unterdrücken...hm! In einem Wort: Mit Stereotypen kommste nicht weiter -- und auch jeder Vampyr ist anders.

Bei vielen -- wie auch in Teilen der magischen Szene -- liegen natürlich schwere seelische Belastungen vor (besonders voran gegangener seelischer oder körperlicher Missbrauch); bei Vampyren oft noch diagnostizierte Angst-Zustände, Depressionen, Aufmerksamkeitsstörungen uns so weiter, die sie eben "schwarz" machen; siehe auch den psychologischen Artikel in "Vampire unter uns!".

Mich störts nicht die Bohne: Ich habe keine Angst vor Spinnerei, liebe Verschiedenheit,Verrücktheit, interessante Gespräche und noch interessantere Parties und Treffen. Mir ist es lieber, dass jemand weiss, dass er anders ist und daraus aktiv was Spannendes macht, als Leute, die scheinbar brav sind, aber lebenslang von einem Maschinengewehr auf ihrem Autodach träumen, mit dem sie es den anderen mal so richtig zeigen würden, wenn, ja wenn... .


Also sind Vampyre hauptsächlich Menschen mit seelischen Störungen, meist verursacht durch Missbrauch?
MB: Jein. Es gibt bei den Vampyren (also die mit "y") wie in allen Subkulturen ein riesiges Spektrum. Es fängt an mit Mädchen, die "das" -- was, wissen sie oft gar nicht so genau -- einfach romantisch finden, nur in der Fantasie ausleben und sich einfach nur wünschen oder vorstellen könnten, für immer erobert zu werden -- so wie in "Dracula", "Königin der Verdammten" und "Twilight". Diese Kids können scheinbar Normalos bleiben; aus irgendeinem Grund treffe ich sie später oft als (gute) Krankenpfleger und -schwestern wieder. Man darf nicht vergessen, dass diese Entwicklung schon vor der Pubertät anfängt, siehe auch das absolut typische "Interview mit einer Vampirin" im Buch.

Manche werden dann Romantigoths. Das ist der Übertritt in die Szene. Die wird -- jeweils in verschiedenen Ausprägung von Real Life-Vampyrismus -- bevölkert von bisexuellen Pubertierenden, Depressiven, Computerspielern, kreativen Hyperaktiven, Missbrauchten, ein wenig zu phantasievollen Vereinsamten, in ihrem doofen Dorf als einzige Coole, Fetisch-SchneiderInnen, Bodmod-KünstlerInnen und so weiter. Wie man sich nach diesem "Awakening" weiter entwickelt, hängt von tausend Dingen ab. Die meisten haben später einen normalen Job und ziehen sich aus allen subkulturellen Zusammenhängen zurück.

Die LeserInnen der Shekinah werden aus der Zusammenstellung oben erkennen, dass der Begriff "Störung" dabei nicht greift, sondern eher -- ganz ohne Beschönigung -- "ein besonderes Leben führen" stimmt. Magie, Magick und alle Religionen sind ja auch rein fantasiegespeiste Lebensmöglichkeiten. Das erkennst du schon an der Unzahl von Ritualen und magischen Konzepten, die in einer logischen, ruhigen, sachbezogenen Welt einfach nicht zusammenpassen könnten.

In einem Satz: Natürlich haben Vampyre wie Magiere aus der Außensicht alle komplett einen an der Klatsche, und es gibt unter ihnen auch Menschen, die ohne ihr abweichendes Lebenskonzept -- teils eben wegen vorheriger beschissener Erlebnisse und Missbrauch -- kein Gegengewicht hätten. Es gilt sicher, was mein verstorbener Kumpel Keith Alexander immer über Piercings und Bodymodification sagte: "They heal wounds others cannot see." Aber: Warst du schon mal in der Oper? Da stecken in den Abendkostümen auch Missbrauchte, zu Phantasievolle, Depressive, Hyperaktive, Leute mit Ohrringen, im Dorf als einzige Coole, Schneider und Künstler... .


