Quelle: SeroNews, 11(4):154-155 (2006)
"Fehlercode 211"
Beneckes Bücherschrank (25)
VON MARK BENECKE
Daniel Ruda: "Fehlercode 211". Taschenbuch, 147 Seiten, Haag & Herchen Verlag, 1. Auflage April 2004, ISBN 389846265X // Liane v. Billerbeck und Frank Nordhausen: "Satanskinder. Der Mordfall von Sondershausen". 355 Seiten, mehrere brauchbare Abbildungen, dtv (Deutscher Taschenbuch Verlag), 1. Auflage 1997, ISBN: 3423305827
Dies ist die letzte Buchrezension in den hiernach eingestellten SeroNews - da möchte ich Ihnen noch einmal etwas ganz besonderes ans Herz legen: Bücher über und von "Satansmördern".
Das erste Buch ("Satanskinder") behandelt ausführlich einen im Rheinland (die SeroNews erscheinen in Düsseldorf; der Rezensent ist Kölner) nahezu unbekannten Fall, den eine Clique, die zugleich die Dark-Metal-Band "Absurd" bildete, im heimatlichen Kaff Sondershausen beging. Die Geschichte hat mit Satan soviel zu tun wie ein Butterblümchen im Sonnenschein; dennoch wird sie besonders von denjenigen Black-Metallern, die sich dem Bösen und dem Kirchenanzünden verschrieben haben (also weltweit einer handvoll Menschen), gerne als Satansmord zitiert.
Liane von Billerbeck und Frank Nordhausen fallen auf diesen Mumpitz genauso wenig herein wie die Täter selbst, denen am entscheidenden Tag so ziemlich alles fehlte, um ihren Mord dem Herrscher der Höller zu widmen - stattdessen erwürgten sie ihren Kumpel, der ihnen auf den Nerv gefallen war, sehr profan mit einem herumliegenden Kabel in einer Hütte auf dem Hügel.
Absurd ist nicht nur der Name der Band der Täter, sondern auch der ganze Fall Sondershausen. Einer der Jungs war beispielsweise mit der Gattin eines örtlichen Kirchenangestellten zusammen und hat ein Kind mit ihr; vor Gericht umarmten sie sich. Sogar auf dem Kirchentag (!) durfe "Absurd" seinen gotteslästerlichen Quatsch zum allgemeinen Entsetzen vortragen, als Abschreckung sozusagen. Dass ein weiterer Täter später zusammen mit seinem Bruder zum Neonazi mutierte, wird im Buch als Nachlauf dargestellt, und eine hervorragende Aussage zur Tat findet sich dort auch noch:
"Ich war völlig allein im Raum, und die Stimme war, als ob sie direkt neben mir war, und der Wortlaut war irgendwie "Küster Meier" oder so was, ich habe es nicht genau verstanden. Inzwischen bilde ich mir ein, hätte das natürlich auch heißen können - TÖTE BEYER (so heißt das Opfer, M.B.). Es klingt sehr spinnerisch, ich weiß, aber ich kann nur sagen, was ich erlebt habe." Abgesehen von der unbezahlbaren Faktensammlung geht ein dickes fettes Lob an die beiden Autoren dafür, dass sie ganz sauber zwischen Black Metal, Gothic, der schwarzen Szene und Dark Wave auf der einen und Spinnern mit überwertigen Ideen auf der anderen Seite getrennt haben. Die beiden Journalisten haben wirklich sehr professionell recherchiert und zugehört; wenn`s nach mir ginge, verdienten sie alleine für blitzsauberes und umfassendes Arbeiten einen Journalismus-Preis. Doch das Thema ist vermutlich so abwegig, dass eine betreffende Jury vor Angst oder Kopfschütteln niedersinken müsste.
Ganz zu Unrecht -- in "Satanskinder" tritt uns Satanismus als das entgegen, was er in fast allen Fällen ist: Eine Form jugendlichen Protestes gegen Mief, den sie besonders in kleinen, engen Städtchen nicht so leicht loswerden. Das Ganze ist aber eine ziemlich übertriebene Art des Protestlärms und in der reinen Verkehrung aller christlichen Werte (umgedrehtes Pentagramm..., siehe Abb. 2) auch stinklangweilig. Nur tödlich ist das Ganze nie - der Mord an Sandro Beyer und das Buch von Billerbeck und Nordhausen zeigen das sehr schön.
Der zweite Titel (Fehlercode 211) stammt von Daniel Ruda, einem der beiden "Satanisten", die (wie schon die Sondershausener Gang) ausgerechnet einen Kumpel umgebracht haben; diesmal allerdings nicht mit einem Kabel, sondern mit Teppichmesser, Drachendolch und anderen Stich- und Schnittinstrumenten.
Der einstige "Dani Sundown" schildert darin, dass er den Mord gar nicht mitbekam, sondern seine damalige Gattin Manuela ihn, während er im Nachbarraum ein Alt trank und eine Zigarette rauchte, in ein von ihm weder geplantes noch gewollte Blutbad hinein zog.
Wenn man einmal den ganzen Mummenschanz vor Gericht (Gruß des Gehörnten usw.) weglässt und der hier vorliegenden Schilderung von Daniel Ruda nur einige Stunden glauben schenkt (das Buch ist dünn), dann sollte es eigentlich eine Übung für jeden angehenden Polizisten und erst recht für Krimi-LeserInnen werden, über die Folgen dieser Aussage nachzudenken. Sein neues Alibi ist nämlich wasserdicht - mit dem für Ruda unangenehmen Neben-Effekt, dass kein Mensch außer seiner Frau es bestätigen oder widerlegen kann.
Selbst aus Spuren-Sicht ist nicht viel zu holen, da die Blut-Spritzer offenbar nicht untersucht wurden (ich habe davon zumindest nichts gehört). Ruda schildert schlüssig eine schnell abfolgende Ereigniskette, die mit seiner Bekanntschaft mit der aus seiner Sicht geheimnisvollen Lady beginnt und eine Hochzeit und schließlich den Mord nach sich zieht. Dazwischen mischt sich eine unvollendete Reise nach Transylvanien. Apropos: Auf dem Weg nach Siebenbürgen (das ist Transylvanien) sollte es nach dem Wunsch der Rudas auch in Sondershausen vorbeigehen. Sondershausen? Siehe oben...
Beide Bücher sind mit etwas Mut bei amazon.de zu haben. Viel Spass beim Tüfteln und Lesen! Es gibt einige kniffelige Probleme in der neuen Aussage Rudas - wenn Sie Spaß daran haben, mailen Sie mir gerne ihre Ideen dazu, warum sein Buch auf Wahrheit oder Lüge fußt (forensic¡benecke.com).
Damit sage ich nun wirklich "auf Wiedersehen" und danke Ihnen fürs treue Lesen dieser Kolumne. Wenn Sie trotzdem noch mehr über abwegige Morde wissen möchten, halten Sie Ausschau nach meinem neuen Buch, das im kommenden Herbst erscheint und viele sehr blutige Überraschungen und Brüche im gewohnten Denken bereit hält.
Adieu und bestes -
der Ihre
Mark Benecke