Quelle: SeroNews (Heft III/2001)
Kriminalbiologischer Besuch in Manhattan/NYC (Mark Benecke, Sero News, 2001)
Von Mark Benecke
In diesem Jahr geht die zweite und letzte Amtszeit des New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani zu Ende. Eines seiner von Anfang an erklärten Ziele war es, die Straßen der Stadt -- so gut es ginge -- von Verbrechen zu befreien. Teile Manhattans, Brooklyns, Harlems sowie die südliche Bronx gelten bei U.S.-Amerikanern und Touristen seit langem als besonders gefährliche Gegenden. Im Vergleich zu anderen Städten wie Washington ist die wirkliche Verbrechensquote in New York aber für eine U.S.-Großstadt eher niedrig. Dennoch prägt das New Yorker Stadtbild und -leben den Eindruck der Welt von den USA, und eingefleischte New Yorker halten den Times Square tatsächlich für den Mittelpunkt der Welt. Durch diese etwas verzerrte Wahrnehmung ermöglichte eine Imageverbesserung New Yorks also auch eine Aufwertung der Person Giulianis, der schon lange gerne Senator werden wollte. Nur eine Krebserkrankung hat ihn im Jahr 2000 schließlich gezwungen, den Kampf um den angestrebten Posten gegen Hillary Rodham-Clinton aufzugeben.
Giulianis Methoden zur Verbrechensbekämpfung waren oft hart und zielten auf Machtdarstellung ab, beispielweise beim Einsatz von tief fliegenden Hubschraubern und vergleichsweise stark bewaffneten Polizeikräften, die noch 1998 eine Handvoll harmloser Demonstranten auf dem Broadway in der Nähe des alternativen East Villages beobachteten. Auch Drogenabhängige wurden häufig im wahrsten Sinne des Wortes aus der Stadt gekarrt, bis sie nicht mehr wiederkamen. Solch scheinbar auf Publikumswirkung geeichten Einsätze brachten Giuliani einen derarten schlechten Ruf bei den zumindest in Manhattan zahlreich vertretenen Menschen mit alternativem Lebensstil ein, dass knallgelbe Aufkleber mit der Aufschrift "Giuliani is a jerk" ("Giuliani ist ein Blödmann") bald die Runde machten. Immerhin sind harte Drogen und deren Benutzer auf New Yorks Straßen eine Seltenheit geworden. Im Fall der sehr verbreiteten Droge Crack scheint das aber nicht nur das Verdienst von Polizei und Verdrängungspolitik gewesen zu sein, sondern auch der von der Presse so genannte "Kleine-Bruder-Effekt": Die jüngeren Geschwister, so glauben viele New Yorker, hätten den besonders raschen Verfall ihrer älteren Geschwister durch Crack nicht selbst erleben wollen und zumindest diese Droge daher gemieden. Das Hauptdrogenproblem für die SchutzpolizistInnen in der Bronx ist beispielsweise weed -- das in Deutschland als schwache Droge angesehene "Gras".
Wie ernst und tief gehend Giulinis Team die Verbrechensbekämpfung aber wirklich betrieben hat, sieht man besser, wenn man das System von innen betrachtet. Auffallend war beispielweise, wie unter der veränderten Stadt-Führung eine vollkommen neue Generation von Cops (Schutzpolizisten) heranwuchs, die nicht nur besser ausgebildet war als ihre Vorgänger, sondern als Leit-Ziele auch Freundlichkeit und Professionalität ansieht. In krassem Gegensatz dazu waren viele Cops der alten Schule eine Art Straßenkämpfer, die im sie täglich umgebenden Chaos aus Betrug, Drogenverkauf/-benutzung und Gewalt gelegentlich mit ebenso harten Methoden gegensteuern wollten. Der letzte Vorfall der alten Art ereignete sich 1998, als Schutzpolizisten einen Schwarzen in einer Toilette durch Einführen eines Schlagstockes in den After zum Reden bringen wollten. Giuliani stellte sich offiziell allerdings immer vor "seine" Polizisten ("New York's Finest" = "New Yorks Beste"), wohl ahnend, dass die alte Garde bei einer sehr attraktiven Ruhestandsregelung (halbes Gehalt nach 20 Jahren Dienstzeit bei freiwilligem Austritt aus dem Dienst plus Möglichkeit zur Aufnahme eines anderen Berufes bei dort vollem Gehalt) bald den neuen Cops Platz machen würde. So ist es auch gekommen.