In den USA organisieren sich Vamyre in Covens und scheinen recht stark vertreten zu sein. Wie sieht die Vamyrszene in Deutschland aus, gibt es da erwähnenswerte Gruppierungen?
MB: Ist alles in Auflösung begriffen. Die "erwachsenen" Vampyre sind jetzt alle entweder Normalos oder Elders oder in andere Szenen abgedingst. In Deutschland gefielen mir das Sanktuarium und die Dracula Society, beide sind aber seit mehreren Jahren im Nichts verschwunden. Abgesehen von internetbasierten Covens und Clans und psychischen Vampiren um Michelle Belanger gibt es derzeit kaum Anlaufstellen für Real Lifer. Irgendwie bin ich der letzte unserer Art.

Dumm ist derzeit der unerträgliche, amerikanisierte Halloween-Hype, der in diesem Jahr beispielsweise bewirkte, dass eine geplante Vampir- und Vampyr-Con im Ruhrgebiet, die an eine sehr große Halloween-Party geflanscht werden sollte, unter der Party-Werbung begraben und daher kurz vorher abgesagt wurde.

Gut finde ich, dass mit der Twilight-Geschichte gerade etwas ganz Neues entsteht. Noch lachen zwar alle, weil diese neue Sorte Vampire ja sehr emotional, verkuschelt und süß ist, aber warten wir mal ab, was aus den Fans in einigen Jahren wird...


Im Volksglauben und in Hollywood-Filmen schützen einen Kreuze, Silber und Knoblauch vor Vampire. Gibt es Vampyre, vor denen man sich im realen Leben schützen sollte, weil sie einen Energie - in welcher Form auch immer - rauben? Wenn ja, wie?
MB: Jawoll -- mensch sollte sich von Nervensägen, Geldgierigen, Laberzecken und Leuten, die kein eigenes Leben haben unbedingt fern halten. Das sind alles -- mehr oder weniger freiwillig -- Energie-Vampire. Davon mal abgesehen wirst du in der schwarzen Szene mit Kreuzen und Silber eher Vampire anziehen...


Wenn Vampyre real sind, wer sind dann die modernen Van Helsings?
MB: Jeder, der Ängste bekämpft, aufklärt und Verständnis zwischen Menschen voran treibt, ohne lange rumzulabern.


Wann wurden Vampire, unter welcher Bezeichnung auch immer, zum ersten Mal schriftlich erwähnt?
MB: Kann man so nicht sagen, weil es eben viele Bezeichnungen gibt, die man sich als "Vampir" hinbiegen kann; es gibt bei den Angloamerikanern ja auch sehr starke Überschneidungen mit Werwölfen, Geistern und so weiter.

Öfters hört man auch von babylonischen Quellen.

Ich finde die Zeit ab 1732 für uns in Zentral-Europa kulturell am Ausschlag gebendsten. In den USA interessiert das absolut niemanden, die Atlanta Vampire Alliance beispielsweise -- und auch alle anderen noch bestehenden Vereinigungen, die ich kenne -- würden vermutlich die Bücher von Anne Rice als erste prägende Erwähnung bezeichnen. Der riesige blinde Blick liest sich für Shekinah-LeserInnen sicher unaufgeklärt und bescheuert an, aber so ist das mit dem Vampirismus: Er ergießt sich in immer neue (aber auch sehr alte) Gefäße, und das ist auch gut so.


Im besagten Buch „Vampire unter uns!“ schreibst Du „Come out wherever you are“. Warum dieser Aufruf sich zu outen?
MB: Die ganz harten Vampyre sind nicht an die Szene angebunden, weil sie zurecht fürchten, als Spinner da zu stehen. Beispielsweise war Blut trinken in Teilen der Mittelalter-Szene (Tierblut) oder nach Coppolas Dracula-Film und im Umfeld von "Interview mit einem Vampir" (Menschenblut) irgendwie cool und crazy. Jetzt, mit der vorwiegend auf jugendliche Beziehungen und daher scheinbar weichgespülten "Twilight"-Serie, ist das kein Thema mehr, mit dem ein Sanguinarier beim Fan-Treffen aufschlagen kann -- das ist ein einfach unaussprechliches Thema. Mein Herrenzimmer ist schon immer ein safe haven (sicherer Hafen) für Menschen, die glauben, dass sie vollkommen spinnen, obwohl sie vielleicht nur eine Neigung haben, die sich sehr wohl in ein schönes Leben einbinden lässt. Leider lassen viele diese Möglichkeit nicht zu und drehen lieber den Rest ihres Lebens am Rad oder tauchen innerlich unter.

