Steltzer's Lebenshilfe: Berlin

Steltzer's (Zürich, Schweiz) Nr. 4, 5/2012, Seite 5, Abt. Stalaktit & Stalagmit

Interview mit Dr. Mark Benecke

Zu (Un-)Recht gehört Berlin zu den weltbeliebtesten Städten überhaupt. Doch ist die Fratze nicht einfach nur hässlich? Vielleicht aber schickt sie sich sogar an, schick zu sein? In welche Richtung sich die Meinungen auch bewegen, einen schicklich-hässlich führenden Leitfaden, den nur ein Dr. Mark Benecke mit Draht nachformen kann, ist unabdingbar.

Steltzer’s Hinweis! Dr. Mark Benecke, Weltbekannter Kriminalbiologe, kennt Berlin besser als sich selbst. Gefragt durch Stalaktit & Stalagmit rückt das sympathische Perpetuum Mobile Berlin keck ins Scheinwerferlicht. Wie grell oder hell es dann wirklich ist, das muss jeder für sich selber beantworten. Nur wer sie alle liest und verinnerlicht, kann zum Berlin’schen Eroberungsfeldzug ansetzen.

Kultregisseur, Berserker und Sektierer in Personalunion, David Lynch, möchte in Berlin eine «Universität des unbesiegbaren Deutschlands» errichten. Steht Berlin diese Absicht hübsch ins Gesicht geschrieben?

MB: JA, natürlich! David Lynch ist ein unbezwingbarer Film-Gigant. — NEIN, hör auf. Naturwissenschaften und Transzendentales lassen sich nicht in einer deutschen Universität zusammenpressen. Das soll man lieber bei einer Limo oder von mir aus den Drogen, die da im Spiel sind, privat vorbereiten. Leary, Grof und Pahnke können da Vorbild und Mahnung zugleich sein.

Die pulsierende Stadt erfindet sich jeden Tag neu, weshalb sich hier nicht jeder gleichwohl fühlt. Fährt sich Berlin damit selbst an die Wand?

MB: JA, gewiss, weil dadurch auch sogenannte Noveltyseeker anrauschen, die eh nichts anders als nur Langeweile verbreiten. — NEIN. Nein und gleich nochmals nein, denn neu erfinden ist immer gut. Wem es zu zugig ist, der kann ja das Fenster zumachen oder nach Görlitz, Grindelwald oder ins Glottertal ziehen. Dort herrscht Ruhe.

Plattenbauten, Kebabgeilheit, Welthauptstadt Germania, Einschusslöcher, Berliner Schutzmannschaft ... Ist Berlins Aura übel gelaunt?

MB: NEIN, weil’s genügend Brandenburger*innen (bescheidener) und Ausländer*innen (geschäftstüchtig) gibt, die gute Laune verbreiten können, wenn sie denn auch wollen. — JA, und das ist gut so. Man muss nicht immer freundlich sein. Im Rheinland sind alle supernett, dafür aber auch gnadenlos opportunistisch. Beides geht – grummeln oder liebsein – aber beides zusammen kann eben nicht wirklich Hand in Hand gehen. Und ja, irgendwie erinnere ich mich jetzt dabei an die Frage 1.

Freiherr Alexander von Humboldt gehört zu den – unzähligen – Ehrenbürgern der Stadt. Im selbigen Gefilde tummelt sich das sinistre Trio Hitler-Goebbels-Göhring. Soll man diese Liste pulverisieren, in Schutt und Asche legen?

MB: NEIN, es ist gut, sich zu erinnern, was Phase ist. Listenpulverisierungen sind jefährlich, weil dann alles noch schneller wieder von vorne losgeht. Man kann die Liste aber ja in eine gut zugängliche Schublade tun und muss sie nicht gleich übers Bett pinnen. — JA, ohne Atempause wird immer wieder neue Geschichte gemacht, geschrieben. Es geht voran!

Wer nur schon ein bisserl etwas von und auf sich hält, der hat Berlin schon mindestens einmal besucht. Geht mit dieser stets nach oben geschraubten Popularitätsspirale alsbald Pseudästhesie einher?

MB: Wenn Kleinbürger meinen, die halbe Stadt aufkaufen zu müssen und dann, wie es soeben geschieht, wegen Lärmbelästigung alle Clubs schliessen lassen, dann JA. Verflucht, verdammt sollen sie sein! — NEIN, gloobe ick nicht. Wer als Städte-Tourist (grauenhaftes Wort, grauenhafte Vorstellung) hinfährt, wird im besten Fall mit Hipster-Wollpullover oder im zweitbesten Fall mit 300 Euro weniger in der Tasche (Damen auf Oranienburger Strasse) wiederkommen – aber so oder so nix währenddessen gelernt, geschweige denn erlebt haben. Das regelt sich aber schon alles von selbst. Die Galerien auf der Rosa-Luxemburg-Strasse gehen ja genauso ein wie der rechte Klamotten-Laden dort. Felsen in der dortigen Strassen-Brandung hingegen: der olle Sexshop und das BABYLON. Passt schon alles. Irgendwie.

(Mit herzlichem Dank an Cyril Schicker für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.)


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  • Fakten-Checking (Humboldt — Die Zeitschrift des Humboldt-Gymnasiums Berlin-Tegel)