Nicht nur während seines Arbeitsaufenthaltes an der Manhattener Rechtsmedizin (1997 bis 1998), sondern auch bei einer sechsstündige Begleitung einer Streife fand der Autor im Juli 2001 zusammen mit StA Zabeck (Aachen) im immer noch sozial extrem schwachen 44en Precinct (South Bronx) diese durchgreifende Änderung bestätigt. Wir sahen konsequent durchgeführte, freundliche und professionelle Einsätze gut geschulter und selbstständig entscheidender Beamten. Dabei ist das Wertesystem der New Yorker Polizisten teils anders als im Rheinland -- eine Person, die gegen eine Wand uriniert, kann ähnlich behandelt werden wie ein jugendlicher Mofa-Knacker -- mit einer sehr eindringlichen Verwarnung.
Interessant ist auch, dass den Bedürfnisse der Polizeiinspektionen gut Rechnung getragen wird, indem zum Beispiel in der South Bronx neun Streifenwagen dauernd zur Verfügung stehen und auch auf der Strasse unterwegs sind, während andere, größere Gebiete New Yorks mit geringerer Verbrechensdichte eine entsprechend niedrigere Zahl an Wagen besitzen.
Das ergibt für die stärker belasteten Gebiete Sinn, denn noch befindet sich die Stadt im aktiven Kampf gegen Stich- und Schusswaffenbesitz. So steht es in New York nicht nur unter vergleichsweise schwerer Strafandrohung, Messer zu tragen (mein Taschenmesser wurde mir beispielsweise vom Leiter der DNA-Abteilung in Manhattan persönlich verboten, und in eine Wohnung, in der ein eifersüchtiger Täter mit Messer vermutet wurde, sahen wir gleich sechs kräftige Beamte einrücken). Vor allem der Besitz von Schusswaffen ist im Fokus der Ermittler. Dabei ist eine Plakat-Kampagne der Stadt besonders perfide -- jeder Anrufer erhält 500 Dollar, der einen Schusswaffenbesitzer erfolgreich anschwärzt. Da dieser Betrag in den sozial schwachen Gebieten mindestens einem, wenn nicht zwei Wochenlöhnen geregelter Hilfs-Arbeit entspricht, ist die Verlockung groß. Das ist auch gut so. Der Autor selbst war beispielsweise zugegen, wie ein Spaziergänger, der wegen ein wenig am Arm getragenen Silberschmuck am hellichten Tag in der Bronx von einem Einzeltäter ausgeraubt werden sollte, im Krankenhaus vollkommen gelassen berichtete: "Natürlich habe ich mir den Schmuck nicht abnehmen lassen, schließlich wohne ich hier. Ich habe dem Angreifer daher zur Abwehr an die Mündung der Pistole gegriffen (!). Dabei hat sich der Schuss gelöst, der meinen Oberschenkel durchschlagen hat. So etwas kann passieren." Der Angegriffene, der übrigens kein Wort Englisch (sondern nur Spanisch) sprach, konnte den Angreifer nur insoweit identifizieren, dass er "ein bisschen größer als ich und eine eher dunklere als hellere Hautfarbe hatte. Mehr kann ich nicht sagen, er ist ja weggelaufen.