Ich rede hier von harten, echten Nüssen -- nicht von Posern, Nachmachern und Gelangweilten, ne.


Es gibt kaum ein Thema, das so oft verfilmt wurde wie Vampire, von Nosferatu über die Dracula-Filme der 60er Jahre und der Andy-Warhole-Verfilmung bis hin zu der modernen Twillight-Saga. Welcher Film spiegelt Vampire am realistischsten wieder?
MB: Jeder. Das Thema lebt eben gerade von seiner Anpassung durch die Zeiten -- wie auch Vampire in jeder Zeit jeweils passende Motive finden: Unsterblichkeit, grenzenlose Liebe, grenzenloser Hass, Liebe zu Blut, Angst vor Blut, Bisxualität, Gier, Dunkelheit, Vermischung mit Werwölfen -- ein fettes Fest!


Hast du Dir jeden Vampirfilm, der auf dem Markt ist, angeschaut?
MB: Um Jottes Willen, es gibt so viele, und so viel Trash...Am eindrucksvollsten war in dem Zusammenhang, als ich mal am Arsch der Welt (in Poiana Brasov) war und dort Ingrid Pitt traf, die sich selbst nicht ganz zu Unrecht Queen of Horror nennt und bis heute interessante Parties schmeisst. In "Gruft der Vampire" (Vampire Lovers) und "Comtesse des Grauens" (Countess Dracula) hatte sie eine lesbische Vampirin gespielt; ich habe die Filme bis heute nicht gesehen, werde aber den Tag des Treffens mit ihr niemals, wirklich niemals vergessen. Da saß eine alte Frau, wirkte echt unsterblich und erzählte Dönekes aus ihrem Leben. Niemand atmete mehr. Danach stieg sie mit großer Geste in einen irgendwo gemieteten Wagen und rauschte auf der staubigen Straße wieder ab. Real Life ist eben auch hier besser als Rollenspiel und Fantasie...


Dein Lieblingsvampirfilm?
MB: Matrix. Jaja, das ist jetzt ne komische Antwort, aber der Wechsel in den Realitätsebenen, die janze Mode, die Einsamkeit unseres Helden, der Keymaker, das Orakel...passt schon.


In Matrix geht es um eine "Erlöserfigur", ganz nach dem Vorbild von Jesus. Wenn man sich die Hintergründe und die verwendeten Namen anschaut (Zion als einzigste freie Stadt, Morpheus, Trinity, das Orakel das den Erlöser voraussagt etc.), dann würde man ihn in keinste Weise mit einem Vampirmotiv vergleichen.
MB: Yep. Das war eher ne Antwort für Elders  ;)


Ist der Verzehr von Blut nicht auch ein christliches Motiv? Bei dem Abendmahl nehmen Christen bekanntlich echtes Blut vom Erlöser zu sich, für sie ist der Wein keine Metapher für Blut.
MB: Doch, darüber gibts ewige Diskussionen bei den Transsubstantiations-Spezialisten. Abgesehen davon: Klaro, Blut ist Leben, auch bei den Christen. Vielleicht hat das bei Bram Stoker dann so gut zusammen gepasst, die Vlads waren ja die Verteidiger des Christentums im Südosten gegen die Muselmanen.


