Dr. Mark Benecke: Essen, Sex und Tod

Quelle: Schwarz Magazin für Innovation & Risiko, 4/2022 (April 2022), ISSN 2748-0380, S. 12—15

Unser Titelthema beschäftigt sich mit dem Tod. Präziser, um Menschen die sich aus professionellen Gründen mit diesem auseinandersetzen. Es geht um Medienmenschen, die ihren Beruf zur Berufung gemacht haben. Sie stehen in der Öffentlichkeit, ihre Meinung ist gefragt, ihre Werke sind beliebt und geradezu kultverdächtig. Sie beeindrucken durch Fachwissen, Engagement und Kreativität. Sie sind Expert*innen des Todes.

Einer von ihnen ist Dr. Mark Benecke. Kriminalbiologe und international hoch geschätzter Experte auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forensik und Entomologie.

Die Medien sind nicht zwingend Mark Beneckes Anliegen. In weiten Teilen interessieren sie ihn nicht einmal. Er ist Wissenschaftler. Mit seiner Arbeit jedoch bekommt er Einblicke in Bereiche, die uns verschlossen bleiben. Er wird täglich in Gesprächen mit dem Tod konfrontiert und kann diese für uns in den entsprechenden Kontext setzen. Einfach, verständlich, auf den Punkt gebracht.

Mark Beneckes Sachverstand und seine unkonventionelle Herangehensweise sind in so ziemlich jedem medialen Kanal, der in diesen Zeiten bespielt werden möchte, gefragt. Auftritte in unterschiedlichen Fernsehformaten und regelmäßiger Social-Media-Content gehören dazu. Mark Benecke präsentiert nicht das klassische Bild eines Wissenschaftlers. Der weiße Kittel ist der vorzugsweisen schwarzen Kleidung und den Tattoos darunter gewichen. (*) Etwas verrückt, zeitgemäß möchte man meinen. Eben dies und die Tatsache, dass er einen vielleicht für uns “beängstigenden” und dadurch faszinierenden Beruf ausübt, sowie sein umfassendes Engagement in vielen Bereichen darüber hinaus, trägt zu einer breiteren Bekanntheit in der Öffentlichkeit bei. Er wirkt nahbar. Auch in seinen wissenschaftlichen Erklärungen.

Er vermittelt anspruchsvolle Themen gut verständlich, unterhaltend und vor allem nicht belehrend. Ein gutes Beispiel sind die Corona-Beiträge auf seinem offiziellen Youtube-Kanal, in denen er mit seiner Partnerin Ines Fischer Anmerkungen zu Corona diskutiert. Die hemmende Experten-Wand wird beim lockeren Frühstück à la TikTok im Netz schnell durchbrochen. Das kommt an.

Die Liste seiner Veröffentlichungen ist lang. Die Bücher und Texte befassen sich mit seinen Fällen, mit seinen Forschungen. Unter anderem mit Hitlers Schädelknochen, Serienmördern, Blut, Vampiren, Mumien, diversen Todesarten, Maden und Leichen.

Die thematischen Ähnlichkeiten zu den erfolgreichen Streaming-Dienst-Inhalten und den Bücherregalen im Handel sind offensichtlich. Wenn es um den Tod geht, scheinen die wissenschaftlichen Expertisen und popkulturelle Inhalte mindestens eine große Schnittmenge zu füllen. Mark Benecke ist diesbezüglich bereits seit 1995 mit diversen Formaten in den Medien präsent. Lange vor Youtube und Co. Die Sendung Medical Detectives“ beispielsweise, läuft bereits seit 20 Jahren. Wir hatten die Gelegenheit mit Mark Benecke ausführlich darüber zu sprechen.

