Beneckes Bücherschrank: Patricia Cornwell: Wer war Jack the Ripper?

2003 SeroNews: Patricia Cornwell: Wer war Jack the Ripper?
Quelle:SeroNews Nr. 1/2003 (Vol. 8), S.13-14
Patricia Cornwell: Wer war Jack the Ripper?
Beneckes Bücherschrank (10c)

Von Mark Benecke

Patricia Cornwell: Wer war Jack the Ripper? Porträt eines Killers. Gebundene Ausgabe, 412 Seiten, Hoffmann & Campe, Erscheinungsdatum: 2002, ISBN: 3455093655, EUR 22,90

Der deutsche Verlag bietet das recht dicke Buch für einen verdächtig niedrigen Preis an: Kein Wunder, denn es hält nicht, was es verspricht.

Die Liste der halbgaren Ermittlungen und vor allem Vermutungen der Krimi-Autorin ist zu lang, um sie hier zu drucken, aber einige Beispiele sollen auch die hartgesottensten Fans -- bitte, bitte, bitte -- von diesem Nicht-Sachbuch fernhalten:

a) Wichtige Beweisstücke – Gemälde des Malers und Haupt-Verdächtigen für die Taten namens Sickert – sind nicht abgebildet. Das ist frustrierend, weil die Autorin ständig auf diese Bilder verweist. Der Verlag sollte einen Kunst-Band des einst berühmten Künstlers gratis mitliefern; anders geht´s nicht.

b) Cornwell führt mehrmals aus, dass heute bessere Untersuchungs-Techniken als damals verfügbar sind. Allerdings ist das Spuren-Material seinerzeit nicht asserviert worden! Was also sollen die Lehrbuch-Exkurse in die heutige Kriminal-Technik und -biologie bedeuten? Und was haben sie mit der Aufklärung der Ripper-Identität zu tun? Eben: nichts.

c) Sickert wurde als Kind mehrmals am Penis operiert. Daraus folgert Cornwell, dass der Maler mangels geschlechtlicher Erfüllung einen Hass auf Frauen entwickelte und sich für Anatomie interessierte. Leider kann sie aber weder Erektions-Störungen Sickerts noch das angebliche Hass-Gefühl noch die Lust an Anatomischen auch nur ansatzweise belegen. Trotzdem beharrt die Autorin auf diesen Tatsachen. Warum?

d) Im Zusammenhang mit sadistischen Serientaten ist der verstaubte Begriff „Lustmord“ unschön und völlig falsch. Mit sexueller Lust haben die Taten des Rippers nichts zu tun. -- Auch eine mit sexuell übertragbaren Krankheiten infizierte Prostituierte als „wandelnde Seuche“ zu bezeichnen, finde ich etwas stark.

e) Die Anzahl der Konjunktive ist derart hoch, dass das Werk auch heißen könnte: „Das Buch der Vermutungen“. Nichts gegen kriminalistische Hinweise, Indizien und begründete Vermutungen! Cornwell versucht aber bloß, ihre zwar schöne, aber nicht wirklich belegbare Geschichte glaubwürdiger zu machen. „Manche sagen“, „andere behaupten“, „vermutlich blieb Sickert“; „muss…eine gewaltige Garderobe besessen haben“, „wenn Sickerts Skizze…das Gesicht wiedergibt, dann ist Sickert am Tatort gewesen“; „Sickert war sicherlich mit den neuesten Ermittlungsmethoden vertraut“; „wir dürfen voraussetzen…doch selbst wenn das nicht der Fall ist“…usw. usf..

f) Das einzige beweisnahe Informations-Fitzelchen ist die mtDNA an manchen Ripper-Briefen. Sickert soll die Texte mit vielfach verstellter Handschrift geschrieben haben. Könnte sein -- die Briefe und deren textlicher Inhalt sind tatsächlich der einzige halbwegs brauchbare Hinweis in einer ansonsten brüchigen Indizien-Kette. Allerdings fehlt eindeutige Vergleichs-DNA von Sickert, so dass nur Briefumschlag mit Briefumschlag verglichen werden kann. Details zur DNA-Typisierung sind im Buch aber nicht mitgeteilt (außer dass drei Loci übereinstimmen sollen).

Für ein kleines, feines Paper in den SeroNews oder der Kriminalistik hätte die sechs Millionen Euro teure Untersuchung Cornwells zur Freude und Unterhaltung der LeserInnen gereicht. In einem mit leeren Versprechungen und unnützen Neben-Geschichten gespicktem dicken Schinken ist das ganze aber Quatsch mit Soße.