In dem Interview mit einer Vampirin im Buch hat der Blutaustausch etwas sexuelles für sie. Sind diese Menschen durch einen eventuellen sexuellen Missbrauch in ihrem Leben zu einer "normalen" Geschlechtsbeziehung nicht mehr in der Lage und nutzen sie deshalb den Blutaustausch als eine Ersatzhandlung?
MB: Das ist wie bei allem Sexuellen ein Spektrum. Heißt hier: Es reicht von reinen Blut-Fetischisten, die nur auf Blut (oder irgend etwas, das sie daran erinnert) stehen, bis hin zu Menschen -- Entschuldigung: Vampyren -- die das ins Sexplay einbauen. Die knallharten Fetischisten ziehen sich wohl zurück; ich hab jedenfalls noch nie einen Geouteten getroffen. Das gilt aber für jeden Fetisch -- wozu soll ich mich noch mit jemandem treffen, wenn ich ein knorkes Ersatzobjekt habe?

Der Normalfall ist sicher, wie auch Angelus sagt, dass das Blut warm sein und von einer besonderen Person stammen soll. Es ist also wenn, dann 'ne partnerschaftliche Aktion.


Hast Du Bram Stoker’s Dracula gelesen? Was ist dein Eindruck von dem Roman?
MB: Einer der wenigen Romane, die ich in meinem Leben gelesen habe...ansonsten glaub ich nur noch "Herr der Ringe" und, äh...das wars. "Dracula" ist unterschätzt; eigentlich schade, dass der mittlerweile altomodische Stil das Buch für heute zwanzigjährige unattraktiv macht. Um ein donaldisches Motiv aufzugreifen: Stoker war ne Art Bericht-Erstatter, aber aus einer Zeit, als die Vampire noch älter, langsamer und furchtbarer waren...


Vampire in aller Welt oder ein lokal eingeschränktes Phänomen?
MB: Gier und Energie-Armut gibts überall, also weltweit.


Blut spielt nicht nur bei den modernen Vampiren eine tragende Rolle, sondern auch bei vielen Naturvölker, häufig das Menstruationsblut. Während die monotheistischen Religionen Menstruationsblut als unrein bezeichnen (vgl. hierzu: Wenn ein Weib den Monatsfluss hat, so bleibt sie sieben Tage lang in ihrer Unreinheit -3. Mose 15,19; während dieser Zeit ist der muslimischen Frau auch das typische rituelle Gebet nicht erlaubt), gibt es auch Traditionen, bei denen positive Gefühle, Stolz am Frausein und Glück über die Fruchtbarkeit mit der Menstruation verbunden werden. Es wird häufig als das kraftvollste, energiereichste Blut angesehen. Wie steht der moderne Otto-Normal-Vampir zu Menstruationsblut?
MB: Spielt keine Rolle, weils ja tot ist: abgestorbene Blut-Zellen, vermischt mit toter Haut -- ganz schlecht. Blut ist Leben -- aber nur aus Adern  ;)


Erzähl uns was über die Transylvanian Society of Dracula.
MB: Eine Truppe von Käuzen, die sich über alles, was auch nur im Entferntesten mit Vampiren, alten Schlössern oder Transylvanien zu tun hat, unterhalten: Film, Literatur, Geschichte, Geografie, Architektur, Musik, Kriminalbiologie, psychologische Kriegsführung, sogar über Arthur Conan Doyle (wir haben einen im Team, der behauptet, Bram Stoker sei Doyle gewesen) -- total geil.


Woher stammt deiner Meinung nach der Hang einiger Menschen, die man größtenteils in der Schwarzen Szene antrifft, zum Morbiden, Düsteren und Nekrophilen?
MB: Im Bereich Gothic/Dark Wave: Depression und Trauma. In den anderen Bereichen kanns etwas anders facettiert sein (Mittelalter, Elektro, Metal usw.).


