"Ärzte haben sehr viel anderes zu tun"

Sollen nur noch Mediziner Tattoos per Laser entfernen dürfen? Nein, sagt Pro-Tattoo-Chef Mark Benecke

Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ) S. 24 (mit großem Dank an die Redaktion), GUT ZU WISSEN, Do., 22. Aug. 2019, S. 24 (Druck) :: Online >

Von Melanie Heike Schmidt

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OSNABRÜCK Jeder vierte Deutsche ist tätowiert, doch nicht alle lieben ihren Körperschmuck. Schätzungen zufolge lassen sich rund 1,2 Millionen Menschen im Jahr ein Tattoo per Laser entfernen. Derzeit bieten auch Kosmetiker oder Tätowierer solche Entfernungen an, doch ab Ende 2020 soll das allein Fachärzten vorbehalten sein.

Das stößt auf Kritik, etwa bei Mark Benecke. Der Kriminalbiologe — auch genannt „Dr. Made" — ist Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverstän-diger für biologische Spuren. Wer ihn bei seinen zahlrei-chen Vorträgen oder in TV-Dokumentationen sieht, entdeckt schnell: Benecke hat ebenfalls eine Leidenschaft für Tattoos. Wie viele der Kölner inzwischen hat, weiß er selbst nicht genau. Wichtiger ist ihm, in seiner Funktion als Vorsitzender des 2011 gegründeten Vereins Pro Tattoo über das Tätowieren „neutral und kritisch zu berichten".

Was Benecke über die ab 2020 greifende Neuregelung zum Entfernen von ungeliebten Tattoos denkt, erklärt er hier im Interview.

Herr Benecke, wer ungeliebte Tattoos loswerden will, wird damit schon bald ein Fallfür den Arzt. Eine neue Regelung sieht vor, dass die Tattoo-Entfernung per Laser ab Ende 2020 nur noch von Medizinern übernommen werden darf. Was halten Sie davon?

Mark Benecke: Die Neuregelung ist sinnlos. Erstens kenne ich kaum Ärz-tinnen und Ärzte, die sich dafür interessieren, wie Tattoo-Entfernungsgeräte funktionieren. Zweitens haben sie meist sehr viel anderes zu tun. Besonders die hier kundigen Hautärzte sind schon jetzt Monate im Voraus wegen Allergien, Hautkrebs, Geschlechtskrankheiten und vielem anderem ausgelastet. Die meisten von ihnen haben bestimmt keine Lust, stattdessen Tattoos zu entfernen.

(Foto: Trägt reichlich Körperschmuck: Mark Benecke ist nicht nur der berühmteste Kriminalbiologe Deutschlands. wenn nicht der Welt, sondern auch Vorsitzender des Vereins Pro Tattoo.)

Dennoch werden die Ärzte ja mit diesen Anfragen zu tun haben, ebenso Tattoo-Studios, die bislang auch das Entfernen von Tattoos im Programm halten. Was glauben Sie, geschieht ab dem kommenden Jahr?

Entweder wird das durch Tricks gelöst, also die Praxis-Hilfe beim Arzt macht es unter Anleitung, obwohl das Delegationsverbot dies verbietet, oder durch Nicht-Hinschauen bei Tätowierern und Tätowiererinnen und Kosmetikern und Kosmetikerinnen.

Wir fragen uns bei Pro Tattoo auch, wie die vorgeschriebenen Sachkunde für Ärztinnen und Ärzte geprüft werden soll. Viele ärztliche Kollegen und Kolleginnen ersticken in Arbeit. Im Medizinstudium beschäftigen sie sich nicht mit Tattoo-Entfernung. Das Thema ist für Studierende in etwa so sexy wie eingewachsene Zehennägel.

Aber es gibt doch sicher Gründe, die für eine solche Änderung sprechen.

Mir fallen keine ein. Es gibt noch nicht einmal sichere Studien, die zeigen, dass die bisherigen Anbieter Tattoos schlechter entfernen als Ärztinnen und Ärzte es künftig alleine machen sollen. Das wird ein Riesen-Heulen und -Zähneklappern geben.

Warum das? Erstens werden die meisten Menschen nur schwer eine Ärztin oder einen Arzt für eine Tattoo-Entfernung finden. Zweitens werden sich ärztlichen Kolleginnen und Kollegen ungewöhnliche Gesprächsformen angewöhnen müssen.

Wie meinen Sie das?

Nach der Tattoo-Entfernung kann es bei schlampigen Menschen beim Baden, am Strand, durch Reibung an Kleidung und schlotzige Hände beispielsweise zu Entzündungen kommen.

Kosmetiker und Tätowierer kennen diese endlosen, immer gleichen Gespräche seit ihrem ersten Tag im Beruf. Ein Zettel mit Informationen wird kaum beachtet, viel besser sind ruhige, vernünftige Gespräche. Welche Ärztin und welcher Arzt hat dafür Zeit? Und vor allem: Wer möchte für diese Kundinnen und Kunden ärztlich haften?

Wie wird künftig wohl hierzulande die Tattoo-Entfernung ablaufen?

Vor allem könnte die Tattoo-Entfernung aus den genannten Gründen in Deutschland vielleicht sauteuer werden, in Polen, der Tschechischen Republik und Frankreich vielleicht aber nicht. Ich wette, dass das Ganze ins Hinterzimmer abrutscht, weil die Kundinnen und Kunden nicht ewig warten und dafür weit reisen wollen. Eine Tattoo-Entfernung dauert viele Stunden in mehreren Sitzungen.

Noch bescheuerter ist übrigens, dass ab Ende 2020 Kosmetikerinnen und Kosmetiker auch wegen dauerhafter Haarentfernung, elektronischer Muskel-Anregung und dergleichen eingeschränkt werden sollen. Warum zur Hölle?

Dass es Kenntnisse und Fähigkeiten braucht, um Tattoos sicher und fachgerecht zu entfernen, liegt aber doch auf der Hand. Wie könnte man dies sonst sicherstellen?

Was ist mit den ganzen Kosmetikerinnen und Kosmetikern, Piercerinnen und Piercern, Tätowiererinnen und Tätowierern, die nicht studiert haben, ihren Job aber nachweislich eins a machen? Wieso können sie nicht eine — von mir aus auch strenge — Zusatz-Einweisung mit Zertifikat und allem Drum und Dran erhalten und dann mit dem weitermachen, was sie bisher gut und für die Kundinnen und Kunden angenehm schon lange gemacht haben? Interessante Info am Rande: Auch die Deutsche Gesellschaft für EU-Konformität ist gegen die Neufassung der Regelungen.

Ich habe übrigens noch eine Idee: Menschen könnten sich vorher überlegen, was sie tätowiert haben wollen, in Ruhe einen Profi-Laden aussuchen und brauchen dann auch keine Entfernung. Ein Tattoo ist fürs Leben.

(Mit vielem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.)