Ein Meisterstück der Giuliani-Administration stellt der systematische Aufbau der Abteilung forensische Biologie im Institut für Rechtsmedizin in Manhattan dar. Ursprünglich mit der Bestimmung von Blutgruppen beschäftigt, konzentrierte sich die Abteilung seit Ende der 1980er Jahre auf die Untersuchung genetischer Fingerabdrücke in schweren Verbrechen wie Mord und Vergewaltigung. Dazu wurden in der ersten Phase nicht nur über ein dutzend neuer Kriminalbiologen angeheuert, sondern auf dafür gesorgt, dass eine große Menge Fälle grundsätzlich innerhalb von höchstens drei Monaten abgearbeitet werden konnte. Im Bereich der Sexualdelikte war es dabei sehr hilfreich, dass es in allen Polizeiinspektionen und Krankenhäusern (!) standartisierte rape kits gibt, die in einzelnen Umschlägen alles enthalten, was zur Beweissicherung aus kriminalbiologischer Sicht notwendig ist. Von fast jedem Sexualdelikt liegen daher neben der Unterwäsche auch Fingernägel, Auskämmungen der Schamhaare und Vergleichsproben der Opfer vor. Eine beigelegte Checkliste und Einweghandschuhe machen die Sache noch sicherer. Vizedirektorin des Manhattener Department of Forensic Biology ist übrigens Dr. Mecki Prinz, die auch das DNA-Labor der Kölner Rechtsmedizin aufgebaut hat.
Der Traum jedes Verbrechensbekämpfers ist natürlich auch die rasche Untersuchung biologischer Spuren aus Raub, Diebstählen und anderen als zunächst weniger wichtig angesehenen Verbrechen. Um auch diese Tatspuren untersuchen zu können, soll noch in diesem Jahr der Bau eines insgesamt vierzehn (richtig gelesen: 14) Etagen umfassenden Neubaus und damit der wohl weltweit größten städtischen Abteilung für forensische Biologie entstehen. Bei der Planung wurde großer Wert darauf gelegt, eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen Polizei und WissenschaftlerInnen zu gewährleisten. Im Eingangsbereich des Gebäudes werden daher nur die Spurenträger angenommen und die Chain of Custody (ein Formular, das zeitlich lückenlos darstellen muss, wo sich ein Beweismittel befindet) bearbeitet. In einer anderen Etage arbeitet eine Vor-Ort-Gruppe, die sich mit Blutspritzern, Waffen, Fingerabdrücken und auch deren Beziehung zu genetischen Fingerabdrücken auskennt. Die übrigen Abteilungen sind mit Tischen zur Durchsicht der Spurenträger, Geräten zur Erstellung genetischer Fingerabdrücke, aber auch einer Einheit zur angewandten Weiterentwicklung genetischer Fingerabdrücke besetzt. Neben örtlichen Datenbanken, die nur allgemeine Häufigkeiten bestimmter Merkmale genetischer Fingerabdrücke verschiedeneer Bevölkerungsgruppen New Yorks enthalten, gibt es auch eine Anbindung an das USA-weite Vergleichsnetz zur Feststellung von Übereinstimmungen genetischer Fingerabdrücke in Spuren und möglichen Tätern.
Möglich war die vergleichsweise rasche Erweiterung der Abteilung übrigens dadurch, dass die New Yorker Rechtsmedizin nicht einer Universität angegliedert ist, sondern dem Gesundheitsamt. Da dieses aber der Stadt und damit direkt dem Bürgermeister untersteht, konnte das Geld recht gezielt beantragt und verwendet werden. Auch die erfolgreiche und rasche Suche nach einer geeigneten Bau-Fläche in der Nähe des alten Instituts, das heißt mitten in Manhattan, wäre ohne direkte Beteiligung der Stadt nicht vorstellbar gewesen. Es werden in den kommenden Monaten noch dutzende KriminalbiologInnen in Manhattan eingestellt, was angesichts der hohen Anforderungen, die die Stadt an alle BewerberInnen stellt, sowie der anfangs schlechten Bezahlung ein mühseliges Verfahren darstellt. Unsicher ist auch, ob der neue Bürgemeister nicht doch noch den Geldhahn nachträglich zudreht. Die KriminalbiologInnen in New York sind aber zuversichtlich, und wir werden Sie auf dem Laufenden halten. Falls Sie einmal in Manhattan sind, lassen Sie es den Autor bitte wissen, er vermittelt dann gerne eine Tour mit der Polizei oder einen Besuch in der Rechtsmedizin.