Der Tod nimmt den in der Darstellung kreativsten und vielfältigsten Bereich in der Medienlandschaft ein. Von Nachrichtensendungen, Dokumentationen, Crime-Formaten bis hin zu blutigen Splatter-Orgien. Alle Genres und alle Veröffentlichungsvarianten werden in Masse abgehandelt. Print, Web, Kino, TV. Mark Benecke findet ganz unterschiedliche Gründe für die große Nachfrage dieser Themen. Gerade im True-Crime-Bereich. “Eine selten erwähnte, aber große Gruppe an Zuschauer*innen sind die Leute, die selber etwas Schlimmes erlebt haben. Und durch das Anschauen von echten Delikten oder todesnahen Situationen diese in Beziehung zu den eigenen Erlebnissen setzen. Die dargestellten Schicksale erscheinen vielleicht unangenehmer als die eigenen Erfahrungen und lassen diese somit als weniger schlimm wirken. Es verrät dir was über das große Ganze: Wie kann ich als Mensch leben? Wie gehe ich mit Schrecklichem um, welche Möglichkeiten gibt es?“

Eine todesnahe Erfahrung sensibilisiert also in der Betrachtung. Mark Beneckes Vergleich zu einer Darstellung aus den Harry Potter-Filmen verdeutlicht das sehr gut. Dort können nur Leute, die mit dem Tod in Berührung gekommen sind, Thestrale, pferdeähnliche Wesen sehen. Ein schönes Sinnbild. Wer dem Tod zu nahegekommen ist, auf welche Art auch immer, wird von dieser Erfahrung begleitet und ändert die Sichtweise darauf.

“Wie kann ich mein Leben weiterführen unter dem Eindruck von etwas Schrecklichem, Seltsamen und Rätselhaftem. Das ist möglicherweise die große, stille nicht nach außen bekannter Zielgruppe. Die meisten Menschen machen sich nicht klar, wie weit verbreitet dieser Todeskontakt ist, den die Menschen schon mal gemacht haben. Da ist viel mehr Düsteres und Rätselhaftes da draußen unterwegs als man denkt. Bei mir kommen diese Dinge direkt auf den Tisch und die Leute berichten mir alles. Du erfährst das jedoch nicht von deinen Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen. Sie kapseln das ab, weil sie keine Lust haben im Alltag darauf angesprochen zu werden.

Das Interesse an tödlichen Dingen, unabhängig von allen anderen Gründen, ist natürlich auch das Bedürfnis Rätsel zu lösen. Anstatt sich mit Zahlenmustern zu beschäftigen, kann das Rätseln an einem Verbrechensfall spannender werden.” Natürlich, wer spielt nicht gerne Sherlock Holmes. Auch die Verarbeitung im Fiction-Bereich ist ein wesentlicher Reiz für den Konsum.

“Die sehr gewalttätigen skandinavischen Krimis, die es eine Zeit lang gab, sind ja ein perfektes Beispiel dafür. Die handeln nur davon, sich vorzustellen, wie ich meine Rachegefühle eben nicht in der Öffentlichkeit ausleben, sondern das in einem Krimi tun kann. Da wo es den Bösen trifft. Und mit dem kann man gedanklich dann auch machen was man will.”

Wie schon eingehend beschrieben, die Gründe für den Erfolg der sich mit dem Tod befassenden Formaten in den Medien hat viele Ursprünge. Jedoch sind es nicht immer die Offensichtlichen.

In manchen Kulturen ist der Tod gegenwärtiger. Zumindest offener in das Leben integriert. Für unsere westlich geprägten Einflüsse wirkt dies befremdlich. So vielfältig und präsent er bei uns auch in den Medien, im Unterhaltungsbereich verarbeitet wird. Im westlichen Leben ist der Tod mit vielen Tabus behaftet. Respekt und Angst bestimmen unsere kulturelle, gesellschaftliche Linie. Ist es ein Ur-Bedürfnis sich mit dem unausweichlichen Tod auseinanderzusetzen und sich damit zu konfrontieren? Die Vermutung liegt nahe, dass die Medieninhalte vielleicht sogar als Ersatz, für die Schaffung einer künstlichen Präsenz dienen. Vielleicht als Ersatz für gesellschaftliche Defizite im Umgang. Gibt es überhaupt eine anzustrebende mediale Darstellung?

