Buchrezension: Friedrich Herber (2002) Gerichtsmedizin unterm Hakenkreuz
Quelle: SeroNews Nr. 3/2002 (Vol. 7), S. 78
Friedrich Herber (2002) Gerichtsmedizin unterm Hakenkreuz
Beneckes Bücherschrank (8)
Von Mark Benecke
Friedrich Herber (2002) Gerichtsmedizin unterm Hakenkreuz. Militzke Verlag, 549 Seiten, 29,00 €, Hardcover
Keine Angst: Obwohl das Buch von einem Insider geschrieben wurde, wird darin nicht nachträglich schmutzige Wäsche gewaschen. Stattdessen bietet Autor Herber eine in Historiker-Art verfasste Übersicht (samt vieler Quellen, Sach- und Namens-Register) über dasjenige Kapitel deutscher Rechtsmedizin, von dem die meisten Jüngeren noch nie etwas gehört haben.
Dass rechtsmedizinische Aktivitäten im Dritten Reich heute kaum bekannt sind, liegt nicht nur daran, dass sich bislang niemand darum gekümmert hat. Es ist auch eine Folge sich im Krieg mischender Fächer und Ambitionen, die heute wieder sauber getrennt sind: Rechtsmedizin, Wehrmedizin und Pathologie oder SS-Mitgliedschaft und Ämter in der Gesellschaft für gerichtliche Medizin. Anhand einiger Biografien und Originaldokumente wird schlaglichtartig vorgestellt, wie diese Vermischung vor sich ging.
So kommt es auch, dass 1944 zwar kein eigentlicher rechtsmedizinischer Kongress mehr stattfand, wohl aber eine „Arbeits-Tagung der Beratenden Ärzte im SS-Lazarett Hohenlychen“, wobei es beispielsweise um „Einwirkungen des Feuer-Sturmes auf den menschlichen Körper“, „Ursachen der tödlichen CO-Vergiftung bei Soldaten“ und „Krankheits-Vortäuschungen“ einschließlich soldatischer Selbst-Verstümmelungen ging.
Über medizinische Versuche aus den Konzentrationslagern gibt es weniger Unterlagen, allerdings geht der Autor auch auf diese schlimme Arbeit vergleichsweise ausführlich ein. Was KZ-Ärzte mit Rechtsmedizin zu tun haben, ist mir nur teils klar geworden. Es ist aber ein interessanter Exkurs, der sich wohl daraus erklärt, dass Friedrich Herber Herausgeber des erst 1992 auf deutsch erschienenen Erfahrungs-Berichtes von Miklós Nyiszli ist, dem jüdischen „Gerichtsmediziner in Auschwitz“. Da Nyiszli aber bloß Helfer der nicht-rechtsmedizinischen KZ-Ärzte werden musste, um seinen Kopf zu retten, scheint mir die Geschichte etwas unstimmig. Immerhin -- dass es Lampen-Schirme aus Menschenhaut in SS-Büros wirklich gab (S. 265), habe ich erst jetzt glaubhaft erfahren.
Abgesehen vom Historischen und Politischen gibt es noch schöne Kasuistiken wie die wehrdiensthinderliche Selbstverletzung durch ein „guillotineähnliches Fallbeil“ (S. 297 f.), einen „seltenen Fall von Selbst-Entzündung durch Sonne“ (S. 265), die Aufklärung eines angeblich eingebrannten Sterns an einem toten Soldaten (in Wahrheit eine Nah-Einschuss-Wunde, S. 285) sowie die rechtsmedizinische Widerlegung der Legende von den „russischen Handschuhen“ (ebd.).
Ich habe das flüssig geschriebene Buch gerne von vorne bis hinten durchgelesen.