Mal ein Themenwechsel. Du bezeichnest Dich gern als „der berühmteste Kriminalbiologe der Welt“. Ist das eine Ausdruckform eines großen Egos?
MB: Ist ne Idee des alten Lektors von Lübbe gewesen, hab ich noch nie im Leben selbst gesagt oder geschrieben. Der Verlag behauptet auch bis heute, dass in einem Buch, in dem es nur um Serienmord und Kannibalismus geht, irgendwas mit Insekten vorkommt...darfste also nicht ernst nehmen. Ich lass das immer korrigieren, zwei Jahre später stehts dann wieder in einem neuen Klappentext -- scheint ne Art Ritual zu sein. Immerhin hat Luebbe mich dieses Jahr nach zehn Jahren zum ersten Mal bei der Buchmesse -- O-Ton: "zusammen mit Ihrer lieben Gemahlin" -- zum Essen eingeladen, so langsam scheint der weltweite Ruhm also Früchte zu tragen! Wie gut dort allerdings unsere schwarzen Klamotten ankommen, das muss sich noch zeigen  ;)


Verweste Leichen, Maden, zerteilte Körper. Viele Menschen ekeln sich vor den Dingen, die zu deinem Alltag gehören. Gibt es etwas, vor dem du dich ekelst?
MB: Spinnen find ich nur mittelcool, Leberwurst total ekelhaft.


Wieso ist Leberwurst total ekelhaft?
MB: Guck mal zu, wie und woraus sie gemacht wird. Harrharr, das erklärt sich dann von selbst.


Lauter gute Dinge. Was ist für Dich Dein spektakulärste Fall, an dem Du gearbeitet hast?
MB: Alle. Jeder Fall ist gleich, absolut jeder.


„Warum man Spaghetti nicht durch zwei Teilen kann“ ist der Titel des zweiten Buches mit Fällen, die vom Spaß-Nobelpreis-Komitee, in welchem Du Mitglied bist, ausgezeichnet wurden. Warum kann man Spaghetti nicht durch zwei Teilen?
MB: Weil nach dem ersten Bruch in den beiden harten Spaghetti-Teilen, die Du in den Händen hast, Wellen wie beim Erdbeben herrschen. Die bewirken, dass die losen Enden weiter zerbrechen, blitzschnell natürlich.


Neben zahlreichen „seriösen“ Themen interessieren Dich auch die so genannten „Para“-Wissenschaften wie Alien-Autopsie oder spontane menschliche Selbstentzündung. Woher kommt das Interesse an diese Randgebiete?
MB: Ich mags wie jesacht divers. Mich hat's schon als Kind genervt, wenn die Leute gesagt haben: "Ist doch jetzt egal, das ist einfach so." Ich prüfe lieber, was ist und was nicht ist. Dazu auch die Einstürzenden Neubauten: "Wir fordern etwas Abwechslung in uns'rer Umlaufbahn! Was ist ist; was nicht ist, ist möglich; nur was nicht ist, ist möglich."


Stichwort Hitlers Schädel/Zähne: Wie ist man bei der Untersuchung auf die Echtheit auf Dich gekommen, schließlich bist Du weder Zahnarzt oder forensischer Anthropologe.
MB: Genau -- leider wurde mir das erst klar, als der KGB-Agent in der Zentrale des FSB in Moskau zu mir kam und mich fragte, ob das "jetzt wirklich von Hitler" ist. Die waren sich offenbar selbst nicht so ganz sicher. Zum Glück hatten wir Röntgenaufnahmen von zwei Geheimdiensten aus dem Jahr 1944 von Hitlers Schädel, das war dann sehr einfach, denn seine Zähne bestehen fast nur aus Metall, was man im Röntgenbild und im KGB auf dem Tisch gut sehen und vergleichen kann. Glück gehabt -- mit DNA kommt man nämlich nicht weiter, weils keine Vergleichs-DNA von Hitler gibt. Wie die auf mich gekommen sind, weiss ich nicht, ich tippe auf meinen (echt) lustigen deutschen Akzent, wenn ich amerikanisch spreche.


Also sind Schädel und Zähne eindeutig echt und Hitler lebt nicht in Neuschwabenland?
MB: ie Zähne sind absolut eindeutig echt, außer man glaubt an eine Ultrahypermegaverschwörungstheorie. Das Schädelstück kann echt sein, das ist nicht hundert Prozent sicher, vor Gericht würde es aber -- trotz gegenteiliger Behauptungen in der aktuellen Presse -- wohl reichen. Falls Hitler trotzdem noch lebt, ist er leicht am fehlenden Ober- und Unterkiefer zu erkennen.