“Die Antworten sind vielfältig. Alle Menschen haben verschiedene Fragen und Bedürfnisse, die auf unterschiedliche Weise eingeordnet werden müssen. Der Tod ist ja keine bestimmte Produktgruppe im Supermarkt, sondern der Tod ist der ganze Supermarkt: Der Tod haftet an allem. An Gegenständen, an Menschen, an Tieren. Er haftet an jedem Moment. An der Zeit. An Krankheiten und an der Gesundheit. Alles stirbt. Als lebender Mensch erlebst du vieles. Nehmen wir Essen, Sex und Tod. Die werden daher ebenfalls alle sehr stark in den Medien behandelt, nicht nur der Tod. Es gibt unzählige Kochsendungen und Kochbücher. Es gibt Pornografie, Sex-Ratgeber, alles Mögliche. Genauso geht es mit dem Tod: Er findet halt statt und beschäftigt Menschen daher. Ich würde hier nicht über eine übertriebene Betonung in der Darstellung oder gar Ausschlachtung von Todes-Inhalten sprechen. Das, was die Leute interessiert wird eben auch angeboten.”

Es sind die elementaren Bedürfnisse, die die Medieninhalte bestimmen. Vieles in der Darstellung und Wahrnehmung des Todes lässt sich erklären, psychologisch, medizinisch, sicher auch kulturell. Ein großer Teil liegt jedoch im Verborgenen. Der Tod bleibt mysteriös, mit unzähligen Facetten und Auslegungen. Weil wir es so wollen und weil wir es so brauchen. Dafür sorgen wir Menschen selbst. Darüber haben wir gesprochen. Kreative setzen die Nachfrage entsprechend um. Mal allgemein, mal expliziter. Kulturelle und politische Formen bestimmen lediglich die Darstellungsmöglichkeiten und Zugangsformen.

Menschen wie Mark Benecke tragen dazu bei, sich einem gewichtigen Thema wie den Tod und der eigenen Neugier danach zu stellen. Denn kommen wird er ja nun mal. Irgendwann, irgendwie.

Mit seiner Persönlichkeit und die Wahl der vielfältigen Kanäle aus Print- und Digital-Formate erreicht er viele Menschen und weiß zu begeistern. Dies alles wirkt nicht erzwungen, sondern einfach den Möglichkeiten entsprungen. Die interessantesten Medienmenschen sind halt immer noch die, die sich eigentlich nicht für solche halten.

Über fehlende Anfragen zu Projekten und Kooperationen von kreativen Kolleginnen und Kollegen kann sich Mark Benecke nicht beschweren. Sein Tätigkeitsfeld animiert Kunst- und Kulturschaffende zu gemeinsamen Arbeiten und erfreut sich einer großen Nachfrage. Was einen interessanten Spielraum für die Diversität in den Veröffentlichungsformen hervorruft. Ob im Film, zum Beispiel hat er mit dem Regisseur Jörg Buttgereit, der ebenfalls in dieser Ausgabe vertreten ist, den Verwesungsfilm “Schweinchen” realisiert. „Wir sind alle nur ein Teil von einem flüchtigen Vorgang. Keiner lebt ewig und wir lösen uns wieder in die Bestandteile auf, aus denen wir kommen“, so einige erklärende Worte Beneckes im Rahmen der Präsentation des Films. Oder in Kooperation mit der wunderbaren Illustratorin Kat Menschiks, mit der er das Buch “Mark Beneckes Illustrirtes Thierleben” veröffentlicht hat, in dem Mark Benecke mit der Künstlerin seinen Blick auf die Tier- und insbesondere seine geliebte Insektenwelt wirft.

Gerade erschienen ist Mark Beneckes erster Roman. Ein Kriminalroman. Was naheliegend scheint, ist doch ungewöhnlich, wenn man weiß, dass er selber keine Fiktion konsumiert. “Eine Testblase, die ich ausprobieren möchte und gespannt bin was sich daraus für neue Gespräche ergeben.” “Viral. Blutrausch”, heißt das Werk und ist am 22. Februar 2022 erschienen. Zeitgleich mit der Veröffentlichung dieser Schwarz-Ausgabe.

Foto: Saskia Clemens ・ Grafik: Carsten Gritzan

(*) Mein erstes Tattoo habe ich glaube ich mit 18 Jahren erhalten. Meine Kleidung ist uralt...


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