Hitler wird von bestimmten Szenen gern als besonders tierfreundlich dargestellt, weil er Vegetarier war. Dein Vegetarismus begründest Du nicht damit, dass Du ein besonderer Tierfreund bist, sondern weil Du eine geistige Blockade dagegen entwickelt hast, Tiere zu essen. Was ist das für eine Blockade die dich vor dem Verzehr von Tieren hindert?
MB: Schöne Überleitung von Hitler! Also, erst mal kann ich absolut keinen Unterschied zwischen Schweinen, Kühen und Menschen sehen, abgesehen von geistigen Kleinigkeiten. Ich finde es krank, Lebewesen zu essen, die so sind wie wir, gleichtzeitig aber Kannibalen in den Knast zu sperren. Zweitens hatte ich mal nen Tatort, an dem eine sehr nette Person abgeschlachtet wurde und alles, aber wirklich alles voller Blutspritzer war. Seitdem ist Schluss.


Vegetarismus durch ein traumatisches Erlebnis?
MB: Auch, das war der Tropfen, der das Fass usw.. Ich will hier nicht die Shekinah vollheulen, es gab aber auch Zeiten, da konnte ich mir kein Fleisch leisten. So fing das ganz ursprünglich mal an; ich war also schon entwöhnt.

Dann wäre das Dschungel-Camp mit seinen Essenprüfungen nichts für Dich?
MB: Nie gesehen.

Da werden irgendwelche Leute, die mal in der Presse genannt wurden und sich seit dem "Star" nennen dürfen, in einem australischen "Dschungelcamp" (das in Wirklichkeit wenige Kilometer von einer Stadt liegt) ausgesetzt und rund um die Uhr a la Big Brother gefilmt. Jeden Tag muss einer von ihnen zu einer Prüfung antreten, die schon mal mit dem Verzehr von Känguruh-Hoden, lebenden Maden und Würmern oder Krokodilaugen zu tun haben kann.
MB: Bei so 'nem Quatsch mach ich nicht mit. Sogar die Leute vom Promi-Dinner haben mich sehr, sehr, sehr erbost wieder ausgeladen, weil ich gefordert hatte, dass dabei keine Werbung für Porno- oder Versicherungs-Seiten mit meinem Namen verknüpft wird (echt, genau so passiert). So Kappes-Shows sind nix für mich, selbst wenn ich selbst und vegetarisch kochen darf. Für StudentInnen hab ich schon ab und zu mal Insekten gekocht, aber lecker, nicht ekelig -- einfach Suchbegriff "Insect Food" auf benecke.com eintippen.


Wenn sie Dich wieder ausgeladen haben, dann heißt das doch, dass Du die Einladung angenommen hast. Hättest Du da wirklich mitgemacht?
MB: Ich kannte die Show nicht (habe keine Glotze), fand es aber geil, C-Promis in meiner Küche was vorsetzen zu können. Geplant waren Pellkartoffeln mit Tomaten, Ende. Die Studentinnen waren schon ganz aufgeregt (sie sollten "servieren"), vor allem, weil Du meine Küche mal sehen müsstest. Sie besteht, außer der Waschmaschine, nur aus Zeuch vom Sperrmüll und Labor-Bedarf (wer's nicht glaubt, kann vorbei kommen.) Das wäre schon schön gewesen...die bezahlen einen ja auch noch dafür. Hihi!


Zum Abschluss: Film, Kunst und Literatur - welche Themen interessieren dich als Privatmensch?
MB: Ich trenne nicht zwischen privat und beruflich. Abgesehen davon: Harte Arbeit, Diversität, Verständnis durch Handeln statt Labern, das interessiert mich.


Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viele lustige Stunden im Leben.

Mit herzlichem Dank an Martin Black von art-in-black.com, sowie Tim Lemke vom Magazin VIRUS für die zur Verfügung gestellten Fotos, die dieses Interview so schön ergänzen und für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.